Ein Traum aus dem wir am liebsten nicht aufwachen wollen
N 44°14’42.7’’ E 111°05’04.3’’Datum:
11.09.2015
Tag: 75
Land:
Mongolei
Ort:
Gobi Wüstencamp
Breitengrad N:
44°14’42.7’’
Längengrad E:
111°05’04.3’’
Tageskilometer:
121 km
Gesamtkilometer:
9.272 km
Luftlinie:
76 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
22.5 km/h
Maximale Geschwindigkeit:
57 km/h
Fahrzeit:
5:37 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Maximale Höhe:
1.100 m
Gesamthöhenmeter:
4.220 m
Höhenmeter für den Tag:
210 m
Gegenwind Windstärke 4:
22 km/h
Sonnenaufgang:
07:08 Uhr
Sonnenuntergang:
19:57 Uhr
Temperatur Tag max:
12 °C
Aufbruch:
9:00 Uhr
Ankunftszeit:
19:00 Uhr
Platte Reifen gesamt:
4
Platte Vorderreifen:
1
Platte Hinterreifen:
2
Platte Anhängerreifen:
1
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Mit nur 10 °C ist es heute unangenehm kühl. Der Wolkenhimmel verspricht Regen. Die Landesflaggen an unseren Hängern wehen im Wind. Vom Nordwind werden wir aus Sainschand geblasen. Als wir den Highway erreichen fahren wir in Richtung Süden. Nun bläst es uns mit Stärke vier entgegen. Obwohl wir wissen, dass die deutsche Familie auf uns warten wird, fahren wir aus Sicherheitsgründen im Eco- manchmal im Tourmodus. Wer weiß ob nicht sie es sind, die eine Panne haben werden und wir dann, weil sie eventuell nicht kommen, auf der Strecke liegen bleiben. Eine Entscheidung die uns unter diesen Windbedingungen viel Kraft abverlangt.
Nach 27 km ist unser erster Akku leer. Wir setzen Akku 2 ein. Als ich den Bordcomputer einschalte schaue in ungläubig auf das Display. „Der Akku 2 ist leer“, sage ich. „Was? Das kann doch nicht sein?“, entgegnet Tanja. „Wahrscheinlich dachte ich er ist voll und habe ihn nicht geladen.“ „Nur gut das Peter heute unsere Akkus auflädt“, sagt Tanja. Ich ärgere mich die Stromsammler nicht richtig geprüft zu haben. Kopfschüttelnd über mich selbst radeln wir weiter. „Was kommt uns denn da entgegen?“, rufe ich wenig später. Als das flache Ding näherkommt wollen wir erst unseren Augen nicht glauben. Es ist ein Liegerad der extra flachen Sorte ohne Fahne oder irgendetwas was die Autofahrer warnen könnte. Sofort halten wir an und begrüßen den Mann. „Hello!“, ruft er ebenfalls freudig ohne aus seinem flachen Gefährd zu steigen. Euphorisch, auf der einsamen Strecke einen Europäer zu treffen, schütteln wir uns die Hände. Erst jetzt bemerke ich, dass Antoine Aoun querschnittgelähmt ist und sein Gefährt mit einer Handkurbel anstatt mit einer Tretkurbel antreibt. „Ich komme aus Peking und fahre bis nach Europa“, erzählt er. „Wir hatten dich im ersten Augenblick gar nicht gesehen. Ist das nicht gefährlich so ohne Fahne zu radeln?“, frage ich. „Die habe ich vor ein paar Tagen verloren“, antwortet er als ein weiterer Radfahrer ankommt. Es ist seine Frau die auf einem normalen Fahrrad sitzt. „Ich habe schon viele solche Expeditionen durchgeführt. Auf einer unserer Touren sind wir auch durch Deutschland gekommen“, erzählt der braungebrannte, gutaussehende Franzose. „Wie macht ihr das ohne Gepäck?“, frage ich weil an den Rädern keine Taschen zu sehen sind. „Wir werden von einem Supportfahrzeug begleitet. Wenn ihr weiterfahrt werdet ihr meinen Freunden bestimmt begegnen. Ihr müsst unbedingt mal in meine Website schauen. Die zeigt euch wie viel Expeditionen ich in den letzten Jahrzehnten unternommen habe“, erzählt der Abenteurer lachend und reicht uns seine Adresse. http://www.antoineaoun.com/
„Unglaublich was du da leistest. Wirklich fantastisch. Damit inspirierst du bestimmt viele Menschen auf der Welt“, sagen wir voller Hochachtung. Dann verabschieden wir uns von Antoine und seiner Frau und setzen hoch motiviert unsere Reise fort.
Nach 45 km überholt uns ein alter, orangefarbener Kleinbus. „Ihr müsst ja verrückt sein!“, ruft es aus dem Fenster des betagten VW-Kastenwagens. Nur ein paar hundert Meter weiter hält das Fahrzeug an. „Das sieht so aus als könntet ihr einen frischen Kaffee gebrauchen?“, fragt der freundliche Mann, der sich als Jens vorstellt. „Das klingt fantastisch“, antworten Tanja und ich zur gleichen Zeit und stellen unsere E-Bikes auf den Ständer. „Und wo geht deine Reise hin?“, frage ich unseren bestens gelaunten Gastgeber. „Ein Jahr von Deutschland bis nach Asien. Dort werden ich Elton in seinem wohlverdienten Ruhestand schicken?“ „Elton?“ „Mein Bus heißt so.“ „Ist ja ein origineller Namen für einen Bus. Fährst du alleine durch China? Das kostet doch wegen der Reiseleitung, die man dir aufs Auge drückt, ein halbes Vermögen?“ „Nein ich habe mich einer Reisegruppe angeschlossen. Wir sind fünf Fahrzeuge. Allerdings hat einer von uns einen Getriebeschaden und warte in Ulan Bator auf Ersatzteile. Eigentlich wollten wir am 14. September rüber nach China. Aber jetzt müssen wir sehen ob das klappt.“ „Am 14. September? Kennst du Katharina und Peter? Die sind mit ihren Töchtern und einem Hund unterwegs.“ „Ich habe sie bisher zwar noch nie gesehen aber ich kenne sie. Die gehören zu unserer Gruppe“, lacht er. „Es kann nicht mehr lange dauern und sie werden hier auftauchen. Peter wird heute unsere Akkus aufladen“, sage ich begeistert über diesen schönen Zufall einen weiteres Mitglied der Reisegruppe anzutreffen. Wir sind gerade im Begriff uns von Jens zu verabschieden als das Riesenschiff von Katharina und Peter auftaucht. Zur Begrüßung betätigt er sein Horn welches uns fast aus dem Sattel pustet. „Na ihr seid ja noch nicht weit gekommen?“, meint Peter lachend. „Der Gegenwind hat uns ein wenig aufgehalten“, antworte ich. „Welcher Gegenwind?“ „Na du in deinem Schlachtross spürst davon nichts“, antworte ich bester Stimmung. Katharina und Peter treffen Jens zum ersten Mal und unterhalten sich angeregt. „Wir fahren schon mal weiter“, sage ich währenddessen damit unsere deutsche Familie am ausgemachten Treffpunkt nicht all zu lange auf uns warten muss. „Wollt ihr mir inzwischen eure leeren Akkus geben? Die kann ich indes schon mal laden“, fragt Peter bevor wir die Gruppe verlassen. „Super Idee“, antworte ich. „Bis hierher habt ihr 40 km seit Sainschand gemacht. In wie viel km wollen wir uns treffen?“, möchte er noch wissen. „Denke in 30 km. Das heißt in ungefähr 70 bis 80 Minuten“, antworte ich. „Okay wir warten an einem schönen Platz auf euch. Ich hoffe ihr bringt genügend Hunger mit. Katharina wird für uns kochen“, vernehmen wir seine Einladung zum Mittagessen und können erneut nicht glaube welch ein Glück es war diese netten Menschen begegnet zu sein. Es dauert nicht lange als sie uns mit lautem Hupen und aus dem Fenster winkend überholen. Nach etwas über einer Stunde sehen wir das große Wohnmobil auf einer Wiese neben der Straße stehen. Der Generator brummt bereits und lädt unsere Akkus. „Gib mir bitte die anderen zwei Akkumulatoren. Die müssten inzwischen auch leer sein“, meint Peter worauf wir auch diese am Generator anschließen.
Weil es leicht zu regnen beginnt bitten uns Katharina und Peter in ihr tolles Heim. So kommt es, dass wir bei relativ ungemütlichem Wetter aus großen Panoramafenstern auf die Wüste Gobi blicken und dabei ein schmackhaftes Thaigericht zu uns nehmen. „Also heute komme ich mir vor wie ein Grashüpfer. Wir springen mit unserem Wohnmobil immer nur ein paar Kilometer weit um wieder anzuhalten“, sagt Peter. „Es ist aber abwechslungsreich. Was hätten wir so früh an der Grenze gemacht? So dürfen wir interessante Gespräche führen. Es ist ein äußerst kurzweiliger Tag“, wirft Katharina ein. „Wenn ihr wollt campen wir heute Abend zusammen. Dann kann ich eure Akkus noch mal laden und wir genießen ein gemeinsames Abendessen“, bietet Peter an. „Eine ausgezeichnete Idee. Das ist ein fantastisches Angebot“, antworte ich.
Als wir nach dem Mittagessen weiterfahren kommt die Sonne heraus und vertreibt die Wolken. Der Wind dreht plötzlich um 180 Grad und bläst uns in den Rücken. Mit geradezu unglaublichen 27 bis 30 km/h sausen wir dahin ohne uns besonders anstrengen zu müssen. Große Pferdeherden galoppieren an uns vorbei. Nach ca. 90 km erscheint auf einem Hügel die angekündigte Tankstelle, deren Zapfsäulen mit einem Generator betrieben werden. So wie es aussieht hätten wir hier unsere Akkus nicht laden können. Als wir oben sind stürmen drei massive Hunde auf uns zu. „Aaaahhhh!“, brüllt es hinter mir wie eine mongolische Horde während einer ihrer gefürchteten Attacken. Von Tanjas brüllen erschrocken trete ich in die Pedale wie ein Hengst. Da es bergab geht erreiche ich knapp 60 km/h. Nur wenig hinter mir sehe ich Tanja, die geduckt hinter ihrem Lenker, ebenfalls wie ein Stier die Pedale kreisen lässt. Bei diesem Adrenalinausstoß haben die Köter nicht die geringste Chance und geben ihre Verfolgung auf.
Es ist bereits 19:00 Uhr als wir nach 121 Tageskilometern wieder das Wohnmobil unserer Grashüpferfamilie entdecken. Der Klang des Generators scheppert uns entgegen. Obwohl ich dieses Geräusch unter normalen Umständen nicht besonders mag klingt es jetzt für mich wie eine Hymne. Wir lassen unsere Räder auf die Wiese rollen, entladen sie und bauen zum ersten Mal in der Mongolei unser wunderbares Zelt auf. „Endlich dürfen wir in unserem eigenen Reich schlafen und müssen nicht in so eine Straßenunterkunft“, sagt Tanja glücklich. Wie in einem Märchen legt sich in diesen Minuten der glühende Sonnenball auf die Horizontlinie und taucht die Gobi in ein Licht welches nur in einer Wüste zu finden ist. Als die langen Schatten ihre Kraft verlieren und die Temperaturen unangenehm gesunken sind, hören wir einen wunderschönen Ruf der unsere Herzen höher schlagen lässt: Tanja! Denis! Essenkommen!“
Wir eilen in das mobile Heim. „Wollt ihr ein Bier zu eurem Essen?“, fragt Peter. „Hast du gesagt Bier?“, frage ich ungläubig. „Ja.“ „Aber klar, das wäre wunderbar“, antworte ich und hoffe noch lange in diesem Traum verweilen zu dürfen. Heißhungrig essen wir die leckere Kartoffelsuppe und unterhalten uns über den Tag. Auch die Quarantäneproblematik unserer Hunde kommt zur Sprache. „Also wenn ihr wollt können wir Mrs. Spring fragen ob sie nicht auch euren Ajaci über die Grenze bringen kann“, schlägt Katharina vor. „Das würdet ihr wirklich machen?“, fragt Tanja. „Ja, warum nicht? Umso mehr Hunde in der Reisegruppe, desto besser. Es kann zumindest nicht schaden und ihr besitzt ja alle notwendigen Papiere in englischer und chinesischer Sprache.“ „Das wäre fantastisch. Ja, es wäre wunderbar wenn ihr Mrs. Spring für uns fragt. Es kann nur gut sein und wer weiß, vielleicht kommen unser Hunde ohne Quarantäne über die Grenze“, sagt Tanja.
Eine Weile später schlägt Peter vor: „Ich habe mir gedacht, dass wir es morgen doch genauso wie heute machen können“, verlängert Peter unseren Traum. „Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen“, antwortet Tanja. „Okay, Denis ist doch gut im Geschichten erzählen. Richtig?“, fragt Peter. „Richtig“, antwortet Tanja. „Dann handhaben wir es so. Eine Geschichte gegen eine Akkuladung.“ „Es ist mir eine große Freude euch Geschichten aus unserem Reiseleben erzählen zu dürfen. Also für heute Abend biete ich euch drei Geschichten an. Ihr dürft euch eine aussuchen. Okay?“ „Okay, antworten auch die Töchter Sarah und Sonja. Eine Geschichte handelt von Bawan Kumari, unserer gefährlichen Elefantenkuh, mit der wir das mystische Nepal durchquerten und die drei Mahuts (Elefantenführer) umgebracht hat. Die zweite Geschichte berichtet davon, wie wir mit unseren Kamelen das Stammesgebiet der Mudschaheddin, an der Grenze zu Afghanistan, durchritten. Wo man auf uns geschossen hat und das hohe Gastrecht von Stammesfürsten genossen und die dritte Geschichte erzählt von Kannibalen, mit denen ich vor langer Zeit in Westneuguinea gelebt habe…“
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