David und Goliath und Sturm
N 27°04’05.3’’ E 102°45’02.3’’Datum:
09.05.2016 bis 10.05.2016
Tag: 317 – 318
Land:
China
Provinz:
Sichuan
Ort:
Ningnan
Breitengrad N:
27°04’05.3’’
Längengrad E:
102°45’02.3’’
Tageskilometer:
125 km
Gesamtkilometer:
16.649 km
Luftlinie:
104 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
15.9 km/h
Maximale Geschwindigkeit:
52.7 km/h
Fahrzeit:
07:32 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Schotter Piste
Maximale Höhe:
2.600
Gesamthöhenmeter:
34.245 m
Höhenmeter für den Tag:
1.957
Sonnenaufgang:
06:24 Uhr – 06:24 Uhr
Sonnenuntergang:
19:45 Uhr – 19:46 Uhr
Temperatur Tag max:
34°C
Temperatur Tag min:
20°C
Aufbruch:
7:00 Uhr
Ankunftszeit:
20:20 Uhr
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Weil heute mit über 125 km wieder ein langer Tag vor uns liegt, stehen wir um 5:00 Uhr auf und sitzen bereits um 7:00 Uhr auf unseren Rädern. Wir sind guter Dinge, obwohl wir noch immer unter dieser hartnäckigen chinesischen Erkältung leiden. Die Sonne erwärmt den frühen Morgen und ein nahezu wolkenloser, blauer Himmel stimmt uns gut gelaunt. Wir radeln am Ufer des Qionghai Sees entlang. Sein verheißungsvolles blaues Wasser lockt nach einem geruhsamen Tag der Erholung. Doch leider haben wir dafür keine Zeit. „Ob wir heute wieder so einen hohen Pass überqueren müssen wie bei der Herfahrt?“, fragt Tanja. „Glaube ich nicht. Nach der Landkarte zu schließen müssten wir auf den Heshui River treffen und was ich herauslesen konnte müssen wir dem Lauf des Flusses folgen. Deshalb geht es bestimmt nicht wieder in die Berge“, vermute ich. Kaum sind die Sätze aus meinen Mund geflossen führt die Straße bergauf. Der See bleibt langsam zurück obwohl wir ihn von oben noch einige Zeit im Tal liegen sehen. „Bestimmt windet sich die Straße nur um den Berg dort vorne herum und führt dann wieder nach unten“, sage ich, um Tanja ein wenig zu beruhigen. Doch auch diesmal täusche ich mich. Kaum sind wir um die langgezogene Kurve gestrampelt, schlängelt sich die Fahrbahn in Serpentinen weiter nach oben. Noch dazu kündigen Staubwolken das Ende des wunderschönen Asphalts an. Nur ein paar hundert Meter weiter arbeiten sich unsere Reifen über eine Schotter- und Lehmpiste, die wie ein Schweizer Käse mit unzähligen Löchern und tiefen Mulden durchbohrt ist. Um 8:00 Uhr ist es bereits sehr warm. Immer wieder sind wir gezwungen Verschnaufpausen einzulegen. Wegen der plötzlich einsetzenden Hitze leidet Tanja unter Kreislaufstörungen. Immer wieder müssen wir anhalten bis sich ihr Schwindelt gelegt hat. „Haben wir etwas gegen labilen Kreislauf in unserer Reiseapotheke?“, frage ich besorgt. „Glaube nicht“, vernehme ich. „Halt bloß rechtzeitig an. Ich möchte dich nicht von der Straße kratzen müssen“, ermahne ich sie und frage mich wie wir unter diesen Umständen 125 Kilometer Schotterpisten über das Daliang Gebirge hinter uns bringen sollen.
Um 9:00 Uhr ist es mit 34 Grad im Schatten heiß. Staub hat sich in unsere Kleidung gefressen und so wie es aussieht sind wir erneut Opfer einer sich im Bau befindlichen Passstraße. „Wie geht’s dir?“, frage ich Tanja, die mit hochrotem Kopf neben mir anhält. „Geht schon“, schnauft sie. „Du solltest eine Banane essen. Vielleicht hilft der Fruchtzucker ein wenig“, überlege ich, weshalb wir wieder einen Erholungsstopp einlegen. Nach 10 Minuten strampeln wir weiter gen Himmel. Links und rechts von uns hängen Bauarbeiter an Seilen gesichert in den steilen Bergflanken. Mit großem Aufwand und unter dem Einsatz ihres Lebens überziehen sie die Geröll- und Felswände mit einem Geflecht aus Stahl, um später flüssigen Beton darauf zu spritzen. Auf diese Weise werden in Zukunft die Autofahrer vor herabstürzenden Felsen und Steinen geschützt.
Plötzlich wird die Piste so steil, dass sie nur noch im ersten Gang zu bewältigen ist. Ich trete mein Ross zu einer Stelle, an der ich es auf den Ständer stellen kann, und eile zu der Steilkehre zurück, um Tanja Anweisungen zuzurufen. Ich komme gerade rechtzeitig. „Fahr einen großen Bogen und schalte erst in den dritten und dann gleich in den ersten Gang!“, rufe ich ihr zu. Tanja nimmt die Kehre wie geheißen, schaltet in den Dritten und dann gleich in den Ersten, um die Steigung zu nehmen. Ihre Kraft reicht allerdings nicht aus und ihr schweres Rad kommt an der kritischen, steilsten Stelle zum stehen. Geistesgegenwärtig zieht sie beide Bremsen, doch das Rad beginnt rückwärts zu rutschen. Sofort stehe ich zur Stelle und helfe ihr das Bike zu halten. „Steig bitte ab. Ich versuche es für dich rauf zu fahren“, sage ich. „Das schaffst du nie“, meint Tanja. „Doch, du musst nur kräftig schieben“, entgegne ich. Nachdem ich nun am Lenker stehe und Tanja sich hinterm Anhänger positioniert hat, schnaufe ich ein paar Mal kräftig durch. „Ich gebe das Kommando“, sage ich. „Okay“. „Jetzt!“, rufe ich, schalte die zuverlässige Rohloff in den ersten Gang und trete kräftig in die Pedale. Als hätte ich einem Pferd die Sporen gegeben, steigt das Vorderrad in die Höhe. Mein linkes Knie schlägt gegen die Mittelstange. Der Schmerz schießt ins Gehirn, trotzdem trete ich wie ein Irrer weiter, während Tanja mit all ihrer Kraft schiebt. Dann haben wir es gemeinsam geschafft die kritische Stelle zu überwinden. Als würde meine Lunge kollabieren japse ich, um mich von der Anstrengung zu erholen. Tanja stützt sich mit beiden Händen auf den Hänger und keucht ebenfalls wie eine Dampflok. Weil der weitere Anstieg steil bleibt fahre ich nun immer im Wechsel ein Rad nach dem anderen in die Höhe. Ein teures Allradfahrzeug hupt. Ohne die geringste Rücksicht zu nehmen schießt er knapp an mir vorbei. Ich gerade ins Straucheln. Der Vorderreifen rollt langsam über einen faustgroßen Felsbrocken. Zu langsam. Das Rad kippt. Um nicht auf die Seite zu knallen springe ich aus dem Sattel und lande mit beiden Füßen neben meinem im Dreck liegenden Riese und Müller. Tanja kommt angerannt. „Ist dir was passiert?“ „Nein, alles okay. Hoffe das Bike ist unversehrt“, antworte ich. Gemeinsam stemmen wir es wieder in die Senkrechte. Nach der ersten Inspektion ist nur die Halterung für den Bordcomputer verbogen. Ich biege sie wieder gerade, steige auf und strample weiter nach oben.
Bis zum Scheitelpunkt sind es nur noch 50 Meter als ich im Augenwinkel bemerke wie ein Bus im Begriff ist sich die löchrige Piste hinunterrollen zu lassen. Wenn der Fahrer dort oben nur zwei Minuten warten würde wäre ich an ihm vorbei. Aber dem scheint es egal zu sein ob er mich in wenigen Augenblicken zermalmen wird. In mir explodieren Urkräfte. Ich lenke mein Gefährt in die Mitte der Piste und trete dem Bus entgegen. Die einzige Taktik, damit er mich beim Vorbeifahren nicht an der Geröllwand zu meiner Linken zerreibt oder in die hundert Meter tiefe Schlucht zu meiner Rechten stürzen lässt. Stoisch fahre ich weiter und bleibe auf Frontalkurs. Für ein Ausweichen gibt es hier keinen Platz. „Was hat sich dieser Idiot nur dabei gedacht?“, geht es mir durch den Kopf. Tanja schreit hinter mir. Sie steht beim anderen Rad. Als unsere ungleichen Fahrzeuge nur noch drei Meter von einander entfernt sind bremst der Bus. Gut soweit. Zumindest hat er mich nicht umgebracht. Da es nun auch für mich nicht mehr weitergeht stoppe ich ebenfalls und brülle den Busfahrer an. Der lacht. Auch seine Beifahrerin lacht. Der Fahrer gibt Zeichen. „Fahr zur Seite!“, ruft er und wedelt mit seiner Hand in Richtung Abgrund. „Da ist aber kein Platz.“ Ich schüttle den Kopf. Sage ihm er soll die zwanzig Meter wieder zurückrangieren. Er verneint. Das Rad mit Hänger den Anstieg rückwärts runterrollen lassen ist ebenfalls unmöglich. So stehen sich jetzt David und Goliath gegenüber. Mir ist klar, sobald ich nachgebe bin ich verloren. Der Bus würde sich an mir vorbeidrücken und mich dabei in den Abgrund stoßen. In China wäre somit die Schuldfrage geklärt, denn nach dem was ich erfahren habe, ist immer nur derjenige Schuld, der hinten drauf fährt. Wenn ein Radfahrer tot im Abgrund liegt war es sicherlich nicht der Busfahrer. Zudem würde man nicht mal einen Kratzer an dem verrosteten Blechhaufen nachweißen können. Abgesehen davon ist mir die Schuldfrage in diesem Fall so wie so egal. Hauptsache wir kommen hier unbeschadet raus. Die Beifahrerin steigt, noch immer lachend, aus dem Blechkasten, und möchte mich zur Abgrundseite kommandieren. „Meo“, bleibe ich hart, weil dort zwar mit knapper Not mein Rad vorbeipassen könnte, aber niemals der Anhänger. Endlich legt der Fahrer den Rückwärtsgang ein und fährt ein paar Meter zurück. Er drückt seinen vollbesetzten Personenbus knapp an die Geröllwand. Auf diese Weise wird eine schmale Passage an der Abgrundseite frei. Ich schüttle erneut den Kopf. „Zu schmal!“, rufe ich. „Meiwentí“, (kein Problem) sagt die Beifahrerin. Ich nehme noch mal Augenmaß und komme zu dem Schluss, dass es klappen könnte. Die Beifahrerin schiebt nun am Hänger, während ich versuche das Vorderrad auf der Piste zu halten. Es holpert über festgefahrene Erdkrumen, Steinbrocken und durch Löcher. Mit Mühe hindere ich den Reifen daran nicht zu weit nach rechts zu driften. Dorthin wo die Tiefe mich angähnt. Schweißperlen rollen mir die Stirn herunter und brennen in den Augen. Zwei Minuten später stehe ich mit leicht wackeligen Knien wohlbehalten hinter dem Reisebus. Schnell stelle ich meinen Roadtrain auf den Ständer und eile den Berg hinunter, um Tanjas Rad zu holen. Sie hat es indes mit der Beifahrerin zum kritischen Bereich vor dem Bus geschoben. Kaum sind unsere E-Bikes hinter dem Autobus in Sicherheit gebracht, dröhnt der Motor auf. Eine schwarze Dieselwolke hustet uns aus dem vom Rost zerfressenem Auspuff entgegen, bis das Vehikel bergabwärts verschwindet. Wir verschnaufen erstmal und trinken einen Liter Wasser. Mittlerweile rumpeln zahllose Autos und Lastwägen die Piste hinauf. Ein Straßenarbeiter, den wir anscheinend während der Auffahrt nicht bemerkten, muss die einspurige Piste unter uns für den Bergaufverkehr freigegeben haben. Die Staub- und Dreckwolke der vorbeidonnernden Fahrzeuge nimmt uns die Sicht. Wir ziehen unsere Atemschutzmasken an und fahren weiter bis wir in 2.600 Meter den höchsten Punkt des Passes erreichen.
Ab jetzt geht es durch ein wunderschönes Hochtal. Reisterassen säumen die Bergflanken. Bauern pflügen mit Wasserbüffeln durch ihre Reisfelder. Frauen stehen barfüßig im Wasser und setzen jungfräuliche Reispflänzchen. Weil die Straße noch immer einspurig ist und in regelmäßigen Zeitabständen nur für eine Fahrtrichtung freigegeben wird, befinden wir uns manchmal in der fantastischen Situation alleine unterwegs zu sein. Ich wechsle die abgefahrenen Bremsbeläge von Tanjas Rad. Die nach der 250 km Schotterpiste und 3.500 Höhenmeter durch sind. An ganz besonders schlimmen Pistenabschnitten schieben wir unsere Böcke. Das ist zwar zeitaufwendig, schont aber das Material und schützt uns eventuell vor einem Sturz. Die Sonne ist mittlerweile von schweren Gewitterwolken verschluckt. Wir atmen auf weil die Temperatur dadurch erträglich geworden ist.
Es ist bereits 17:00 Uhr. Schon seit Stunden folgen wir dem Heshui River. Seit der langen Talfahrt von heute Vormittag bewegen wir uns auf einer Höhe von 900 bis 1.100 Meter. Wir fahren im letzten Akku als wir den Heshui verlassen und sich die Straße erneut nach oben windet. Das Gewitter, welches uns schon den halben Tag folgt, scheint uns einzuholen. Starke Windböen blasen über die Straße. Blitze zucken durch die heranrasenden dunklen Wolken. Obwohl ich wegen der heutigen Anstrengung völlig platt bin fahre ich im Eco und Tourmodus. Die einzige Möglichkeit kräftig Energie zu sparen. Während der Bergfahrt holt uns das Unwetter ein. Das Rauschen in den Bäumen klingt so als würde uns ein fauchender Drachen folgen. Wir stoppen, um unsere Regensachen überzuziehen und die Blinkis an den Anhängern zu befestigen. Auf diese Weise können uns herannahende Autos rechtzeitig sehen. „Nichts wie weg von hier!“, rufe ich, als die ersten Äste von den Bäumen auf die Straße krachen. Noch sind es acht Kilometer bis Ningnan. Der zunehmende Sturm wirbelt Staub und Dreckfontänen auf. Sandkörnchen finden trotz Brille ihren Weg in die Augen. Ich stoppe kurz, um sie wieder heraus zu bekommen. Dann radle ich Tanja hinterher. Nervös blicke ich nach oben. Die Bäume bewegen sich als würden sie gleich brechen. Blätter, Müll und kleine Stöckchen wirbeln herum. Manchmal drückt uns ein Windstoß zur Seite. Das Szenario wird von Minute zu Minute beängstigender. Oh was für ein Tag. Vor uns zieht sich plötzlich die Straße steil nach oben. „Da kommen wir mit unserer Akkuladung nie rauf!“, ruft Tanja. Ein ummauerter Hof taucht zu unserer Rechten auf. Durch das geöffnete Tor erkenne ich einige Menschen die dort drinnen zu feiern scheinen- „Lass uns dort Schutz suchen!“, rufe ich Tanja zu. In dem Moment, in dem wir unsere Bikes durch das Tor lenken, wirbelt uns eine riesige Dreckfontäne hinterher. Drinnen sind wir vorerst geschützt. Die Menschen sehen uns verwundert entgegen, als wir an ihnen vorbeirollen. Wir parken unsere Räder unter einem Wellblechdach. Da ich davon ausgehe mich in einer Art Straßenrestaurant zu befinden, bestelle ich ein Bier. „Es gibt kein Bier“, verstehe ich, obwohl von den vielleicht hundert Anwesenden jeder eines auf dem Tisch stehen hat. Es dauert nicht lange bis wir herausfinden auf einer privaten Feier der Yi gelandet zu sein. Sofort wird uns ein Bier spendiert. Einer der Männer zupft mich am Ärmel und führt unentwegt seine Hand zum Mund. „Möchtest du etwas essen?“, fragt er. Um nicht unhöflich zu sein folge ich ihm. Auf dem Betonboden liegt der Kopf eines Büffels. Sein Fell ist mit Feuer abgefackelt. Seine toten Augen scheinen mich vorwurfsvoll anzusehen. Zu mindest kommt es mir so vor. Ein Mann eilt herbei, greift mit den Fingern in die große Nase und hebt den schweren Büffelkopf hoch. Aus seinem Hals tropft Blut als der Mann ihn wegträgt. Mein Gönner läuft mit mir zu riesigen Töpfen und Schüsseln. Mindestens einen Meter im Durchmesser. Er hebt einen der ebenfalls riesigen Deckel. Meine Augen fallen auf grobe Fleisch- und Fettstücke. Auch Innereien kullern in dem Pot herum. Mit bloßen Händen nimmt der Mann einige der Stücke heraus und legt sie in eine gebrauchte Porzellanschüssel. Als er mich ansieht, muss er meine Abneigung erkennen, schüttet den Inhalt der Schüssel wieder in den Riesentopf, nimmt das Porzellanteil und wäscht es in einem Becken mit trüben Wasser. Dann fährt er mit seiner Hand durch die nasse Schüssel, um sie ein wenig zu trocknen, greift wieder in den Riesentopf, um ihn großzügig mit dem gekochten Fleischstücken des Ochsen zu füllen. Es dauert eine Weile ihm klar zu machen Vegetarier zu sein. Auch wenn das nicht ganz stimmt, da in ich in dem einen oder anderen seltenen Fall noch immer etwas Fleisch verzehre. Mein Gönner sieht mich unverständlich an. „Wie kann man so ein Festessen nur ablehnen?“, scheint er zu fragen. „Bier ist absolut genug für mich“, antworte ich lachend. Als ich wieder bei Tanja bin erzähle ich ihr von meinem Erlebnis. Wir beratschlagen die nächsten Schritte. Inzwischen hat sich ein Teil der Gesellschaft um uns versammelt. Sie löchern uns mit Fragen, von denen wir viele nicht verstehen. Nach dem harten Tag ist die unfreiwillige Kommunikation anstrengend. Wir versuchen zu lächeln, erklären woher wir kommen und wohin wir gehen. Mein Blick fällt auf eine Steckdose an einer Mauer. Ich packe unseren Viererstecker aus, hole unsere vier Ladegeräte und vier leere Akkus, um alles auf ein kleines Bänkchen an der Mauer zu legen und anzuschließen. „Lädt!“, rufe ich Tanja zu die von Menschen umringt ist. Kaum habe ich mich wieder zu ihr gesellt fährt eine mächtige Sturmböe in den Innenhof. Es blitzt kurz, dann ist der Strom ausgefallen. „Laden die Akkus noch?“, fragt Tanja besorgt. „Nein, alles tot. Kein Strom mehr“, antworte ich und weil sich 20 Minuten später noch immer nichts rührt packe ich alles wieder in den Anhänger. „Und was machen wir jetzt?“, fragt Tanja. „Es sind nur noch 8 km bis zur Stadt und wir sind auf diesem Trip nicht zum ersten Mal an der Grenze der Akkukapazität. Ich fahre im Ecomodus. Das spart enorm Energie. Damit werden wir es schaffen“, sage ich. „Im Ecomodus? Da komme ich niemals den steilen Berg hoch.“ „Du fährst ganz normal im Sport- oder Turbomodus. Wir besitzen noch Restenergie in meinen 500 Wattakkus. Damit erreichen wir die Stadt“, beruhige ich sie. Obwohl der Sturm sich weiterhin aufbäumt, verlassen wir die sicheren Mauern und die Festgesellschaft. Ohne große Mühe nehmen wir die Steigung, die für uns noch vor einer Stunde unüberwindbar ausgesehen hat.
Mittlerweile ist es stockdunkel. Äste liegen auf der Straße. Die ersten Lichter von Ningnan schimmern durch das sich im Sturm heftig biegende Gehölz. Schnell finden wir das kleine, einfache Hotel. Unsere Räder dürfen wir hinter das Sofa des winzigen Empfangsraumes stellen. Kaum sind wir in unserem Zimmer, entfesselt der Sturm seine volle Kraft. „Ich geh mal aufs Dach und schau mir das von oben an“, sage ich zu Tanja. „Pass auf dass dir nichts an den Kopf fliegt“, warnt sie. Ich laufe durch einen Gang an den Zimmern vorbei, als auch in der Stadt der Strom ausfällt. Der Wind heult mit beängstigender Lautstärke durchs Haus. Fenster krachen, Glas splittert. Ich finde den Weg aufs Dach. Der Strom ist wieder da und beleuchtet das Schauspiel. Die Menschen in den Straßen tun so als gehe sie der starke Wind nichts an. Taxis stehen unterhalb eines großen Masts der sich bedenklich biegt und jeden Augenblick brechen kann. Ich frage mich warum die Taxifahrer diese Gefahr nicht erkennen. Plötzlich fallen Schilder um, Blechteile wirbeln durch eine Straße, ein Baum knickt, Plakate werden zerfetzt und der Verkehr staut sich. Blaulicht blitzt von Hauswand zu Hauswand. Eine Sirene ist zu hören. Obwohl die Böen grenzwertig sind fahren noch immer Mopeds auf den Straßen herum. Fasziniert von dem Schauspiel versuche ich es im Film festzuhalten. Plötzlich knallt einer der Windstöße auf das Dach. Herumliegender Müll, Schüsseln und Wäsche wirbeln herum. Als hätte es Tanja geahnt, trifft mich die Schüssel am Kopf. Zum Glück ist sie aus Plastik. Ich springe hinter einer Steinmauer in Deckung. „Für heute habe ich genug gesehen“, denke ich mir und steige die Stufen wieder nach unten. Erneut fällt der Strom aus, so dass ich mich durch den Gang tasten muss. Nicht auszudenken, hätten wir diesen Abend im Zelt verbringen müssen. China ist zweifelsohne ein Land der Superlative. Aber vielleicht ist es auch nur so, dass man sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in Sicherheit bringen muss? Nur wie will man so etwas steuern? Egal, in diesem Moment haben wir Glück gehabt und sitzen hinter Mauern. Als ich ins Zimmer trete knallt der Wind gegen das Fenster. Ich ziehe die Vorhänge zu. Nur für den Fall, dass eine der Scheiben zu Bruch geht und wir nicht von den Scherben getroffen werden. Weil die Matratzen in einfachen Hotels oftmals bretthart sind, blase ich meine Isomatte auf, lege mich erschöpft darauf und denke über die heutigen 125 Tageskilometer, 2.000 Höhenmeter, Baustellen, Schotter-, Lehm-, Löcherpisten den verrückten Bus- und rücksichtslosen Jeepfahrer nach. Ganz normal, dass mir dabei die Sinnfrage eines solchen Abenteuers durch den Kopf sickert. Aber zum Glück ist nicht jeder Tag so hart. Auf der anderen Seite erfahren wir auf diese Weise ein Leben welches uns in den Augenblick zwingt. Kein Gedanke hat an solchen Tagen nur die geringste Chance sich ins Unwesentliche, Nichtige, Profane zu flüchten. Viele Menschen werden durch ihren abschweifenden Geist regelrecht gequält. Viele suchen sich Probleme, wo es keine gibt, verpassen durch Routine und Alltäglichkeiten ihr Leben und fragen sich dann, wenn sie alt sind, wo ist das Leben geblieben? Zweifelsohne wird am Ende meines Lebens mein Geist große Schwierigkeiten haben mir solche Fragen zu stellen. Zweifelsohne weiß ich wo und wie ich mein Leben verbracht habe. Ich weiß, dass mein Leben voller unzähliger Abenteuer, Erlebnisse und Erfahrungen steckt. Auch dieser ungewöhnliche, spannende Tag wird dazugehören und ich möchte davon keinen Augenblick missen…
Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.
Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH http://roda-computer.com/ Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.