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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Die verrückte Idee, unter dem kosmischen Aurorastreifen zu biken

N 69°27’24.4’’ E 017°20’50.7’’
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    Datum:
    18.10.2020 bis 20.10.2020

    Tag: 077 – 079

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Senja Steinfjord

    Gesamtkilometer:
    7422 km

    Sonnenaufgang:
    08:05 Uhr bis 08:13

    Sonnenuntergang:
    17:10 bis 16:57

    Temperatur Tag max:

    Temperatur Nacht min:
    -3°

 

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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Am Morgen schleicht die Sonne bei blauem Himmel über den östlich von uns gelegenen Bergrücken und legt ihr warmes Licht auf die westlich von uns gelegene Bergflanke. Umso höher sie steigt, desto weiter wandern die Strahlen ins Tal, bis sie langsam fast wie in Zeitlupe den Fjord erhellen. Wir frühstücken, sehen aus dem Fenster und schauen uns im einvernehmlichen Schweigen den Panoramafilm an, mit dem uns Mutter Erde beschenkt. „Was hältst du davon, wenn wir heute Nacht unter dem kosmischen Tanz der Polarlichter eine Runde mit den Bikes drehen“, fragt Tanja. „Hm, eine interessante Idee. Wird aber eine frostige Angelegenheit“, gebe ich zu bedenken. „Schon, aber ich glaube, es würde mich glücklich machen. Wer ist schon mal in der Nacht an einem Strand entlanggefahren, während über ihm die Nordlichter am Sternenhimmel leuchten?“ „Stimmt, das hat was. So eine Situation gibt es ganz bestimmt nicht oft. Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist das mit einem Sechser im Lotto vergleichbar“, beginne ich mich für Tanjas Idee zu begeistern.

Wir lassen den ersten Tag an unserer Traumlocation langsam angehen. Während Tanja mit Ajaci am Strand spazieren geht und die Ruhe und die salzige Luft genießt, spiele ich die Bilder von gestern Nacht in den Laptop ein, bearbeite sie und versehe sie mit den dazugehörigen Bildunterschriften. Auf diese Weise bin ich später in der Lage, mit nur wenigen Klicks die passenden Aufnahmen zu unseren Erlebnissen im Archiv zu finden. Während einer Reise erweitert sich unser umfangreiches Bildarchiv um 100 manchmal 200 Fotos am Tag, sodass mittlerweile ca. 250.000 Aufnahmen aus zahlreichen Ländern vorliegen. Alleine das Aufrechterhalten und die Aktualisierung nimmt enorm viel Zeit in Anspruch. Dazu kommen noch die täglichen Kurzaufzeichnungen unserer Erlebnisse. Nach spätestens drei oder vier Tagen versuchen wir einen Ort wie diesen zu finden, um das gesammelte Material, unsere gemachten Erfahrungen, Begegnungen, Ereignisse und Abenteuer in Worte, Zeilen und am Ende vielleicht sogar in einem Buch festzuhalten. Als Botschafter von Mutter Erde ist uns diese Dokumentationsarbeit wichtig, denn wenn wir sie schon während einer Reise oder Expedition durchführen, ist sie authentisch, ehrlich, und unverfälscht. Vor allem sind unsere Emotionen, unsere augenblicklichen Gemütsbewegungen, Ängste oder Glücksgefühle absolut real, weil wir sie im Augenblick des Niederschreibens fühlen.

Am Nachmittag, als das Tageslicht zunehmend schwächer wird und die Kälte von den steilen, rauen Bergflanken zu uns herunter wandert, hole ich unsere Bikes aus der Fahrradgarage und mache sie für unseren nächtlich Auroratrip fertig. Dabei hoffe ich, dass unser Vorhaben auch wirklich klappt, da die Aurora nicht grundsätzlich erscheint und abhängig davon ist, ob der Himmel wolkenverhangen ist und ob auch heute Nacht die Elektronen des Sonnenwindes auf Moleküle der Atmosphäre treffen und es zu dem Energieaustausch kommt, der für die Polarlichter verantwortlich ist.

Um 20:00 Uhr blicken wir aufgeregt aus dem großen Panoramafenster in den schwarzen Himmel. „Nichts“, sage ich ein wenig enttäuscht. „Ist noch recht früh. Meist erscheinen die Nordlichter doch viel später“, sagt Tanja. „Ja, das ist richtig. Warten wir einfach“, antworte ich weiter an der Bildbeschriftung arbeitend. Um 23:00 Uhr ist am Firmament noch keine Spur von den Nordlichtern zu entdecken. „Uhhhaaa“, gähnt Tanja müde. „Ich glaube, das wird nichts mehr. Vielleicht haben wir morgen mehr Glück“, hofft sie sich fürs Bett fertigmachend. „Wenn der Wetterbericht stimmt, soll es in den kommenden Tagen stürmen und eventuell sogar schneien. Dann ist es mit Polarlichtern erst mal vorbei. Ich halte noch ein wenig die Stellung und wecke dich, wenn ich etwas entdecke“, sage ich noch immer hoffnungsvoll. Um 24:00 Uhr fallen auch mir die Augen zu, weshalb ich zu Tanja ins Bett krabbele.

Huuuiiiii! Huuuiiii! Huuuiiii!, heult ein mächtiger Sturm um unsere Terra Love und lässt sie fürchterlich erzittern. Es kracht, wimmert und stöhnt und als eine weitere gewaltige Böe auf unser Expeditionsfahrzeug trifft, kippt sie wie ein gefällter Baum auf die Seite. „Uuuaaahhh“, brülle ich voller Panik und wache auf. „Was ist denn?“, fragt Tanja erschrocken. „Ich hatte einen furchtbaren Albtraum“, antworte ich noch immer ganz befangen. Es ist 1:30 Uhr in der Nacht. Durch meinen Traum jetzt hellwach blicke ich aus dem Fenster. „Da ist sie“, sage ich leise. „Aurora?“, höre ich eine noch leisere Stimme neben mir. „Ja.“ „Willst du erst mal nachsehen, ob es einen Sinn macht, mitten in der Nacht raus zu gehen?“ „Es war deine Idee unter den Nordlichtern mit den Bikes eine Runde zu drehen“, antworte ich, weil es nicht schwerfällt, Tanjas Unmut und Lustlosigkeit zu vernehmen. „Was für eine Schnapsidee mitten in der Nacht in die Kälte zu gehen, nur um mit den Bikes sinnlos herumzufahren“, antwortet sie sich die Decke über den Kopf ziehend. Nun schon mal wach, klettere ich aus dem Bett, ziehe mich an und gehe mit Ajaci nach draußen. Kaum am Strand angelangt, verschwinden die Polarlichter wieder. Ich bin gerade im Begriff, mich nach drinnen zu verziehen, als hinter der westlich von mir befindlichen Bergflanke ein grünes Licht erstrahlt. Wie angewurzelt verharre ich, als könnte die kleinste meiner Bewegungen das Licht erschrecken und vertreiben. „Wow!“, staune ich, nachdem sich das stärker werdende Licht zu einer heftigen Aurora steigert und den Eindruck vermittelt, als wäre der dunkle Berg ein erkalteter Vulkan aus dem unaufhörlich bunten Flammen sprühen. „Mach schnell!“, rufe ich wieder in der Terra. „Da draußen ziehen gerade phänomenale Polarlichter auf!“. „Hmmm“, höre ich ein unwilliges Brummen. „Jetzt komm schon! Das ist der Hammer!“, lasse ich nicht locker, worauf sich Tanja wie in Zeitlupe erhebt und mit aller Kraft bemüht für die kalte Nacht fertig zu machen. Zehn Minuten später steht sie neben mir am Strand. „Und wo sind sie?“, fragt Tanja sichtlich enttäuscht. „Weiß nicht. Gerade waren sie noch da“, antworte ich etwas kleinlaut. „Hmmm“, höre ich ein erneutes Brummeln. Auf dem Weg zurück zu Terra scheint der imaginäre, erkaltete Vulkan urplötzlich zum Leben zu erwachen, indem er einen kosmischen Lichterbogen ausspuckt, der sich über die gesamte Bucht des Steinfjords wölbt und hinter der anderen, östlich von uns gelegenen Bergflanke verschwindet. „Danke“, flüstert Tanja neben mir. „Für was?“ „Das du hartnäckig geblieben bist und mich aus den Federn geholt hast. Die Nordlichter sind der absolute Überhammer. Einfach unfassbar schön.“ „Das sind sie“, bestätige ich. „Wollen wir jetzt unseren geplanten Auroratrip unternehmen?“, frage ich erwartungsvoll. „Auf jeden Fall“, antwortet Tanja überzeugt, ihre Müdigkeit völlig abgestreift zu haben. Um keine Zeit zu verlieren, machen wir uns in Windeseile für unseren verrückten kleinen Ausflug fertig. „Bereit!“, rufe ich, um die auf den Strand platschenden Wellen zu übertönen. „Bereit!“, antwortet es neben mir euphorisch. „Wooouuu!“, jault Ajaci begeistert unsere Aufregung spürend. Nur zwei Meter neben den auf den Sandstrand ausrollenden Wellen setzen sich unsere E-Bikes in Bewegung. Über unseren Köpfen wölbt sich der grünglühende sich wie eine Riesenschlange ständig hin und herbewegende Bogen. Wie Sandkörner betupfen Milliarden von weißen Punkten das Himmelsgewölbe. Ein kühler Luftzug streicht über die Bucht und verfängt sich leise heulend in unseren Helmen. „Lass uns bis zum Ende des Strandes fahren!“, schlage ich vor. Wenige Minuten später endet der Strand an einer schwarzen, senkrecht in den Nachthimmel ragenden Felswand. Wir halten an, bestaunen die tanzenden Nordlichter über unseren Köpfen und realisieren, was wir in dieser abgelegenen Bucht auf der Insel Senja gerade erleben dürfen. Wom! Dong! Dong! Dong!, dröhnt es auf einmal unweit von uns. „Was war das?“, fragt Tanja nervös. „Glaube, da ist ein Steinbrocken aus der Felswand gebrochen und heruntergefallen.“ „Das klang richtig bedrohlich.“ „Absolut. Lass uns wieder zurückfahren“, schlage ich vor, um so schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich zu gelangen. Unter dem fremdartigen grünen Licht und den unzähligen Sternen rauschen wir den Strand entlang. Vor uns erstrahlt jetzt das voll illuminiert kleine Dörfchen, das am Fuße der steilen Ostflanke kauert. Selbst zu dieser fortgeschrittenen Stunde ist nahezu jedes Fenster der Holzhäuser beleuchtet und spiegelt sich auf dem Wasser der ruhigen See. Strom kostet in Norwegen wenig, weshalb sich die Einheimischen den Luxus erlauben können, ihr Anwesen die gesamte Nacht mit künstlicher Energie zu erhellen. Wieder bei der Terra Love legen wir unsere Räder in den Sand und sperren sie ab. „Hier gibt es keine Diebe“, sage ich. „Egal sicher ist sicher“, antwortet Tanja. Beglückt steigen wir in die beheizte Kabine und während unsere kalten Glieder wieder auftauen, unterhalten wir uns angeregt. „Was für ein unvergessliches Erlebnis“, schwärmt Tanja. „Ja die Mühe hat sich ausgezahlt. Ich bin froh, von meinem Albtraum geweckt worden zu sein, ansonsten hätten wir diese Erfahrung nicht gemacht.“ „Und ich bin froh, dass du mich geweckt hast. Vielen Dank noch mal. Dieses Highlight wird für immer in meiner Erinnerung bleiben.“…

 

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