Es hätte viel schlimmer kommen können
Tag: 72 Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
06:00
Sonnenuntergang:
17:36
Luftlinie:
21,5
Tageskilometer:
23
Temperatur - Tag (Maximum):
29 Grad
Müll-Windmühlen-Camp — 26.08.2001
Weil Tanja einige Essensäcke umgepackt hat müssen wir sie vor dem Beladen neu wiegen. Wie ich während der Etappe Eins genauer beschrieben habe ist es für die Gesundheit der Kamele wichtig links und rechts in den Satteltaschen das gleiche Gewicht zu tragen. Wir achten darauf die Ladung bis auf ein oder zwei Kilogramm anzupassen und beugen somit einer unweigerlich kommenden Verletzung vor. Eine ungleiche Gewichtsverteilung würde die Muskulatur der Tiere verspannen und das Wundscheuern beschleunigen. „Kannst du es lesen?“ ,frage ich schnaufend die altertümliche Federwaage an dessen Ende ein schwerer Essensack hängt nach oben haltend. Tanja kniet vor mir, um auf der verrosteten Skala die Zahl abzulesen. „34 Kilogramm. Das sind vier Kilo mehr als auf der anderen Seite. Ich nehme einfach zwei Milchpulvertüten heraus und packe es drüben ein.“ „Müsste passen,“ antworte ich mir den Schweiß von der Stirn wischend. Um nicht viel Zeit zu verlieren laufen wir herum wie die flinken Wiesel, wiegen die Hygienetasche, die Seiltasche, die Zelttasche und andere Taschen und verteilen sie mittlerweile routiniert zu den entsprechenden Sättel. Um 8 Uhr 30 setzt sich der beladene Zug der Wüstenschiffe in Bewegung. Seit unserem langen Zwangsaufenthalt ist es für uns immer wieder wie ein Befreiungsschlag unsere Karawane laufen zu sehen. Wir haben erfahren wie leicht es geschehen kann, dass so eine Expedition an einem unvorhersehbaren Ereignis scheitert und wie zerbrechlich sie letztendlich ist.
Kaum folgen wir dem roten Erdweg reißt Jaspers Nasenleine. Er lässt sich immer noch schrecklich ziehen was zur Folge hat, dass Tanja mit ihrer Nasenleinenproduktion kaum noch hinterherkommt. „Kamele udu!“, befehle ich und sie bleiben stehen. Weil Jasper hinter Edgar angebunden ist und er manchmal gefährlich ausschlägt müssen wir aus Sicherheitsgründen alle Kamele absetzen lassen. Während ich vorne stehe und Sebastian halte arbeitet Tanja an Jaspers Nasenverbindung. „Edgar, ich bin es. Bleib ruhig. Ich befestige nur eine neue Nasenleine an deinem Sattel die dein Mate ständig abreißt,“ spricht sie mit ruhiger Stimme auf ihn ein damit er nicht einfach aufspringt und ihr eine Tritt versetzt. Obwohl ich diese Prozedur schon unzählige male mitverfolgt habe sehe ich aus meiner Position angespannt zu. Mit schnellen geübten Händen greift sie den sich heftig wehrenden Jasper an seinem Nasenrücken. „Sei kein Dummkopf, du bekommst doch nur eine neue Nasenleine,“ spricht sie im Plauderton auf ihn ein. Jasper, der dieses Ding furchtbar lästig findet ignoriert die beruhigenden Worte und brüllt was das Zeug hält, doch ehe er sich versieht ist er wieder mit Edgar verbunden. „Es kann weitergehen,“ ruft Tanja und ich lasse die Tiere aufstehen.
Rufus der Kamikaze
Rufus geht wie üblich seinem Vergnügen nach und jagt seine Echsen. Es scheint ihm nicht im geringsten zu interessieren keine von ihnen zu erwischen. Hauptsache jagen, dass ist es worauf es ankommt. Plötzlich kreuzt eine der wilden Katzen unseren Weg. Rufus hat sie erspäht und schießt wie eine Rakete hinterher. Die Katze sucht ihre Flucht in dem dichten Spinifexgras. Rufus, der die echten Eigenschaften eines Kamikaze hat, fliegt in ausgreifenden Sprüngen über die stacheligen Büsche und hängt seinem Opfer dicht an den Versen. Im Zickzack geht es durch das Gebüsch, quer über den Weg, weiter durch das stachelige Gewächs, wieder über den Weg bis die Katze die Nase voll hat, ihre horizontale Flucht aufgibt und senkrecht in die Höhe schießt, um einen drei Meter hohen Baum zu erklimmen. Rufus gibt nicht auf denn Bäume sind für einen großen Jäger wie ihn kein Hindernis. Im rasenden Tempo saust er 1 ½ Meter den Baumstamm hinauf bis die Erdanziehungskraft zuschlägt, er den Halt verliert und rückwärts auf die Erde knallt. Er winselt und bellt, umrundet das Gewächs doch wie es aussieht ist die Jagd zu Ende. Die Katze hat sich in den obersten Ast zurückgezogen, schlägt fauchend einen Buckel und beobachtet jede Bewegung ihres Verfolgers. Bevor wir Rufus zurückrufen können springt sie kaltblütig in das trockene Gras und macht sich in wahnsinniger Flucht so schnell davon, dass Rufus die Orientierung verliert und seine Verfolgung aufgibt. Schwanzwedelnd kommt er zu uns zurück, sagt kurz Hallo und fetzt sofort der nächsten Echse hinterher.
Die Auflösung
Mittlerweile überschreiten wir mehrer Sanddünen. Der Blick vom Dünenrücken über die Wüste ist märchenhaft. Die lebensfrohen, frischen Farben der Blumenmeere, die verschiedensten Grünnuancen durchzogen von der roten Erde und die sich im Wind wiegenden blonden Samenstängel der riesigen Spinifexgrasbüschel erinnern mich eher an ein fruchtbares Bergtal der Tropen. Nach einen der Sanddünen erreichen wir eine Ebene die noch vor kurzem total überschwemmt war. Alles um uns herum ist feucht und links und rechts vom Weg ist es teilweise noch matschig. Der Track hat sich durch die freigespülten Mineralien im Boden weiß verfärbt. So weit unsere Augen sehen können zieht sich das Feuchtland gen Osten. „Stell dir vor wir wären hier gewesen als das Unwetter vor sechs Wochen dieses Flachland im Wasser versinken ließ. Wir wären ohne Zweifel abgesoffen.“ „Ein furchtbarer Gedanke.“ „Ja und hier gibt es nicht die kleinste Erhebung auf die wir uns hätten retten können. Wäre nicht der Aufenthalt beim 80 Mile Beach Caravan Park gewesen, um die Sättel neu zu stopfen, wären wir zum Zeitpunkt des Unwetters genau hier gewesen. Oft ist es mir völlig unklar warum wir irgendwo aufgehalten werden und ich ärgere mich darüber aber in diesem Fall ist es eine Tatsache, dass der dortige Aufenthalt und die damit verbundene Verzögerung uns vor größerem Übel bewahrt hat.“ „Ja, es macht keinen Sinn sich über Dinge aufzuregen die so sind wie sie sind und oft haben sie ihre Gründe,“ antwortet Tanja. Du hast recht. Schön ist es allerdings, wenn man die Auflösung bekommt wie es hier auf der Hand liegt,“ meine ich grübelnd und bin Gott dankbar vor dem wirklichen Desaster verschont worden zu sein. Klar, Goolas Tod und die vielen Wochen der Ungewissheit waren schlimm aber es hätte viel schlimmer kommen können.
Hinterlassenschaften der menschlichen Rasse
„Schau mal da vorne. Ist das nicht ein Windmühlenrad?“ ,fragt Tanja. Ja ich habe es auch schon gesehen. Das ist unser heutiges Ziel,“ antworte ich und fühle mich erleichtert, denn dort können wir unsere Wasservorräte auffüllen und unsere Kamele tränken. Um 13 Uhr 30 biegen wir in den schmalen Weg ein der zur Windmühle führt. Alte Autowracks, verrostetes Wellblech, Reifen, Benzinfässer, zahllose verrostete Konservendosen, zerbrochene Flaschen und anderer Müll liegt verstreut herum und zeugen von der Anwesenheit der menschlichen Rasse in einer traumhaft schönen, scheinbar unberührten Natur. „Pass auf das keines der Kamele in die vielen Scherben tritt,“ warnt mich Tanja. Vorsichtig, meine wachsamen Augen auf den Boden geheftet, führe ich unsere Tiere um die gefährlichen fußaufschneidenden Hindernisse herum und lasse sie unweit eines verfallenen Wohnwagens absetzen. „Solche Plätze haben immer eine furchtbare Ausstrahlung. Schade das wir hier übernachten müssen,“ meint Tanja und bindet Sebastians Vorderbeine zusammen. „Ich mag sie auch nicht aber ich bin froh über das Wasser,“ antworte ich und beginne damit Sebastian zu entladen. Es sieht so aus als wirkt der Ort, an dem sich die menschliche Rasse des öfteren versammelt um zu übernachten, auch auf die Tiere unheimlich. Sebastian brüllt wie ein Löwe. Edgar versucht sich auf die Seite zu werfen während Max und Jasper unaufhörlich aufstehen wollen und unter lautem Protest riesige Staubfahnen aufwirbeln. Tanja und ich haben alle Hände voll zu tun die nervösen Tiere unter Kontrolle zu halten als ein Jeep angefahren kommt. Kaum hält er unweit von uns an gehen die Türen auf und eine Familie mit Kind und Kegel springt heraus. Aus dem Augenwinkel kann ich beobachten wie ein älterer Herr die Videokamera in unsere Richtung hält. Normaler Weise würden wir die Menschen begrüßen, doch unter diesen Umständen ist das unmöglich. Wir sind vollauf beschäftigt unsere Ausrüstung von den Kamelrücken zu laden bevor sie einer der Jungs beim auf die Seite werfen platt walzt. Als wir soweit sind Sebastian abzuladen sehen wir wie sich die Türen des Jeeps wieder schließen ohne das uns einer der Insassen einen Besuch abgestattet oder wie üblich mit Fragen überschüttet hat. „Ich kann es nicht glauben, die gehen wieder.“ Ich denke sie haben mitbekommen das wir hier unter Druck stehen.“ „Meinst du?“ „Klar, für einen Zuschauer muss das markerschütternde Gebrüll von Sebastian unter die Haut gehen.“ „Kann schon sein und unsere ständigen Kommandos um die Boys unter Kontrolle zu halten haben bestimmt auch dazu beigetragen die Menschen zu vertreiben,“ meine ich und hebe mit Tanja Sebastians Sattel von seinem Rücken. Erleichtert atmen wir auf als unsere nimmersatten Kamele in die Ebene laufen, um wie wild an den verschiedenen Büschen zu knabbern.
Giftpflanzen?
„Der Busch da drüben sieht so aus als wäre er giftig,“ weist mich Tanja darauf hin als ich mir den Schweiß von der Stirn wische und gerade durchschnaufen. „Tatsächlich er passt genau auf die Beschreibung die uns Jo und Tom gegeben haben,“ antworte ich und bemerke entsetzt wie Max und Jasper ihn gerade niedermachen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren spurte ich hin, um sie vor dem sicheren Selbstmord zu retten und sie von der Pflanze wegzuzerren. Als ich mir sie dann jedoch aus nächster Nähe betrachte muss ich feststellen, dass ihre Nadeln mindestens 20 Zentimeter lang sind und nicht wie beschrieben zwischen zwei und sechs Zentimeter. Erleichtert lasse ich sie weiter daran fressen und laufe zum Windmühlenplatz zurück. „Danke Denis,“ sagt Tanja die ebenfalls müde und geschafft an ihrem Wasserbeutel trinkt. Normalerweise setzen wir uns nach dem Abladen erst mal für ein paar Minuten in den Schatten eines Busches und trinken eine Orangenlimonade die Tanja zusammenmixt, doch hier an diesem Ort gibt es keinen Baum oder Busch der uns Schatten spenden könnte. Ich versuche gerade unsere Stühle unter einen gedrückten, halbverbrannten Busch zu stellen als unsere Kamele wie auf Kommando in die weite Ebene stürmen und im Begriff sind ohne uns nach Alice Springs zu marschieren. „Ich muss ihnen hinterher,“ sagt Tanja, nimmt noch einen Schluck aus ihrem Wassersack und spurtet davon. Während sie die Kamele wieder einfängt beginne ich mit dem üblichen Lageraufbau.
Kaum steht das Zelt, die Küche und der Rest kommt Tanja mit den Kamelen zurück. Ich war so beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkt habe wie der Nachmittag verstrichen ist und die Sonne sich bald von diesem Tag verabschiedet. „Kannst du mir helfen die Kamele an den Wassertank der Windmühle zu führen?“ „Klar,“ antworte ich und laufe ihr entgegen. Das Windmühlrad dreht sich scheppernd im roten Licht des jetzt wärmeabnehmenden Planeten. Nervös blicken die Tiere in meine Richtung. Sie haben Durst, doch mindestens genauso viel Angst vor dem unheimlichen Windrad. Vor allem Edgar, Jasper und Max mögen das sich unaufhörlich drehende Ding nicht, denn bisher hatten sie anscheinend kaum die Gelegenheit so etwas kennen zu lernen. Vorsichtig führen wir einen nach dem anderen zu dem Wassertrog neben dem großen Tank am Windradmast. Sebastian, Istan, Jafar und Hardie nehmen schnell einige Schlucke während ich den durstigen Max mit seinem dicken Winterfell heranführe und beruhigend auf ihn einrede. Max folgt mir verhalten und möchte gerade seinen wolligen Kopf in den Trog stecken als irgendein Geräusch die anderen aufschrecken lässt. „Es war das Wellblech dort. Der Wind ist hineingefahren,“ sagt Tanja. Nickend und konzentriert führe ich Max wieder zum Wassertrog als er plötzlich völlig unerwartet auf mich zustürmt, stoppt, rückwärts läuft, um sofort wieder auf mich zukommt. Ich reiße im Reflex meine Hände nach oben und kann so verhindern das Max mich einfach überläuft. „Lass ihn los. Schnell lass ihn los!“ ,brüllt Tanja. Natürlich habe ich keine Lust in dem hier herumliegenden Schrott von Max zu tote getreten zu werden und lasse die Führungsleine gehen. Max ist immer noch total aufgeregt, rast an mir vorbei und stolpert zu unserem Entsetzen über ein verrostetes Bettgestell davon. „Ob er sich weh getan hat?“ ,fragt Tanja besorgt. „Ich hoffe nicht,“ antworte ich und sehe wie er sich zu seinen Mates gesellt. Wir geben die Idee auf unsere Kamele an dem Wassertrog zu tränken und schleppen 20 Eimer Wasser zu ihnen die sie in sich hineinstürzen. Dann binden wir sie an verschiedenen Sträuchern an und lassen uns nun völlig ausgebrannt in unsere Stühle nieder. Es ist sechs Uhr als wir endlich die wohlverdienten Limonade in unsere trockenen Kehlen rinnen lassen. Danach kocht Tanja Wasser in der Thermet für ein Reiteressen und eine Tasse Tee während ich mich um die Navigation kümmere. Als wir dann im Zelt liegen kann ich nicht schlafen. Hardie muss unaufhörlich niesen und wackelt so heftig mit seinem Kopf das seine schlappen Lippen beim durch die Luft fliegen seltsame Geräusche verursachen. Ob er giftige Pflanzen erwischt hat? Besorgt wälze ich mich von der einen auf die andere Seite und lausche den noch nie vorher vernommenen Lauten die Hardies Lippen erzeugen. Auch die anderen Kamele geben ähnliche Schlappertöne von sich was meine Sorge nicht verringert. War die Pflanze mit den 20 Zentimeter langen Nadeln vielleicht doch giftig? Wie so oft auf dieser Reise stürmen hundert Gedanken gleichzeitig durch mein Gehirn. Es muss die endlose Erschöpfung sein die letztendlich mein System herunterschaltet und mich in einen tiefen Schlaf fallen lässt.