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E-Bike-Expedition Teil 1 Sibirien - Online-Tagebuch 2015

Göttlicher Strahl

N 52°6'2.02’’ E 023°40'50.4’’
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    Tag: 8

    Weißrussland

    Ort:
    Brest

    Tageskilometer:
    777

    Gesamtkilometer:
    1,247

    Breitengrad N:
    52°6’2.02’’

    Längengrad E:
    023°40’50.4’’

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)


Am Sonntagmorgen um 7:00 Uhr sitzen wir bereits im Sprinter. Man hat uns erzählt, dass hier die Uhren ein wenig anders ticken. Angeblich geht die Nacht in Berlin bis 10:00 Uhr früh. Nach den leeren Straßen zu urteilen scheint da was Wahres dran zu sein. 30 Minuten später bekommen wir einen Parkplatz direkt vor dem Eingang des Bahnhofs Lichtenberg. „Diesmal scheint es tatsächlich besser zu laufen als beim letzten Aufbruch“, freut sich Tanja. Während Rolf im Auto bleibt, um die Ausrüstung zu bewachen, checken wir erstmal den Bahnhof. Viele Obdachlose hängen hier herum und vermitteln nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit. Bahnpolizisten patrouillieren gleich in Gruppen durch die Halle um den Laden unter Kontrolle zu halten. „Können wir ihnen helfen?“, fragt einer von ihnen. Ganz erschrocken über so viel Freundlichkeit wenden wir uns den Polizisten zu. „Ja, sehr gerne. Wir suchen das Bahngleis auf dem der Paris-Berlin-Moskau-Zug einfährt.“ „Hm, auf der Anzeigetafel steht nichts. Ich glaube der kommt heute nicht“, fährt uns die Antwort in die Glieder. „Was? Das kann doch nicht sein?“, antwortet Tanja nervös. „Also wenn der Zug kommt dann auf Gleis 16. Das ist dort hinten“, meint der andere Polizist. „Vielen Dank“, rufen wir ihm entgegen und eilen sogleich zu Gleis 16. In einem Kontrollhaus fragen wir eine Beamtin ob der Moskau-Zug auch wirklich hier einfährt. „Aber ja. Denke er wird pünktlich sein“, beruhigt uns ihre zuversichtliche Antwort. In welchem Gleisbereich werden die VIP-Abteile halten?“ Die hilfsbereite Beamtin wirft einen prüfend Blick in ihre Pläne. „Abschnitt A. Bringen sie ihr Gepäck zum Abschnitt A“, wiederholt sie sich. „Sind sie sich da ganz sicher? Man hat uns beim letzten Mal mehrfach ans falsche Ende des Bahndamms geschickt. Das wollen wir bei der Affenhitze heute unbedingt vermeiden“, sage ich. „Nach meinen Plänen kommen die VIP-Abteile in Abschnitt A zum stehen. Das ist ganz sicher.“ „Super. Vielen Dank für ihre Hilfe“, sagen wir und verlassen das Diensthäuschen.

“Und wie ist es gelaufen?“, will Rolf wissen als wir wieder beim Transporter sind. „Alles bestens“, antworten wir und laden sogleich die acht Satteltaschen und die zwei wasserdichten Gepäcktaschen auf zwei Handwägelchen, die wir extra mitgebracht haben, um uns nicht wieder einen Wolf zu schleppen. Trotzdem ist es anstrengen die hoch beladenen Wägelchen den Bordstein runter und rauf, dann mit dem Aufzug nach unten um alles wieder über eine lange Rampe nach oben zu schieben. Wie immer ist der Abschnitt A ganz am Ende vom ewig langen Bahndamm. Als Rolf und ich die erste Gepäcklieferung dort abladen sind wir so nass geschwitzt als hätten wir uns unter einem Wasserfall geduscht. „Nächste Fuhre“, meint Rolf mit den Augen zwinkernd. „Nächste Fuhre“, antworte ich ebenfalls bestens gelaunt. Wieder am Sprinter laden wir diesmal die zwei Fahrradanhänger plus zwei Fototaschen, zwei Lenkertaschen und zwei Taschen mit den Ladebatterien. Tanja wacht indes mit Ajaci am Bahngleis auf das Material der ersten Fuhre. Wieder geht es rauf und runter. Vieles davon laufen wir rückwärts, weil die Wagen leichter zu ziehen als zu schieben sind. Als wir nun zum zweiten Mal im Abschnitt A ankommen habe ich das Gefühl mir würden meine Waden explodieren. Das lange Rückwärtslaufen scheinen sie mir echt krumm zu nehmen. „Oh Gott, war die letzten Wochen zu lange vor dem Laptop gesessen“, stöhne ich. „Jetzt die Räder?“, meint Rolf noch immer bestens gelaunt. „Woher dieser drahtige Mann nur seine verdammt gute Laune und Kraft her nimmt?“, flüstere ich und folge ihm schon leicht angeschlagen.

Die schweren unhandlichen Kartons über die Gehsteige, die nicht enden wollende Rampe und den unglaublich langen Bahndamm entlang zu zerren, raubt meinen Waden den letzten Umpf. Als wir nach insgesamt einer Stunde Schlepperei diesmal bei Tanja ankommen muss ich erstmal einen Liter Wasser in meinen Körper pumpen damit sich meine verklebte Zunge vom Gaumen löst. Rolf lächelt mich an als käme er gerade mal vom Brötchen holen. Unglaublich wie fitt man mit 67 Jahren sein kann. Dieser Mann ist ein echtes Vorbild. Vor allem für Menschen die denken mit 50 alt zu sein.

“Wir liegen gut in der Zeit. Noch 30 Minuten bis der Zug kommt“, meint Rolf. „Ja, das haben wir gut gemacht. Ohne Stress. Tausend Dank für deine Hilfe. Wüsste gar nicht was wir ohne dich gemacht hätten.“ „Kostet 1,80 €“, antwortet er lachend. „Ob wir das alles ins Abteil bringen?“, frage ich leicht nervös. „Ganz bestimmt“, beruhigt Rolf. Dann fährt der Zug 453 ein. Die VIP-Waggons befinden sich direkt hinter der Lok. „251, 252“, zählen wir laut. „250? Wo ist denn unser 250?“, fragt Tanja. „Keine Ahnung“, antworte ich und laufe zu einer russischen Schaffnerin. „Am Ende des Zuges“, sagt sie und deutet in eine Richtung dessen Ende man nur mit dem Fernglas erkennen kann. „Oh nein!“, entfährt es Tanja und mir. Um sicher zu gehen laufe ich bis zum Ende des 453 und siehe da, da hängt dieser verdammte Waggon ganz einsam wie das Zünglein an der Waage.

“Also alles ans andere Ende des Bahndamms“, sagt Rolf tatenfroh, worauf wir die zwei noch beladenen Wägelchen dorthin schieben wo kein Fahrgast zu sehen ist. Als wir am Waggon 250 ankommen zieht der Schaffner die Augenbrauen in die Höhe. „Добрый день“, (Guten Tag) begrüße ich ihn freundlich. Nur gut dass er nicht weiß das da noch eine Ladung mit Anhänger usw. kommt, ein Hund und dann noch zwei Riesenkartons mit Fahrrädern. In diesem Fall ist es vielleicht doch ganz gut dass wir nicht mit unserem gesamten Gepäck vor dem Waggon standen. Die Wahrscheinlichkeit dass uns der Beamte trotz VIP nicht reingelassen hätte besteht. Rolf und ich beginnen die Taschen in den VIP-Wagen zu tragen. Unser Abteil befindet sich am Ende des Waggons so dass wir auch hier noch mal unsere Fitness beweisen dürfen. Das Abteil ist tatsächlich etwas geräumiger als ein normales Viermannabteil. Vor allem gibt es eine eigene Toilette mit Duschkabine die ich sofort voll schlichte.

Als wir diesmal mit Ajaci und der zweiten Fuhre heranschwitzen reißt der Schaffner seine eulengroßen Augen auf als würde ein Alien eintreffen. Wir versuchen den Mann zu ignorieren indem wir gar nicht erst Fragen aufkommen lassen. Geschwind schuften wir die Anhänger und weiteren Taschen durch den schmalen Gang und stellen das Zeug auf das obere Stockbett. Tanja bindet Ajaci ins Abteil und wartet davor bis wir mit den Rädern kommen „So, bin gespannt was er sagt wenn wir die Kartons anbringen?“, sage ich zu Rolf. „Wird bestimmt klappen“, meint er im Brustton der Überzeugung. Wir bedanken uns bei den Schaffnerinnen die in der Zwischenzeit auf die Räder aufgepasst haben, hieven je eines auf den Handwagen und ächzen bei mindestens 30° C den Bahndamm entlang. Einige Schaffner schütteln indes den Kopf nachdem sie uns nun zum dritten Mal vorbeirattern sehen. Rolf und ich müssen nach all der Anstrengung der letzten 1 ½ Stunden ab und an innehalten und verschnaufen. Der Schweiß rinnt uns am Körper herunter als würden wir bei dieser unglaublichen Hitze einen Marathon gewinnen wollen. Eigentlich hatten wir viel Zeit weil der Zug hier mindestens 30 Minuten hält. Nun aber müssen wir uns ranhalten damit der 453 nicht erneut wegen uns Verspätung hat. Mit letzter Kraft ziehe ich den Wagen mit seinen kleinen Räder weiter über den Bahndamm. Meine Waden sind schon lange kein Thema mehr. Mittlerweile hat sich der ganze Rücken verspannt aber darauf kann ich jetzt nicht achten. Wir schaffen es rechtzeitig bis zum Ende der Waggonschlange. Der Schaffner kann nun nicht glauben was da angekommen ist. „Das könnt ihr nicht mit in den Zug nehmen!“, stoppt uns ein weiterer Beamter. Wir versuchen nicht auf ihn zu hören und wollen gerade den ersten Karton in den Eingang heben als sich ein zweiter Mann dazu gesellt und den Weg versperrt. „Ihr könnt das nicht mitnehmen. Das ist zu groß und zu schwer. Der Zoll erlaubt nur 35 kg pro Person“, sagt er. „Egal“, antworten Tanja und ich synchron. Die zwei Männer verlassen den Waggon und winken uns ihnen zu folgen. Sie öffnen nun die Tür am hinteren Teil des Waggons und zeigen Rolf und mir die Kartons dort einzuladen. Verwundert über den schnellen Stimmungswechsel folgen Rolf und ich ihren Anweisungen. „Stellen sie die Räder in die VIP-Lounge“, bieten sie uns an. Rolf und ich sehen uns an und können kaum glauben was uns da gerade widerfährt. Schnell sind die zwei Kartons mal hochkant mal quer um die Ecken gehebelt und finden einen Platz neben den Barhockern. „Somit habt ihr echt Platz in eurem Abteil“, freut sich Rolf. Ja, das ist kaum zu fassen. Die Russen sind diesmal wirklich gefällig“, antworte ich und kann noch immer kaum glauben welch göttlicher Strahl uns eben getroffen hat. Wir verabschieden uns von Rolf, der von sich sagt, dass es kaum Geschehnisse gibt die ihn aus der Ruhe bringen. „Ich werde euren Sprinter bei euch Zuhause abstellen. Macht euch keine Sorgen. Ich wünsche euch eine glückliche Reise und kommt gesund wieder“, sagt er. Wir umarmen uns zum Abschied. „Tausend Dank für deine Hilfe“, rufe ich ihm nach. „Kostet 1,80 €“, antwortet er lachend und winkend.

Sogleich machen wir es uns in unserem klimatisierten VIP-Abteil bequem. „Wir haben es geschafft“, meint Tanja glücklich. „Ja wir sind drin. Die gesamte Ausrüstung ist drin“, antworte ich zufrieden. Wegen eines Schadens an der Lokomotive verlassen wir Berlin Lichtenberg mit 35 Minuten Verspätung. Egal, Hauptsache wir sitzen im Zug.

Gelassen erreichen wir Frankfurt Oder. Diesmal müssen wir den Zug nicht Hals über Kopf verlassen weil uns ein Visum fehlt. Vor allem beschimpft und quält mich keine Russin. Wie unterschiedlich das Reisen doch sein kann. Gleicher Zug, gleiches Ziel, gleiches Gepäck nur zu einem anderen Zeitpunkt und einem viel besseren Abteil. Nach kurzem Stopp geht es ohne Kontrolle über die Grenze nach Polen. Wir sitzen am Fenster und lassen die ewig flache Landschaft mit ihren endlosen Feldern an uns vorbeifliegen. In Warschau hält der 453 zum ersten Mal für 15 Minuten. Tanja nutzt die Gelegenheit um Ajaci die Möglichkeit zu geben sich zu entleeren. „Ist das ein Wolf?“, fragt eine Zugbegleiterin voller Bewunderung. „Ein kanadischer Schäferhund“, antwortet Tanja. „Das ist ein Wolf“, meint die Russin und fragt ob sie ihn streicheln darf. „Aber klar. Er beißt nicht“, antwortet Tanja freundlich.

Die Sonne ist bereits untergegangen als die polnischen Grenzer bei Terespol in den Zug kommen und unsere Pässe kontrollieren. „Oh sie haben aber einen schönen Hund. Ist das ein Wolf?“, fragt einer von ihnen interessiert. „Kanadischer Schäfer“, antworten wir. „Hat das was mit einem Wolf zu tun?“ „Tja, indirekt schon“, antworte ich. „Wo wollen sie den hin?“, fragt der Mann äußerst freundlich. „Mit den E-Bikes nach Vietnam.“ „Vietnam? Sie wollen wirklich nach Vietnam?“ „Ja, erst nach Sibirien und von dort über die Mongolei und China“, meint Tanja. „Gute Reise und viel Glück“, sagt der Mann in Uniform, reicht uns die Pässe wieder und schließt die Tür.

Tanja klappt das untere Bett aus, so dass wir beide genügend Platz besitzen um darauf zu schlafen. Wegen der Anstrengung und Aufregung der vergangenen Tage fallen wir augenblicklich in einen Tiefschlaf. Es dauert nicht lange und es klopft an die Tür. „Passkontrolle! Öffnen sie die Tür!“ Sofort springen wir hoch. Zwei sehr gut aussehende freundliche Frauen in Uniform stehen da und bitten um unsere Dokumente. Eine von ihnen möchte ins Abteil hat aber Angst vor Ajaci. „Bitte ziehen sie ihm einen Maulkorb über“, fordert sie uns auf. Dann deutet sie auf den Anhänger der auf dem oberen Bett steht und fragt nach dem Inhalt. „Zelt, Campingausrüstung usw.“, antworte ich. Um mir nicht die Arbeit machen zu müssen die schwere Aluminiumbox vom Stockbett zerren zu müssen öffne ich indes eine Satteltasche und lass die Beamtin reinsehen. „Alles klar“, sagt sie zu meiner Erleichterung. Nachdem wir den Einreisezettel ausgefüllt haben bekommen wir unseren Stempel. Auf dem Gang hören wir die Zöllner mit einer Frau diskutieren. „Was ist da los“, möchte Tanja wissen. „Ich glaube die Frau hat kein Transitvisum für Weißrussland“, antworte ich. „Oh weh. Ob sie den Zug verlassen muss?“ „Da bin ich mir ganz sicher“, sage ich. Wir haben uns gerade wieder hingelegt als es wieder an der Tür klopft. Diesmal ist es ein Zollspezialist der wegen der EU-Außengrenze alles genau untersuchen muss. „Пожалуйста, они открывают картон“, (Bitte öffnen sie die Kartons) fordert mich der Mann auf ihn in die VIP-Lounge zu folgen wo unsere Räder stehen. Mit meinem Multitool schneide ich einen Schlitz in den Karton um dem Uniformierten einen Blick in das Innere zu gewähren. „Sind unsere Fahrräder. Wir fahren damit nach Vietnam“, sage ich auf Russisch. „Nach Vietnam?“, wundert er sich während der Strahl seiner Taschenlampe über das Rad gleitet. „Ja, erst nach Sibirien. Von dort geht es los.“ „Невероятно“, (Unglaublich) sagt er und möchte wissen ob die Räder neu sind. „Nein, die haben wir vorher schon viel getestet“, antwortet Tanja die hinter mir steht. Der ebenfalls sehr freundliche Beamte schüttelt mir die Hand, wünscht uns eine gute Reise und verabschiedet sich von uns. Wir haben uns gerade wieder hingelegt als es erneut klopft. Diesmal ist es die weißrussische Amtstierärztin. Wir zeigen ihr die Papiere von Ajaci mit den aktuellen Stempeln und Untersuchungen. „Sehr gut. Haben sie für ihren Hund auch einen Maulkorb dabei?“ „Aber ja“, antwortet Tanja und zeigt ihn ihr. Die nette Frau wünscht uns ebenfalls eine gute Reise und schließt die Tür. Noch bevor die eiserne Schlange Brest verlässt erfahren wir, dass die arme Grieching tatsächlich den 453 verlassen muss, um die Nacht auf der Zollstation zu verbringen. Morgen darf sie dann mit der Eisenbahn nach Warschau zurück, um dort ein Transitvisum zu beantragen. Dann ist sie gezwungen sich neue Tickets zu kaufen um ihre Reise nach Moskau fortsetzen zu können. Und das alles nur wegen einem Stempel. Zufrieden über die problemlose Einreise nach Weißrussland sinken wir erneut auf unser weißes Bett und fallen in einen wunderbaren tiefen Schlaf. Zum Glück wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht was in Moskau auf uns wartet…

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