Skip to content
Abbrechen
image description
Ukraine/Krasnohirka, Krim

Einsame Unterkunft

N 45°15'42.1'' E 035°47'39.7''

Wieder in unserem kleinen, netten Hotel in Feodosiia packen wir unsere Ausrüstung auf die Räder, um weiter in Richtung Russland zu radeln. Der Koch kredenzt uns noch ein letztes, sehr öliges, Frühstück und dann geht es los. Leider hat der Wind wieder zu unseren Ungunsten seine Richtung gewechselt und bläst uns von der Seite und vorne an. Da wir aber die ersten zehn Kilometer des Tages direkt am Schwarzen Meer entlang radeln dürfen werden wir von dem beeindruckenden Anblick entlohnt. Leichte Erdrunzeln wölben ihre sanften Rücken vor uns in die sonst absolut flache Landschaft. Die Sicht wird erst vom Horizont begrenzt. Felder zu unserer Linken sind abgeerntet und abgebrannt. Manchmal halten wir an, um kurz zu verschnaufen. Ein Hirte treibt eine Rinderherde über die fernen Hügel und erinnert uns an die Weite der Mongolei. Der Verkehr auf dieser Strecke meint es gut mit uns. Nichts ist mehr von dem ehemaligen Wahnsinn um Odessa zu spüren. Die Sonne erwärmt den Tag auf ca. 23 Grad. Optimal für jeden Radfahrer. Die Hitze des Sommers ist definitiv gebrochen und wir spüren wie sich der Herbst ankündigt. “Wollen wir dort vorne an den kleinen Straßenständen mal anhalten? Vielleicht können wir Brot für unsere Vesper kaufen?”, schlägt Tanja vor. Eine der Frauen verkauft einen Brinsakäse. “Kann ich die Hälfte davon haben?”, frage ich. “Nein, ich kann den Käse nur im Ganzen verkaufen. Wenn ich ihn halbiere will die andere Hälfte keiner mehr haben”, erklärt sie, weshalb ich ihr den gesamten Käse abkaufe. “Willst du Milch?”, fragt sie und bietet mir den einzigen Liter an der in einer Flasche vor ihrem kleinen Tischchen am Boden steht. Die Verkäuferinnen hier scheinen sehr arm zu sein. Alles was sie anbieten gibt es nur ein einziges Mal und aus eigener Produktion. Ein paar Zwiebeln, ein paar Kartoffeln, etwas Knoblauch. Neben den beiden Babuschkas sitzt ein alter Mann. In seinem Handwägelchen liegt eine tote Gans. “Wollt ihr sie haben?”, fragt er. Leider besitzen wir keine Möglichkeit eine Gans zuzubereiten. Dann schenkt er mir drei Scheiben Weißbrot. Ablehnen wäre eine Beleidigung. Tanja überreicht den zwei Omas und dem Opa ein paar Kekse. Die Stimmung ist plötzlich sehr gelassen und herzlich. Ich fotografiere. Bitte nicht sagt die Eine schüchtern und versteckt sich hinter ihren Händen. “Ach bitte. Warum denn nicht? Du siehst sehr gut aus”, antworte ich. “Hi, hi, hi. Nein ich sehe nicht gut aus.” “Doch, doch, sehr gut”, versichere ich ihr. “Nein, nein, das glaube ich nicht. Hi, hi, hi.”, lacht sie herzhaft und versteckt sich weiterhin hinter ihren Händen. Die zwei anderen lachen ebenfalls lauthals. “Wollt ihr einen Kaffee trinken. Ich würde euch gerne einladen”, bietet uns der alte Mann an. “Nein danke, wir müssen heute noch ein paar Kilometer fahren”, lehnen wir ab.

An einer einsamen Straßenkneipe unterbrechen wir unsere Fahrt. “Ob wir dort etwas zu Essen bekommen?”, wundert sich Tanja. “Lass uns mal fragen”, antworte ich. “Klar gibt es etwas zu Essen”, bietet uns die freundliche Bedienung an Platz zu nehmen. Wir setzen uns unter die Bäume im Garten und genießen eine leckere Suppe und Salat. “Eigentlich könnten wir hier auch bleiben”, schlage ich vor. “Du meinst wir sollten hier unser Zelt aufstellen?” “Klar warum nicht. Bis zur Grenze sind es von Feodosiia ca. 100 Kilometer. Wir haben uns dafür zwei Tage vorgenommen und wenn wir morgen die restlichen 60 Kilometer fahren sind wir noch immer rechtzeitig in der Grenzstadt Kerch.

Die Wirtin Alie und ihr netter Mann Ibragim freuen sich über unsere Bitte hier nächtigen zu wollen. “Bei uns seid ihr sicher. Wir besitzen zwei Hunde die über euch wachen. Auch bleibt Ibragim über Nacht hier im Haus. Wenn was sein sollte steht ihr unter seinem Schutz”, sagt Alie.

Zufrieden einen guten und sicheren Platz für die Nacht gefunden zu haben beginnen wir bei angehender Dämmerung unser Lager zu errichten. Wir schieben die Tische und Stühle der Gartenwirtschaft auf die Seite und stellen unser Zelt auf. Ein paar Gäste beobachten uns neugierig. Das restliche Tageslicht lässt bizarre Gewitterwolken erkennen. Es dauert nicht lange und die letzten Kunden verlassen die Kneipe. Als auch noch Ibragim und Alie mit ihrem alten Lada in die Nacht fahren sind wir plötzlich Mutterseelen alleine. “Ich dachte Ibragim bleibt über Nacht?”, sagt Tanja. “Dachte ich auch. Er fährt bestimmt nur seine Frau nachhause und kommt wieder”, antworte ich und hoffe im Stillen das ich Recht habe. Auf einmal ist es an diesem einsamen heruntergekommenen Haus etwas unheimlich. Ich mache die Runde und suche die Hunde. Nichts ist von ihnen zu sehen oder zu hören. Als ob sie sich aus Angst vor der Einsamkeit versteckt halten. Ob Ibragim sie auch mitgenommen hat? Eine kleine Schafsherde blökt im nahen Kral. “Schon wegen den Schafen muss Ibragim wieder kommen. Die kann er in einem Land wo so viel gestohlen wird unmöglich alleine lassen”, flüstere ich. “Die Hunde sind weg”, sage ich zu Tanja als ich wieder auf der steinernen Terrasse angekommen bin. “Hm, höre ich. Schon um 20:30 Uhr ist es nasskalt. Wir sperren die Räder ab, stecken sie unter die Plane und verkriechen uns ins Zelt. Mit offenen Augen liege ich da und starre auf den Zelthimmel. Lastwägen und Autos brausen nur etwa 10 Meter von uns entfernt vorbei und lassen manchmal den Boden erzittern. Noch immer wundere ich mich über den Verbleib der Hunde. Nichts ist von ihnen zu hören. Hunde bellen doch sonst immer alles an. Vor allem in der Nacht, geht es mir durch den Kopf. Auch wenn ich das unangenehme Gefühl, welches in mir hochzusteigen versucht, unterdrücke, fühle ich mich hier plötzlich nicht mehr wohl. Jeder Ukrainer sperrt alles was er besitzt hinter dicke Schlösser. Viele halten einen Hund und viele warnten uns davor nicht ohne Schutz zu campen. Und jetzt verbringen wir die Nacht neben einer einsamen Straßenkneipe an einer Hauptstraße. Ibragim wird bestimmt wieder kommen, beruhige ich mich. Und wenn nicht, muss ja nicht gerade heute Nacht jemand versuchen hier einbrechen zu wollen. Unruhig wälze ich mich auf der Isolationsmatte hin und her. Da sie nicht sehr breit ist rutsch entweder eine Hand oder ein Fuß von der Matratze auf den kalten Steinboden. Ein Lichtkegel streift das Zelt. Ob Ibragim wieder gekommen ist? Die Hunde bellen plötzlich. Bestimmt ist es Ibragim. Bestimmt begrüßen ihn die Hunde, denke ich und falle in einen leichten Schlaf.

Wir freuen uns über Kommentare!

This site is registered on wpml.org as a development site.