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Russland/Gastarbeiter-Camp

Gastfreundschaft die mit Worten kaum zu erklären ist

N 47°25'07.3'' E 041°39'35.1''

Auch am heutigen Tag empfängt uns heftiger Seiten- und Frontwind. Es fällt uns von Tag zu Tag schwerer unsere Moral aufrecht zu erhalten und den Wind gegenüber gelassen zu bleiben. Stoisch treiben wir unsere Rösser in das Dauergebläse. Aufkommenden Ärger schlucken wir einfach hinunter. Was kann der Wind schon dafür dass wir genau zu dieser Jahreszeit in Richtung Sibirien unterwegs sind?

Mit 13 Grad ist es ein diesiger kalter Morgen. Die Menschen sind schon warm angezogen. Eines der großen blauen Schilder zeigt noch 110 Kilometer bis nach Wolgodonsk an. Eigentlich soll das unser Tagesziel sein aber mit diesem Gegenwind? “Denis!” “Ja?” “Halt mal an. Ich muss kurz ausruhen!” “Da vorne sieht es nach einer Truckerkneipe aus. Da haben wir Schutz vor dem Wind!” “Okay!” Als wir die vermeintliche Gaststätte erreichen stellt sich heraus, dass es Marktbuden sind. Kaum stoppen wir unsere Bikes läuft eine Marktfrau auf uns zu. Es dauert nicht lange und wir sind von Frauen und Männern regelrecht umstellt. Das Durcheinader, Gerede und Gelächter ist groß. Jeder möchte mit den Ausländern ein paar Worte sprechen. Die üblichen Fragen werden gestellt und wir nutzen unsere Verschnaufpause um Rede und Antwort zu stehen. “Da bitte”, sagt eine Frau und reicht Tanja einen rotbackigen Apfel. Kaum hat Tanja sich bedankt und den Apfel in die Lenkertasche gesteckt wird auch mir ein schöner Apfel geschenkt. “Oh vielen Dank”, freu ich mich und lasse auch ihn in der Lenkertasche verschwinden. Freundliches Gelächter ist die Antwort. “Hier bitte nimm. Schmeckt sehr gut mit Tee oder Kaffee”, sagt ein Mann und offeriert Tanja eine Honigwabe. Wir sind gerade im Begriff uns zu verabschieden als eine Verkäuferin davon stürmt, um eine Tüte mit Weintrauben und Birnen anzubringen. Soviel das alles oben heraus quillt. “Oh das ist aber sehr großzügig. Tausend Dank”, sage ich öffne meinen Anhänger und lege die Gaben hinein. Das freundliche Gelächter wird noch heiterer. Als die Obst- und Gemüsehändler sehen, dass ich noch Platz in meinem Anhänger habe wird das Gewusel größer. “Hier, das ist zum Würzen. Sehr schmackhaft”, meint eine andere Frau und gibt mir eine Tüte mit frischen Kräutern und Petersilie. “Danke, danke”, bringe ich hervor und lege die Kräuter in den Hänger. “Dazu braucht ihr Kartoffeln”, meint eine andere und legt eine Tüte voll davon in den Hänger. “Oh, oh, oh, danke aber das langt. Ich bekomme langsam Schwierigkeiten alles unterzubringen”, meine ich und bei dem Gedanken den immer schwerer werdenden Hänger gegen den bösen Wind ziehen zu müssen treibt es mir glatt einige Schweißperlen auf die Stirn. “Ihr braucht Tomaten für einen Salat. Sie brauchen Tomaten!”, ruft eine Verkäuferin. Das Gelächter ist allumfassend und ehe ich mich versehe liegen drei Kilo Tomaten im Hänger. “Auberginen dürfen nicht fehlen. Hier habt ihr Auberginen.” “Oh, oh, oh, vielen Dank aber das langt jetzt wirklich. Ich habe keinen Platz mehr”, bitte ich ein wenig um Gnade den Geschenksfluss jetzt zu stoppen. “Ach was! Da ist noch Platz. Gurken gehören zu einem guten Salat”, höre ich und sehe im Augenwinkel wie sich zwei Kilogramm davon an mir vorbeischmuggeln und da landen wo es jetzt richtig eng wird. “Kohl darf unter keinen Umständen fehlen. Das ist sehr lecker”, meint eine freundliche und liebevolle Frauenstimme worauf zwei Hände einen kompletten Weißkohlkopf neben den Anhänger legen. “Äh, danke, danke, danke, aber bitte nichts mehr. Es langt für viele Tage”, äußere ich mich bald ein wenig verzweifelt. “Komm, da ist noch ein kleines Loch und dort noch ein Schlitz”, sagen die Stimmen und einige Hände helfen die Gaben auf den Zentimeter genau in meine Zargesbox zu schlichten. Als selbst der Kohl hineingequetscht wird taucht ein weiteres lachendes Gesicht vor mir auf. “Hier habt ihr noch ein Fladenbrot. Das macht euer Abendessen perfekt”, sagt die ältere Dame. “Stimmt, danke aber bitte, jetzt ist genug. Ich bekomme die Box kaum noch zu”, antworte ich lachend. “Wir sind Türken. Sag der Welt das wir Türken gute Menschen sind”, meint eine andere Frau auf sich und all die Umstehenden deutend. “Ja, das werden wir gerne tun”, antworten wir von solch umwerfender Gastfreundschaft regelrecht überwältigt.

Wir fahren weiter. Sofort kommt ein Hügel von dem auch noch der Wind herunter weht. Meine Muskeln sind bis aufs äußerste strapaziert. Die nun megaschwere Box ziehend spucke ich bald meine Lunge auf den Asphalt. Trotzdem muss ich über die Ironie schmunzeln. Die liebenswerten Menschen haben es mit uns so gut gemeint, dass ich in diesem Moment daran fast zusammenbreche. Im Windschatten einer mit Gras bewachsenen Erdmulde packen wir einen Teil der köstlichen Gaben aus und stärken unseren ausgehungerten Körper. Wir stecken Tomatenscheiben und Käse in das leckere türkische Fladenbrot, essen Weintrauben, trinken Jogurt, Saft und Wasser bis sich die Verbrennungsmaschine Bauch so angefüllt hat das unsere Muskeln genügend Energie tanken, um unsere Aluminiumrösser weiter in den Wind zu treiben. Immer weiter in den Wind, weiter in Richtung Osten, in die Unendlichkeit des größten Landes unserer Mutter Erde, weiter ins Herz von Mütterchen Russland.

Bis nach Wolgodonsk sind es nach unserer Pause noch immer 70 Kilometer. Eine Gastiniza gibt es vorher nicht. Um 16:00 Uhr liegen erst 50 Kilometer hinter uns. Tanja ist platt. Sie will nicht mehr. “Lass uns in diesem Dorf mal fragen ob wir unser Zelt aufschlagen dürfen”, schlägt sie vor. Wir verlassen die Hauptstraße und rollen in das ärmliche Dorf. Sofort werden wir von Kindern entdeckt. Freudig und johlend folgen sie uns mit ihren Fahrrädern. Wir finden den Dorfladen. Während Tanja Wasser besorgt wache ich über unsere Räder. Kinder umringen mich und staunen. Erwachsene gesellen sich dazu. Viele von ihnen stecken in zerrissenen Kleidern. Manche der Männer haben nur wenige Zähne. Aus anderen Mündern blitz mir Gold entgegen. Wenn Zahnersatz dann ist hier grundsätzlich aus Gold. So wie die Männer hier aussehen und sich begrüßen weiß ich in einem Dorf angekommen zu sein in dem ausschließlich Moslems leben. “Was kostet dein Rad?”, möchte einer der Erwachsenen wissen. “Fantastische Maschine”, sagt ein anderer. Die Menschen werden mehr und mehr. Irgendetwas Unbestimmtes lässt mir die Nackenhaare aufstellen. Warnsignale sendet mein Gefühl an den Geist. Tanja kommt zurück. “Kein Ort um zu bleiben”, sage ich knapp. “Nein, du hast Recht. Lass uns schnell weiterfahren.” Als ich mein Rad los schieben möchte wird es von einer grob aussehenden Hand gestoppt. Ich blicke nach oben in ein vernarbtes Gesicht. Ich lächle es an. Lächeln wird mir entgegnet. Obwohl in der moslemischen Welt kein Alkohol getrunken werden darf weht mir eine Alkoholfahne entgegen. “Wohin?”, fragt die tiefe Stimme. “Nach Wolgodonsk”, antworte ich so locker wie möglich. “Kugelschreiber?”, fragt der Mann. “Nein habe ich keinen”, schwindle ich. “Los holt mir einen Kugelschreiber aus dem Auto”, befiehlt der Mann worauf zwei Jugendliche in seinen heruntergekommenen Lada springen und den gewünschten Gegenstand bringen. “Zettel?”, fragt er mich jetzt. “Tut mir leid. Habe ich auch keinen. Aber ich weiß den Weg nach Wolgodonsk”, antworte ich worauf er seine Augenbrauen hebt mich prüfend mustert sich entschließt zu lachen und meinen Lenker wieder freigibt. “Spasiba i Doswidanje!”, bedanke und verabschiede ich mich. Dann fahren wir los. Erst langsam dann aber immer schneller. Als wir uns wieder auf der Hauptstraße befinden atmen wir erleichtert aus. “War ein seltsamer Ort”, meine ich. “Ja, vielleicht sollten wir doch noch bis nach Wolgodonsk fahren. Ich habe jetzt auf jeden Fall wieder etwas Energie”, antwortet Tanja.

Ein Dorf weiter unternehmen wir einen erneuten Versuch. Wir fragen einen Jugendlichen auf seinem Moped ob wir in seiner Siedlung irgendwo neben einem Haus im Schutze einer Familie unser Zelt aufstellen dürfen. “Weiß ich nicht”, antwortet er und knattert ohne weiteren Kommentar davon. “Lass und trotzdem mal ein paar Häuser abklappern”, schlägt Tanja vor. “Okay”, antworte ich müde. Es ist bereits 18:00 Uhr. Wir befinden uns seit über acht Stunden auf der Straße. Angeschlagen und von dem ewigen Wind und entkräftet, holpern unsere riese und müller an den armseligen Hütten vorbei. Wir halten Ausschau nach einer Fragmöglichkeit. Im Begriff die kleinste Gelegenheit wahrzunehmen, um nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen. Manche Menschen eilen davon als sie uns ankommen sehen. Andere sitzen in der zweiten Häuserreihe. Sie zu fragen ist mit unseren schwindenden Kraftreserven zu aufwendig. Wir müssten über eine Schotterpiste in das Dorf. Also bleiben wir in der Nähe der Hauptstraße und lassen unsere Blicke in jedes Haus, in jeden Garten schweifen. Eigenartiger Weise treffen wir auf keinen potentiellen Menschen den wir fragen können. Plötzlich laufen uns zwei junge, gut angezogene Männer entgegen. Der Mopedfahrer gesellt sich auch zu ihnen. “Ihr sucht nach einem Platz für die Nacht?”, fragt der in schwarzer Jacke und Hose Gekleidete. “Ja. Wir sind müde”, antworten wir. Dann folgen die sich immer wiederholenden Fragen. Verschwitzt stehen wir im letzten Tageslicht und erzählen. Was sollen wir tun? Ist dieses Gespräch Zeitverschwendung? Oder bringt es uns an einen sicheren Platz? Wer weiß? Gelassen bleiben ist angesagt. Kein Stress. Keine Panik. Warum auch? Ist ja nichts passiert. Wir sind nur müde und es wird bald dunkel. Vielleicht haben wir ja wirklich noch die Kraft in uns die restlichen 60 Kilometer bis nach Wolgodonsk zu fahren? Glaube ich aber nicht. Müsste ein Notfall sein. Dann schafft man so etwas. 110 Kilometer gegen extremen Wind mit dem Gepäck ist kaum zu bewältigen. In der Zwischenzeit fährt der Jugendliche auf seinem klapprigen Moped zu einem Haus, um für uns zu fragen. Keiner macht auf. “Einen Augenblick noch”, lächelt der Mann in seiner schwarzen Kleidung und sieht uns ungläubig an. “Woher kommt ihr? Aus Deutschland? Kann doch nicht sein. Und das mit Fahrrädern?”, wiederholt er sich und klopft seinem Kumpel auf die Schulter. “Eins, zwei, drei, vier, fünf”, zählt er jetzt auf Deutsch, um uns seine Sprachkenntnisse zu zeigen. “Hallo aufmachen!” ruft der Mopedfahrer gegen die kaputte Tür des kaputten Hauses polternd. Plötzlich knarrt es im Rahmen und so etwas Ähnliches wie ein Türblatt hängt schief in den Angeln. Eine etwa 70 Jahre alte Frau torkelt betrunken aus dem Finsteren. “Oh nein, kein guter Ort für die Nacht.” “Nein, kein guter Ort”, bestätige ich Tanjas Worte. “Einen Augenblick”, meint der Mann in Schwarz. Der Mopedfahrer und die betrunkene Alte laufen zu einem anderen Haus. Auch dort wird der Kopf geschüttelt. Auch der letzte Versuch schlägt fehl. Wir bedanken uns. “Fragt unter keinen Umständen im nächsten Dorf. Dort leben Bandit”, hören wir erschrocken. “Wie Bandit?” “Na Verbrecher”, erklärt der Mann in Schwarz und der Mopedfahrer zieht eine nicht vorhandene Messerklinge über seine Kehle. “Oh weh. Wo sind wir denn hier gelandet?”, meint Tanja alarmiert. Wir schieben unsere Räder auf die Straße. “Denkt daran! Das nächste Dorf kommt in fünf Kilometer. Dort dürft ihr nicht anhalten!”, ruft uns der Mopedfahrer mit ernster Miene hinterher.

Nach fünf Kilometer erreichen wir tatsächlich ein Dorf. Ein großer Spielplatz befindet sich an dessen Außenbezirk. Kinder spielen Fußball. Sie lachen und jauchzen. Erwachsene sitzen vor ihren Häusern auf den Bänken. Kuhhirten treiben ihre Tiere im vergehenden Abendlicht zu den Ställen. Nichts sieht hier nach Verbrechern aus. Ganz im Gegenteil wirkt das Dorf friedlich und idyllisch auf uns. Auch hat es eine angenehmere Ausstrahlung als die letzte Siedlung in der man uns keinen Übernachtungsplatz gewährte. “Ich denke das ist wie damals in Pakistan als wir mit unseren Kamelen am Indus entlang marschierten. Dort hat doch auch immer das eine Dorf, in dem wir gerade waren, uns vor der nächsten Siedlung gewarnt. Die einen waren Sunniten und die anderen Schiiten. Die hatten ein Problem untereinander. Hatte mit uns aber gar nichts zu tun. Wer weiß? Vielleicht ist es hier ähnlich!”, meine ich. “Könnte schon sein”, antwortet Tanja. Weitere fünf Kilometer gegen den bösen Wind die Straße immer in Richtung Osten folgend entdecken wir einen Einsiedlerhof unweit der Verkehrsader. “Dort frage ich!”, entscheide ich. Als wir an dem hübschen Häuschen ankommen freuen wir uns über den liebevoll angelegten Garten. Herbstblumen glimmen im allerletzten Sonnenstrahl. “Hallo! Ist da jemand?”, rufe ich. Der Wachhund zerrt an seiner Kette und bellt. Dann taucht eine ältere Frau auf. Sie lächelt uns etwas schüchtern an. Wir fragen ob wir für eine Nacht unser Zelt in ihrem hübschen Garten aufstellen dürfen. Erklären woher wir kommen, wohin wir gehen und das wir sehr, sehr müde sind. “Njet”, verblüfft uns ihre Ablehnung. “Fragt auf der anderen Straßenseite”, empfiehlt sie uns. Enttäuscht auch hier zu scheitern verabschieden wir uns und radeln zur anderen Straßenseite. Dort steht auch ein Haus mit einigen Tracktoren davor. Hunde bellen laut als wir die heruntergekommene Hütte umrunden. Müllberge türmen sich. Altes Eisen, Schrott jeglicher Art, Essensreste und viel Plastik stehen im krassen Gegensatz zu dem hübschen Häuschen der alten Frau. Ein Mann mit rot unterlaufenen Augen tritt aus der Behausung und kommt mit ernstem Blick auf uns zu. “Also äh, ich wollte nur wissen ob es hier irgendwo eine Gastiniza gibt?”, frage ich nur um irgendetwas zu sagen, denn hier wollen wir unter keinen Umständen die Nacht verbringen. “Njet”, antwortet er mit einer Stimmlage die seinen Lebensraum widerspiegelt. “Nun gut. Dann vielen Dank und auf wieder sehen”, verabschieden wir uns.

Die Sonne ist bereits untergegangen als wir mit pochenden Herzen vor Anstrengung ein Straßenbauarbeitercamp erreichen. Tanja deutet auf ein paar verfallene Hütten am Straßenrand. Ich lehne es ab dort erneut zu fragen. Wir halten an. Unsere Stimmung ist im Keller. Einer der Bauarbeiter meinte es seien noch immer 45 Kilometer bis zur Stadt. Unglaublich das dieses Wolgodonsk einfach nicht näher kommen möchte. Eigentlich wollten wir es vermeiden in Russland nach Sonnenuntergang auf einer Bundesstraße unterwegs zu sein. Zu gefährlich. Die Warnungen waren eindeutig. Und jetzt? Was sollen wir denn tun? Nicht verzweifeln, denke ich mir. Doch meine Gemütslage hat sich dem körperlichen Zustand angepasst. “Lass uns anhalten und beraten”, schlage ich vor. Am Straßenrand stehend denken wir nun nach. Tanja packt zwei Bananen aus. “Magst du eine?” “Ja bitte”, sage ich. “Und was meinst du?”, will Tanja wissen. “Ich denke wir sollten uns entscheiden. Entweder wir nehmen die Stadt in Angriff oder wir hauen uns hier irgendwo in die Büsche. Wenn es dunkel genug ist sieht uns kein Mensch. Banditen laufen nachts nicht durch die Gegend. Die sind im Dorf oder in der Stadt wo es was zu holen gibt. Aber nicht hier draußen.” “Hm, hast wahrscheinlich Recht.” “Ja klar habe ich Recht.” “Komm noch einen Versuch. Dort drüben in den Hütten am Feldrand sehe ich Rauch aus einem kleinen Schornstein steigen. Frag doch noch mal”, bittet Tanja. “Okay.” Wir holpern über die Wiese bis zu einem Bewässerungskanal. Da geht es nicht mehr weiter denn er bildet die Grenze zu den aus Pappe errichteten Behausungen. In dem Moment kommt ein alter Lada über den Feldweg auf uns zugebraust. Ein Mann mit mongolischen Gesichtszügen steigt aus. Während Tanja mein Rad hält laufe ich auf ihn zu und begrüße ihn. “Dürfen wir heute Nacht bei ihnen unser Zelt aufschlagen?”, frage ich und warte auf das Njet. Er sieht mich freundlich an und sagt: “Gerne.” “Wie?” “Na gerne dürft ihr euer zelt bei uns aufbauen”, sagt er und mein Herz macht einen Sprung. “Oh danke”, freue ich mich und berichte Tanja die sehr gute Nachricht. Der Mongole zeigt uns einen Weg um den Wassergraben und als wir Minuten später zu den Hütten rollen sind alle Anwesenden bereits informiert. “Wir sind Usbeken. Sind Gastarbeiter hier in Russland. Wir leben von Januar bis Oktober hier”, erklärt mir Sascha, der Chef der Gruppe. “Ihr lebt hier in den Hütten zehn Monate im Jahr?”, frage ich ohne meine Verwunderung zu zeigen. “Ja”, antwortet er als wäre es das Normalste der Welt fast das gesamte Jahr in einer Papphütte zu hausen. “Wo dürfen wir unser Zelt aufbauen?”, möchte ich wissen. “Dort unter dem Unterstand”, zeigt er auf ein paar Männer die darunter hocken und gerade damit beschäftigt sind Paprikaschoten auszusortieren. Zurückhaltend und höflich werden wir von den Arbeitern begrüßt. Als wir unser Fjällrävenzelt auspacken und aufstellen wundern sie sich das in einem solch kleinen Sack eine so große Behausung wohnt. Wir können unser Glück kaum verstehen. Noch vor wenigen Minuten waren wir einer Nacht auf russischen Straßen ausgeliefert und jetzt befinden wir uns im Schutz usbekischer Feldarbeiter. Die Männer die bis zum letzten Tageslicht ihre Paprikas sortieren haben kaum Zeit uns mit Fragen zu bombardieren. In absoluter Ruhe packt Tanja den Kocher aus und zaubert aus all den Gaben der türkischen Frauen und Männer vom Markt eine wunderbare Suppe, während ich noch die Zeit finde meine Kurzaufzeichnungen zu schreiben. Dann bringt Sascha eine Thermoskanne voll Tee und stellt sie in unser Camp. “Wollt ihr morgen auch Tee?”, fragt er. Da der grüne Tee nach solch einem harten Tag fantastisch schmeckt nicken wir. “Gerne.” “Dann ruht euch jetzt aus. Ich bringe morgen wieder einen Kanne. Ich wünsche euch eine angenehme Nacht”, sagt er und geht.

Während wir unser köstliches Mahl unter dem mit Sternen überzogenen Firmament genießen sitzen die Männer in ihrem Papphaus und essen ebenfalls. Harter Husten und Gelächter dringt nach draußen. “Ob sie einen Arzt haben wenn sie krank werden?”, wundere ich mich. “Wer weiß? Ist kaum zu glauben unter welchen Umständen manche Menschen leben und arbeiten müssen. Sie haben kein fließend Wasser, keinen Strom und duschen geht nur mit der Schöpfkelle. Ich sollte ihnen etwas von unseren Weintrauben abgeben. Was meinst du?” “Eine gute Idee.” Es dauert nicht lange und Tanja verlässt wieder die bescheidene Arbeiterhütte. “Und? Haben sie die Trauben angenommen?” “Ja, sie haben sich sehr gefreut. Ich glaube nicht dass die Männer hier viel Obst bekommen”, meint Tanja und setzt sich wieder zu mir ins Camp.

“Was für ein Tag. Einfach kaum zu glauben was wir heute wieder alles erleben durften. Irgendwie kommt mir diese Reise wie eine Aneinanderreihung von kleinen Wundern vor.” “Wie meinst du das?”, fragt Tanja leise an ihrer Tasse Tee nippend. “Na wenn ich mir überlege wie die Menschen uns heute auf dem Markt beschenkt haben. Und jetzt hast du daraus solch ein köstliches Mahl für uns bereitet. Als hätten sie gewusst das wir all das Gemüse und Obst gerade heute so gut gebrauchen können. Als hätten sie gewusst das wir überall abgelehnt werden, nur um hier zu landen? Ist doch seltsam oder?” “Ja. Ich würde sagen das liegt an einer Ordnung die man göttlich nennen kann. Alles fügt sich letztendlich so zusammen das es für uns passt.” “Hm, in der Tat. Das könnte man eine göttliche Ordnung nennen. Vielleicht ist diese göttliche Ordnung wie ein Energiefeld zu sehen. Energiewellen die sich harmonisch bewegen und wir sind ein Teil davon. Finde ich übrigens einen schönen Gedanken. Ein Gedanke der mir diese so genannte göttliche Ordnung begreifbar macht.” “Ja, vielleicht”, antwortet Tanja leise. Dann sitzen wir nur da, schweigen einvernehmlich und genießen noch einige Zeit den klaren Sternenhimmel bis uns die aufkommende Kälte und die Müdigkeit in unsere Behausung treiben.

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