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TESTFAHRT NORWEGEN & RUSSISCH POLARKREIS - 2019

Fähren, Tunnel unterm Meer, fantastische Brückenkonstruktionen, unzählige Kurven und atemberaubend schöne Landschaft

N 60°23’55.0’’ E 005°19’12.7’’
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    Tag: 09

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Bergen

    Tageskilometer:
    183 km

    Gesamtkilometer:
    1.724

    Durchschn. Geschwindigkeit
    65 kmh

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Sonnenaufgang:
    22:41

    Sonnenuntergang:
    04:44


(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

 

„Das ist ja ein tolles Fahrzeug“, spricht mich am Morgen ein Schwede an, der mit seinem Camper ebenfalls die Nacht hier verbracht hat. „Ja, wir sind auch recht glücklich mit ihr?“, antworte ich. „Mit ihr?“, fragt er verwundert. „Wir haben das Monster auf den Namen Terra Love getauft“, gebe ich lachend zu Antwort und möchte wissen, ob auch er zum Nordkap unterwegs ist. „Nein, nein, das ist meiner Frau und mir viel zu weit. Wir halten uns die kommenden Wochen hauptsächlich im Süden des Landes auf. Alleine diese Region hier ist sehr interessant. Wart ihr schon in der Stadt Stavanger?“, „Leider nein, wir wollen noch hoch in den Norden und haben nur noch 3 Wochen zu Verfügung“, sage ich nachdenklich und bemerke schon am zweiten Tag, dass wegen des straffen Zeitplans so manches auf der Strecke bleiben wird. „Oh, schade, Stavanger besitzt viele Sehenswürdigkeiten wie den Dom, ein tolles Ölmuseum und eine wirklich hübsche Altstadt. Aber die Wanderung auf den legendären Preikestolen dürft ihr euch unter keinen Umständen entgehen lassen“, meint er und zieht beide weißhaarigen Augenbrauen nach oben, als wolle er seiner Empfehlung mehr Gewichtung geben. „Ich habe von diesem markanten Felsen gelesen, aber wir wollen wirklich weiter in Richtung Norden“, entschuldige ich mich. „Warum in den Norden fahren, wenn es hier soviel zu sehen gibt? Ihr wisst ja nicht was ihr verpasst. Der Predigtstuhl, so heißt der Fels auf Deutsch, steht ca. 600 Meter senkrecht über dem Lysefjord. Dort oben gibt es ein 25 mal 25 Meter großes Felsplateau von dem aus ihr einen 360° Rundblick über den Fjord und die gesamte Bergwelt genießen könnt. Das müsst ihr unbedingt sehen. Der Ort ist eines der spektakulärsten Fotomotive Norwegens“, hakt er kopfschüttelnd nach, als könne er es nicht fassen wie man so ein Highlight auslassen kann. „Ich spreche mal mit meiner Frau darüber“, antworte ich, um nicht ganz so dumm dazustehen. „Na dann hoffe ich, dass deine Frau die richtige Entscheidung fällt“, sagt er sich verabschiedend.

Tatsächlich studieren wir nach dem Gespräch die Straßenkarte. „Du weißt doch, dass dort ganze Busladungen von Menschen abgeladen werden. Vor allem bei diesem schönen Wetter dürfte es am Preikestolen von Touristen regelrecht wimmeln. Weiß nicht, ob wir das wollen“, gibt Tanja zu bedenken. „Wenn wir die Wanderung wirklich machen sollten, müssen wir die Lofoten oder die Insel Senja weglassen“, überlege ich. „Würde ich aber beides sehr gerne sehen“, wirft Tanja ein, weshalb wir uns entscheiden weiterzufahren.

Schon eine Stunde nach unserem heutigen Aufbruch erreichen wir bei stahlblauem Himmel die erste Fährverbindung in Norwegen. „Hoffe wir müssen jetzt nicht ewig warten“, meint Tanja, auf das Heck eines ablegenden Schiffes deutend. „Glaube ich nicht. Da schau, dort kommt gerade ein anderes“, sage ich auf das Fährboot deutend, welches Kurs auf unser Ufer nimmt.

Eine halbe Stunde, nachdem die Fähre angelegt hat, stehen wir noch immer in der größer werdenden Warteschlange. „Was ist denn dort los?“, frage ich den Kassierer, der uns für die kurze Überfahrt 500 Kronen (50,- €) abknöpft. „Eine Touristin ist aus dem Bus gefallen. Das Sanitätsfahrzeug müsste bald da sein, dann dürfen sie auf das Schiff“, hören wir. „Wie schnell ein Urlaub zu Ende sein kann“, sage ich nachdenklich und bin froh, dass unsere Reise weitergeht. Tatock, tatock, tatock!, klappert es, als wenig später unsere breiten Offroadreifen über die stählerne Landeklappe des Schiffs rollen. Ein Einweiser winkt uns auf eine der fünf Fahrspuren. Ich ziehe wie vorgeschrieben die Handbremse an, dann verlassen wir unsere Terra und steigen auf das Vordeck. Extremer Wind bläst uns entgegen, so dass wir unsere Mützen und Sonnenbrillen festhalten müssen. Drei Jungs stehen auf den leeren Holztischen, breiten ihre Jacken aus und legen ihre Körper schräg in den Wind. Nur ein kurzes Aussetzen der Böen und sie würden auf das vor ihnen befindliche Stahlgeländer knallen. Was macht man nicht alles, wenn man angstfrei ist und Gefahren noch nicht richtig einschätzen kann, denke ich und bin mir bewusst, welchen haarsträubenden Mist ich in meinem Leben schon gemacht und überlebt habe.

Bei Traumwetter genießen wir die Überfahrt, vor allem die vor uns liegende, beeindruckende Bergkulisse. Irgendwie sind wir froh darüber, mal wieder auf einer Reise unterwegs zu sein, wie sie von anderen Urlaubern auch unternommen wird. Hier in Norwegen warten hoffentlich keine abenteuerlichen Überraschungen auf uns. Es gibt keine Mudschaheddin die auf uns schießen und keine Chance zwischen die Fronten eines Glaubenskrieges zu geraten, wie wir das in Pakistan erlebten, oder Wegelagerer die uns alles abnehmen wollen, wie wir in Sibirien erlebten. Es gibt keine Kannibalen, die einem nach dem Leben trachten, wie ich auf einer meiner Expeditionen in Westneuguinea erlebte, oder von einem Zyklon der Superklasse ausgelöscht zu werden, wie es uns um Haaresbreite während unserer Australienexpedition widerfuhr. Im Laufe der letzten 30 Jahre gab es zahlreiche, geradezu unglaubliche Situationen. Auch wenn die Chancen, da reinzugeraten, eins zu hundert sind, hat es uns ab und zu erwischt. Welch traumhaftes Gefühl ist es im Gegensatz einmal völlig unbeschwert unterwegs sein zu dürfen. Einfach Urlaub machen. „Yeeesss!“, rufe ich gegen den starken, kalten Wind der uns regelrecht die Tränen in die Augen treibt.

Nach zwei weiteren Fährverbindungen, einigen langen und beeindruckenden Tunneldurchfahrten, die uns unterm Meer auf eine der unzähligen Landzungen brachte, Überquerungen von fantastischen Brückenkonstruktionen, endlos vielen Kurven und einer atemberaubend schönen Landschaft, erreichen wir Bergen, die zweitgrößte Stadt Norwegens. „Meinst du wir bekommen in der Innenstadt einen Parkplatz?“, fragt Tanja. „Ich ergattere immer einen Parkplatz“, versuche ich zuversichtlich zu bleiben, als wir uns mit der bulligen Terra Love am Hafen durch den dichten Verkehr arbeiten und Parkplätze so rar sind wie Regen in der Atacama-Wüste. „Halt! Stopp! Ich glaube, ich habe einen entdeckt!“, ruft Tanja aufgeregt. Sofort lege ich den Rückwärtsgang ein und kann es kaum glauben. „Tatsächlich, das ist ein freier Parkplatz“, freue ich mich und bringe es fertig die Terra da rein zu manövrieren ohne das sie jemanden behindert. „Da ist eine Parkuhr“, sagt Tanja und steigt aus um Geld einzuwerfen. „Und, wie lange dürfen wir bleiben?“, möchte ich wissen, nachdem Tanja wieder da ist. „Zwei Stunden kosten nur 70 Kronen (ca. 7,- €). Aber ich habe keine Quittung erhalten.“ „Hm, dann wissen wir nicht, ob die Parkuhr nur unser Geld gefressen hat oder ob wir wirklich bleiben dürfen. Könnte in Norwegen teuer werden“, überlege ich. Um keine unangenehmen Überraschungen zu bekommen, entscheiden wir uns, dass ich im Mobil bleibe, während Tanja eine norwegische Simkarte und einige andere Kleinigkeiten besorgt.

Nach einer Stunde des Wartens verlasse ich die Terra, um ein paar Fotos vom Hafen zu schießen. Just in dem Augenblick, in dem ich zurückkomme, ist sie da, die Politesse und schreibt uns auf. Ich stürme los und komme außer Atem vor der jungen Frau zum Stehen. Gestikulierend erkläre ich, dass wir 70 Kronen in den Automaten geworfen hatten, der aber leider keine Quittung ausspuckte. Ja, ja, das haben mir schon tausend Leute vor ihnen erzählt, scheint sie zu denken, zumindest glaube ich das in ihrem Gesichtsausdruck zu lesen. „Wissen sie, das Fahrzeug ist nagelneu. Wir testen es gerade und setzen damit im kommenden Jahr unsere 30jähirge Expedition fort“, unternehme ich einen letzten, verzweifelten Versuch sie umzustimmen uns keinen teuren Strafzettel zu verpassen. „Eine 30jährige Expedition?“, fragt sie nach, steckt ihren kleinen Computer weg, indem sie gerade unser Nummernschild getippt hatte und möchte mehr wissen. Eine halbe Stunde später unterhalten wir uns noch immer und tauschen die Facebook- und Instagramadressen aus. Als sie sich verabschiedet, sagt sie: „Sie können gerne die ganze Nacht stehen bleiben. Ich habe jetzt Feierabend und außer mir kontrolliert in meinem Gebiet keiner.“ Wir können es kaum glauben. Wer darf schon mit seinem Wohnmobil am Hotspot der Stadt Bergen ohne Parkgebühren die Nacht verbringen?…

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