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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Chinesische Mauer – Qualmende Reifen – Geschlachteter Hund

N 40°06’55.3’’ E 113°18’08.9’’
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    Datum:
    21.10.2015

    Tag: 115

    Land:
    China

    Provinz:
    Shanxi

    Ort:
    Datong

    Breitengrad N:
    40°06’55.3’’

    Längengrad E:
    113°18’08.9’’

    Tageskilometer:
    98 km

    Gesamtkilometer:
    9.949 km

    Luftlinie:
    74,22 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    22,8 k3

    Maximale Geschwindigkeit:
    51,4

    Fahrzeit:
    4:24 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Maximale Höhe:
    1.400 m

    Gesamthöhenmeter:
    6.100 m

    Höhenmeter für den Tag:
    550

    Gegenwind Windstärke: 6
    45 km/h

    Rückenwind Windstärke: 6
    45 km/h

    Sonnenaufgang:
    06:42 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:41 Uhr

    Temperatur Tag max:
    11 °C

    Temperatur Nacht:
    4 °C

    Aufbruch:
    10:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:00 Uhr

    Platte Reifen gesamt:
    8

    Platte Vorderreifen:
    2

    Platte Hinterreifen:
    5

    Platte Anhängerreifen:
    1

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Bei 7 °C, trüben Himmel und dem Wind zum Glück im Rücken, verlassen wir unsere in Beton gegossene Unterkunft. Links und rechts der Straße wird Ende Oktober noch immer geerntet. In gebückter Haltung schuften die Bauern auf ihren Feldern. Häufig kommen uns mit Mais und Kohl schwer beladene Ochsen-, Eselkarren und Tracktoren entgegen. Ihre Lenker erwidern nach erster Scheu unseren Gruß. Meist schenkt man uns ein offenes Lachen. Wir passieren kleine Dörfer, in denen die Stängel von Maisstauden, unter reger Betriebsamkeit in laut scheppernden Maschinen zerkleinert werden. Als ich eine Gruppe Bauern bei ihrer Arbeit fotografiere, schultert einer von ihnen seine Mistgabel und kommt freundlich lachend auf uns zu. Er bestaunt für einige Augenblicke die Räder, die für ihn aussehen müssen, als wären sie die Fahrzeuge von Außerirdischen. Dann hebt er seinen Daumen nach oben und verabschiedet sich freundlich lachend von uns.

Mutter Erdes Haut faltet sich vor uns erneut, so dass wir unsere Rösser wieder über Hügelzüge treten müssen. Mit ca. 310.000 Einwohnern erreichen wir Fengzhen, die letzte größere Stadt der Inneren Mongolei. Im Außenbezirk müssen wir an einer Kreuzung stoppen, um den Gegenverkehr vorbeizulassen. Unmittelbar neben uns hocken drei Chinesen auf ihren Fersen und schneiden mit einem Messer einem Hund den Bauch auf, um seine Eingeweide herauszuholen. Offensichtlich wird er wie eine Ziege oder Schaf zum Verzehr geschlachtet. Bevor uns das Entsetzen packt gibt der Verkehr den Weg frei und wir setzen unsere Fahrt durch das interessante Land der Gegensätze fort. Meine Gedanken drehen sich um die eben erlebte Szene und ich frage mich warum der Verzehr von Hundefleisch bei uns Europäer solch eine Abscheu auslöst. Dabei haben die Menschen in Nordeuropa bereist in der mittleren Steinzeit, besonders in der Jungsteinzeit Hunde gegessen. Selbst zur römischen Kaiserzeit waren Hunde eine alltägliche Fleischressource. Im Jahre 869 war in Burgund, Gallien und im Rheingebiet laut niedergeschriebenen Quellen das Fleisch von Hunden nicht ungewöhnlich und in Tirol, Kärnten und der Steiermark wurde Hundefleisch gegessen. Zumindest wird das in schriftlichen Quellen des Jahres 1277 belegt. Nun, man könnte sage das ist alles lange her und wir Europäer haben uns im Laufe der Geschichte weiterentwickelt. Das mag sein aber wenn man bedenkt, dass im 1. Viertel des 19. Jahrhunderts in sächsischen Dörfern der Verzehr von Hundefleisch bezeugt ist dürfen wir Europäer uns nicht mehr gegen die Sitten und Gebräuche anderer Länder aufspielen als wären diese Barbaren. Selbst Wilhelm Busch beschrieb 1866 das Schlachten von Hunden in einem Münchener Bilderbogen. Hunde wurden in Deutschland in manchen Gesellschaftsschichten sogar zu festlichen Anlässen als Delikatesse angeboten. 1870 bis 1871 fand man Hundegerichte wie zum Beispiel geschnetzelte Hundeleber, Schulterfilet vom Hund in Tomatensauce und Hundekeule garniert mit jungen Ratten auf Speisekarten der Stadt Paris. Auch jetzt könnte man noch sagen das im Jahre 1870 andere Menschen gelebt haben als der heutige moderne Europäer aber gilt das auch für unsere Großmütter und Großväter? In den Städten München, Breslau und Chemnitz wurden in den Jahren von 1904 bis 1924 knapp 43.000 unserer geliebten Vierbeiner getötet und zum Verzehr angeboten. Es war gesetzlich absolut legal und gab dafür sogar Fleischbeschauer. Ein Verbot von Hundeschlachtung wurde erst, und das klingt für mich unglaublich, im Jahre 1986 erlassen.

Link zum Filmtrailer Westneuguinea:
https://www.youtube.com/user/deniskatzer

Link zur Bildergaklerie Westneuguinea:
http://www.denis-katzer.de/galleries/?name=westneuguinea

Abgesehen davon wurden in vielen Kriegen und Notsituationen Hunde und Pferde verspeist, zumindest dann wenn der Hunger die Menschen dazu zwang. Auch auf Expeditionen wie zum Beispiel der Südpol-Expedition von Roald Amundsen wurden Schlittenhunde als Fleischproviant genutzt sobald sie zu schwach, krank oder nicht mehr benötigt wurden.

In China werden nach Schätzungen etwa 20 Millionen Hunde pro Jahr getötet auch in Korea, China und Vietnam sind Hunde auf der Speisekarte zu finden. Das Fleisch gilt in der Regel als Spezialität und ist im Vergleich zu anderen Tieren teuer. Aber auch in den Ländern Laos, Myanmar, Malaysia, Ghana, Philippinen, Indonesien, Thailand und im Kongowerden Hunde verzehrt.

Auch hier gilt es wieder andere Völker und Kulturen nicht zu be- oder verurteilen, denn wir sitzen alle im bekannten Glashaus, aus dem man keinen Stein werfen sollte. Dabei denke ich an das Phänomen der Ablehnung von Pferdefleisch in den meisten Ländern Nordeuropas, wie dem Tötungsverbot von Rindern in Indien, der tiefen Abneigung der heutigen Europäer gegen Hunde- und Katzenfleisch und dem Schweinefleischtabu der islamischen Gesellschaft. Ich selbst bin der Überzeugung, dass in der Zukunft, wer weiß wann, die Menschheit mit Abscheu auf die heutige lebende Erdbevölkerung zurückblicken wird weil wir, welche Tiere auch immer, verspeist haben. Vielleicht werden die Menschen der Zukunft genauso in die Vergangenheit schauen wie wir auf diejenigen die noch im letzten Jahrhundert, aus den verschiedensten Gründen, ihres Gleichen verspeisten. Wir nennen sie Kannibalen. Ich selbst hatte noch 1989 während einer Expedition in Westneuguinea Kontakt zu einem rituell kannibalischen Stamm, die heute ihre alten Gewohnheiten abgelegt haben und höchstwahrscheinlich nie mehr Menschen essen werden.

Meinen Gedanken nachhängend erblicke ich im Augenwinkel ein altes, geschwungenes Dach. „Wow!“, entfährt mir ein Ausruf der Faszination. „Stopp!“, rufe ich unverzüglich und ziehe nach einem Handsignal die Bremsen. „Was denn?“, fragt Tanja. „Schau mal nach rechts.“ „Oh, das sieht ja interessant aus“, antwortet sie worauf wir unsere Räder die Straße hinab, über einen sandigen Gehweg durch das alte Klostertor rollen lassen. Kaum haben wir die Schwelle des betagten Holztores überschritten, befinden wir uns in einer anderen Welt. Augenblicklich sind die hässlichen Geräusche der Straße, das Hupen, die ständigen Lautsprecherdurchsagen der Straßenverkäufer, das Knattern und Dröhnen der Mopeds und Lastwägen, in die Ferne gerückt. Der Duft von Weihrauch liegt in der Luft. Betende Menschen knien vor Buddhastatuen oder schwenken ihre angenehm wohlriechenden Räucherfackeln in alle Himmelsrichtungen. Wir stellen unsere Zweiräder vor den ehrwürdigen, uralten Holztempeln ab die vor langer Zeit in den Berghang errichtet wurden. Einige von ihnen wirken sehr alt und haben anscheinend die allumfassende Zerstörung der Kulturrevolution, die von 1966 bis 1976 in China wütete, überlebt. Die Besucher und einige Mönche des Klosters umringen uns. Sie stellen Fragen nachdem Woher und Wohin. Sie zücken ihre Smartphones und Handys und wollen mit den Ausländern fotografiert werden. Obwohl ein unangenehm kühler Wind durch die Anlage bläst, genießen wir den friedlichen Aufenthalt und die angenehme Schwingung des religiösen Ortes. Leider drängt die Zeit, da wir heute noch die Stadt Datong erreichen wollen, die während der Wei-Dynastie zwischen 398 und 494 fast hundert Jahre die Hauptstadt des Landes war.

„Sind das die Überbleibsel der Großen Mauer?“, ruft Tanja einige Kilometer hinter der Stadt Fengzhen. „Ja, das sind sie in der Tat!“, antworte ich begeistert. Sofort halten wir an, stellen unsere Roadtrains auf die Ständer und steigen auf den geschichtlichen Erdwall, der an dieser Stelle von der Straße zerschnitten wird. „Wir haben es tatsächlich geschafft mit unseren Rädern von Deutschland bis zur Chinesischen Mauer zu radeln“, sagt Tanja ehrfürchtig. „Haben wir“, antworte ich und schieße ein paar Bilder. Wir blicken auf die historische Grenzbefestigung, die sich von hier aus in westliche- und östliche Richtung über 15 Provinzen hinzieht. Im 5. Jahrhunderts v. Chr. in der Zeit der streitenden Reiche, wurde sie als Schutz gegen die sich untereinander befehdenden Chinesen errichtet und später sollte sie das chinesische Kaiserreich vor nomadischen Reitervölkern aus dem Norden schützen. „Wie lang ist sie?“, bricht Tanja unser beinah ehrfürchtiges Schweigen. „Du meinst die Mauer?“ „Ja.“ „Nach neuesten Erhebungen 21.198 Kilometer.“ „Kann nicht sein. Damit würde sie ja um die halbe Welt reichen.“ „Die wirkliche Länge liegt bei 8.851 Kilometer. Zumindest haben das die chinesischen Behörden bei einer erneuten Vermessung im Jahre 2009 festgestellt.“ „Und warum spricht du dann von über 21.000 Kilometer?“ „So wie ich es verstehe, besteht die Mauer aus vielen verschiedenen Bauabschnitten, unterschiedlicher Bauweisen der unterschiedlichen Dynastien, die teilweise nicht miteinander verbunden sind. Wenn man die frühesten Bauabschnitte aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. mitrechnet, die 2.233 km angegebenen Naturbarrieren wie Flüsse und Berge mit einbezieht und daran denkt, dass die Mauern auch im Zickzack verlaufen, vielleicht Siedlungen und Städte umrahmen und verschiedene Landesteile durchkreuzen, sind es verschiedene Mauerbereiche die zusammengerechnet die enorme Länge ergeben.“ „Sie sieht hier ganz schön zerfallen aus.“ „Ja, liegt wahrscheinlich daran, dass die frühen Mauerabschnitte nur aus festgeklopftem Lehm, der zur besseren Haltbarkeit mit Stroh- und Reisigschichten vermischt wurde, vom Zahn der Zeit geglättet wurden. Die später aus Naturstein errichtete Mauer wurde von den Bauern über Jahrhunderte als Steinlieferant für ihre Häuser missbraucht. Das ist vielleicht der Grund warum die Mauer in diesem Bereich hier nur noch als Erdwall zu erkennen ist.“ „Und das dort sind die Reste einer der Signaltürme?“ „Ja, es wird geschätzt das 25.000 solcher einst bis zu 12 m hohen Türme in die Mauer integriert waren und weitere 15.000 einzelnstehende Türme die Kommunikation durch Signalfeuer mit der Hauptstadt aufrecht erhielten.“ „Schon irre was du alles weißt.“ „Ha, ha, ich bin doch kein Superhirn der einmal was gelernt hat und sich alles merken kann. Ich habe gestern, während du schon geschlafen hast, ein wenig recherchiert“, gebe ich zu. „Egal, Hauptsache du weißt es jetzt. Bist ein guter Reiseleiter.“ „Danke“, sage ich und genieße den Augenblick des Seins. „Ist schon ein tolles Gefühl auf dem größten Bauwerk der Welt zu stehen“, meint Tanja nach einigen Minuten des gemeinsamen Schweigens und ruft Ajaci zu sich der gerade seine Nase in ein Mauseloch gesteckt hat und versucht den kleinen Bewohner der einstigen Befestigungsanlage herauszujagen. „Lass uns weiterfahren“, schlage ich vor, worauf ich Ajaci in seine Box befehle. Der lässt sich das nicht zweimal sagen, springt wie ein von der Sehne gelassener Pfeil in seinen Anhänger und macht es sich grunzend bequem. „Ha, ha, ha. Der Prinz freut sch auf die Fortsetzung der Besichtungstour“, lacht Tanja.

Nur wenige Kilometer weiter verlassen wir die Innere Mongolei und rollen in die einst reiche Provinz Shanxi, die zur Wiege der chinesischen Kultur gehört und durchschnittlich höher als 1.000 m über dem Meeresspiegel liegt. Nach meinen Recherchen zu urteilen werden wir hier einige Höhenmeter zu bewältigen haben denn die Provinz wird zu 67,5 % von 2.000 m bis über 3.000 m hohen Gebirgen dominiert. Da sich im Norden dieses Gebietes die Chinesischen Mauer erstreckt, und wir ihr nach jetziger Planung ca. 700 km folgen, hoffen wir ab und an auf erhaltene oder interessante Mauerreste zu treffen.

Während in der Inneren Mongolei noch knapp 4 Millionen Mongolen leben, sinkt die Zahl in der Provinz Shanxi auf ca. 12.000 Mongolen. Dafür liegt der Bevölkerungsanteil der Han-Chinesen bei ca. 33 Millionen (über 99 %). Die restlichen ethnischen Gruppen wie die Hui, die Mandschu und die Miao sind wie auch die Mongolen verschwinden gering.

Nachdem es die letzten Kilometer relativ eben dahin ging müssen wir unsere Böcke plötzlich unentwegt die Straße nach oben treten. „Was zeigt dein Bordcomputer an?“, frage ich. „30 km Reichweite auf Tour.“ „Mein Akku hat nur noch 15 km.“ „Wie weit noch bis nach Datong?“ „Laut MAPS.ME sind es noch 29 km. Wenn es mit den Steigungen so weitergeht bleiben wir liegen“, stelle ich fest und hoffe innig, dass die Straße bald wieder nach unten führt. 10 Kilometer geht es stetig auf einer vierspurigen Prachtstraße bergauf. Links und rechts der Straße wurde eine mindestens zwei Meter breiter Fahrspur für Zweiräder und ein ebenso breiter Gehweg gebaut. Alle ca. 15 Meter streckt eine zehn Meter hohe Straßenbeleuchtung ihren Leuchtkörper in den grauen, kalten Herbsthimmel. Das Verwunderliche ist, dass dieser teure Bauabschnitt von keinem einzigen Fahrzeug genutzt wird. Immer wieder befahren wir solch mächtige Straßen deren Sinn Fragen aufwirft. Hatte man in dieser Region zuviel Geld und musste es in so ein Bauprojekt stecken? Häufig fällt uns auf das neu errichtete Häuser leer stehen und wieder zerfallen bevor sie genutzt wurden. Viele Tankstellen sind am Zusammenbrechen während ein paar Kilometer weiter eine neue geboren wird.

Mutterselen alleine strampeln wir bei heftigem Gegenwind dahin. Um meinen Akku 3 zu entlasten darf Ajaci neben mir laufen. Oben angekommen zeigt meine Anzeige eine Reichweite von 9 km an. Bis Datong sind es aber noch 20 km. Die einsame Prachtstraße trifft auf eine Kreuzung. Ab jetzt donnert ein schwer beladener Lastwagen nach dem anderen über den dunklen Asphalt. Wir legen eine kurze Pause ein um uns mit einem chinesischen Schokokeks zu stärken. „Tuuuhhhhht!“, erschreckt uns das Horn eines Brummis dessen Fahrer mit einer Hand sein Smartphone ans Ohr hält und mit der anderen uns freundlich zuwinkt. Die schwarzen, großen Reifen donnern an uns Winzlingen vorbei. „Tuuuhhhhht!“, hupt es wieder als nur Sekunden verstreichen und die nächsten wuchtigen Reifen vorbeilärmen. Wir heben uns in die Ledersättel. Die Akkus und Oberschenkel übernehmen ihren Job und bringen uns auf einen Pass. Die Landschaft ist beeindruckend. Berge soweit das Auge reicht. Wäre mein Akku 3 nicht so schwach auf der Brust würde ich das veränderte Gesicht von Mutter Erde noch mehr genießen. „Wooouuuhhh“, fauchen die mit Kohle schwer beladenen 38-Tonner unaufhörlich. Der Grund des enormen Lastwagenverkehrs liegt unter anderem an den reichen Kohlerevieren dieser Provinz, die 37 Prozent der Fläche von Shanxi bedecken. Mit geschätzten 200 Milliarden Tonnen machen sie ein Drittel Chinas Kohlereserven aus die von hier in über 20 Provinzen und autonome Gebiete exportiert werden und deren Förderung bereits während der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) begann. Meine Blicke kreisen über die Landschaft und suchen, falls wir hier liegen bleiben sollten, nach einem Campplatz. Links geht es felsig nach oben und rechts felsig nach unten. Kein Platz für ein Zelt. „Wooouuuhhh“, faucht und schnauft es und plötzlich haben wir auf 1.400 Meter den höchsten Punkt des Passes erreicht. Meine augenblickliche Reichweite beträgt 5 Kilometer, während unser Ziel noch 16 km entfernt liegt. „Fahr vorsichtig!“, warnt Tanja. „Ja! Du auch“, antworte ich. Wir lassen unsere E-Bikes in die Tiefe rauschen. Der kalte Gegenwind rüttelt an unseren Körpern. „Wooouuuhhh“ Tuuuhhhhht!“ Tuuuhhhhht!“ Tuuuhhhhht!“, schrillt es hinter uns. Zwei finstere Kohlelaster poltern nebeneinander den Pass herunter. Der eine möchte den anderen überholen. Der lässt ihn aber nicht. Tuuuhhhhht!“ Tuuuhhhhht!“ Tuuuhhhhht!“, echot es von den Felswänden. Die schwarzen Reifen rumpeln an uns vorbei. Der Untergrund bebt. „Was macht der denn?“, rufe ich erschrocken als nur noch wenige Meter fehlen bevor der Überholende in den vorderen 38-Tonner kracht. Beide steuern auf eine unbefestigte Brücke zu. Links und rechts geht es in eine tiefe Schlucht. Vor Schreck zogen wir die Scheibenbremsen und sind im Begriff Zeugen einer Katastrophe zu werden. „Seine Bremsen haben versagt!“, rufe ich entsetzt als ich begreife warum der hintere Kohletransporter wie wild hupt und nur noch ein Augenzwinkern fehlt bis sich die beiden Kolosse bei irrer Geschwindigkeit in die Tiefe stürzen. In diesem Augenblick muss der vordere Fahrer die tödliche Gefahr erkannt haben. In letzter Sekunde reißt der Vorausfahrende sein Lenkrad nach rechts, so dass der Anhänger bedenklich schlingert. Mit ununterbrochenem Hupen schießt der hintere Blechriese mitten auf der Brücke vorbei. „Puhhh, das war knapp“, stöhne ich. „Unglaublich“, meint Tanja. „Wir müssen auf den restlichen Kilometer echt aufpassen.“ Ein paar Kilometer weiter führt der Teerstreifen noch immer ins Tal. In der Ferne sehen wir die ersten Wolkenkratzer der Stadt Datong. Meine Akkureichweite hat sich wieder auf 20 km erholt. „Wooouuuhhh!“ Tuuuhhhhht!“ Tuuuhhhhht!“ Tuuuhhhhht!“, faucht und donnert es unaufhörlich an uns vorbei. Unzählige von Lastwagenriesen brausen mit affenartiger Geschwindigkeit die Passstraße hinunter. Die bloße Masse ihrer Karossen erzeugt einen unangenehmen Windsog der die Rahmen unsere Riese und Müller erschüttern lässt. Unerwartet beginnen die Reifen der Metallmonster zu qualmen. Ich ziehe erneut die Bremsen und steige aus dem Sattel. „Was machst du denn?“, wundert sich Tanja. „Das muss ich fotografieren. Ansonsten glaubt uns das kein Mensch“, antworte ich. „Ob die Feuer fangen können?“, fragt Tanja. „Aber ja“, antworte ich und wieder können wir es nicht fassen was sich da vor uns abspielt. Mächtige Speedbraker erheben sich aus dem Asphalt und zwingen die Transporter in die Eisen zu steigen. Sollten sie darüber donnern würden ihre Achsen brechen. Ein paar hundert Meter weiter unten versperrt eine Moutstation das Weiterfahren. Die Lenker der 38-Tonner sind also gezwungen ihre schwere Last auf Schrittgeschwindigkeit zu drosseln. Dabei qualmen die Reifen derart, dass der aufsteigende Rauch die Sicht der Fahrbahn versperrt.

Auf der nassen und vom Gummi der Brummireifen überzogenen Straße, schlängeln wir uns durch stinkenden Blechmonster, die hier zum stehen gekommen sind und in einer endlosen Schlange vor der Moutstation warten. „Fahrt dort rüber!“, ruft einer der Truckerfahrer auf ein rotes Kreuz deutend was unter normalen Umständen einen Stopp anzeigt. „Ob wir da durch dürfen?“, frage ich mich. Kaum befinden wir uns an der Schranke der leeren Gegenfahrbahn winken uns ein paar Polizisten freundlich weiter. „Xiexie“, bedanken wir uns. Wegen den Adrenalinausstößen der letzten 30 Minuten und der bereits 80 Tageskilometer, fühlen wir uns müde. Trotzdem liegt jetzt die 1 ½ Millionenmetropole vor uns. „Wohin?“, fragt Tanja. „Ich weiß nicht“, antworte ich etwas ratlos auf ein chinesisches Hinweisschild blickend. „Lass dein Gefühl sprechen“, schlägt Tanja vor. Ich höre in mich hinein und vernehme nichts als das Rauschen meines Blutes. Der Verkehr lärmt in verschiedene Richtungen um die Stadt herum. Manche der von hier aus zu sehenden Ringstraßen sehen wie gefräßige Autobahnen aus. Sie wirken alles andere als fahrradfahrerfreundlich. „Geradeaus“, entscheide ich, worauf wir auf das trübe, von Abgasen und Kohlerauch stinkendes Zentrum zufahren. Links und rechts der teils schlechten Straße reihen sich zahllose flache Gebäude. Lastwägen parken davor. Es sind offensichtlich kleine Werkstätten, in denen die Könige der Straße, nach der für Material und Mensch strapazierenden Passstraße, repariert werden. Es wird gehämmert, geschweißt und gesägt. Funken sprühen in den trüben Himmel. Die Plätze vor den einfachen Hütten ersticken in Müll und Schrott. Öllachen fressen sich über den Grund und verseuchen jeden Tropfen Regenwasser, die sich in armseligen Pfützen zurückgezogen haben. Die gesamte Szene wirkt wie in einer unwirklichen Sciencefiction. Dann ändert sich das Straßenbild. Die ersten billigen Hotels, Ladengeschäfte und Restaurants reihen sich an der Straße. „Warum hältst du nicht an? Da war doch eine Übernachtungsmöglichkeit!“, ruft Tanja. „Weiß nicht“, antworte ich aber beim Anblick der hässlichen Gebäude verspüre ich ein ungutes Gefühl. Mein erschöpftes Gehirn ist kaum noch eines klaren Gedankens mächtig. Immer weiter dreht sich der Gummi unter uns bis ich nach knapp 100 Tageskilometer ein ansprechendes Hotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite erblicke. „Da drüben“, sage ich. Es dauerte eine Weile bis uns der rasende Großstadtverkehr eine Chance gibt die Fahrbahn zu queren. „Gehst du und fragst nach?“, bitte ich Tanja. „Okay“, antwortet sie. „Ach ich mach das schon“, entscheide ich, mir einen Ruck gebend, nehme das Übersetzungsbuch und die Visitenkarten der letzten Hotels mit, auf denen die jeweiligen Manager Ajaci ein positives Zeugnis ausgestellt haben. Als ich die Lobby betrete und die Empfangsdamen mich erblicken sehen sie mich an als wäre ich ein Weltstar. Sie lachen schüchtern, rufen etwas in den Hinterraum, worauf noch ein paar mehr Mädchen herausspringen und sich vor mir aufreihen. Soweit es mein Energielevel zulässt lächle ich zurück und frage nach dem Preis eines Doppelzimmers und ob eines frei ist. Innerhalb von Augenblicken bekomme ich was ich möchte. „Räder? Nein die dürfen nicht mit ins Haus“, ist dann die zu erwartende Aussage. Der junge Manager erscheint und gibt letztendlich sein Okay für das Einchecken der Fahrräder ohne unsere beladenen Roadtrains gesehen zu haben. „Was ist das?“, fragt er auf den chinesisch geschriebenen Satz deutend der direkt unter den allgemeinen Fragen geschrieben steht. „Äh, unser Hund muss auch mit ins Zimmer“, sage ich und bevor ich den Satz beendet habe schwirrt das entschiedene Wort „Bu“, (Nein) über den Tresen. Selbst Tanja, die den Manager am Arm nimmt und dazu zwingt unseren lieben Hund zu streicheln, kann kein Shide (Ja) aus ihm herauskitzeln. Enttäuscht radeln wir weiter durch die laute Stadt. Wir wuseln uns durch die Fußgänger, Elektroroller, Fahrräder, Mopeds, Autos, Verkaufsstände. Es hupt, Ruft, Schreit, Klingelt. Dazwischen veranstaltet jemand ein Feuerwerk. Wahrscheinlich wird wieder geheiratet, denke ich mir und versuche mich zu konzentrieren, um mit keinem der zahlreichen Erdenbürger zu kollidieren. „Da ist ein Hotel“, sagt Tanja auf einen Luxusschuppen deutend. „Du machst doch Scherze. Die nehmen uns niemals“, bin ich mir sicher, bleibe aber trotzdem stehen. Auf der edlen Drehtür ist ein Schild angebracht auf dem uns in Signalfarben ein durchgestrichener Hund entgegenstrahlt. Die Pförtner, die gerade für einen teuren BMW-Sportwagen die Schranke hochgehe lassen, stehen in ihrem warmen Häuschen und winken uns lachend zu. Auch für sie sind wir anscheinend Filmgrößen die mit ihren futuristischen E-Bikes direkt aus dem Star Wars-Film hierher gebeamt wurden. Nachdem Tanja auch das Schild entdeckt hat ist ihre Euphorie eingeknickt. Sie läuft zu den faszinierten Pförtnern und fragt, ob sie ein Hotel oder Bleibe wissen, in der wir mit Hund übernachten dürfen. „Kommen sie mit“, bedeutet der Chefpförtner und geleitet Tanja in das edle Haus. Indes stehe ich in der zunehmenden Kälte verschwitz draußen und versuche mich durch auf- und abhüpfen warm zu halten. Offensichtlich mache ich durch mein Gehampel noch mehr auf mich aufmerksam. Menschentrauben versammeln sich um mich, ganz besonders Ajaci bestaunen sie in seinem Anhänger. Viele unverständliche Fragen dringen an meine Ohren und ehrlich gesagt habe ich zu diesem Zeitpunkt kaum noch den Nerv und die Lust sie zu beantworten. Trotzdem lächle ich artig in die vielen Smartphones und hoffe innig auf Tanjas Rückkehr, um noch vor der baldigen Dunkelheit irgendwo, egal wo, unterzukommen. Ich bin schon halb abgefroren als Tanja in Begleitung eines Anzugträgers, der während des Laufens unaufhörlich und wichtig in sein Headset spricht, erscheint. Was soll das jetzt?, denke ich. „Und weiß er wo es in dieser Millionenmetropole eine Bleibe für uns gibt?“, frage ich. „Wir dürfen hier einchecken.“ „Wir dürfen was?“ „Wir dürfen rein“, antwortet Tanja mit breitem Grinsen. „Glaube ich nicht. Mit Hund?“ „Mit Hund.“ „Und die Räder auch?“ „Ja auch die müssen nicht draußen frieren.“ In diesem Augenblick würde ich wieder einmal am liebsten auf die Knie sinken, um mich bei Tanja und vor allem diesem mutigen Manager zu bedanken. Ich verschiebe die Frage, wie sie das bewerkstelligt hat, noch dazu wo auch hier keiner Englisch spricht, auf später, und folge den Anweisungen des Managers. Noch immer ungläubig laufen wir nun dem freundlichen Pförtner, der dieses Wunder offensichtlich einleitete, hinterher. Im finsteren Hinterhof weißt er uns einen Fahrradparkplatz zu. „Hier ist also der Haken“, sage ich und versuche dem Mann klar zu machen dass unsere Räder ins Hotel müssen. Wir schieben sie zum Hintereingang des Hauses und beginnen trotz der ungewissen Bleibe unserer Fahrzeuge, die Ausrüstung abzuladen. Mittlerweile erscheinen mehrere Anzugträger. Emsig wird in Funkgeräte gesprochen. Einige der Herren beäugen skeptisch unseren großen Hund. „Der ist ganz lieb“, sagt Tanja immer wieder, um die sensible positive Stimmung aufrecht zu erhalten. „Und sie wollen ihre Fahrräder nicht dort auf den Parkplatz abstellen?“, verstehen wir einen der Herren. „Bu“, antworte ich lächelnd. Plötzlich rollen zwei Hotelangestellte einen Gepäckwagen heran. Alle Beteiligten, inklusive der hohen Herren, packen die vielen Gepäckstücke, um sie auf den Wagen zu laden. „Die checken uns tatsächlich ein“, sage ich zu Tanja weil ich bis dato geglaubt habe sie könnten doch noch einen Rückzieher machen. Unerwartet deutet einer der Verantwortungsträger auf den Generatorraum direkt hinter uns. „Können ihre Räder da rein?“, verstehen wir. „Absolut. Das ist eine Luxussuite für die beiden Lastenträger“, antworte ich wohl wissend dass mich keiner versteht. Schnell sind unsere Bikes in den Generatorraum getragen, der danach mit einem eisernen Rolltor verschlossen wird. Zufrieden folgen wir der gesamten Mannschaft ins warme Innere des Luxushotels. Die in Gold strahlende Lobby haut mich im ersten Moment fast um. „Ich hoffe wir können uns das leisten?“, raune ich Tanja zu. „Kostet inklusive Frühstücksbuffet 188 Yuan.“ (27,- €) „Für eine oder zwei Personen?“ „Für uns drei“, antwortet Tanja bestens gelaunt. Der verspiegelte Aufzug bringt uns in den vierten Stock. Am Ende des langen Ganges öffnet sich die Tür zu einem sauberen, warmen, äußerst modernen Hotelzimmer. Eifrig wird der Gepäckwagen abgeladen und jede Tasche ins Zimmer getragen. Die Geschwindigkeit mit der das geschieht lässt mir kaum die Möglichkeit mitzuhelfen. „Wir wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt“, sagt der Mann mit dem Headset auf Chinesisch, lächelt freundlich und schließt die Tür. Augenblickliche angenehme Ruhe beherrscht den Raum. Tanja und ich sehen uns an. „Ha, ha, ha!“ „Unglaublich! Was für ein Land!“ „Ha, ha, ha, ha“, lachen wir, freuen uns und springen wie kleine Kinder herum. Sofort ziehe ich meine schmutzige Radhose aus und hechte auf das frisch überzogene Bett. „Hier bringt mich so schnell keiner mehr raus“, sage ich. „Und du bist dir sicher dass das Zimmer nur 188 Yuan (27,- €) pro Nacht und für uns beide kostet?“, will ich noch mal wissen. „Für uns drei inklusive Frühstück“, meint Tanja herzhaft lachend ihren Ajaci knuddelnd. Nachdem wir uns das Gesicht und Hände gewaschen, ein paar frische Klamotten übergezogen haben, verlassen wir das ehrenwerte Haus und gehen in ein nahes, sehr gut besuchtes Hotpot-Restaurant essen. Glücklich, mitten im Zentrum von Datong so gut untergekommen zu sein, plaudern wir bei fantastischem Essen über den ereignisreichen Tag. Nie hätten wir geglaubt, dass sich China so interessant, vielseitig, bunt, abwechslungsreich und spannend präsentiert. Auch wenn es an machen Tagen anstrengend ist, werden wir durch das häufig wechselnde Landschaftsbild, die enorme Vielseitigkeit des schmackhaften Essens, der meist freundlichen Menschen, jeden Tag aufs Neue entlohnt und überrascht. China ist in der Tat ein Land der Gegensätze und für mich im Augenblick das wirkliche Land des Lächelns…

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH www.roda-computer.com Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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