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Du hast an dich geglaubt und wirst belohnt!

Jungfräuliche Sonnenstrahlen blinzeln durch das Blätterdach des Waldes, werfen unruhige Schatten auf den vom Frühsommerregen feuchten Boden. Vögel zwitschern im Chor, scheinen sich mit den fröhlichsten Liedern gegenseitig übertrumpfen zu wollen. Das leise Rauschen der nahen Pegnitz unterstreicht die lebensfrohen Klänge der erwachenden, saftigen Natur mitten in Deutschland. Nahezu lautlos rollen unsere Räder über den asphaltierten, schmalen Weg. Die morgendlichen, frischen Luftschichten falten sich wie seidene Tücher über das paradiesisch schöne Stückchen Erde. Mit ein wenig Fantasie ist zu erkennen wie sie sich mit den letzten Nebelschwaden, die aus dem Fluss steigen, vereinen. Wie sie einen Reigen tanzen, sich umarmen und mit einem kaum hörbaren Säuseln zu einen überdimensionalen Geflecht verbinden, nur um sich Augenblicke später im hellen Blau des Himmels zu verabschieden. Nach all den Erlebnissen der letzten Monate fühlt sich in diesen Minuten mein Herz leicht an. Der Druck der Vorbereitung ist entwichen, hat sich mit dem schlechten Wetter der vergangenen Zeit in Luft aufgelöst. Nur die leichten Schmerzen im Rücken erinnern noch daran was gewesen ist. Zuversichtlich auch sie bald zu verlieren trete ich in die Pedale und erfreue mich daran wie gut wir den bald unglaublichen Ausrüstungsberg auf unsere Roadtrains verteilt haben. Die 110 Kilogramm, die auf und hinter meinem Rahmen hängen, sind bei diesen idealen Bedingungen kaum zu spüren. Lächelnd sehe ich Tanja, meine Mutter und Vater im Rückspiegel. Meine Eltern wollten es sich nicht nehmen lassen uns bis zum Bahnhof zu begleiten. Obwohl sie wie immer Angst um uns haben kann ich in ihren Gesichtern die Erleichterung erkennen, die Erleichterung nach all den Herausforderungen der letzten Zeit mich wohlgemutes auf dem Rad zu sehen.

Ohne Zwischenfälle verladen wir unsere Bikes mit Anhänger und Satteltaschen in das Radabteil des Zuges. “Passt auf euch auf”, flüstert meine Mutter mich umarmend. “Klar, wir achten auf uns. Passt ihr auf euch auf”, erwidere ich und lache. Meinem Vater kullern die Tränen über die Wangen. Er dreht sich zur Seite, um seinen Schmerz zu verbergen. “Ihr werdet sehen. Ehe ihr euch besinnt ist die Zeit vorbei und wir stehen wieder mit vielen neuen Geschichten im Gepäck vor eurer Tür”, rufen wir und winken ihnen zu als sich die eiserne Schlange in Bewegung setzt. Dann lassen wir uns neben unsere Drahtesel nieder und können kaum glauben, dass wir tatsächlich wieder unterwegs sind. “Puhhh. Wie fühlst du dich?”, fragt Tanja. “Wie in einem schönem Traum. Und wenn es einer ist möchte ich daraus nicht zu schnell erwachen. Es ist für mich mit dass Höchste wieder unterwegs sein zu dürfen”, antworte ich zufrieden. “Ich bin auch froh über unseren Aufbruch. Vor allem aber ist es schön zu sehen das du dich wieder normal bewegen kannst.” “Hm, ich hoffe der Rücken hält durch und ich schaffe es unsere schwere Ausrüstung ohne Schaden in den rumänischen Zug zu laden.”. “Mach dir darüber keine Gedanken. Das schaffst du bestimmt. Da bin ich mir ganz sicher”, höre ich ihre zuversichtlichen Worte und spüre wie sie meinen Körper wie Labsal durchdringen.

Nach dreimaligen Umsteigen und ca. 13 Stunden erreichen wir Wien. Gebannt warten wir auf der Plattform Nummer 4 auf den Zug aus Rumänien. Vor 6 Monaten sind wir hier mit der gleichen Eisenbahn angekommen und haben uns darüber gefreut österreichischen Boden betreten zu dürfen. Jetzt freuen wir uns darauf wieder dahin zurückzufahren wo wir unserer Reise unterbrochen hatten. Wir wissen das es verboten ist Fahrräder in das Abteil zu laden haben aber keine andere Chance als es zu versuchen. Tanja und ich sind uns einig unsere gesamte Kraft zusammen zu nehmen und mit oder ohne Erlaubnis unsere gesamtes Hab und Gut in den Waggon zu schleppen. “Er kommt!”, ruft Tanja. Quietschend und kreischend kommt das eiserne Gefährd zum Stehen. Sofort kupple ich die Anhänger von den Rädern, stürme in den Zug, suche unser Schlafabteil, öffne das Fenster und winke Tanja zu mir die Satteltaschen durchs Fenster zu reichen. In Windeseile schlichte ich alles in die Gepäckablage. Bei der Anstrengung öffnen sich alle Poren und der Schweiß rinnt mir in Strömen herunter. “Ich habe einen Mexikaner gefunden der dir helfen wird die schwere Anhängerkiste ins Abteil zu tragen!”, ruft mir Tanja zu. “No problem my friend”, sagt er und wuchtet mit mir die 56 Kilogramm schwere Kiste hoch. Der österreichische Schaffner schüttelt den Kopf. “Spätestens in Bukarest müsst ihr mit dem Zeugs von Bord”, glaube ich zu hören. “Wir haben es mit dem Zug von Bukarest hierher geschafft und wir werden es hoffentlich auch wieder dahin bringen”, antworte ich und versuche zu lächeln. Als der Mexikaner mit mir die schwere Kiste um die schmale Ecke des Gangs wuchtet kommt es darauf an ob mein Rücken hält. Es zieht, ich muss mich stark verwinden und habe nicht die geringste Chance auf meine Verletzung Rücksicht zu nehmen. “Bitte halt durch”, flüstere ich mir selbst Kraft und Mut zu. “Halt!”, rufe ich bevor mir die Zargesbox aus den Händen gleitet und auf den Boden donnert. Nach einer kurzen Pause winkeln wir das schwere Ding vom schmalen Gang, um die Ecke in unser Abteil und heben es mit letzter Kraft auf das mittlere Bett. “Danke, sehr freundlich von dir”, sage ich und klopfe dem jungen Mann auf die Schulter. “No problem”, grinst er und hilft Tanja und mir die restliche Ausrüstung zu verladen. Dann sind die Räder dran. Durch die herfahrt schon ausreichend Erfahrung gesammelt wie man einen sperrigen Drahtesel um winkelige Ecken bringt stemme ich den Rahmen in die Höhe und rolle unsere wertvollen Transportmittel auf dem Hinterrad um die Kurven in das kleine Abteil. Mit letzter Kraft hieve ich eines der delite blacks mit dem Vorderrad auf das untere Bett, um auch die Tür vom Abteil schließen zu können. Laut Aussage des Schaffners muss absolut alles in dem Raum verschwinden und die Tür geschlossen sein. “Wenn sie die Tür nachts nicht abschließen kann es leicht möglich sein das sie während des Schlafens bestohlen werden”, warnt uns der Bahnbeamte.

Als der Zug um ca. 20:00 Uhr die Stadt Wien hinter sich lässt sind wir erleichtert. “Das ist wieder mal gut gegangen”, meint Tanja lächelnd. Wir stehen beide am Fenster vor unserer Schlafkammer und blicken auf die vorbei fliegenden Felder. Der warme Frühsommerfahrtwind bläst uns in Gesicht. Wir sind uns sicher, dass man uns nicht dazu zwingen kann die Räder an irgendeinem Bahnhof wieder auszuladen. Zu kurz sind die Stopps. Außerdem sieht es so aus als wäre der österreichische Schaffner auf unserer Seite. “Bin gespannt was das rumänische Personal sagt wenn sie die Räder entdecken”, meine ich. “Wir werden sehe”, antwortet Tanja mich umarmend. “Hätte mir das jemand vor noch einer Woche erzählt, hätte ich ihn für verrückt gehalten”, sage ich leise. “Wie meinst du das?” “Na ja, ich fühle mich als wäre ein Wunder geschehen. Ich habe gerade die ultraschwere Zargesbox durch die Gänge geschleppt, zwei Räder durch das Abteil jongliert und meine Bandscheibe inklusive der Nervenentzündung hat offensichtlich der Belastung standgehalten. Ist doch absolut fantastisch”, plaudere ich. “Du hast an dich selbst geglaubt, dein Ziel verfolgt und positiv gedacht. Dafür bist du belohnt worden”, entgegnet Tanja. Später kauern wir in unserer voll geschlichteten Unterkunft und genießen den leckeren Kartoffelsalat und die Nürnberger Bratwürste die uns meine Mutter heute Morgen um 4 Uhr noch zubereitet hat. Als es dunkel wird kriechen wir müde vor Anstrengung in die Kojen, verschließen die Abteiltür mit einem Riemen und fallen in einen unruhigen Schlaf.

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