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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Draisinen fahrt, Einblicke in die Vergangenheit und Straßensperre

N 58°38.40.7’’ E 006°03’07.2’’
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    Datum:
    24.08.2020

    Tag: 022

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Parkbucht am See

    Tageskilometer:
    170 km

    Gesamtkilometer:
    2443 km

    Fahrzeit:
    13 Std

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Brückenüberquerungen:
    5

    Tunneldurchfahrten:
    11

    Sonnenaufgang:
    06:14 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:02 Uhr

    Temperatur Tag max:
    15°

    Temperatur Nacht min:
    13°

    Aufbruch:
    09:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    22:00 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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Ein Reisender hat uns von der Möglichkeit berichtet, nicht allzu weit von hier entfernt auf einer stillgelegten Bahnstrecke mit einer Fahrraddraisine fahren zu können. „Wollen wir das mal ausprobieren?“, frage ich Tanja. „Warum nicht.“ „Okay, dann lass uns zur Flekkefjordbahn fahren“, antworte ich den Motor anlassend.

An einem alten Bahnhof in der Stadt Flekkefjord, die an der Südwestküste Norwegens liegt, parken wir unsere Terra. „Da muss es sein“, sage ich auf die seltsam aussehenden eisernen Gestelle deutend, die auf einem Gleis hintereinander aufgereiht stehen. Auf einer Werbebroschüre erfahren wir, dass die Eisenbahn von 1904 bis 1990 eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen war und die hiesige Bevölkerung an die größeren Zentren in Ost und West anband.

„Darf unser Hund da mitfahren?“, frage ich einen Pakistaner, der hier jobbt. „Weiß nicht, da müssen sie den Chef fragen.“ Der freundliche Chef namens Ephrem Yohannes kommt aus Äthiopien. „Darf unser Hund mit auf die Draisine?“, frage ich ihn. „Von uns aus, ja. Das müssen sie aber als Hundebesitzer selber entscheiden. Manche Hunde haben dabei Spaß, andere wiederum mögen es nicht.“ „Ich weiß nicht, wenn ich mir die schmale Sitzbank ansehe, könnte ich mir vorstellen, das Ajacis Schwanz unter die Räder kommt.“ „Das wäre eine Katastrophe“, gibt mir Tanja recht. „Gut, dann lassen wir ihn solange in der Terra“, sage ich. Wir setzen unsere Helme auf, die bei der Tour Pflicht sind und normalerweise vom Veranstalter gestellt werden. Wie bei einer normalen Radtour machen wir uns mit Trinkrucksack, Handschuhe, Regenschutz usw. fertig. Dann besteigen wir eine Draisine, die aussieht wie ein Tandem mit Beiwagen. „Auf gehts“, sage ich und trete in die Pedale. Tanja, die hinter mir sitzt, hat wie bei einem Tandemrad auch Pedale und bringt mit mir das schwere Gefährt in Bewegung. Dong! Dong! Dong! Scheppert es laut über die eisernen Schienen, als wir eine Weiche überqueren. „Gut das Ajaci nicht dabei ist. Das hätte er auf keinen Fall gemocht“, sage ich die holprige Stelle hinter uns lassend, als wir auch schon in einen dunklen Tunnel einfahren. Wir schalten unsere Stirnlampen ein, um in dem schwarzen Loch etwas erkennen zu können. Es tropft von der Decke auf unsere Warnwesten, die uns der Veranstalter gegeben hat. Die eisernen Räder der Draisine rattern über die Schienen, die teils mit Kalkablagerungen überzogen sind und das Fahren massiv holprig machen. Das Poltern, Dröhnen und Scheppern werden von den Felswänden des Tunnels zurückgeworfen, sodass uns die Ohren klingeln. „Ah endlich wieder draußen“, sage ich, als uns die Röhre wieder ausspuckt. Es geht vorbei an Häusern, gepflegten Gärten, über Brücken entlang eines wunderbar gelegenen Sees und tiefen Abgründen, von denen manche mit stählerner Absperrung gesichert sind. Im Vergleich zu Radfahren auf der Straße ist die Draisinenfahrt laut, holprig und unbequem, aber eine interessante Erfahrung. Da die letzten Touris lange vor uns gestartet sind, rechnen wir nicht damit, auf andere Draisinenfahrer zu treffen und genießen das Alleinsein, als vor uns zwei der rot bemalten Eisengestelle auftauchen. „Na die sind ja langsam unterwegs“, stöhne ich unser Ding, den die Steigung hochstrampelnd. „Wollen sie vorbei?“, fragt uns eine ältere Dame in der Draisine vor uns. „Nein lassen sie sich von uns nicht beirren. Wir wollen ab und an fotografieren und nehmen uns Zeit“, antworte ich, nachdem wir sehen, dass die Fahrer vor uns zwischen 70 und 80 Jahre alt sind und einer von ihnen schwer angeschlagen zu sein scheint. Eine halbe Stunde später helfen wir den Urlaubern aus Dänemark, die schweren Draisinen von den Gleisen zu heben und nachdem wir vorbei sind, zu drehen, damit sie zurückfahren können. Einer der alten Herren ist derart behindert, dass er nicht alleine von der Draisine steigen kann. Seine Begleiter sind von der Anstrengung geschwächt, weswegen ich dem Mann, der wahrscheinlich unter den Folgen eines Schlaganfalls leidet und sich kaum bewegen kann, vom Sattel helfe. In meinem Untergriff gestützt trage ich ihn von den Schienen weg und lasse ihn auf einen Stein setzen. „Danke“, sagt eine Dänin, da der geschwächte Mann nicht sprechen kann. „Kein Problem, das haben wir gerne gemacht. Ruhen sie sich hier ein wenig aus, dann können sie mit neuer Energie zurückfahren“, antworte ich. „Wir möchten hier sowieso ein Picknick einlegen und werden mindestens eine Stunde verweilen. Woher kommen sie?“, fragt die Frau. „Aus Deutschland.“ „Oh, Deutschland. Danke noch mal.“ „Keine Ursache“, sagt Tanja freundlich lächelnd. Wir verabschieden uns von den Urlaubern und treten unser eisernes Schlachtross weiter, durchfahren ein 1,2 Kilometer langes, dunkles, lautes Tunnel und als wir auf der anderen Seite rauskommen, ziehen Gewitterwolken auf. „Weiß nicht, ob es Sinn ergibt weiterzumachen. Finde die Tour jetzt nicht gerade relaxend“, meint Tanja. „Möchtest du umkehren?“ „Wenn du nichts dagegen hast ja.“ „Hm, okay. Denke, dass wir das Ende der 17 Kilometer langen Strecke ohnehin bald erreicht haben“, antworte ich, worauf wir unter vereinten Kräften unsere Draisine hochheben, um 180 Grad drehen und wieder auf die Gleise setzen. Auf dem Rückweg kommen wir wieder an den Rentnern vorbei. „Ist alles okay bei ihnen?“, fragt Tanja. „Ja, ja, alles okay. Wir fahren auch bald zurück“, antwortet die Dänin. Obwohl wir als letzte aufgebrochen sind, erreichen wir wegen unserer verfrühten Umkehr den Draisinenbahnhof als erste. „Sie sind aber schnell zurück“, wundert sich Ephrem Yohannes. „Wir haben hinter dem langen Tunnel gedreht“, antworte ich. „Na da war es nicht mehr weit bis zum Ende der Strecke. Sie müssen echt fit sein?“ „Geht so, aber Radfahren ist uns nicht fremd. Wir sind mit unseren Bikes von Deutschland nach Thailand gefahren“, erkläre ich. „Wow, das ist ja eine lange Strecke“, erwidert er, worauf wir in ein längeres Gespräch geraten. „Und ihnen gefällt es in Norwegen?“, frage ich im Verlauf unserer Plauderei. „Ja sehr gut. Ich lebe hier seit neun Jahren, spreche indes Norwegisch und es ist eines der schönsten Länder der Welt. „Und die Kälte und der viele Regen macht ihnen nichts aus?“, wundere ich mich. „Da habe ich mich daran gewöhnt. Die Norweger sind ein nettes Volk. Allerdings leben sie stark zurückgezogen. Bei uns in Äthiopien sind die Menschen offener. Man macht in Afrika leichter Freunde. Hier nicht. Ich muss mich in die Gesellschaft einbringen und bin in mehreren Vereinen, um Anschluss zu finden und akzeptiert zu werden. Mit meiner schwarzen Hautfarbe ist das zusätzlich nicht ganz einfach. Jedoch gibt es in meinem Land viel Elend und Armut, hier hingegen geht es den Menschen besser. Es ist zwar alles teuer, aber man verdient auch viel mehr Geld. Alles in allem fühle ich mich hier wohl und zuhause“, plaudert Ephrem Yohannes. Bevor ich mich von ihm verabschiede, schenkt er mir ein T-Shirt der Flekkefjordbahnen. „Danke dir“, sage ich das Shirt gleich überziehend. „Nimm für deine nette Frau auch eins mit. Welche Größe hat sie?“, fragt er und reicht mir lachend ein weiteres Shirt für Tanja. „Viel Glück und Gesundheit auf euren Reisen“, wünscht er, als ich das Gebäude verlasse. „Wünsche dir auch ein weiteres schönes Leben in dem schönen Land“, sage ich mich endgültig verabschiedend.

Mit den alten Holzhäusern von Helleren erreichen wir am späten Nachmittag einen weiteren außergewöhnlichen Ort. Die Häuschen ducken sich unter einem 60 Meter hohen Felsüberhang, der schon damals die Menschen vor der extremen Witterung schützte. „Sagenhaft wie einfach und abgelegen die Menschen gelebt haben“, sage ich, um die aus Holz errichteten, gut erhaltenen Hütten streifend. „Damals gab es sicherlich keine Straße, die uns wie heute in das Tal geführt hat?“, vermutet Tanja. „Die Straße und der Tunnel in das Tal wurden erst 1921 fertiggestellt“, lese ich auf einer Infobroschüre. „Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Häuser unter dem Felsen, in denen bis zu drei Familien ihr Leben bestritten, eine Art Einsiedelei. Man konnte die Siedler, die hauptsächlich vom Fischfang lebten und ein paar Schafe als Nutztiere hielten, nur über den Jøssingfjord, also mit einem Boot erreichen, oder man musste über das Gebirge wandern.“ „Stell dir vor, wenn einer der Bewohner Zahnweh oder ein anderes Problem hatte“, überlegt Tanja. „Möchte ich mir nicht vorstellen“, antworte ich die kleine Holztreppe zur Hütte hochsteigend. „Wann sind die Siedler von hier weggezogen?“, fragt Tanja. „Wenn die Info korrekt ist, lebten sie bis 1920 unter den Felsen. Sie waren allerdings nicht die Ersten, die den Überhang nutzten. Archäologen fanden unter dem Felsüberhang Spuren aus der Altsteinzeit.“ „Das würde bedeuten, das hier schon vor einer Millionen Jahren Menschen gelebt hatten“, folgert Tanja auf den Fjord und das Tal blickend. „Korrekt, damals mussten sie sich vor Bären, Wölfen und was weiß ich, welchen Großtieren schützen. Da bot so ein gewaltiger Felsüberhang Schutz“, überlege ich auf dem Weg zurück in unser Auto.

Wooouuuuiii! Wooouuuuiii! Brüllt Ajaci, als wir losfahren. „Ob wir ihn in die Hundebox hinten im Auto tun sollten?“, überlegt Tanja. „Weiß nicht. Vielleicht ist das eine gute Idee. Allerdings hoffe ich immer noch, dass er sich von dem Feuerlöscherschreck erholt“, antworte ich die engen Serpentinen nach oben kurvend. Plötzlich versperrt uns ein Polizeiwagen die Weiterfahrt. „Sie müssen hier ein oder zwei Stunden warten. Es gab einen Unfall und das Bergeteam versucht, das abgestürzte Auto aus der Tiefe zu heben“, informiert uns eine junge Polizistin. Wir stellen die Terra auf einen kleinen Rastplatz ab, der sich rein zufällig an der Kehre auftut. „Ich schau mal was da vor sich geht“, sage ich, schnappe mir die Kamera und verlasse unser Mobil. Mehrere Lastwagenfahrer stehen, in die Tiefe blickend, an einer Felskante. „Wow, der ist ja weit hinuntergestürzt“, stelle ich betroffen fest den völlig zerbeulten PKW auf einem Felsvorsprung entdeckend. „Ja, den hat es schlimm erwischt“, meint einer der Fahrer. „Hat er überlebt?“, wundere ich mich. „Nein, das überlebt keiner. Nach Aussage der Talbewohner war es Selbstmord“, erzählt der Mann, der einen Overall trägt. „Selbstmord?“, frage ich nach. „Ja, das wird vermutet. Die haben den Mann schon gestern mit einem Hubschrauber da rausgeholt. Der Kranwagen kommt aus Bergen“, antwortet er knapp. Ein riesiger Fahrzeugkran steht über uns, seinen langen Ausleger in den wolkenverhangenen Himmel gestreckt. An seinem Ende befindet sich ein Stahlkorb, in dem der Kranführer zwei Bergespezialisten in die Tiefe lässt. Als sie unten ankommen, klettern sie aus dem Korb und arbeiten sich vorsichtig die letzten 20 oder 30 Meter zu dem havarierten Fahrzeug vor. Es dauert eine Weile, bis sie die Bergegurte an dem Auto richtig befestigt haben. Eine halbe Stunde später geben sie das Okay-Zeichen. Langsam erhebt sich das Wrack in die Lüfte. „Sieht spektakulär aus“, sage ich zu dem Mann neben mir, der mit einem kurzen Nicken antwortet. Nachdem die Crew das kaputte Auto auf einen Abschleppwagen verzurrt haben, gibt die Polizei die Straßensperre frei. „Gute Fahrt“, wünscht uns die Polizisten. „Danke, ihnen auch“, antworte ich.

Lange Schatten werfen sich über das Gebirge um uns. Die Sonne hat sich schon vor längerer Zeit versteckt und die Finsternis übernimmt das Land. Wir folgen dem Navi, kurven den Pass wieder hinunter, durchfahren ein paar Dörfer. Plötzlich wird die Fahrbahn enger und ein Bauarbeiter in Reflektionskleidung stoppt uns. „Wir reparieren gerade die Straße. Bitte warten sie hier, bis sie von einem Servicewagen abgeholt werden“, sagt er freundlich. Wenige Minuten danach fahren wir im Schritttempo einem Auto hinterher. Unser heutiges Nachtlager wollen wir am Eigerøy fyr, ein weiterer Leuchtturm an der Südwestküste Norwegens, einlegen. „Hier müssten wir laut Navi rechts abbiegen“, sagt Tanja. Das Servicefahrzeug fährt geradeaus weiter. Der weiß nicht, dass wir zu dem Leuchtturm wollen“, meine ich. „Was sollen wir machen?“, fragt Tanja. „Wir biegen rechts ab“, entscheide ich. Kaum sind wir abgebogen, stoppt uns ein Schild. „Für Fahrzeuge über 3,5 Tonnen gesperrt.“ „Okay, wir kehren um“, entscheide ich erneut. Weil die schmale Straße an der Küste einfach endet, kehren wir wieder um. Abermals werden wir von dem Servicefahrzeug abgeholt. Diesmal in die andere Richtung. Wir entscheiden uns den Leuchtturm nicht zu besuchen und fahren weiter, um einen geeigneten Platz für die Nacht zu finden. „Komisch, manchmal gibt es eine Parkbucht nach der anderen und jetzt, wo wir einen Platz brauchen, kommt nichts“, ärgere ich mich, als es bereits 21:30 Uhr ist und nach dem anstrengenden Tag die Müdigkeit in unsere Knochen kriecht. 10 Minuten später entdecken wir auf einen Lastwagenparkplatz eine schmale Lücke. „Ist mir zu riskant. Stell dir vor, wenn der sich beim Wegfahren mit seinem Lastzug nur um einen Zentimeter verschätzt, dann macht der uns zu Brei. Keine gute Idee“, überlege ich nun hundemüde. Ein paar Hundert Meter die Straße hinunter entdecken wir ein Einkaufszentrum mit einem verwaisten, leeren Parkplatz. „Der Ort fühlt sich irgendwie nicht gut an. Hat eine unheimliche Energie“, spürt Tanja, worauf wir erneut weiterfahren. Der Uhrzeiger rückt auf die Zahl 22 vor, als ich bei starken Regen eine Parkbucht an einem See ansteuere. Mit einem 38. Tonner sind wir die Einzigen. „Hier bleiben wir“, entscheide ich wiederholt und drehe nun todmüde den Zündschlüssel. „Puh, was für ein Tag“, sagt Tanja die Fahrerkabine verlassend. Für mein Logbuch tippe ich noch die Koordinaten ins GPS, schreibe den Kilometerstand auf und folge Tanja…

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