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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Die Zeitbombe explodiert stückweise

N 28°39’50.0’’ E 103°50’21.9’’
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    Datum:
    08.04.2016

    Tag: 285

    Land:
    China

    Provinz:
    Sichuan

    Ort:
    Xinshizhen

    Breitengrad N:
    28°39’50.0’’

    Längengrad E:
    103°50’21.9’’

    Tageskilometer:
    50 km

    Gesamtkilometer:
    16.428 km

    Luftlinie:
    33.40 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    18.0 km/h

    Maximale Geschwindigkeit:
    52.7 km/h

    Fahrzeit:
    2:45 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Maximale Höhe:
    860 m

    Gesamthöhenmeter:
    29.028 m

    Höhenmeter für den Tag:
    820 m

    Sonnenaufgang:
    06:47 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:26 Uhr

    Temperatur Tag max:
    21°C

    Temperatur Tag min:
    17°C

    Aufbruch:
    08:20 Uhr

    Ankunftszeit:
    13:00 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Wie vom Wetterbericht vorhergesagt, empfängt uns heute ein nasser Morgen. Etwas wehmütig verlassen wir unsere angenehme Bleibe, um uns nach wenigen Kilometern, in von saftig grünen Bambuswäldern bewachsenen Bergen wieder zu finden. Da wir heute nicht wissen ob und wo wir abends nächtigen und vor allem wo wir unsere Akkus aufladen können, fühle ich mich etwas angespannt. Routinegemäß suchen meine Augen nach einem freien Flecken neben der Straße, auf dem wir unser Zelt aufschlagen könnten, jedoch scheint das in dieser Region nahezu unmöglich zu sein. Meist trennt uns ein betonierter Wassergraben vom tropfnassen Bambuswald über den wir unseren Roadtrain nicht heben können oder es geht links und rechts steil die Berge hoch. Wenn wir tatsächlich mal eine freie Fläche ausmachen, ist sie Gemüse bepflanzt.

Ohne es geplant zu haben, befinden wir uns in einem Bereich des Shunan-Bambuswaldes, der größte Bambuswald Chinas. Das Bambusmeer erstreckt sich hier über 500 Bergkuppen und besitzt eine Gesamtfläche von 120 Quadratkilometer. Wohin wir blicken wogen sich die biegsamen baumhohen Bambusse im Wind. Es ist ein bezaubernder Anblick der den Vormittag zu einem Highlight werden lässt. Die Straße schlängelt sich zwischen 500 und 900 Meter Höhe über die saftig grünen Bergzüge. Bei milden Temperaturen von maximal 21 Grad genießen wir die eigenwillige Landschaft. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt hier bei ca. 15,5 Grad und im Sommer wird es nicht wärmer als 30 Grad Celsius.

Unerwartet taucht mitten in der Bambuswaldwildnis ein im altchinesischen Baustil errichtetes Tor auf. Es ist der Eingang zu einem Nationalpark in dem man die verschiedensten Bambustypen bewundern kann. Wanderwege führen die Besucher durch die üppige subtropische Vegetation. Lange stehen wir vor dem Erklärungsschild und überlegen ob wir für ein paar Tage bleiben wollen, um die angepriesene wunderschöne Natur mit über 60 Bambusarten, seltene Tiere wie den Salamander und buddhistischen Tempel, in denen sich Mönchen seit Jahrhunderten zurückziehen, aufsuchen sollen. „Ich weiß nicht“, überlege ich, mit mir hadernd, der Versuchung nachzugeben hier zu verweilen. „Wir müssen 15 Kilometer in die Berge hoch fahren, um dort in einem teuren Hotel ein Zimmer zu bekommen. Bis wir da ankommen ist es später Nachmittag, also können wir erst morgen eine Wanderung unternehmen. Wir müssten demnach mindestens drei Nächte bleiben“, überlege ich. „Scheint schon toll zu sein“, gibt Tanja zu bedenken. Ich blicke auf die Wetter App im Smartphone. „Hm, sieht nicht gut aus. Morgen liegt die Regenwahrscheinlichkeit bei 90 Prozent. Da würden wir auf den nassen Pfaden nur herumrutschen. Abgesehen davon sollten wir langsam ein paar mehr Kilometer abspulen. Bis nach Vietnam sind es noch mindesten 1.500 km. Wenn wir da bis Ende Mai sein wollen darf nicht mehr all zu viel dazwischen kommen.“ „Okay, du hast recht, lass uns weiterfahren“, ist Tanja überzeugt.

Dann, nach einigen Steigungen, erreichen wir ihn, den Jangtsekiang, der längste Fluss Chinas der das Land in Nord und Südchina teilt und in dieser Region den Namen Jinsha Jiang trägt, was übersetzt Goldsandfluss heißt. Von seiner Quelle im Tanggula Shan, dem Hochland von Tibet, bis zur seiner Mündung im Ostchinesischem Meer bei Schanghai, legt der längste Fluss Asiens, nach dem Nil und Amazonas der drittlängste Fluss der Welt, 6.380 Kilometer zurück. Es ist ein erhabenes Gefühl neben der wichtigsten und kulturträchtigen Wasserader Chinas entlangzuradeln. Bis hierher hat dieser Strom bereits 3.450 km durch meist raues Land zurückgelegt. Unweit von hier, ab der Stadt Yibin, ist er bis zu seiner Mündung im Pazifik schiffbar. Hinter einem Tunnel halten wir an, um unsere Beleuchtung an den Rädern auszuschalten. Wir nutzen die Zeit, um den Blick auf den Jangtse zu genießen. Auch wenn er an dieser Stelle eher wie ein länglicher träger See aussieht und man keine Fließrichtung der Wassermassen erkennen kann, ist er ein äußerst gefährlicher Strom der für seine Flutkatastrophen, die alleine in den letzten 100 Jahren drei Millionen Menschen das Leben kosteten, berüchtigt. In den letzten Jahrzehnten kommt es immer häufiger zu massiven Überschwemmungen. In den sechs großen Überschwemmung seit dem Jahre 2000 vielen erneut tausende von Menschen dem Hochwasser zum Opfer. Gründe dafür liegen unter anderem im Landgewinn. So wurden immer mehr Seen trockengelegt, um Ackerland für die stetig wachsende Bevölkerung zu gewinnen, weshalb der Jangtse kaum noch natürliche Ausweichmöglichkeiten besitzt und nun noch mehr als früher Städte und Dörfer überschwemmt. Alleine in der Region Hubeo gab es bis zum Jahre 1949 noch etwa 1066 Seen. Durch die Trockenlegung sind davon nur noch 325 übriggeblieben.

Ein weiterer Grund liegt in der Abholzung von Wäldern die bislang große Mengen Regenwasser speicherten. Indes sollen Stauseen, die durch riesige Talsperren wie der 75 Mrd. US-Dollar teure Drei-Schluchten-Talsperre entstanden sind, das überschüssige Wasser aufnehmen und den unberechenbaren Jangtsekiang bändigen. Durch den Bau von Talsperren versucht man allerdings nicht nur das Hochwasserproblem in den Griff zu bekommen, sondern gewinnt auch Unmengen an Energie. Die Drei-Schluchten-Talsperre ist mit einer Generator-Leistung von 18,2 Gigawatt die bisher größte der Erde.

Ich stehe da und denke an die riesige Talsperre die 1.200 km flussabwärts die Wassermassen staut und an den katastrophalen Folgen für die Umwelt und dadurch auch für die betroffenen Bewohner der Region. Immer wenn wir Menschen in die Natur eingreifen folgt eine Art Echo. Bei gigantischen Eingriffen in die Natur folgt auch ein gigantisches Echo, welches sogar Erdbeben auslösen kann. Wegen des Gewichts der angestauten Wassermassen, so die Aussagen einiger Wissenschaftler, könnte tatsächlich ein Erdbeben ausgelöst werden. Dazu kommt noch, dass diese Staumauer in einem von Erdbeben gefährdeten Gebiet errichtet wurde. Sollte also ein Beben die 2.335 Meter lange und 180 Meter hohe Mauer beschädigen, wären Millionen von hinter der Staumauer lebenden Menschen gefährdet. Viele Kritiker dieses Bauwerks sprechen auch von der schnellen Versandung des Sees, weil jährlich Millionen von Tonnen an Treibsand und Sedimente angespült werden die nun durch die Staumauer im See hängen bleiben. Das bedeutet, dass der See langsam versandet und dadurch der gewonnene Stromertrag in wenigen Jahren enorm sinken wird. Es bedeutet aber auch, dass die Bewohner des unteren Jangtsekiang keinen natürlichen Dünger mehr für ihre Felder bekommen, womit die Ernte geringer ausfallen wird. Was wiederum zur Folge hat, dass der Mensch zwar Strom besitzt, aber am Ende nichts mehr zu beißen.

Alleine die Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt, mit der wir enger verbunden sind als viele Menschen glauben wollen, sind fatal. Man spricht davon, dass durch den Bau des Wasserkraftwerkes 2.862 Pflanzenarten und 335 Fischarten, wie zum Beispiel der Stör, vom Aussterben bedroht sind. Obendrein kommen weitere 22 Tierarten die auf der roten Liste aussterbender Tierarten vermerkt sind. Dazu gehören der dort lebende China-Alligator und der höchstwahrscheinlich bereits ausgestorbene Chinesische Flussdelphin.

Die Liste der negativen Folgen solcher brutalen Eingriffe in die Natur ist lang, ja bald endlos. Die wahrscheinliche Vergiftung des 663 Kilometer langen Stausees durch entstehendes Methangas der überschwemmten, langsam verrotteten Vegetation, scheint da nur ein kleiner Nebeneffekt zu sein. Es stellt sich vor allem die Frage wie lange es dauert, bis der Cocktail der Müllhalden und zurückgelassenen Gifte von 13 Städten und 657 überfluteten Fabriken hochgeht und das Wasser derart verseucht, dass diejenige die es trinken tot umfallen. Damit nicht genug. Die 150 Millionen Bewohner, die oberhalb der Drei-Schluchten-Talsperre leben, leiten mangels Mülldeponien ihren Abfall einfach in den Fluss, womit das Wasser schon stark belastet im künstlichen See ankommt. So wie es aussieht haben die Chinesen sich hier eine der teuersten Zeitbomben gebastelt die es je auf Erden gegeben hat.
Da der Norden Chinas, vor allem die Stadt Peking mit ihrem jährlichen Wasserverbrauch von 48 Milliarden m³, an massiven Wassermangel leidet, wird im sogenannten Süd-Nord-Wassertransferprojekt, welches sich in eine westliche, eine mittlere und eine östliche Route teilt, Wasser hauptsächlich aus dem Jangtsekiang oder seinen Nebenarmen in über 1.200 bis 1.400 Kilometer lange Kanäle in die Hauptstadt transferiert. Für das Wassertransferprojekt, von dem alleine die im Jahre 2014 fertig gestellte mittlere Route 66 Milliarden Euro gekostet hat, wurden 330.000 Menschen zwangsumgesiedelt. Auch hier sind die Folgen für die Natur unüberschaubar. Aber die wachsenden Städte Chinas brauchen Wasser um zu überleben, auch wenn es aus von Städten verseuchten Flüssen kommt.

Viele Länder haben bereits eingesehen, dass solche Projekte keinen Sinn ergeben. Die USA verkündeten sogar solche Megabauten nicht mehr zu realisieren, da die ökologischen Schäden unabsehbar und damit auf Dauer nicht finanzierbar sind. Mittlerweile muss die amerikanische Regierung Milliarden von Dollar ausgeben, um die entstehenden Schäden an vorhandene Stauseeprojekte beheben zu lassen. Leider wollte man davon in China nichts wissen.

Ganz im Gegenteil. Um die Zeitbombe zu verwirklichen wurden alleine wegen der Drei-Schluchten-Talsperre zwei Millionen Menschen zwangsumgesiedelt. Vielen von ihnen hat die Regierung bis heute nicht die versprochene Entschädigung bezahlt. Die Bauern des einstigen ertragreichen Schwemmlandes des Jangtsekiang versuchen nun an den hochgelegenen, kargen Berghängen ihr Gemüse anzubauen. Der Ertrag ist aufgrund des minderwertigen Bodens sehr schlecht. Der Aktivist Fu Xiancai, der die Missstände im ARD-Magazin Tagesthemen anprangerte, wurde danach brutal zusammengeschlagen, so dass er vom Hals abwärts gelähmt war. Nachdem die lokalen Behörden keine überlebensnotwendige Operation bezahlten, sprang die deutsche Botschaft ein, um dem Schwerverletzten zu helfen.

So wie es aussieht beginnt die Zeitbombe bereits schon jetzt stückweise zu explodieren. Denn im Oktober 2007 entschied die Regierung aus ökologischen Gründen weitere 4 Millionen Menschen umzusiedeln zu wollen.

Nichts desto trotz wird der Wahnsinn fortgesetzt. Bis zum Jahre 2020 plant Peking oberhalb der Drei-Schluchten-Talsperre 12 weiter Kraftwerke zu bauen. Der Grund: Die Talsperren sollen verhindern helfen, dass weniger von den tausenden von Tonnen angeschwemmten Sedimenten in den See der Drei-Schluchten-Talsperre gelangen, ihn letztendlich versanden lassen und den Druck auf die Staumauer erhöhen. Weitere Gründe sind die Stromgewinnung, Bewässerung der Felder, Schiffbarmachung und Hochwasserschutz. 13.000, der dort seit Jahrhunderten ansässigen Bauern, werden teils mit Gewalt von ihrem Land vertrieben. Angeblich bekommen sie für 674 Quadratmeter Land eine Entschädigung von 1.000 €. „Das reicht nicht aus“, sagen die Betroffenen, da das Geld nicht genügt, um neues Land urbar machen zu können. Wenn sie sich dagegen wehren oder protestieren laufen sie Gefahr verhaftet zu werden. Wegen des unterentwickelten Rechtssystems in China haben einfache Menschen keine Chance auf eine Anhörung oder einem Einspruch auf zu niedrige oder keine Entschädigungszahlungen. Erwähnenswert ist sicherlich noch, dass bei solchen Mammutprojekten die wirtschaftlichen Interessen vieler Länder eine gewichtige Rolle spielen. So hat die deutsche Regierung eine Milliardenbürgschaft für Siemens übernommen die wiederum die Generatoren und Transformatoren lieferten. Die Investmentbank Morgan Stanley und die kanadische Regierung gehören zu den wichtigsten Investoren. Aber auch das chinesische Volk muss durch eine Sondersteuer ihren Teil zur Finanzierung beitragen.

„Lass und weiterfahren!“, ruft Tanja mich auch meinen destruktiven Gedanken reißende. „Okay“, antworte ich, gehe zu meinem E-Bike zurück, steige in den Sattel und lass die Pedale rotieren. Ein vier Kilometer langer Tunnel schenkt uns den Luxus nicht über den hohen Pass fahren zu müssen. Anfänglich freuen wir uns darüber, doch in seinem Inneren ist die Luft derart abgasverseucht, dass uns das Atmen schwer fällt. Kaum spuckt uns die dunkle Röhre auf der anderen Seite aus, sehen wir schon wieder ein gähnendes schwarze Loch vor uns. Direkt davor befindet sich ein Markt auf dem reges Treiben herrscht. Eine matschige, regenasse Straße führt nur 50 Meter vor dem Tunnel nach links. Auf dem dortigen Berghang haben die typischen hässlichen, mehrstöckigen Wohnbauten die einst schön anzusehenden Bauernhäuser verdrängt. „Ob es dort ein Hotel gibt?“, fragt Tanja zweifelnd. „Lass es uns versuchen“, antworte ich und trete mein Ross über den Schlamm in die chinesische Siedlung namens Xinshizhen. „Binguan dsai na-li?“, (Wo ist das Hotel?) frage ich ein paar junge Frauen und hoffe nicht wieder Nüsse zu erhalten. Eine der Teenager gibt uns zu verstehen dort anzurufen. „In dem Kaff scheint es tatsächlich eine Übernachtungsmöglichkeit zu geben“, sage ich Tanja zuversichtlich anlachend. „Deng“, (warten) glaube ich zu verstehen. Es dauert nur fünf Minuten da knattert ein Mann auf seinem Moped heran und fordert uns auf ihm zu folgen. „Xie xie“, bedanke ich mich bei dem Mädchen. Dann fahren wir dem Chinesen hinterher. Mit seinem Gefährt lärmt er einen sehr steilen Berg hoch. Wir schalten in den ersten Gang und hecheln ebenfalls in die Höhe. Oben angekommen stehen wir tatsächlich vor einem einfachen Hotel mit sauberen Zimmern. Unsere Räder dürfen diesmal in einem Lampenladen nächtigen. Nachdem wir sie abgedeckt haben und die Ausrüstung im Zimmer ist, suchen wir eine der vielen einfachen chinesischen Straßenrestaurants auf und befriedigen für 7 Yuan ( 0,95 €) unsere knurrenden Mägen mit einer leckeren Nudelsuppe…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

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