Gefährliche Schlitterpartie über vereiste Gebirgsstraßen
N 69°27’24.4’’ E 017°20’50.7’’Datum:
18.10.2020 bis 20.10.2020
Tag: 077 – 079
Land:
Norwegen
Ort:
Senja Steinfjord
Tageskilometer:
75 km
Gesamtkilometer:
7422 km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt / unbefestigte Straße
Brückenüberquerungen:
10
Tunneldurchfahrten:
2
Sonnenaufgang:
08:05 Uhr bis 08:13
Sonnenuntergang:
17:10 bis 16:57
Temperatur Tag max:
4°
Temperatur Nacht min:
-3°
Aufbruchszeit:
12:00 Uhr
Ankunftszeit:
14:30 Uhr
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
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Kurz nach 8:00 Uhr blinzelt ein rosafarbener Lichtstrahl durch die Fenster. Auch wenn wir nicht an unserem gewünschten einsamen Platz stehen, ist der Blick über den erwachenden, 60 km langen und 517 Meter tiefen Andfjord atemberaubend. „Da drüben Richtung Nordwesten liegt die Insel Andoya“, sage ich auf einen verschneiten, in der aufgehenden Sonne liegenden Gebirgszug deutend. „Bist du dir sicher?“, fragt Tanja. „Absolut.“ „Sieht zum Greifen nah aus.“ „Denke, das sind nur etwa 35 bis 40 Kilometer Luftlinie.“ „Werde unser Potwalerlebnis nie vergessen“, schwärmt Tanja. „Ja war toll. Auch die Bekanntschaft mit den Schweizer Auswanderern Nathalie und Stefan war interessant. Was die beiden jetzt wohl machen?“, frage ich mich. „Hoffe sie genießen ihren ersten Winter im hohen Norden.“ „Hoffe ich auch.“ „Wollen wir aufbrechen, um unseren Traumplatz zu suchen?“, fragt Tanja. „Klar, lets go“, antworte ich voller Tatendrang.
Auch wenn wir wieder der Straße Fv232 folgen, die uns gestern bis zum südwestlichen Ende Senjas führte, sieht die Landschaft heute für uns völlig anders aus. „Schon verrückt, wie sich der Blickwinkel ändert, wenn man der gleichen Strecke in der entgegengesetzten Richtung folgt“, stelle ich fest, als wir am Kapervatna See, dem Åndervatnet See, dem Kvaenvatnet See und Kapervatnet See entlangfahren. „Irgendwie habe ich diese traumhaft schöne Seenlandschaft gestern gar nicht so wahrgenommen“, bestätigt Tanja. Die Nebenstraße Fv232 stößt wieder auf die etwas breitere 86 die wir nun in Richtung Norden nehmen. Nur 18 Kilometer weiter folgen wir erneut einer kleineren Straße mit der Nummer 862 ab. „Warum biegst du hier ab?“ „Weil das die Straße ist, um Senja zu umrunden“, antworte ich, als es auch schon bergauf geht. Nur wenige Minuten später hat der Winter die Landschaft fest im Griff. Das Sträßchen verschwindet unter einer geschlossenen Schneedecke, die sich blitzartige in einer spiegelglatten Eisfläche wandelt. „Wow!“, erschrecke ich, weil die Terra leicht zu schlingern beginnt, als ich auf die Bremse trete. „Aufpassen!“, warnt Tanja. „Dachte hier ist es wegen dem Golfstrom wärmer als auf dem Festland“, sage ich die Untersetzung einlegend. „Jetzt hätten wir doch Ketten gebraucht“, meint Tanja. „Vielleicht“, sage ich kleinlaut. „Fahr bloß langsam.“ „Mach ich doch, aber wenn wir noch langsamer fahren, bleiben wir hängen. Eine gewisse Geschwindigkeit ist jetzt wichtig“, antworte ich mich konzentrierend. Der kleine Botnvatnet See, nur ein paar Meter zu unserer Rechten, liegt leicht dampfend in einer von Schnee und Eis umgebenen Senke. Die raue, von Kälte erstarrte Bergwelt um uns wirkt lebensfeindlich und hat fast etwas Bedrohliches. Vor uns wird die Gebirgsstraße von einem schwarzen Loch verschluckt. „Der Skalandtunnel. Hoffe das die Straße auf der anderen Seite eisfrei ist.“ „Wieso soll sie eisfrei sein?“, fragt Tanja „Wie wir wissen, kann das Wetter von Bergzug zu Bergzug wechseln. Vielleicht haben wir Glück. Außerdem geht es auf der anderen Seite runter“, antworte ich aufs Navi deutend. „Oh Gott, und das ohne Ketten“, erwidert Tanja nervös. Kurz bevor wir in den 1.894 Meter langen Tunnel fahren, der hier den zweithöchsten Berg Senjas durchbohrt, kommt uns ein PKW entgegen. „Wenn der das schafft, kriegen wir es auch hin“, versuche ich gute Stimmung zu machen. „Und, wenn er Reifen mit Spikes fährt?“ „Jetzt mach bitte keine Panik. Wenn die Straße auf der anderen Seite ebenfalls eisglatt ist, können wir noch immer umkehren“, meine ich merke aber, wie ich langsam zu schwitzen beginne. Und dann ist es plötzlich dunkel. „Ob die Beleuchtung ausgefallen ist?“ „Vielleicht hat dieser Tunnelabschnitt keine Beleuchtung? Egal, mit unseren Scheinwerfern brauchen wir kein künstliches Licht“, meine ich. Das Motorengeräusch echot von den kantigen, groben Felsen des Tunnels zurück. „Ein echter Drachenstollen“, breche ich unser angespanntes Schweigen, weil in unserer Fantasie am Ende der urigsten und archaischsten Bergröhren Norwegens ein feuerspeiender Drache haust. Als würde uns tatsächlich ein Ungeheuer sein tödliches Feuer entgegenspeien, erscheint vor uns urplötzlich ein grelles, blendendes Licht. Wir sind für wenige Sekunden geblendet, dann spuckt uns die Höhle des Drachens ins Freie aus. „Habe ich es nicht gesagt!“, frohlocke ich, denn die Straße ist auf dieser Seite des Berges absolut schnee- und eisfrei. „Puh, Gott sei Dank“, stöhnt Tanja erleichtert auf, denn kaum haben wir den Tunnel hinter uns geht es schon bergab…