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Mongolei/Lärchen Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Biss der Kälte

N 49°05'234'' E 101°38'619''
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    Tag: 53

    Sonnenaufgang:
    06:49

    Sonnenuntergang:
    19:28

    Luftlinie:
    17,05

    Tageskilometer:
    21

    Gesamtkilometer:
    650

    Bodenbeschaffenheit:
    Wiese

    Temperatur – Tag (Maximum):
    14°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    4°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 12°

    Breitengrad:
    49°05’234“

    Längengrad:
    101°38’619“

    Maximale Höhe:
    1624 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    13:00

    Ankunftszeit:
    17:30

Der heutige Tag überrascht uns mit einem blauen Himmel. Nur ein paar Wolken betupfen das Firmament. Bilgee hat sich schon früh zur Jagd aufgemacht und Ulzii den Auftrag gegeben Brotteig für Gamber (in Öl gebackenes Fladenbrot) zu kneten. Eigentlich wollen wir das gute Wetter zum Reisen nutzen aber der mongolische way of live ist nun mal anders. Auf diese Weise haben wir eine verordnete Zwangspause die wir gerne annehmen. „Dann schaffen wir heute halt weniger Kilometer“, sage ich mich noch immer an den Rhythmus der Gemächlichkeit zu gewöhnen. Um 11:00 Uhr kommt Bilgee erfolglos zurück. Es hat mittlerweile angenehme 14° Grad im Schatten. Bilgee stellt die große Pfanne auf die Feuerstelle, schüttet einen Liter Rapsöl hinein und wartet bis es zu sieden beginnt. Dann legt er einen von Ulzii vorbereiteten Teigfladen in das Öl. Nach kurzer Zeit holt er den Gamber heraus und lässt ihn abtropfen. Sofort machen wir uns über das heiße Fladenbrot. Streichen Marmelade oder Schokoladenkrem drauf und genießen es mit einer heißen Tasse Tee. Gerne würde ich gleich mehrere der mongolischen Köstlichkeiten versuchen jedoch vertrage ich das viele Fett nicht. Vieles was Bilgee kocht oder bäckt steht in Verbindung mit Öl oder Fett. Durchaus schmackhaft aber für jemanden der Fett und Öl nicht gut verträgt eine sich steigernde Belastung für den Körper. Oft lehne ich seine Kreationen ab und versuche dabei so diplomatisch wie möglich zu sein. Nach ein paar Bissen vom Damper verspeise ich eine große Schüssel Griesbrei mit Rosinen, Kokosraspeln und Haferflocken.

Wie bald jeden Tag werden wir von einem Nomaden besucht. Sein Gewehr geschultert sitzt er auf seinem chinesischen Moped und begrüßt uns zurückhalten aber freundlich. Als würde er unsere Begleiter schon lange kennen beginnt er ein Gespräch mit ihnen. Es geht um die Jagd. „Möchtest du das Murmeltier kaufen?“, fragt er mich auf den großen Nager deutend der an seinem Gepäckträger hängt. „Nein danke. Wir haben selbst einen großen Jäger im Team“, antworte ich lachend auf Bilgee deutend.

Um 13:00 Uhr brechen wir unser Lager ab. Ich steige in den Sattel und führe Mogi neben Sar. Mogi ist wie jeden Morgen voller Energie und explodiert regelrecht vor Tatendrang. Ohne reagieren zu können reißt es mir seine Leine aus der Hand. Wie ein Pfeil schießt er los. Direkt auf eine Tierherde zu. Tanja und mir schlägt der Puls bis zum Hals. Sofort galoppiere ich hinterher um ein weiteres Drama zu vermeiden. Gott sei Dank sind es keine Schafe die da friedlich grasen sondern Rinder. Mogi verliert das Interesse, denn Rinder lassen sich nicht so leicht tot beißen wie Schafe oder zumindest furchtbar erschrecken und kommt nach mehrfachen Rufen zum Pferdewagen zurück. Die ersten Kilometer kommen wir nur sehr langsam voran. Sharga verliert ein weiteres Hufeisen. Seine Hufe sehen schlimm aus. Durch seine Arbeit als Zugpferd der Holztransportfirma musste er jeden Tag von früh bis abends schuften. Freizeit gab es für das Tier nahezu nie. Gerade im Winter, wenn die Menschen Holz zum Heizen benötigen, gibt es für solche Pferde keine Erholung. Dementsprechend sind seine Hufe abgenutzt. „Im nächsten Rastcamp müssen wir ihn unbedingt neu beschlagen“, sage ich zu Tanja die neben mir reitet. „Haben wir noch genügend Hufeisen dabei?“ „Noch zwei. Aber das sollte bis Mörön ausreichen. Dort können wir hoffentlich neue kaufen“, antworte ich.

Bilgee schwingt sich in den Sattel seines Pferdes und zieht nun Sharga hinter sich her. Nach wenigen Minuten verfällt er in einen leichten Trab. So geht es für Stunden dahin. In der Zwischenzeit haben wir uns an die Anstrengung des Trabreitens gewöhnt. Auch die anfänglichen Schmerzen in den Knien sind verflogen. Unser Weg führt uns über einsame bis zu 1.700 Meter hohe Pässe. „Hier habe ich vor zehn Jahren gewohnt. Dort drüben stand meine Jurte“, erklärt Bilgee auf einen Waldrand deutend. „Damals gab es in dieser Region viel Wild. Ich konnte Rehe und Wölfe jagen. Heute findet man kaum noch welche von ihnen. Sind alle weggeschossen. Zu viele Menschen können sich heutzutage ein Gewehr leisten und gehen auf die Jagd. Das ist ein Problem für unseren Tierbestand“, vernehmen wir ohne das Bedauern in seiner Stimme zu überhören.

„Sind das Gräber der hier lebenden Nomaden?“, frage ich Ulzii als wir an grob behauenen Grabsteinen, die mitten in der Steppe stehen, vorbeireiten. „Ja hier beerdigen die Anwohner ihre Angehörigen“, bestätigt er. Ich steige ab und schieße ein paar Fotos. Ich habe mich schon immer gefragt wo die Nomaden, die abseits der Städte leben, ihre Friedhöfe haben. Hier an diesem Ort bekomme ich ganz überraschend die Antwort. Nachdenklich schwinge ich mich wieder in den Sattel um dem Pferdewagen zu folgen. Um 17:30 Uhr erreichen wir an einem Lärchenwald eine Wiese mit hohem trockenem Gras. „Vor uns liegt ein weiterer Pass. Willst du ihn heute noch überqueren?“, fragt Bilgee. „Besser wir bleiben hier und machen den Berg morgen mit frischen Kräften“, antworte ich worauf Bilgee wohlwollend nickt. Nach dem wir die Pferde abgesattelt und gehoppelt haben begibt sich Bilgee noch mal auf die Suche nach Wasser. Er kommt noch vor Sonnenuntergang zurück. Baihgui Us“, (gibt kein Wasser) sagt er.

Wir sitzen am Feuer um uns zu wärmen. Kaum hat sich die Sonne hinter den Bergen zurückgezogen fällt das Thermometer auf minus 7° Grad. „scheint eine besonders kalte Nacht zu werden“, stelle ich fröstelnd fest. „Bilgee nickt und deutet auf den wolkenlosen Himmel. Tanja und ich schütten heißes Wasser auf unsere Fertignahrung. Somit braucht Tanja erst nicht lange zu kochen und wir können uns schnell ins Zelt zurückziehen. Bilgee und Ulzii hingegen bereiten Fleisch und Nudeln zu. „Möchtest du auch davon? Es ist keine Ziege. Muuh, muuh!“, sagt Bilgee um mir verständlich zu machen das er Kuh gekocht hat die ich sicherlich besser vertrage als Ziege. „Gerne“, antworte ich und verspeise heißhungrig meine zweite Abendmahlzeit. Wegen der Kälte verbrennt der Körper viel Energie und braucht entschieden mehr Nahrung als im Sommer. Schlotternd halte ich nach dem Essen meine Hände über das Feuer. Sie sind eiskalt. „Habt ihr genügend Decken? Wenn ihr wollt könnt ihr noch die zwei Pferdedecken mit ins Zelt nehmen. Zugeer, zugeer!“, (ist in Ordnung, ist in Ordnung) antwortet Ulzii.

Als ich ins Zelt grabble liegt Tanja bereits in ihrem Schlafsack. „Wenn es noch kälter wird muss ich mir stark überlegen ob ich bis zum Chövsgöl Nuur (Chövsgöl See) reite“, sagt sie unter der Kälte leidend. Obwohl heute erst der 16. September ist fällt das Thermometer in dieser Nacht auf minus 12 Grad. Wenn die Temperaturen weiterhin so rapide abnehmen rückt unser diesjähriges Etappenziel in weite Ferne. Ich hatte am Ende des diesjährigen Reiseabschnitts mit bis zu minus 15 Grad gerechnet. Jedoch nicht schon im September. Während meiner Wachschicht von 24:00 Uhr bis 2:00 Uhr morgens frage ich mich ob es bei diesen Temperaturen überhaupt einen Sinn ergibt sich den wichtigen Schlaf um die Ohren zu hauen. Kann mir kaum vorstellen ob ich als Dieb bei diesen Minusgraden auf Pferdeklau gehen würde. Aber wer weiß? Wir befinden uns hier in der Mongolei. Da ist alles anders. Vielleicht sind es die kalten Temperaturen die einen Mongolen dazu verleiten auf Beutezug zu gehen?

Es ist zehn Minuten nach 2:00 Uhr morgens. Ich habe Bilgee für seine Schicht geweckt und mich gerade wieder in meinen Schlafsack verkrochen als Mogi wie ein Verrückter zu bellen beginnt. Nicht zum ersten Mal auf diesem Trip verlasse ich das Zelt wegen seinem elendigen Gebelle. Dann baue ich den Wind- und Sichtschutz von Mogi um. „So mein Freund jetzt kannst du die blöden fremden Geister im Wald nicht mehr sehen. Hoffe du verschonst uns jetzt mit deinem Kläffen“, sage ich zu ihm der mich wie immer in solch einer Situation schwanzwedelnd ansieht. Dann nutze ich die Zeit, um mein Abendessen loszuwerden. Die Kälte beißt mir dabei grauslich in den Hintern. Man könnte meinen ein Wolf hätte seine Zähne darin vergraben. Innerhalb weniger Minuten bin ich bei den minus 12 Grad unterkühlt. Es dauert trotz Wärmflasche lange bis ich in meinem Schlafsack wieder auf normale Betriebstemperatur komme und einschlafe.

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