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Mongolei/Vor Mörön Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit

N 49°42'773'' E 100°11'497''
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    Tag: 381-385

    Sonnenaufgang:
    05:59/06:05

    Sonnenuntergang:
    20:49/20:42

    Gesamtkilometer:
    2082

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    26°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    20 °C

    Temperatur – Nacht:
    4 °C/9 °C

    Breitengrad:
    49°42’773“

    Längengrad:
    100°11’497“

    Maximale Höhe:
    1492 m über dem Meer

Ein angenehm wolkenloser Tag empfängt uns mit offenen Armen. Lägen nicht noch 400 anstrengende Reitkilometer vor uns könnten wir es in diesem Camp Nummer 58 zwischen den zwei Jurten noch lange aushalten. Obwohl wir nun bald sechs Wochen in diesem Tal leben kommt wegen den täglichen Aufgaben keine Langeweile auf. Dessen ungeachtet müssen wir unbedingt weiter. Renjindorj spricht jetzt schon von der nahenden Kälte und der daraus resultierenden Dringlichkeit uns beeilen zu müssen. Ist schon verrückt. Der Winter steckt uns noch in den Gliedern und nach einem kurzen heißen Sommer schleicht er sich schon wieder heran. Noch ist es tagsüber heiß aber die Quecksilbersäule wird in den kommenden Wochen stetig sinken.

Nicht im Traum hätten wir daran gedacht hier so lange zu verweilen. Eine Nacht war geplant jedoch stand auf dem göttlichen Reiseplan eine andere Aufbruchszeit. Nur weil wir während unserer Expeditionen und Reisen gelernt haben uns nicht gegen das Unabänderliche zu wehren und unser Schicksal so anzunehmen wie es uns offenbart wird, waren wir in der Lage diese schöne und friedlichste Zeit zu genießen. Hätten wir uns dagegen aufgelehnt und über die tägliche Verschiebung des Aufbruchs aufgeregt, wäre aus dieser Zeit ein psychischer Alptraum geworden. Wir Menschen haben es also oftmals selbst in der Hand was wir aus unserem Tag, der Woche oder dem Leben machen. Sich dagegen auflehnen und leiden oder annehmen und aus der einen oder anderen misslichen Lage sogar etwas Positives gestalten. Selbst das tägliche Wegschaufeln von 70 Kilogramm Pferdemist ist mir in diesem Camp zur angenehmen Routine geworden. Ich stelle mir immer vor das jeder einzelne Pferdeapfel ein Goldklumpen ist und wie unendlich reich wir mit den nun zwei Tonnen schweren Misthaufen geworden sind. Wie gesagt ist das alles eine Sache des state of mind, womit ich, wie schon öfter auf dieser Reise erwähnt meine, das Glück oder Unglück in unserem Gehirn produziert wird.

Weil Rejindorj und auch der Sohn von Ilchelaugsuren heute nicht mit dem Moped nach Mörön fahren, entscheide ich mich auf Sar zu reiten. Dabei kann ich gleich meinen neu gebauten russischen Sattel ausprobieren. „Pass auf dich auf“, verabschiedet mich Tanja. Sar, dessen Druckstelle durch die lange Pause fast völlig verheilt ist, freut sich ebenfalls auf einen längeren Ausritt. Die ersten Kilometer kann ich ihn nur schwerlich in Trabgeschwindigkeit halten. Zu gerne würde er wie ein Pfeil über die Prärie galoppieren. Ich genieße es wieder im Sattel zu sitzen. Murmeltiere richten sich auf, um zu sehen was da auf sie zukommt. Als wir näher kommen suchen sie in ihrem Bau schnell Zuflucht. Adler kreisen über einer großen Schafherde und halten nach Beute Ausschau. Eine Pferdeherde folgt mir für wenige hundert Meter. Nachdem ihre Neugier gestillt ist stoben sie davon. Yak- und Kuhherden teilen sich als wir zwischen ihnen durchtraben nur um Augenblicke später die entstandene Lücke wieder zu schließen. Es ist ein herrlicher Tag, um durch eine der schönsten Landschaften unserer Mutter Erde zu reiten. Ich fühle mich eins mit meinem treuen Pferd. Im Laufe der letzten 13 Monate sind wir zu einem guten Team zusammengewachsen. Um nicht den sich dahinschlingernden Fahrzeugspuren zu folgen, die sich durch das saftige Gras ziehen, lenke ich Sar über eine Bergflanke zu meiner Rechten. Trittsicher tragen mich die vier Füße über faustgroße Steine und grobe Grasbüschel. Es ist einer der Moment in denen ich mich unverwundbar fühle. Sicher im Zentrum meines Lebens verankert. Mein Kopf scheint leer zu sein. Die Gedankenspiral ist durch das Leben in der Wildnis zum Stillstand gekommen. Ein wunderbarer Moment des Friedens und der inneren Ruhe. Es ist ein Moment der mit keinem Geld der Welt zu kaufen ist sondern den man sich Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat erarbeiten muss. „Es war eine gute Entscheidung einen gewichtigen Teil meiner begrenzten Lebenszeit in diesem Land zu verbringen“, geht es mir durch den Kopf als Sar urplötzlich nach vorne schießt, so dass ich fast rückwärts aus dem Sattel geschleudert werde. Ein Adrenalinstoß kickt in meine Adern. Muskeln spannen sich im Bruchteil einer Sekunde an. Die rechte Hand katapultiert wie von selbst nach vorne, schließt sich mit geballter Kraft um den eisernen Knauf des russischen Sattels und verhindert den unvermeidlichen Absturz. „Brrrrrr! Brrrrrr! Brrrrrr!“, rufe ich. Um Sars Durchgehen unter Kontrolle zu bringen reiße ich am rechten Zügel und zwinge ihn dadurch einen engen Kreis zu laufen. Schnaubend und widerstrebend folgt er und verfällt wieder in Schritt. „Was ist denn los?“, frage ich verwundert und heftig schnaufend. Erst jetzt bemerke ich das meine Satteltaschen im Gras liegen. Wegen dem neuen System hatte ich sie nicht am Sattel festgebunden, weswegen sie über Sars Rücken nach hinten gerutscht sein müssen und heruntergefallen sind. Weil sie mit einem Riemen um den Bauch des Pferdes gesichert waren, verfingen sich die Hinterbeine des Pferdes darin, bis Sars Tritte den Riemen zerrissen haben. „Puhhh, wieder einmal Glück gehabt“, stöhne ich, repariere den Riemen und verschnüre die Taschen diesmal am Sattel.

Als wäre nichts gewesen geht der Ritt weiter. Ich denke erst gar nicht darüber nach welche Konsequenzen solch ein Sturz auf den faustgroßen Steinen haben könnte. Vor allem wenn man alleine unterwegs ist. Tanja würde spätestens heute Abend nach meinem Fernbleiben bemerken das etwas nicht stimmt. Ich schüttle den Kopf. „Das Leben ist ein Geschenk und solche Momente gehören dazu“, murmle ich in meinen Bart. „Abgesehen davon fühle ich mich in diesem Augenblick glücklich und das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit ist Mut. Mut ist nicht mit bloßen Händen einen wilden Löwen erwürgen zu wollen. Das wäre eher Dummheit. Mut ist, dass man seine Bedenken und Angst überwindet. Schon lange vor dieser Expeditionsreise hatte ich solche Bedenken und auch die Angst wie bei unserer letzten Mongoleiexpedition vor 16 Jahren überfallen zu werden. Diesmal wollen wir andere Erlebnisse mit nach Hause bringen. Nach dieser Schlussfolgerung haben Tanja und ich also Mut bewiesen uns erneut solch einer gefahrvollen Reise auszusetzen“, geht es mir durch den Kopf.

Die ersten Häuser von Mörön erscheinen. Ich zücke mein Handy da ich davon ausgehe ab jetzt im Funknetzbereich zu sein. „Hallo Denis!“, meldet sich Saraas Stimme. „Hallo Saraa. Sorry, ich komme etwas später als vereinbart. Hatte eine kleine Herausforderung“, erkläre ich. „Kein Problem. Ich warte.“ „Okay. Dann bis in einer halben Stunde“, beende ich das Gespräch.

Als ich auf den staubigen Pisten von Mörön zwischen den Blockhäusern durchreite fühle ich mich wie der Westernheld John Wayne. Eine Staubfontäne tanzt über die Fahrbahn und verschwindet hinter den Hütten. Kinder ziehen einen alten Handwagen mit verbogenen Stahlrädern, auf dem zwei gelbe Plastikkannister gepackt sind. Sie kommen vom Wasserholen und winken mir fröhlich zu. Frauen und Männer lächeln freundlich. Sar weiß wo Saraas Hütte steht, trabt ohne mein Zutun in eine Gasse nach links und bleibt vor dem vergammelten Tor stehen. Ich führe ihn in den staubigen Hof auf dem wir vor etwa zehn Monaten ein paar Wochen in einer Jurte gelebt hatten, um die weitere Reise in die Taiga vorzubereiten. Saraa empfängt mich freundlich. Wie war der Ritt?“, fragt sie. „Schön“, antworte ich ohne genauer auf den Beinahsturz einzugehen. Nach dem üblichen Vorgespräch kommen wir zur Sache. „Und hat das jetzt mit dem Visum geklappt?“, frage ich. „Ja“, antwortet sie und erzählt in einem zweistündigen Gespräch über die Schwierigkeiten. „Ich werde nie mehr in meinem Leben solch ein Visum besorgen. Am liebsten würde ich auswandern. Unsere Politiker sind eine Katastrophe. Alles was man sich hier aufbaut wird von den Behörden wieder zerstört. Hast du keine Kontakte bist du in diesem Land nichts wert. Am liebsten wäre mir Kanada“, sagt sie. „Ich denke viele Politiker anderer Länder sind ebenfalls korrupt. Dein Land möchte sich vor der massiven Zuwanderung aus China retten. Deswegen machen sie die Visabedingungen so schwer“, antworte ich. Saraa reicht mir die zwei mongolischen Personalausweise die auf unseren Namen ausgestellt sind und auf ein weiteres Jahr verlängert wurden. „Ein Jahr?“, sage ich verblüfft auf die Plastikkarten in Checkkartengröße blickend. „Sie sind auf ein Jahr ausgestellt. Ja das stimmt.“ „Na solange werden wir nicht mehr bleiben. Denke das wir im Oktober die Heimreise antreten.“ „Du musst noch zum Registrierungsamt nach Mörön. Die müssen euch in ihre Bücher eintragen. Wenn der Beamte dir den Stempel nicht gibt sind die Dinger ungültig“, erschreckt sie mich plötzlich. „Was? Oh nein. Hört das denn nie auf? Am besten wir gehen da zusammen hin. Ansonsten sage ich noch etwas Falsches und vermassle die Sache.“ „Ich habe eine Freundin dort im Amt. Vielleicht gibt sie uns den Stempel auf dem kleinen Dienstweg wenn du weißt was ich meine?“ „Kleiner Dienstweg? Okay.“ „Ich werde sie dafür zum Essen einladen. Das wird schon klappen. Da heute aber Freitag ist heißt das du müsstest am Montag noch mal herkommen.“ „Was soll’s. Jetzt warten wir schon so lange. Da kommt es auf ein paar Tage hin oder her auch nicht an. Ich werde am Montag also nochmals nach Mörön reiten“, sage ich zuversichtlich den anscheinend wichtigen Stempel zu bekommen.

Den Nachmittag nutze ich um auf dem Markt Seile, ein Ersatzhalfter und andere Kleinigkeiten zu kaufen. Dann schwinge ich mich wieder in den Sattel und reite am Fuße des Bergzuges zu unserem ruhig gelegenen Camp zurück.

Das Wochenende verbringen wir mit den letzten Vorbereitungen. Dazu gehört Wäschewaschen, das Anprobieren aller Sättel und das erneute Bemalen der Pferdehintern. Wegen dem Regen und dem Wälzen der Pferde im Staub halten die aufgemalten Sonnen nur maximal zwei Wochen.

Am Montag reite ich wieder nach Mörön. Bald 400 Kilometer legten wir auf diese Weise in den letzten Wochen zwischen unserem Camp und der Stadt zurück. Diesmal erhalten wir ohne weitere Herausforderungen unseren Stempel. Der weiteren Reise nach Erdenet steht nun also nichts mehr im Wege. Gott sei Dank.

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