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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Besuch in Nirrippi

N 22°39’27.7’’ E 130°34’16.1’’
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    Tag: 158 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    05:54

    Sonnenuntergang:
    19:11

    Luftlinie:
    18

    Tageskilometer:
    20

    Temperatur - Tag (Maximum):
    40 Grad

    Breitengrad:
    22°39’27.7’’

    Längengrad:
    130°34’16.1’’

Nirrippi-Camp — 20.11.2001

Das Gewitter, die Ameisen und weitere Kamelbullen haben uns für den Rest der Nacht verschont. Mit dem Aufgehen der Sonne verziehen sich die Wolken bis zur Horizontlinie. Wir laden ohne Zwischenfall die Karawane, nur Jasper führt sich wieder wie ein gefährlicher Löwe auf. Es ist unmöglich an seine Nasenleine zu kommen. Er wirft mit seiner erfolgreichen Art den Kopf in den Nacken, lässt ihn wie einen Schwunghammer herumsausen, so dass wir etwas ratlos vor ihm stehen. „Wir sollten die Methode, die uns Jo am Funkgerät empfohlen hat, ausprobieren.“ „Du meinst ihm ein Tuch über den Kopf zu werfen?“ „Ja.“ „Ich glaube nicht daran. Ich denke er wird daraufhin mit noch mehr Aggressivität reagieren,“ antworte ich grübelnd. „Wir werden es wissen wenn wir es ausprobieren,“ bleibt Tanja hartnäckig. „Okay, aber wir haben jetzt kein Tuch zur Hand.“ Tanja zieht kurz entschlossen ihr Hemd aus, hält es in die Höhe und sagt: „Das ist genauso gut.“ Vorsichtig streifen wir nun ihr Hemd über Jaspers Nacken und ziehen es langsam nach oben. Wir sehen uns gegenseitig in die Augen und als wir soweit sind stülpen wir im den Stoff über den Kopf. Jasper hat nicht mit der neuen Methode gerechnet und verharrt für einige Sekunden ganz verdutzt. Als er bemerkt nichts mehr sehen zu können schleudert er wieder seinen Kopf herum. Dann springt er hoch, obwohl das linke Vorderbein zusammengebunden ist. Mit drei Beinen und Tanjas Hemd über dem Kopf steht er nun da und weiß nicht mehr weiter. Wären wir nicht so angespannt wäre es eine lustige anzusehende Situation. Tanja steht nun nur in Hose und BH bekleidet vor dem riesigen Kamel und schimpft mit ihm während ich versuche ihn absetzen zu lassen. „Husch down! Husch down!“ ,befehle ich ihm, worauf er sich aufgeregt wieder nach unten lässt. Dann binden wir ihm schnell sein zweites Vorderbein zusammen und da er nichts sehen kann bemerkt er nicht wie Tanja seine Nasenleine nimmt und an dem Sattel seines Vordermannes bindet. Jasper unternimmt an diesem Morgen keinen weiteren Versuch ungehorsam zu sein. Tanja streift ihr mit Kamelkotze bespucktes Hemd über und wir setzen Max den Sattel auf den Rücken. Da wir nun nicht mehr querfeldein laufen müssen und Max einen weit besseren Eindruck auf uns macht als in den letzten zwei Tagen, entschließen wir uns ihn wieder an Jasper zu binden. Aus Sicherheitsgründen wird Tanja allerdings hinter der Karawane gehen, um mir über das Sprechfunkgerät rechtzeitig bescheid zu geben ob Max einen Absetzversuch wagt.

Das Aboriginedorf Nirrippi

Die Karawane kommt sehr gut voran. Jeder von uns scheint aufzuatmen nicht mehr im Zickzack durch das dicht bewachsene Spinifexland stapfen zu müssen. Wir schätzen den Luxus auf einem Track dahinschreiten zu können und bemerken erst jetzt wie einfach das ist. Gegen Mittag erreichen wir Wait Creek Settlement. Wir huschen die Tiere am Dorfrand nieder als wir auch schon entdeckt werden. Ganze Kinderscharen kommen auf uns zugerannt und wollen die Expedition, vor allem die Kamele begrüßen und streicheln. Ein paar Autos fahren vorbei. Edgar reagiert ängstlich und nervös und versucht sich unaufhörlich auf die Seite zu werfen. Wir haben alle Hände voll zu tun ihn zu beruhigen. Auch die anderen Jungs sind nervös, denn sie haben schon lange nicht mehr die Geräusche der Zivilisation gehört. „Mein Name ist Bluey,“ stellt sich der Leiter des Dorfes vor. Er sitzt in seinem Toyota und beobachtet uns wie wir den Kamelen die Vorderbeine zusammenbinden. Bluey hat einen langen Bart, trägt einen Zopf, ist wohl beleibt und besitzt einen sehr strengen Gesichtsausdruck. Ich unterhalte mich eine Weile mit ihm und erzähle woher wir kommen und wohin wir gehen. „Ich zeige dir gerne den Weg zur New Haven Station und wo ihr Wasser für die Kamele bekommt,“ bietet er mir freundlich und hilfsbereit an. „Gerne,“ antworte ich und steige in sein Auto ein. Nur kurze Zeit später sitze ich in seinem Büro und habe Jo am Telefon. „Ja, Jo wir haben es geschafft. Wir befinden uns jetzt in Nirrippi. Bluey hat mir bestätigt, dass die Karte falsch ist. Wait Creek und Nirrippi ist tatsächlich der selbe Ort und das Nirrippi in der Karte heißt eigentlich Emu Bore. Wir werden noch heute weiterlaufen. Ich berichte euch alles weitere am Funkgerät wenn wir unser Rastcamp aufschlagen.“ „Sehr gut Denis. Gratuliere. Wir freuen uns sehr das ihr gut durch das Sumpfland gekommen seid. Ich kann gar nicht erwarten den Rest der Geschichte zu hören. Passt auf euch auf.“ „Danke Jo,“ sage ich und lege den Hörer auf die Gabel. Bluey fährt mich danach zum Laden des Dorfes. Charly Smith, der Ladenmanager, ist ebenfalls ein Weiser und begrüßt mich freundlich. Weil ich Tanja nicht lange mit den Kamelen alleine lassen möchte rase ich durch das Geschäft, welches viel Ähnlichkeit mit einem wohl organisierten Supermarkt hat. Ich kaufe ein Weißbrot damit Tanja die Kamelmedizin darauf streuen kann, schnappe mir im Vorbeigehen eine Packung Schokoladenkekse, zwei Büchsen Gingerbier und zwei Eiskrem aus der Kühltruhe. Als ich dann an der Kasse stehe lädt mich Charly Smith ein. „Das geht schon in Ordnung. Lass dein Geld stecken. Ich freue mich euch etwas Gutes tun zu können,“ meint er lachend worauf mir fast die Worte fehlen. „Vielen Dank. Das ist ja wie Weihnachten. Tanja wird sich auch sehr freuen,“ antworte ich und verlasse mit Bluey den Laden. Mittlerweile haben sich bald alle Kinder des kleinen 200 Seelendorfes um die Kamele versammelt. „Sebastian, Hardie, Jafar, Istan, Edgar, Jasper und Max wiederholen sie kichernd die Kamelnamen. Ein hübsches, kleines Mädchen gibt Sebastian sogar einen Kuss und streichelt ihn liebevoll über seinen großen Kopf. Sebastian lässt es mit sich gewähren und jammert nicht wie sonst. Er ist ganz ruhig und scheint sich wohl zu fühlen. Einige Weise kommen mit ihrer Kamera und schießen Bilder. Sie fragen uns über die Expedition und sind angetan von den Kamelen. Tanja und ich genießen in der Hektik um uns herum das Eis am Stil. „Hm lecker,“ frohlocken wir. Eine Aboriginefrau lacht uns an. „Das erste Eis seit einem halben Jahr,“ sage ich. Ohne Zweifel trifft sie meine Aussage wie ein Hammer. „Was, seit einem halben Jahr?“ ,fragt sie regelrecht geschockt. „Ja, seit einem halben Jahr,“ antworte ich und schlecke an der köstlichen Süßspeise wie ein Verhungernder und sehe wie die dicke Frau verwundert ihren Kopf schüttelt. Auch unser kaltes Gingerbier rinnt uns die Kehle hinunter und schmeckt viel besser als der wertvollste Wein der Welt.

Traumhafte Abschiedsdüne

Als wir dann unsere Jungs wieder aufstehen lassen und ich sie durch Nirrippi führe greifen mich verschiedene Kinderhände und laufen mit Tanja und mir vor den Kamelen. Hinter dem Haus von Charly Smith, unweit von einem Wasserhahn, lasse ich unsere Jungs wieder absetzen. Obwohl unsere Boys 360 Liter Wasser saufen und wir 36 Eimer zu ihnen tragen müssen ist dieses Tränken im Vergleich zur Wildnis einfach. Frisch getankt brechen wir wieder auf und verlassen Nirrippi. Wir winken den freundlichen Menschen zu und biegen auf einen schmalen Track ein der uns nach New Haven, unserem nächsten Etappenziel, führt. Wir sind äußerst gut gelaunt und froh so kurz vor dem Ende der zweiten Etappe zu stehen. Nur zwei Kilometer hinter dem Dorf führe ich unsere tapferen Lasttiere auf eine hohe Sanddüne die sich von West nach Ost durch das Land zieht. Oben angekommen eröffnet sich uns ein malerischer Blick auf eine traumhaft schöne Landschaft. Mount Stanley und Mount Gurner liegen in ihrer majestätischen Pracht neben uns. Ihr Anblick erinnert mich an das Monument Valley in Amerika nur das hier weit und breit keine Touristen sind. Fasziniert und müde sitze ich in meinem klapprigen Campingstuhl und lasse diesen Moment auf mich wirken. Das rote Gestein der Tafelberge erglüht in dem weichen Abendlicht. Das offene Tal ist von saftigem Grün überzogen. Die Kamele können sich hier nach Herzenslust den Bauch voll schlagen. Bunte Vögel zwitschern und singen. Ich genieße diesen Moment auf der letzten Traumdüne vor unserem Ziel und wieder füllt sich mein Herz mit Frieden und Erleichterung. Von Minute zu Minute wird mir mehr und mehr bewusst was wir durchquert und hinter uns haben. Wenn jetzt nichts mehr Unvorhergesehenes dazwischen kommt dürften wir unser Ziel nach dem nächsten Rastcamp erreichen. Ich wende meinen Kopf nach rechts und erkenne Nirrippi. Eine menschliche Siedlung mitten in der Unendlichkeit. Ein dunkel grüner Gürtel verrät mir das dort Pflanzen mehr Wasser bekommen als sonst wo. Die Siedlung wirkt wie eine Oase in einem harten gnadenlosen Land welches sich im Augenblick von seiner freundlichen Seite präsentiert. Früher lebten die Aborigines nicht in solchen Dörfern, sondern wanderten von Wasserstelle zu Wasserstelle. Sie hatten keine Schwierigkeiten mit Alkohol, Benzinschnüffeln und anderen Drogen unserer Gesellschaft. Müll gab es nicht weil sie keinen produzierten. Nirrippi ist ziemlich schmutzig. Denn die Aborigines werfen alles, aber auch absolut alles weg. Sie haben keinen Sinn für Umweltschutz obwohl sie vor wenigen Jahrzehnten noch Nomaden waren. Bei ihnen gab es keinen unvergänglichen Müll wie ihn der weiße Mann produziert. Sie jagten eine Echse, schmorten sie im Feuer und warfen die vergänglichen Knochen weg. Sie hatten keine Häuser, sondern schliefen unter dem Dach des Himmels. Heute, nur wenige Jahrzehnte später, holen sie sich einen Großteil ihrer Nahrung aus Büchsen und Plastikschachteln die sie wie die Knochen eines Bangaras achtlos wegwerfen. Die Lücke zwischen dem steinzeitlichen, freiem Nomadenleben und dem unfreien Leben der westlichen Welt hat sich bei ihnen nicht geschlossen. Der zwanghafte Übergang von ihrer zu unserer Welt ging einfach zu schnell und vor allem hat man ihnen das Fundament ihrer Kultur geraubt. Ich blicke auf die kleine Siedlung und frage mich wie ihre Zukunft aussehen wird? Ob es für diese Menschen, die bisher ohne Ausnahme ausgesprochen liebenswert zu uns waren, eine Chance gibt? Eine Chance sich anzupassen bevor sie restlos untergehen? Ich wende meinen Kopf wieder nach links. Der Berg liegt noch genauso da wie vor wenigen Minuten. Genauso schön, genauso stolz und einmalig. Er hat mit Sicherheit erlebt wie es war als das Urvolk von Australien noch um seine Flanken zog, um zu jagen. Er hat erlebt wie es war bevor der weiße Mann dieses Land unterjochte. Ich atme den lauen Abendwind in meine Lungen und bin dankbar diese Natur erleben zu dürfen.

Nachdem Tanja die Kamele neben unserem Lager an die verschiedenen Bäume gebunden hat versinkt der glühende Sonneball. Die Temperaturen werden augenblicklich angenehmer. In Nirrippi beginnen die künstlichen Lichter zu funkeln. Das Geräusch eines Generators dringt leise an unsere Ohren und obwohl ich gerne mit einem Urvolk für längere Zeit leben würde bin ich froh nicht dort zu sein, sondern hier auf unserer Düne zu sitzen. Wir lauschen den Geräuschen der Nacht und essen unser Abendessen. Die Sterne zeigen sich heute wieder und glitzern wie Diamanten. Von Zeit zu Zeit jagt eine Sternschnuppe durch das Firmament. Der Meteoritenregen den wir erlebt haben gehört schon wieder der Vergangenheit an. Trotzdem wird er als unvergessliches Ereignis in unserer Erinnerung bleiben. So lange bis wir von diesem Planeten abschied nehmen müssen.

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