Der unheimlich aussehende enge Gang
Temperatur - Tag (Maximum):
ca. 32 Grad
Anna Plains Station — 30.04.2001
Schon um 7 Uhr klopft es an die Tür. Es ist Luke. „Ich wollte euch bloß schnell sagen, dass ich euch trotz meiner Entlassung helfe die anderen Kamele zu holen,“ berichtet er. Ich habe mit John gesprochen, er hat nichts dagegen. Wenn es euch recht ist können wir in einer Stunde aufbrechen.“ Wie sooft auf dieser Reise sind wir erleichtert. Unsere Gefühle katapultiert es rauf und runter, aber das ist ein wesentlicher Bestandteil solcher Unternehmungen.
Bevor wir wieder aufbrechen sprechen wir noch schnell mit John. Er ist wie immer äußerst freundlich und liebenswert. Da er für eine Woche nach Jakarta fliegt, um seine Rinder zu verkaufen, gibt er Tanja seinen gesamten frischen Salat aus dem Kühlschrank. „Es würde in meiner Abwesenheit verderben. Ich denke ihr könnt es gut gebrauchen,“ meint er freundlich lachend. Wir verabschieden uns von unserem Gastgeber und machen uns auf, um wieder nach Rockys zu fahren. Luke und ich bauen die beweglichen Gatter um und sorgen dafür das die zwei Neuen und Hardie nicht viel Spielraum besitzen um sich in einer Ecke zu verdrücken. Dann klettere ich über die Einzäunung, schnappe Hardie am Halfter, doch ehe ich mich versehe reißt er seinen Kopf weg und versteckt sich zwischen den beiden Neuen. Hardie hat uns schon öfter Schwierigkeiten bereitet, vor allem dann wenn er für eine Weile die große Freiheit schnuppern konnte. Erst wenige Wochen bevor wir auf der letzten Etappe den Indischen Ozean erreicht hatten ist er einfach abgehauen. Nur mit viel Tricks und noch mehr Geduld konnten wir ihn wieder einfangen. „Oh Hardie, klar das du wieder eine Extrawurst spielen willst,“ fluche ich leise. Dann nehme ich eine Seil, werfe es einfach über seinen Nacken und da er weiß das es ab diesen Moment nur eine Frage der Zeit ist bis ich ihn am Halfter greife, gibt er gleich auf und streckt mir seinen behaarten Kopf entgegen. Ich klicke die Führungsleine ein, befestige die Nasenleine an seinem Nasenpflock und führe ihn auf den Anhänger. Hardie folgt mir als wäre er zum großen Frühstücksbuffet eingeladen. Da wir die zwei wilden Kamele nicht hinsetzen lassen können, entscheiden wir uns Hardie ebenfalls stehen zu lassen. Im Regelfall ist es besser wenn Kamele im sitzen transportiert werden, aber in diesem Fall ist besitzen wir keine andere Möglichkeit als sie im Stehen zu befördern.
Luke, Tanja und ich versuchen nun die zwei Neuen dazu zu bewegen, dass sie von selbst auf den Anhänger laufen. Wir schieben die beweglichen Gatter noch enger zusammen, wodurch ihnen nur noch die Flucht nach vorne übrig bleibt. Geschwind begreifen sie das ihrem Kumpel Hardie auf dem Anhänger nichts geschieht und steigen in das Gefährt als würden sie es jeden Tag tun. „Schnell, lass uns die Laderampe schließen bevor sie es sich wieder anders überlegen!“ ,ruft Luke. Wir klettern über das Gatter und heben das schwere eiserne Tor hoch. Luke legt den Riegel darüber und die Drei sind gefangen. „Das war viel leichter als ich dachte,“ jubiliere ich und klopfe Luke auf die Schulter. „Da sie jetzt schon auf so engen Raum gefangen sind lass uns doch gleich versuchen ihnen die Halfter überzustreifen,“ schlage ich vor. „Okay,“ antwortet Luke und klettert auf das Gittergestellt des Anhängers. Während ich sie nur durch meine Anwesenheit von meiner Seite fern halte, fängt Luke den Kopf des einen mit dem Lasso. Er zieht das nervöse Tier leicht zu sich, doch kaum bemerkt er den Halfter, den Luke in seiner freien Hand hält, reißt er die Augen auf und seinen Kopf nach hinten. Nach einer halben Stunde geben wir auf und entscheiden uns diese Arbeit erst dann zu beginnen wenn die Kamele sich ein zwei Tage an ihr neues Zuhause auf Anna Plains gewöhnt haben.
Die Rückfahrt ist diesmal problemlos. Wieder sind Hardie und die zwei Neuen schnell entladen. Stolz auf unsere Tiere stehen wir nun an der Pferdekoppel und sehen ihnen zu wie sie sich wieder zusammenfinden und gegenseitig beschnuppern. John Stoat hat uns hier die erdenklich besten Möglichkeiten gegeben, um unsere Tiere zu trainieren und auf den langen Trip vorzubereiten. Neben zwei großen, von einander räumlich völlig getrennten Pferdekoppeln in sehr gutem Zustand, gibt es noch fünf weitere kleinere Einzäunungen die wir wahrscheinlich kaum nutzen werden. Das Perfekte an den großen Pferdekoppeln ist, dass sie mit einem Gang verbunden sind der auf mindestens acht Meter nur einen Meter breit und ca. 2 ½ Meter hoch ist. „Wir werden die Kamele in der linken Koppel an der Scheune füttern und die andere benutzen wir als Trainings und Freizeitgehege. Wenn sie fressen wollen müssen sie zu durch den schmalen Gang gehen,“ plaudere ich vor mich hin. Tanja nickt. „Meinst du das sie da durch laufen werden?“ „Bestimmt, Futter treibt sie überall hindurch.“
Unser Plan ist nun den Tieren ein zwei Tage Zeit zu geben bis sie sich an ihre neue Umgebung gewöhnt und Vertrauen gefasst haben. Dann, wenn sie bemerken das ihnen nichts geschieht und sie durch den Verbindungsgang hin und her wandern, werden wir darauf warten bis einer der Neuen durch läuft. Da derjenige der einmal diese Pferdeeinzäunungen gebaut hat, offensichtlich etwas von seinem Job verstand, befinden sich an der einen Seite des Durchganges ein Tor und auf der anderen Seite kann man ihn mit Rundbalken blockieren. „Wir müssen nur schnell sein, dann ist es überhaupt kein Problem einen der Neuen dort zu fangen. Er kann sich darin nicht drehen. Für ihn gibt es nur die Möglichkeit ein paar Meter nach vorne zu laufen oder rückwärts zu gehen. Das ist unser Moment, um ihn dann den Halfter anzulegen. Was hältst du davon?“ ,frage ich Tanja. „Gute Idee. Das könnte funktionieren,“ antwortet sie und besieht sich den Gang der wie eine Schleuse von Gatter zu Gatter auf mich wirkt.
Später beginne ich meine Idee in die Tat umzusetzen und lege Heu in das Gehege neben der Scheune. Unsere Tiere befinden sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in der Freizeit und Trainingskoppel. „Tuckertiiime! Tuckertiiime! Tuckertiiime!“ ,rufen wir und es dauert nur Augenblicke bis Istan durch die schmale Verbindung in den Speiseraum läuft. Sebastian hat wie immer panische Angst vor dem engen Gang und bleibt davor stehen. Ich nehme mir eine Führungsleine und ziehe ihn langsam und ruhig zuredend durch. Goola, Jafar und Hardie folgen ihren Kameraden, nur die zwei Neuen stehen da und betrachten den Durchgang mit großen skeptischen Augen. In der Zwischenzeit fressen die anderen am leckeren Heu. Immer wieder kucken die Neuen durch die Holzbalken. Es dauert geschlagene 1 ½ Stunden, als einer von beiden entscheidet, dass es wichtiger ist dem knurrenden Magen nachzugeben, als vor Angst zu verhungern. Vorsichtig wagt er sich durch die Schleuse. In der Mitte angekommen bekommt er es doch mit der Angst zu tun und rast die restlichen Meter im Galopp, aber er ist durch. Schnell läuft auch er jetzt zum Futternapf. Wenig später fühlt sich der andere alleine und nimmt all seine Mut zusammen das große Abenteuer zu wagen durch den für ihn schrecklich aussehenden Engpass zu rennen. Der Überlebensinstinkt hat gesiegt. Tanja und ich triumphieren in die Hände schlagend und sind uns sicher das wir es schaffen werden die zwei Neuen zu hochwertigen Expeditionspartner trainieren zu können. „Was hältst du davon den dunkleren von beiden, der Ähnlichkeit mit Istan hat, Jasper zu nennen und den anderen Edgar?“ ,fragt Tanja mich als wir auf dem Zaun sitzen und unseren 7 Jungs beim Fressen zusehen. „Sind schöne Namen, aber wie kommst du auf Edgar?“ Na ja, sie kommen doch von der Gegend Mount Edgar, da habe ich mir gedacht das uns Edgar immer daran erinnert wo er herkommt. „Hmm, eine gute Idee,“ antworte ich und sehe dem rotglühenden, überdimensionalgroßen Sonnenball entgegen der gerade über dem Indischen Ozean untergeht.