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Russland/Blumenwiese Link zum Tagebuch TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 4

Falschaussage

N 54°41'38.2'' E 099°40'47.9''
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    Tag: 30

    Sonnenaufgang:
    06:03 Uhr

    Sonnenuntergang:
    22:51 Uhr

    Luftlinie:
    47.82 Km

    Tageskilometer:
    54.03 Km

    Gesamtkilometer:
    11487.86 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    30 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    24 °C

    Temperatur – Nacht:
    16 °C

    Breitengrad:
    54°41’38.2“

    Längengrad:
    099°40’47.9“

    Maximale Höhe:
    652 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    490 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    11:20 Uhr

    Ankunftszeit:
    18:15 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    11.17 Km/h

Trotz der Hitze und einigen Stechmücken, die sich aus den Wäldern hier in den dritten Stock aufmachten, um wehrlose Radler zu saugen, haben wir recht gut geschlafen. Nach einem Rapunzelmüsli schaffen wir wieder alles nach unten. Während Tanja noch etwas zu Essen für den heutigen Tag einkauft, schraube ich die Schutzblechhalterung und die Spiegel fest, die sich bei der Tortur von gestern gelockert haben. “Was, ihr fahrt mit den Rädern nach Irkutsk? Wisst ihr nicht, dass die Straße total im Eimer ist? Das wird schwer für euch”, spricht mich ein Mann an. Ich bitte ihn mir auf der Straßenkarte die Strecke von der er spricht zu zeigen. Er setzt seine Brille auf und deutet auf den Straßenabschnitt zwischen Nishneudinsk und Tulun. “Die gesamte Strecke von 130 Kilometern kaputt?”, frage ich entsetzt. “Aber ja, alles im Eimer. “Otschin plocha Daroga”, (“Sehr schlechte Straße”) Durch die vergangenen anstrengenden Tage bereits angeschlagen fällt es mir nicht leicht meine Zuversicht aufrechtzuerhalten. Ich versuche aber mir nichts anmerken zu lassen. Macht keinen Sinn Tanja ebenfalls zu demoralisieren.

Wir schieben die Räder vor den Bürobunker, tragen die Anhänger und Satteltaschen durch die schmale Tür. Draußen hat es schon morgens 40 Grad in der Sonne. “Sie wollen zum Baikalsee?”, fragt uns ein Fahrer eines Lieferwagens den Kopf verwundert schüttelnd. “Ja wollen wir”, antworte ich. “Na da haben sie sich ja etwas vorgenommen. “Otschin plocha Daroga”, (“Sehr schlechte Straße”) “Wissen wir schon. Wie viel Kilometer sind denn kaputt?”, frage ich noch mal, um die Aussage des anderen bestätig zu wissen. “ßto Kilometer”, (100 Kilometer) sagt er lächelnd und deutet auf seinen bis zum Rand voll geladenen Lieferwagen. “Ihr solltet bei mir mitfahren”, lädt er ein und lässt es so erklingen als möchte er sich ein Geschäft machen. Wir schütteln den Kopf und fragen uns wo er überhaupt noch Platz finden möchte für eine einzige Satteltasche.

Tanja sitzt auf der Treppe des Bürokomplexes, hat ihren Kopf zwischen die Hände gestützt und sieht erschöpft aus. “Bin gleich fertig”, sage ich noch eine Schraube am Lenkeranschlag nachziehend. Mir ist bewusst, dass der Zeitpunkt für ein paar Tage Rast gekommen ist. Nach Aussagen verschiedener Reisender zieht sich das vor uns liegende Gebirge bis zur Stadt Ulan Ude hin. Das bedeutet, dass wir noch immer weit über 1.000 Kilometer Berg- und Hügelland vor uns haben. Wir dürfen unsere Körper also unter keinen Umständen ausbrennen. Jedoch macht es keinen Sinn in so einem schrecklichen Bunker mehr als eine Nacht zu bleiben. Da drin kann ich nicht schreiben ohne der Gefahr entgegenzulaufen vom Hitzschlag getroffen zu werden. Letzten Endes muss ich mich im innersten meines Seins doch fragen ob wir gestern einen Fehler gemacht haben. Hätten wir vielleicht doch Iwans Angebot annehmen sollen? War es unser Ego, welches uns jetzt doch wieder den Schotter und Kies um die Ohren haut? Und doch wussten wir, dass die schlechte Piste wiederkommt. Wie auch immer. Es macht keinen Sinn sich jetzt deswegen verrückt machen zu lassen.

Die Fahrt durch Nishneudinsk gleicht einer endlosen Schlangenlinie, herum um die tiefen Schlaglöcher. Dann, am Ortsausgang, werden wir unverhofft von Asphalt überrascht. Wir treten unsere Rösser eine Anhöhe hinauf und passieren das Ortsschild. Es ist wie so häufig hier aus Beton errichtetet und gleicht eher einem Monolith. Nishneudinsk 1648, ist darauf mit einem löwenähnlichen Wappentier, in fetten Buchstaben geformt. Nach der Jahreszahl zu urteilen war dieser Ort einer der frühen Vorboten der Russischen Zivilisation im wilden Sibirien. Am Fuße des stolzen Stadtmonolithen liegen endlos viele Scherben, die darauf zurückzuführen sind, das man sich hier zu besonderen Anlässen, wie zum Beispiel Hochzeiten, versammelt. Am Ende der Zusammenkunft werden dann Sektflaschen oder Ähnliches gegen den Monolith gedonnert. Zerspringt das Glas bringt es Glück. Gleich gegenüber ist ein etwa drei Meter hohes orthodoxes Holzkreuz errichtet an dem bunte Tücher hängen. Auch die Bäume in unmittelbarer Nähe sind über und über mit diesen Tüchern behängt. Nachdem was uns berichtet wurde, bringt es ebenfalls Glück und die Erfüllung der Wünsche, wenn man an solch einem Ort, so ein Tüchlein in einen Baum befestigt. Interessiert sehe ich mir den Platz an, dann fahren wir weiter. Es dauert nur Minuten und heftiger Gestank verdrängt den Duft des Waldes. Rauchschwaden wabern über die Straße und beißen in unsere Nasen. Kaum zu glauben aber hier wird der gesamte Müll der Stadt einfach in die Taiga geworfen und angezündet. Aber wir wollen nicht urteilen, denn für hochtechnische Müllverbrennungsanlagen reicht in Sibirien das Geld mit Sicherheit nicht aus. Also was ist die Lösung? Wir Menschen verschmutzen unsere Umwelt. Wir verschmutzen den Wald, der uns wiederum mit Luft versorgt. Letztendlich ist es doch so als würden wir unsere Notdurft auf den eigenen Teller verrichten, von dem wir dann wieder speisen. Ein Teufelskreislauf von dem es kaum ein entrinnen gibt.

Wider der Aussage der beiden Hiobsbotschaftenverbreiter aus der Stadt, rollen unsere Räder noch immer über Asphalt. Höhenzüge von bis zu 652 Meter gilt es zu überwinden. Einige der Wälder sind von einem Waldbrand vernichtet worden. Frisches Grün zieht sich über die Wunden der kahlen Stämme. Dann wechselt sich der Wald mit einer Hochebene ab die von einem bunten Blumenmeer bewachsen ist. Erst in etwa 20 Kilometer Entfernung wird es von Bergen begrenzt. Gegen 15:00 Uhr legen wir eine Rast am Straßenrand ein und stillen unseren Hunger. Ein Straßenschild neben uns ist von Schrottkugel regelrecht zersiebt. Offensichtlich wurde es als Zielscheibe missbraucht. Um 18:00 Uhr gleiten unsere Räder heute schon seit 52 Kilometern über Asphalt. Es war also doch eine gute Entscheidung Iwans Angebot abzulehnen. “Und was sagt mir diese Tatsache noch?”, frage ich mich. Es macht überhaupt keinen Sinn sich von Menschen mit negativen Aussagen ins Boxhorn jagen zu lassen. Oft stimmt es einfach nicht. Und wenn es zutrifft ist noch immer genügend Zeit, um sich über die Situation Gedanken zu machen. Wir Menschen neigen dazu uns bereits im Vorfeld Angst einjagen zu lassen, die uns dann im Griff hat. Damit versauen wir uns einen Großteil unseres Lebens. Es ist entschieden gesünder und befriedigender im Augenblick zu leben und nicht in dem Moment, in dem es uns gut geht, darüber nachzudenken, was wäre wenn es uns schlecht geht. Dadurch geht es uns dann plötzlich schlecht, obwohl es uns eigentlich gut geht. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Die Hiobsbotschaftenverbreiter aus der Stadt sind dafür ein klassisches Beispiel. Wären wir auf ihre negative Welle aufgesprungen, hätten wir vielleicht doch versucht bei dem Lieferwagenmann irgendwie unterzukommen. Am Ende für nichts und wieder nichts. Man könnte die Situation weiterspinnen. Vielleicht hätte der Lieferwagenmann mit uns einen Unfall gebaut? Wer weiß? Wir haben uns nicht verleiten lassen und das hat sich wieder einmal als sehr gut erwiesen.

Wir fahren am Ort Bolschewerstowskij vorbei. An einer Tankstelle erfahren wir hier keine Gastiniza zu finden. “Egal, dann zelten wir eben”, sage ich. Links und rechts der Straße wächst lockerer Birkenwald. Dahinter befinden sich groß Weideflächen. “Hinter den Bäumen sind hervorragende Campplätze”, meine ich. “Lass uns noch etwas weiterfahren. Denke es ist besser die Ortschaft ein paar Kilometer hinter uns zu lassen”, schlägt Tanja vor. Es ist nach 18:00 Uhr als einige Bauern ihre Arbeit einstellen und sich auf den Nachhauseweg machen. Optimal für uns, um uns ungesehen auf einer der bereits abgemähten Wiesen verstecken zu können. Unweit der Transsibirischen Eisenbahnlinie finde ich einen perfekten Lagerplatz für die Nacht. Wir lassen unsere Räder in die Wiese rollen, schieben sie durch eine dünne Baumbarriere und erreichen tatsächlich ein Stück gemähte Wiese auf der wir unser Zelt errichten. “Kaum Stechmücken”, freue ich mich. “Ja, ist tatsächlich ein super Ort für die Nacht”, meint Tanja zufrieden. Weil heute die Loggdateien und Archivierung der Bilder nicht viel Zeit in Anspruch nehmen können wir noch für Stunden den wunderbaren Abend genießen und der Sibirischen Sonne beim Untergehen zusehen.

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