Das sind sie wieder!
N 52°23'02.7'' E 050°31'06.5''Tag: 13
Sonnenaufgang:
05:19 Uhr
Sonnenuntergang:
21:52 Uhr
Luftlinie:
49.33 Km
Tageskilometer:
53 Km
Gesamtkilometer:
6991.92 Km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Temperatur – Tag (Maximum):
29 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
20 °C
Breitengrad:
52°23’02.7“
Längengrad:
050°31’06.5“
Maximale Höhe:
160 m über dem Meer
Maximale Tiefe:
60 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
9:17 Uhr
Ankunftszeit:
13:30 Uhr
Durchschnittsgeschwindigkeit:
16,07 Km/h
In dem zur Gastiniza gehörigen Raststättenrestaurant speisen wir vor unserem Aufbruch leckere Blinis. Heute gibt es die Pfandkuchen mit gesüßtem Quark. Wir schlagen uns den Bauch voll, um genügend Energie für die vor uns liegende 50 Kilometerstrecke zu bunkern. Als wir draußen unsere Rösser satteln begrüßt uns wieder der Tschetschene von gestern. Obwohl wir uns kaum verständigen können will er uns seine Mobilfunknummer geben. “Wenn ihr mal in Tschetschenien seid kommt mich bitte besuchen”, verstehen wir.
Die Straße zieht sich wieder über leichte Hügel. Neben dem Kuckuck und lautem Vogelgezwitscher vernehmen wir auch ständiges Fröschequaken. Die Räder machen auf uns einen guten Eindruck und wenn unsere Körper durchhalten werden wir mit ihnen sicherlich Ostsibirien erreichen. “Da vorne! Siehst du?”, ruft Tanja. “Was denn?” “Na da ist sie! Die Gastiniza!” Als wir nach über vier Stunden und 53 Kilometern die Übernachtungsmöglichkeit erreichen, bin ich über den Zustand der Gastiniza etwas geschockt. Haben sie auch auf unserer letzten Etappe so ausgesehen? Wahrscheinlich. Ich hatte mich nur an den völlig verwahrlosten Zustand vieler Unterkünfte gewöhnt. “Ich glaube die ist nicht bewirtschaftet”, sage ich zu Tanja. “Hm, frag doch mal an der Tankstelle da”, fordert sie mich auf. “Da, eto Gastiniza rabotajet”, (Ja, die Gastiniza ist in Betrieb), verstehe ich einen Mechaniker. Wir lassen unsere Räder zu dem seltsamen, heruntergekommenen Haus rollen. Während Tanja wie gewohnt die Bikes bewacht, kundschafte ich unsere Bleibe aus. Ich betrete das bunkerartige Gebäude. Es riecht muffig. Eine neue mit Bauschaum befestigte Tür quietscht in der Angel als ich sie öffne. Lautes Gebrüll eines einsamen Fernsehers schallt mir sofort entgegen. In dem Raum steht ein verlassener Tisch. Dahinter befindet sich eine Glasscheibe hinter deren wiederum Kekse, Chips, Bierflaschen usw. in wenigen Regalen gestapelt sind. Eine Frau um die 50 steckt ihren Kopf durch das Loch in der Glasfront. “Ich bin erfreut als sie mein Russisch versteht und mit dem Kopf nickt. “Ja wir haben ein Zimmer. Gerne dürfen sie es sehen. Es kostet 400 Rubel (11,- ?) antwortet sie auf meine Fragen freundlich. Dann führt sie mich über eine halsbrecherisch, steile, eiserne Treppe in den ersten Stock des Bunkers. Ich klettere ihr hinter her, aufmerksam darauf bedach von dem Ding nicht abzustürzen. “Also Gäste mit Hüft-, Knie- oder Rückenschäden werden hier ihr Zimmer wohl nie erreichen”, geht es mir durch den Kopf. Oben angekommen riecht es wie in einer typischen Bahnhofstoilette. Nur das es hier keinen Bahnhof gibt. Am Ende des kurzen Ganges öffnet sie die Tür zu einem Raum, indem drei einfache Betten stehen. “Kalt”, sagt sie und schließt das Fenster dessen Scheibe mich mit ihrem heftigen Riss anzugrinsen scheint. “Da sind sie wieder, die Gastinizas Russlands. In der Realität eines Radreisenden im Herzen Mütterchen Russlands angekommen”, sage ich: “Wir nehmen das Zimmer.” “Gut”, (Charascho) antwortet die Dame und klettert mir voraus, die Halsbrechertreppe nach unten.
Nachdem ich mit ihr die Papiere ausgefüllt habe trägt Tanja die gesamte Ausrüstung in das Haus. Während ich unsere Räder fertig mache spricht mich ein sehr freundlicher Russe in leidlichem Englisch an. “Hallo, mein Name ist Igor. Ich habe euch gestern schon in der Raststätte bei Michaylowka gesehen. Ist ja fantastisch was ihr da macht. Wenn ihr Hilfe benötigt, sagt mir Bescheid. Du findest mich da oben in der Tankstelle”, meint er. Wir unterhalten uns noch eine Weile bis er mich weitermachen lässt. Dann, als Tanja wieder kommt schieben wir unsere edlen Rösser in eine Garage, die mit einem eisernen Tor wie Fort Knox abgeriegelt ist. “Ich habe ein Problem mit dem Anhänger”, meint Tanja lapidar. “Was denn?”, frage ich nichts Gutes ahnend. “Wenn ich in die Kurve fahre streift mein Hinterrad am Hänger”, erklärt sie, worauf ich erstmal erschrecke. Tatsächlich ist der Abstand von Anhänger zum Hinterrad zu kurz und das Rad berührt bei starken Lenkbewegungen die Bodenplatte des Anhängers so sehr, das es nahezu blockiert. “Na da hast du aber Glück gehabt. Wärst du in eine enge Kurve gefahren hätte es dich garantiert geschmissen”, stelle ich fest. “Was machen wir da jetzt?”, fragt Tanja. “Sieht nach einer heftigen Reparatur aus.” “Vielleicht kannst du den Mann fragen der dir gerade Hilfe angeboten hat?” “Gute Idee. Werde ich tun”, antworte ich, entkopple so gleich den Hänger und ziehen ihn zur nahe gelegenen Tankstelle.
An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass wir von riese und müller nagelneue Räder mitbekommen haben. Nicht das die alten Delite Blacks kaputt waren, nein ganz im Gegenteil hielten sie die letzten 6.884 Kilometer bis nach Samara ohne Reparatur durch. riese und müller hat sich jedoch entschieden das Delite Black mit einem speziell für Reisen konstruiertes, sehr robustes Rad zu ersetzen. Deswegen haben wir das Super Bike “Intercontinental” bekommen. Eine echte Wahnsinnsmaschine die durch ihre Optik immer und überall Aufsehen erregt, selbst in Deutschland. Bevor wir unsere neuen Intercontinental ins Flugzeug luden, haben wir sie in Deutschland natürlich auf Herz und Nieren getestet. Alles war nach besten Wissen und Gewissen überprüft und die Räder waren bereit für die Fortsetzung unserer Trans-Ost-Expedition. Leider ließen wir die USED-Anhänger beim letzten Mal im Kloster Iversky. Also konnten wir sie nicht in Verbindung mit den neuen Rädern ausprobieren. Und nun funktioniert genau das an Tanjas Intercontinental nicht. Man kann eine Reise noch so perfekt vorbereiten, irgendetwas Unvorhergesehenes wird es immer geben.
Im Gedanken versunken erreiche ich die Tankstelle. “Hallo Denis!”, begrüßt mich Igor sofort wieder mit Handschlag. “Kann ich dir helfen?”, fragt er. “Ja, schau. Wir müssen die Bodenplatte dieses Gefährtes um 3 Zentimeter nach hinten versetzen. Könnt ihr das machen?” “Aber klar. Gar kein Problem. Machen wir sofort”, sagt er lachend und zieht das Teil in die Werkstatt seines Bruders. Es dauert nicht lange und die neuen Löcher sind gebohrt. Leider besitzen sie in der Arbeitsstätte kein Werkszeug, um die Schraubenköpfe in der Bodenplatte zu versenken. “Ich fahre mit dir nach Bolschaja Gluschiza, ist nicht weit. Dort kaufen wir so einen Bohrer”, schlägt er vor. Nur wenig später sitze ich in seinem Auto. In dem kleinen Magazin (Laden) zückt Igor sofort sein Portmonee, um zu zahlen. “Das zahle aber ich. Du hast schon genug getan”, sage ich mich bedankend.
Nach einer Stunde ist die Bodenplatte des Radanhängers nach hinten versetzt und somit der Schaden behoben. “Was bin ich euch schuldig?”, frage ich Igor und einen Mechaniker der mitgeholfen hat. “Na nichts. Es war uns eine Ehre euch helfen zu können”, meint er freundlich grinsend. Der andere Mann erwidert etwas auf Russisch. “Was hat er gesagt?”, möchte ich wissen. “Ach das ist mein Chef. Wir arbeiten beide in einer Brauerei und sind hier nur um meinen Bruder zu besuchen. Mein Chef hat aber gesagt das es nett wäre wenn wir mit dir heute Abend ein Bier trinken dürfen?” “Aber klar. Ich muss nur noch ein wenig schreiben, aber später klappt das. Was hältst du von 19:00 Uhr?” “Sehr gerne”, antwortet er.
Ich begebe mich wieder in die Fort-Knox-Garage und klicke Tanjas Hänger an ihr Rad. “Passt perfekt”, freue ich mich. Dann stelle ich ihren Sattelneigung ein, finde einen neuen Platz für meine Luftpumpe, versetze den Funktacho weil er ständig ausgefallen ist und begebe mich danach in unser bescheidene Bleibe, um ein paar Aufzeichnungen zu schreiben und Bilder in den Laptop zu spielen. Der Reisealltag hat mich also wieder voll im Griff. “Na wie war die Dusche?”, frage ich Tanja die gerade unsere Bude betritt. Obwohl sich die vom Zahn der Zeit angefressene Duschkammer in der Fort-Nox-Garage befindet, alle Leitungen vom Rost angenagt sind, gibt es einen kleinen Rinnsal warmes Wasser. “Wer weiß was morgen kommt. Du solltest auch mal gehen”, empfiehlt Tanja.
Das ist uns noch nie passiert!
Später sitzen wir in einem kleinen Separee des winzigen Restaurants. Die nette Frau die uns eingecheckt hat bereitet uns Bratkartoffeln mit Spiegeleiern und eine spezielle russische kalte Suppe (Okraschka). Wir trinken Bier und lassen uns das leckere Essen schmecken. Auf einmal betritt ein etwa 60 Jahre alter Mann mit weißem Haar und großem Bauch den Raum. Er spricht laut und scheint der Chef dieses Hauses zu sein. Dann kommt er an unseren Tisch und begrüßt uns. Wir verstehen wenig von seinen Worten. Anscheinend lebt ein Teil seiner Familie in Leipzig. “Deutschland ist ein gutes Land. Ich mag es und ich mag die Deutschen”, verstehen wir. Plötzlich geht er wieder. Es dauert nur wenige Minuten da taucht er wieder auf und legt Tanja und mir je 200,- Rubel neben den Teller. Wir sehen ihn verwundert an. “Sponsor. Ich bin euer Sponsor! Ihr braucht unter keinen Umständen euer Zimmer zu bezahlen”, sagt er lachend und ehe wir irgendetwas erwidern können ist er erneut weg. “Was soll man dazu sagen?”, flüstere ich. “Da fällt einem wirklich nichts mehr ein”, meint Tanja. “So etwas haben wir während unserer gesamten Reisezeit noch nie erlebt. Gibt er uns einfach so unser Geld zurück”, meine ich noch immer verblüfft den Kopf schüttelnd.
Um 19:00 kommen Igor und Sergej. Sie bringen ein paar Flaschen Bier mit und stellen sie auf den Tisch. Im Laufe des Gespräches stellt sich heraus, dass Igor viele Jahre in Ostsibirien gelebt hat und erst seit wenigen Monaten wieder hier ist. “Ich habe bei einer Diamantenmine gearbeitet. Meine Frau arbeitet noch immer bei der Mine. Sie wird aber bald wieder kommen. Mein Bruder ist übrigens an berühmter Professor. Er ist Wissenschaftler und hat die halbe Welt besucht, um Vorträge zu halten. Wenn ihr wollt gebe ich euch seine Adresse. Er lebt in Novosibirsk”, erzählt er. Als Igor und Sergej erfahren, dass wir morgen nach Bolschaja Tschernigowka fahren, erzählen sie uns sofort von dem Restaurant Picknick. “Da müsst ihr unbedingt hin. Die haben tolles Essen. Ach wisst ihr was? Wir werden euch morgen dort besuchen. Was hältst du davon Sergej?” fragt Igor seinen Chef. “Gute Idee. Dann trinken wir Cognac. Liebt ihr Cognac?”, will Sergej wissen. “Eigentlich mag ich lieber Bier. Cognac ist bestimmt gut aber als Radfahrer können wir keine harten Sachen trinken. Da geht am nächsten Tag gar nichts mehr”, erkläre ich. “Na dann fahrt halt am darauf folgenden Tag mit dem Auto! Ha, ha, ha!”, antwortet und lacht er herzhaft. “Am besten wir laden euch zu einer russischen Banja (Sauna) ein”, schlägt Igor mit leuchtenden Augen vor. “Bitte ohne mich. Ich bin abends immer viel zu müde”, wirft Tanja ein. “Ich auch”, ergänze ich, um einer ewigen Autofahrt und einem wilden Besäufnis rechtzeitig entgegen zu wirken. “Na gut, dann eben keine Banja. Aber wir kommen trotzdem. Vielleicht möchtest du ja einen klitzekleinen Cognac mit uns trinken? Ha! Ha! H!”, fragt Sergej laut prustend vor lachen. Jetzt betreten zwei Straßenpolizisten die einfache Kneipe. “Das sind Freunde von uns. Sind gute Polizisten”, meint Igor auf Englisch. Als sie zu unserem Tisch laufen wackeln ihre Pistolen in abgefransten Lederhalftern an ihren Gürteln. “Alex”, sagt der eine mit tiefer Stimme und reicht mir seine Tellergroße Hand zum Gruß. Igor und Sergej erzählen in wenigen Worten was wir hier tun. Sie staunen und setzen sich alsdann an einen Nebentisch, um eine Bortsch (Eintopf, russisches Nationalgericht) zu essen.