Eine Zeit in der sich der Mensch selbst überholt
Tag: 101 Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
05:24
Sonnenuntergang:
17:33
Luftlinie:
31,3
Tageskilometer:
35
Temperatur - Tag (Maximum):
34 Grad
Satellitenausfall-Camp — 24.09.2001
Wieder brechen wir den Laderekord und kommen heute schon um 6 Uhr 45 los. Gut gelaunt folgen wir dem Track bis sich dichte Rauchwolken vor die Sonne legen. „Hier muss irgendwo ein riesiges Buschfeuer sein,“ stelle ich besorgt fest. Durch die starke Rauchentwicklung laufen wir im Halbschatten. Die Temperaturen sind dadurch eher angenehm. Vom Feuer ist weit und breit nichts zu sehen. Ohne Zweifel würde ich im Notfall ein Gegenfeuer anlegen, doch bin ich mir sicher nicht in Gefahr zu sein. Relativ starker Wind bläst uns aus östlicher Richtung entgegen und erschwert somit das Laufen. „Wo es wohl sein mag?“ ,fragt Tanja. „Keine Ahnung. Ich habe allerdings schon oft davon gehört, dass der Brandherd Hunderte von Kilometern entfernt sein kann und trotzdem wird man von starkem Rauch eingehüllt. Es ist der Wind der den Rauch über große Distanzen vor sich hertreibt. Ich kann nur hoffen, dass es in diesem Fall genauso ist,“ antworte ich.
Am Nachmittag finden wir auf einem Plateau mit traumhafter Sicht über das Land einen geeigneten Ort für die Nacht. Gleich nach dem Abladen stelle ich unser Satellitentelefon auf, um mit einer Radiostation ein Gespräch zu führen. Obwohl heute ein normaler Lauftag ist habe ich mich dazu bereit erklärt dieses Interview zu geben. Im Regelfall lehne ich es an solchen Tagen ab, weil ich nach einem harten Lauftag meist nicht in der Stimmung bin über die vergangenen Ereignisse zu erzählen und ehrlich gesagt auch keine Kraft mehr dafür habe mich zu konzentrieren.
Kaum ist das Satellitentelefon aus dem Koffer gepackt stelle ich es an und richte die Antenne nach Nordosten aus, um den Satelliten übern pazifischen Ozean anzupeilen. Erschrocken muss ich feststellen nicht den geringsten Empfang zu haben. „Ich glaube die Satelliten wurden von den Amerikaner abgeschalten,“ sage ich zu Tanja. „Wieso, hast du keinen Empfang?“ „Kein bisschen. Das ist bisher noch nie geschehen. Die Amis werden doch nicht gerade jetzt Afghanistan angreifen?“ „Was soll das mit den Satelliten zu tun haben?“ „Nun, es ist durchaus möglich, dass sie auf diese Weise die Kommunikationsmöglichkeit der Afghanen stören wollen. Afghanistan kann nach dem langen Krieg gegen Russland und nach den vielen Jahren Bürgerkrieg kaum noch eine normale Telefonverbindung besitzen. Wenn es dort noch Militär gibt werden sie sich über Funk oder mit Satellitentelefonen unterhalten. Warum also sollte Amerika nicht die Satelliten abstellen, um einen weiteren militärischen Vorteil zu besitzen?“ ,erkläre ich und setzte mich müde in den Klappstuhl. Meine Gedanken drehen sich wieder um den Krieg währen ich meine Suppe löffle. Das ich das Interview nicht halten kann stört mich in diesem Moment kaum. Nachdenklich stimmt mich allerdings auch die sogenannte Sicherheit. Ohne Zweifel hat unser Telefon keinen Kontakt zu den Satteliten. Hätte Tanja oder mich gerade jetzt eine Schlange gebissen oder irgend eine andere Katastrophe zugeschlagen wären wir aufgeschmissen. Natürlich gibt es noch die Möglichkeit den Notsender zu aktivieren oder sogar unser Funkgerät aufzubauen, um mit Jo und Tom Kontakt aufzunehmen. Leider wächst hier allerdings kein einziger Busch in dem ich das Antennenkabel des Funkgerätes hängen könnte. Also bliebe uns in diesem Fall nur noch der Notsender. Schlecht gelaunt sitze ich da und denke in meinem angeschlagenen Zustand über den Untergang der Menschheit nach. Die Schmerzen, die Müdigkeit, die Hitze, der Rauch, alles zusammen lässt mich in ein tiefes schwarzes Loch fallen als plötzlich die Antenne des Satellitentelefons zu piepen beginnt. „Das ist definitiv ein Empfangssignal,“ rufe ich freudig überrascht und schieße aus meinen Stuhl. Tatsächlich zeigt die Anzeige des Telefons an einen Satelliten geortet zu haben. Augenblicklicht hebt sich meine Stimmung. „Sie haben ihn wieder angeschaltet,“ stelle ich zufrieden fest als es auch schon klingelt. Wie erwartet ist es die Radiostation. Ich unterhalte mich kurz mit dem Moderator als meine Stimmung wieder in den Keller saust. „Also, Herr Katzer ihre Webseite ist total veraltet.“ „Was? Wieso denn das?“ Ich habe vor vier Tagen das letzte mal hineingesehen und festgestellt, dass sie vor zwei Wochen das letzte Mal aktualisiert wurde.“ Mir verschlägt es für kurze Augenblicke die Sprache. Da ich all meine Kraft einsetze, um einmal in der Woche unter oftmals härtesten Bedingungen über unser Erlebnissen berichte und den Text sofort über ein speziell entwickeltes Programm über Satellit ins Netz gebe, kann ich diese Aussage nicht verstehen und bin zu tiefst erschüttert. Abgesehen davon verstehe ich die Aussage „total veraltet“ noch viel weniger. Obwohl es natürlich schön ist jetzt und gleich über die Expedition zu lesen scheint in der westlichen Welt die Zeit so schnell voranzurasen, dass zwei Wochen anscheinend total veraltet sind. Was für eine Welt ist das da draußen? Ich bin entsetzt. Will ich da überhaupt jemals wieder hin? In eine Welt in der sich der Mensch gerade selbst überholt. In eine Welt in der nichts mehr anderes zählt als Geschwindigkeit und Geld. In einer Welt in der Abenteuer zwar interessant ist, aber wenn, dann soll am besten schon der Augenblick übertragen werden in dem die Schlange zubeißt. Wo sind denn unsere Emotionen geblieben? Wo hat denn da die Natur noch einen Spielraum? Gibt es das Wort Liebe und Menschlichkeit noch? In Gedanken versunken gebe ich das Interview und bemerke erst nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, das ich die Westküste Australiens mit dem Westatlantik verwechselte.
Ich unterhalte mich mit Tanja über meine Gefühle und der ewigen Zeit-Geldspirale. Auch wir sind von den Geschehnissen in Amerika unmittelbar betroffen. Die Finanzierung unseres Expeditionslebens ist derart gefährdet, dass wir uns schon seit Tagen überlegen wie wir die Lücken stopfen können. Nach der Erkenntnis fühle ich mich plötzlich noch mehr deprimiert als vorher. Auch ich bin ein Teil dieses Systems. Auch uns betrifft die Zeit-Geldspirale, obwohl wir hier mitten in der Wüste sitzen. „Glaubst du wir können es uns leisten die Webseite überhaupt am Leben zu erhalten?“, frage ich Tanja besorgt. „Ich weiß es nicht.“ „Nun die Übersetzungskosten, die Übertragungskosten, die viele Zeit und alles was noch dahinter steckt können uns ohne Zweifel das Genick brechen.“ „Was hältst du davon den Leser zu überlassen ob er einen freiwilligen Beitrag geben möchte?“ „Wie meinst du das?“ Na ja, wir könnten doch in unserem Tagebuch einen Aufruf installieren etwas zu deiner geschriebenen Geschichte zu geben. Schau, viele Menschen wollen uns helfen. Viele Menschen wollen irgend etwas dazu beitragen das die Große Reise weitergeht. Sie wissen bloß nicht wie sie es anstellen sollen. Wie oft sind wir in den letzten Jahren schon gefragt worden wie man uns unterstützen kann? Wir müssen den Menschen natürlich auch eine Möglichkeit schaffen. Ich meine nicht, dass wir jetzt unsere Webseite verkaufen sollen. Ich finde gut das jeder rein gehen kann und sie lesen kann wann und so oft er will. Aber vielleicht gibt es den einen oder anderen der etwas dazu beitragen möchte. Wie soll das stattfinden, wenn wir ihm nicht die Möglichkeit geben? Du schreibst ständig und wir machen das für alle Leser kostenfrei. Jeder Diavortrag kostet Geld. Jedes Buch kostet Geld.“ Ich überlege eine Weile was Tanja mir gerade erklärt hat und als ich es begreife bin ich von ihrer Idee begeistert. „Du hast recht. Das ist ein genialer Gedanke. Wir haben nichts dabei zu verlieren. Keiner ist dazu gezwungen. Lass es uns ausprobieren.“