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Moldawien/Kloster Marta si Maria

Bestimmung?

N 46°43'59.9'' E 029°27'37.1''

Es ist noch dunkel, als wir um 4:15 Uhr aus unserem Zelt kriechen. Tanja hat soweit die Salmonellenvergiftung überstanden und fühlt sich fitt. Wir verabschieden uns von Luda. Drücken und herzen uns und reiten kurz nach fünf Uhr unsere Räder aus dem Dorf. Die Hügelkette hat uns wie eh und je im Griff. Jedoch kommen wir bei den morgendlichen noch angenehmen Temperaturen sehr gut voran. In einem Magazin füllen wir unsere Wasservorräte auf. Die Frau heißt Maria und ist wie Luda sehr herzlich. Auch hier könnten wir bleiben wenn wir wollten, allerdings besitzen wir heute noch genügend Kraft und Energie, um unser gesetztes Ziel die Stadt Causen zu erreichen. Bevor es weitergeht, fotografiere ich noch Maria wie sie Tanja Hand schüttelt und die Freundschaft zwischen Moldawien und Deutschland ausruft. Dann bekommen wir von ihr einen Leib nur halbgequältes Weißbrot geschenkt und verabschieden uns. Hinter dem Örtchen Salcuta verlassen wir fürs erste die Runzellandschaft und stürzen uns aus 210 Meter freudig in eine Tiefebene. Wir überqueren Eisenbahnschienen und folgen dem Tal in Richtung der Stadt Causen. Um 10:30 Uhr, nach ca. 43 Kilometern, erreichen wir bereits unser Tagesziel. Über den Erfolg, die vielen Bodenerhebungen hinter uns gelassen zu haben, freuen wir uns sehr. Bestens gelaunt fragen wir nach einem Hotel. Ein Mann führt uns zu einem schönen Park. Mitten drin steht ein hübsches Haus. “Was für ein Platz, um meine Aufzeichnungen niederzuschreiben”, lache ich. Als wir vor dem besagten Hotel stehen, fällt uns der Unterkiefer regelrecht herunter. Mit offenem Mund stehen wir staunend da und sehen den Arbeitern zu, wie sie mit Presslufthammer und allem möglichen anderen Werkzeugen in dem Haus herumwerkeln. “Das soll ein Hotel sein?”, frage ich den Mann, der uns hergebracht hat. “Da, das ist das Hotel”, sagt er und verschwindet. Tanja und ich verharren nun vor dem Gebäude, aus dessen offenen Fenstern der Baustaub schwebt. Die Handwerker stehen auf dem Balkon und lachen zu uns herunter. Auch wir finden die Situation plötzlich regelrecht witzig. Lauthals prusten wir los und biegen uns vor lachen. “Hat ja keiner gesagt, dass das einzige Hotel in der Stadt auch bewohnbar ist”, meine ich. Etwas ratlos schieben wir unsere Bikes auf dem Gehsteig. Ein anderer Mann kommt herbei und führt uns zu einer nahen privaten Unterkunft. Erleichtert hören wir, dass ein Zimmer zu vermieten ist. Während Tanja bei den Rädern bleibt sehe ich mir, wie üblich, erstmal die Bleibe an. Die Hausherrin führt mich einen kurzen Gang entlang, an dessen Ende eine Tür in einen etwa sieben Quadratmeter kleinen, fensterlosen Raum führt. In der Mitte der stickigen, dunklen Bleibe befindet sich ein Bett, auf dem man zu zweit große Schwierigkeiten hat nachts nicht einfach herunter zu plumpsen. “Haben sie kein Zimmer mit Fenster?”, frage ich freundlich. “Nein, ausgebucht”, antwortet die Dame. Wieder auf der Straße berate ich mich mit Tanja. “Ich habe nicht die geringste Lust weiter zu fahren”, meine ich mich jetzt doch müde fühlend. “Welche Alternativen haben wir?” “Keine Ahnung”, antworte ich und ziehe die Landkarte zu rate. “Also, die Grenze zur Ukraine ist noch ungefähr 80 Kilometer von hier entfernt. Es gibt aber keine Dörfer, die an der Straße liegen. Wir müssten irgendwo abbiegen, ein paar Kilometer hinradeln und fragen, ob wir unser Zelt aufschlagen dürfen. Das heißt aber, wir müssen noch mindestens 15 Kilometer weiterfahren. Danach sehe ich erst wieder einen Ort in 20 Kilometern.” “Gibt es Berge?” “Kann ich aus dieser Karte nicht herauslesen”, antworte ich und überlege nach weiteren Möglichkeiten. In der Zwischenzeit haben sich ein paar Menschen um uns versammelt, die in russischer oder rumänischer Sprache auf uns einreden. Plötzlich entdecke ich eine weitere Alternative. “Wir könnten nach Bender fahren. Ist eine große Stadt. Dort gibt es auf jedem Fall eine Bleibe für uns, und so wie ich es betrachte, ist es nicht einmal ein Umweg. Wir müssen Moldawien nur an einer anderen Grenze als ursprünglich geplant verlassen.” “Wie weit ist es nach Bender?” “Nur 23 Kilometer. Das packen wir locker. Ist ja noch früh am Tag”, meine ich jetzt wieder zuversichtlich. Ich betrachte Bender in meiner Karte und kann mir nicht helfen. Ein unbestimmtes ungutes Gefühl lässt mich zögern auf die Böcke zu springen und loszuradeln. “Bender haraschor?” (Ist Bender gut”?), frage ich auf Russisch. “Njet”, sagt die sichtlich angefressene Wirtin hinter mir während andere mit dem Kopf nicken. Nun genauso klug wie vorher betrachte ich mir den Fleck auf der Karte und werde nicht schlau aus meinen Gefühlen. “Was ist denn los? Warum zögerst du?”, will Tanja wissen. “Hm, habe vor kurzem irgendetwas über Separatisten im Nordosten gehört. Keine Ahnung ob das in Bender ist.” “Ach das ist der Grund deines Zögerns.” “Ja. Wir fahren trotzdem. Wenn dort Unruhen wären, hätten wir bestimmt davon gehört”, entscheide ich.

Bevor wir Causen verlassen, fragen wir sicherheitshalber nach einem Hotel. “Drei Kilometer von hier liegt ein gelbes Haus auf der rechten Seite der Straße. Das ist ein Hotel”, hören wir. “Dort können wir uns bestimmt duschen, ausruhen und ich meine Aufzeichnungen schreiben”, freue ich mich. Motiviert fahren wir weiter und treten unsere Rösser durch die schmutzige, ebenfalls heruntergekommen und grottenhässliche Stadt. Nach etwa zwei Kilometer zeigt uns ein Straßenpolizist die Richtung. “Noch drei Kilometer”, ruft er. Vorbei geht es an völlig zerfallenen Fabrikgebäuden, die wir auf unserer bisherigen Reise in den Osten schon oft gesehen haben. Hier allerdings scheint die Dimension der Hässlichkeit jegliche Beschreibungsversuche zu sprengen. Nichts funktioniert mehr. Selbst Einsenbahnschienen, die wir überqueren, sind völlig verbogen, gespalten, verrostet und in schlimmster Form malträtiert. Moldawien ist ohne Zweifel ein geschundenes Land. Ein Land, welches dringend Hilfe benötigt. Unfassbar, dass es so etwas in Europa überhaupt gibt. Über zerwürfelten Asphalt rumpeln wir dahin. Dadang, dadang, dadang scheppert mein Anhänger über den geplagten Untergrund. Plötzlich taucht auf der rechten Seite das gelbe Haus auf. Es ist dünn wie ein Streifen Karton. Wahrscheinlich gibt es nur eine Zimmerreihe nebeneinander. Verblüfft stehe ich da und sehe auf die gelbfarbene Häuserkreatur. Eingebettet von LKWS und demolierten Eisenbahnwaggons schwitzt der Bau bei einer Temperatur von ca. 60 Grad in der Sonne. Staub weht in Fontänen übers Gelände. “Willst du nicht fragen, ob sie ein Zimmer haben?”, höre ich Tanja hinter mir. “Da brauche ich nicht fragen. Der Laden ist doch absolut abscheulich. Hier möchte ich keine Stunde verweilen.” Wir lassen das Gelbe Hotel am so genannten Terminal hinter uns und verlassen Causen. Eines der sehr seltenen Hinweisschilder zeigt noch 23 Kilometer bis Bender an. Vor etwa sechs oder sieben Kilometer hat ein anderes Schild die gleiche Entfernung angegeben. Die Streckenangaben in diesem Land sind selten ernst zu nehmen. Kaum liegt die Hässlichkeit an Stadt hinter uns, erhebt sich eine der lang gezogenen Erdrunzeln. Wir keuchen hoch, machen Pause und keuchen weiter.

TransnistrienDann sehen wir die Stadt in einem Talkessel liegen. Wieder motiviert lasse wir unsere Räder hinuntersausen. Bei bald 60 Sachen treibt es uns der Fahrtwind tränen in die Augen. Wüssten wir nicht, das wir in wenigen Kilometern wieder hinauf müssen, würden wir lauthals jubilieren. Plötzlich entdecke ich vor uns einen Schlagbaum. Einen Schlagbaum? Was soll den das? Mitten im Land? Die Grenze zur Ukraine ist von hier mindesten 35 Kilometer entfernt. Wir bremsen unsere Roadtrains und bleiben stehen. Uniformierte kommen aus einem Häuschen, um die Seltenheit zu betrachten. Einer von ihnen spricht perfekt Englisch. “Äh, wieso gibt es hier einen Schlagbaum?”, frage ich noch immer verblüfft. “Haben sie nicht von den politischen Problemen dieser Region gehört?” “Nein. Welche politischen Probleme?”, frage ich und mein anfänglich ungutes Gefühl ist wieder voll erwacht “Na dort unten, da wo sie den anderen Schlagbaum sehen, liegt die Republik Transnistrien.” “Transnistrien? Was ist denn das?” “1992 gab es hier einen Aufstand.” “Einen Aufstand? Kommen wir denn hier weiter? Oder müssen wir umkehren?”, frage ich etwas bange, denn hinter uns liegt der Berg, den wir gerade hinunter gebrochen sind, und wie wir wissen keine brauchbare Unterkunft für uns. Abgesehen davon geraten wir wegen unserem Live-Interview langsam unter Zeitdruck. “Wenn man sie auf der anderen Seite nicht durchlässt sind, sie bei uns gerne wieder gesehen”, sagt der junge freundliche Mann. Nervös blicke ich die Straße hinab auf das so genannte Transnistrien, von dem ich noch nie in meinem Leben gehört habe. Was man nicht alles erlebt auf so einer Reise. Selbst in Europa gibt es den Wilden Westen oder treffender den Wilden Osten. Mir ist in diesem Moment nicht klar, ob ich in den Wilden Osten weiter vordringen möchte. Viele Menschen haben uns gewarnt. Manche konnten gar nicht glauben, dass wir bisher von der Polizei verschont geblieben sind. Auch über die gnadenlosen ständigen Diebstähle hat man uns unterrichtet. Länder in denen sich die Bevölkerung unaufhörlich gegenseitig beklaut, um sich zu bereichern. Selbst eine Plastiktüte kann man keine fünf Minuten, egal wo, stehen lassen. Sie ist mit Garantie weg. Und nun stehen wir vor einem Land, welches uns völlig unbekannt ist. Wir erfahren, dass Tranistrien sich seit 1991 als von Moldawien unabhängige Republik bezeichnet und die Annäherung zu Russland anstrebt.

Zum Westen wird die heutige Grenze zu Moldawien von dem Fluss Dnjestr gezogen. Im Osten grenzt der schmale Landstreifen an die Ukraine. Die Bevölkerungsmehrheit in dieser Region sind Russen und Ukrainer. Unter einer Millionen Einwohner sollen es sein. 1992 brachen blutige Kämpfe zwischen den Separatisten und Truppen Moldawiens aus, in deren Verlauf russische Truppen intervenierten, die immer noch in Transnistrien stationiert sind. Seit 1999 überwacht eine Friedenstruppe eine Sicherheitszone entlang der international nicht anerkannten Grenze zu Moldawien. Nach wie vor ist der endgültige Status der Region ungeklärt. Im November 1999 verpflichtete sich Russland in einem mit der OSZE unterzeichneten Abkommen zum Abzug seiner rund 2500 in Transnistrien stationierten Soldaten. Nach dem Abzug der ersten Einheiten im Dezember 2001 verzögerte sich der weitere Truppenabzug.

Willkür und KorruptionWir bedanken uns bei dem moldawischen Zollbeamten für die Informationen und lassen unsere Räder weiter die Straße hinunter rollen. Vorbei geht es an zwei schwer bewaffneten Soldaten, die ich der Friedenstruppe zwischen den beiden Parteien zuordne. Ein kaum lesbares Schild verbietet jegliches Fotografieren und Filmen. Eiserne Gitter und Nagelbretter, die jeden Autoreifen zerfetzen, lassen mir die Nackenhaare aufstehen. Am Schlagbaum, der selbsternannten und von keinem Staat auf der Erde außer Russland anerkannten Republik, bleiben wir stehen. Mindestens sechs oder acht Uniformierte stürzen sich wie die Geier auf uns. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen hier wenig oder keine westlichen Langstreckenradler vorbei. “Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Was machen sie? Warum fahren sie mit dem Rad?”, fragen uns die Herren wovon einer ebenfalls leidlich Englisch spricht. Tanja und ich überspielen unsere Nervosität mit absoluter Freundlichkeit und gespielter Naivität. “Schaut wie weit wir schon gefahren sind”, sage ich und zeige den Beamten meinen Tacho. Ein Mann in grüner Uniform lässt das alles kalt. Mit sichtbar gierigen Augen betrachtet er unsere Räder. Er scheint uns überhaupt nicht zuzuhören. Seine Ausstrahlung lässt meine Nackenhaare noch weiter aufstellen. Bei der unmenschlichen Hitze vereint sich Schweiß und Angstschweiß zu einer einheitlichen Brühe, die mir am Körper herunter rinnt. “Kommen sie mal mit”, sagt der Mann in Grün herrisch. “Wohin denn?”, frage ich. Als Antwort winkt er nur, ich solle mein Rad auf den Gehweg bringen und abstellen. “Ich kann mein Rad nicht abstellen. Es ist zu schwer”, versuche ich vergeblich zu erklären, weil dieser Typ nur Russisch spricht. Dann lehne ich mein Rad gegen seinen Willen an eines der hässlichen Kontrollhütten. “Sie kommen auch mit”, befiehlt er Tanja. “Ich kann mein Rad nicht abstellen”, antwortet sie lachend und ignoriert seine Order. “Aufmachen”, sagt die Geierstimme, worauf ich meine Lenkertasche öffne. Sofort entdeckt er das Pfeffergas, welches wir als Hundeabwehr mit uns führen. Da ich nichts von dieser Grenze wusste, hatte ich bisher keine Gelegenheit es zu verstecken. “Ah, was haben wir denn da?”, sagt er süffisant. “Ist wohl Gas?” “Ja gegen Hunde.” “Haben sie auch so ein Gas?”, will er von Tanja wissen. “Was soll ich damit? Nein habe ich nicht”, schwindelt sie erfolgreich, worauf der Soldat sich wieder mir zuwendet. “Und was ist das?”, fragt er auf mein Leatherman deutend. Jetzt merke ich wie sich in mir gewaltiger Ärger ausbreitet. Druck baut sich auf, dann kriecht er mir die Kehle hoch und möchte sich Luft verschaffen. “Das ist ein Leatherman. Damit kann man Schrauben anziehen. Sehen sie?”, sage ich, öffne es und lasse die Zange in Gesichtshöhe auf und zuschnappen. “Wie auch immer. Das Ding bekommst du auf keinen Fall”, setze ich hinterher und fahre fort; “Und das ist ein Thermometer, ein Müsliriegel, ein Pulsmesser, Kreme für meinen Popo. Mann! Was willst du denn überhaupt von einem Radfahrer!” frage ich laut, mit wütenden Tonfall in meiner Stimme. Der Geier lässt plötzlich die Hände von meinen Sachen. Hat die Welle des Grolls mitbekommen und befiehlt mir, ihm in seine Scheißhütte zu folgen. Mir schwant Übles. Er hat sein gefundenes Fresschen in der Hand. Das Pfeffergas. Während ich wie ein Idiot neben ihm, stehe blättert er genüsslich in einem dicken Ordner. “Was ist denn los Denis? Lasst meinen Mann da raus!”, ruft Tanja draußen laut, um andere auf die angehende Schweinerei aufmerksam zu machen. Keiner nimmt Notiz. Anscheinend ist diese Grenze eine reine Abzockgrenze. “Hier!”, sagt der grüne Peiniger und deutet auf eine kyrillische Schrift. “Kann ich nicht lesen”, sage ich auf Deutsch. Er antwortet etwas auf Russisch. Dann bekomme ich zuviel und laufe einfach aus seiner Blechhütte. Er ruft mir hinterher. “Behalt doch das blöde Gas. In so einem Land will ich eh nicht reisen”, sage ich mit dem Wissen, dass er mich nicht versteht. Er stürmt mir hinterher, während ich den netten englisch sprechenden Beamten finde. “Ich brauche ihre Hilfe”, sage ich worauf er mir folgt. Wieder in der dunklen heißen Hütte erzähle ich; “Bis nach Burma haben wir noch über 20.000 Kilometer vor uns. Überall in den Fabriken gibt es Hunde. Oft ist kein Zaun vorhanden. Ihr wisst das. Hunde lieben es sich bewegenden Dinge zu jagen. Besonders Radfahrer beißen sie am liebsten in die Wade. Wenn der Herr hier mir das Gas wegnimmt, haben wir ein ernsthaftes Problem. Die beiden führen eine kurze Diskussion. Dann stürmt mein Helfer davon. Es ist offensichtlich, dass er mit dieser Sache nichts zu tun haben möchte und so wie es aussieht, hat der Soldat hier mehr zu sagen. “Was willst du denn? Geld? Klar willst du Geld. Wie viel?”, frage ich lächelnd und im versöhnlichen Ton. Der Assgeier lächelt ebenfalls. Jetzt haben wir dem Nerv auf dem Zahn gefühlt. Er schreibt eine Zahl auf einen Zettel. “50,- Lei?”, frage ich über die geringe Summe erleichtert. “50,- Euro”, antwortet er süffisant. (Doppelte Monatsgehalt eines Lehrers) “50,- Euro? Die habe ich nicht. Ich habe überhaupt keine Euro. Wir sind schon seit Monaten unterwegs und brauchen keine Euro. Wir zahlen mit Karte”, fasele ich dahin. “50,- Euro oder ich mache einen Raport wegen dem Gas”, verstehe ich. Dann mach doch deinen Raport, geht es mir durch den Kopf. Da der Mann nur auf Geld aus ist, wäre es glatt einen Versuch wert meinen Gedanke in die Realität umzusetzen. Jedoch habe ich schon mal sehr schlechte Erfahrungen auf Madagaskar gemacht. Damals wäre das Spiel mit den Behörden fast in die Hose gegangen. Man weiß nie, was in solch einem Fall in so einer selbsternannten Bananenrepublik geschieht. Auf Gefängnis habe ich keine Lust und jeglicher Stolz ist zu diesem Zeitpunkt falscher Stolz. Stattdessen lege ich 100,- Lei (6,25 Euro) auf den Tisch. Gelangweilt tippt er auf die Zahl 50,- Euro. “Ich habe keine Euro”, wiederhole ich mit butterweicher Stimme. Wieder klopft er auf den Tisch. “Euro oder Rabort”, speit die hässliche Gestalt ebenfalls lächelnd. Erneut lege ich 100,- Lei auf den Tisch, um somit mein Angebot zu verdoppeln. Er bleibt stur. “Ich will nicht mehr nach Transnistrien. Wir kehren nach Moldawien zurück”, sage ich jetzt. “Auf der moldawischen Seite mögen sie auch kein Gas”, glaube ich zu verstehen, womit mein Schachzug geschlagen ist. “Was ist mit meinem Mann? Was macht ihr da drin mit ihm!?”, ruft Tanja draußen. Um Tanja zu beruhigen und ihr zu zeigen dass ich nicht gefoltert werde gehe ich zur Tür und sage; “Alles in Ordnung. Komme gleich.” Ein Offizier wird aufmerksam und betritt lächelnd den Raum. Das ist die Rettung, denke ich und freue mich über die angehende Wende der Situation. “Lass mich das machen”, sagt er zu seinem Untergebenen, schiebt ihm vom Stuhl und setzt sich darauf. Er sieht mich freundlich an, während ich warte was er mir zu sagen hat. “50,- Euro”, haucht er superfreundlich. Klar, die stecken alle unter einer Decke. “Ich habe keine 50,- Euro”, sage ich standhaft und hoffe nicht von den beiden gefilzt zu werden. “Dann gib uns 400,- Lei. Wir sind vier Soldaten. Für jeden 100,- Lei. Das ist doch kein Geld für dich.” 400 Lei sind zwei Hotelübernachtungen. Für uns als Langzeitreisende also viel wert. Da ich jetzt aber meinen zweiten großen Verhandlungserfolg habe und den Preis von 50,- Euro auf 25,- Euro drücken konnte und eventuell mein Gas behalten darf, gebe ich nicht auf. Ich will es den Jungs zumindest nicht leicht machen, ihre korrupte Nummer durchzuziehen. Wieder lege ich 100,- Lei auf den Tisch und sage, dass dies das Ende der Fahnenstange ist. Der Offizier behält seine scheinheilige Freundlichkeit. “400,- Lei. Komm mach schon Mann. Das ist für uns Bier. Bitte gib uns Bier?” 100,- Lei bedeuten 12 Flaschen Bier. Also will er einen vierfachen Vollrausch von mir. Ich denke kurz nach und erkenne die Sinnlosigkeit weiterverhandeln zu wollen. Erneut lege ich einen 100,- Lei-Schein auf den Tisch. “Danke. Vielen Dank”, sagt er und erhebt sich aus seinem Stuhl. “Deutschland und Transnistrien sind doch Freunde? Du hegst doch keinen Groll?”, fügt er hinzu, schüttelt meine Hand und gibt mit endlich unsere Pässe zurück. “Sind Freunde”, antworte ich und versuche meinen Ärger über den Diebstahl zu unterdrücken.

Als ich wieder draußen bin berichte ich Tanja kurz von den jüngsten Geschehnissen. Dann schickt man uns zur anderen Straßenseite. Dort müssen wir uns registrieren lassen. Keiner spricht ein Wort Englisch und unser Russisch ist zu schlecht um den Behördenkram zu verstehen. Eine Beamtin findet einen Kollegen der uns dann in bruchstückhaftem Englisch erklärt, dass wir hier nur ein Transitvisum bekommen. Spätestens Morgen müssen wir das Land wieder verlassen. Da ich eigentlich dringend einen Ort zum Schreiben benötige und wir uns ausruhen wollen genügt ein Tag nicht. Abgesehen davon weiß man als Radfahrer nie ob man unterwegs eine Panne hat. “Was ist wenn wir mehr Tage benötigen?”, will ich wissen. Dann müssen sie auf das Passamt gehen und ein Visum beantragen”, sagt der Beamte. Wieder verspüre ich das unangenehme Gefühl in meiner Bauchgegend, noch viel stärker als vor wenigen Stunden. “Lass uns draußen erstmal hinsetzen und überlegen was wir tun”, schlägt Tanja vor. Wir verlassen das Büro und setzen uns davor auf den Bordstein. “Was schlägst du vor? Was sagt dir dein Gefühl?”, möchte Tanja wissen. “Ich weiß nicht. Meine Gefühle sind völlig durcheinander. Ich wünschte, ich hätte jemanden, der sagt fahr weiter oder besorgt euch ein Dreitagevisum oder, oder, oder. Aber in meinem Kopf brummt es und meine Gefühle sind von dem Ärger aufgewühlt. Ich will nicht in solch einem Land reisen. Das weiß ich auf jeden Fall”, erkläre ich. “Willst du wieder den Berg hoch nach Causen?” “Keine Ahnung. Was schlägst du denn vor?”, möchte ich wissen. “Mich graust es vor dem Berg. Wir haben kein Wasser. Wir befinden uns kurz vor einem Hotel und unser Eintrittsgeld ist auch bezahlt. Wir sind schon in Transnistrien. Aber ich möchte dir nicht aus Bequemlichkeit eine falsche Entscheidung einreden.” “Hätte ich vor ein paar Stunden die richtige Entscheidung getroffen, wären wir jetzt nicht in dieser verzwickten Lage. Hast du noch Wasser?” “Keinen Schluck mehr.” “Hm, wir brauchen Wasser.” “Ja.” “Sag mir noch mal, was du fühlst?” “Bei dem Gedanken daran, in diese Republik zu fahren, könnte ich mich kotzen. Es tut mir regelrecht weh und mein Magen krampft sich zusammen. Wer weiß, wie hier die Polizei ist? Gibt es da so etwas wie Recht? In einem Staat, der von keinem Land der Erde außer den Russen anerkannt wird? Ich weiß nicht. Ich will so ein Land nicht bereisen. Aber wenn du der Meinung bist, wir sollen rein, fahren wir weiter”, überlege ich. “Ich höre auf dein Gefühl.” “Gut, dann kehren wir um und fahren nach Moldawien zurück. Die moldawischen Zöllner wissen bestimmt wo wir Wasser kaufen können. Im Notfall bekommen wir Wasser in einem Dorf aus dem Brunnen. Den Berg schaffen wir schon. Ist reine Einstellungssache. Wir übernachten einfach in dem Loch. Wahrscheinlich ein Paradies im Vergleich zu dem, was in dieser Bananenrepublik auf uns wartet”, plaudere ich. Gesagt getan. Wir verabschieden uns von den Uniformierten, die uns etwas verwundert nachsehen und strampeln bei knapp sechzig Grad ohne ein Tropfen Wasser zu den moldawischen Zöllnern hoch. Wir werden lachend empfangen. “Was war los?”, fragen sie. Wir erzählen dass man uns 400,- Lei abgeknüpft hat und wir lieber in Moldawien über die Grenze zur Ukraine gehen. “Wer weiß, was den Tranistrieern eingefallen wäre, wenn wir ihr Land verlassen hätten”, meine ich noch. Der Beamte nickt verständnisvoll und erklärt, dass kurz vor dem Schlagbaum Tranistriens eine kleine Straße in ein Dorf führt in dem wir ein Magazin finden. Wieder radeln wir den Berg ein Stück hinunter, und wieder geht es an den Soldaten der OSZE vorbei, die uns nun zum dritten Mal zuwinken. Am Laden werden wir von einem Betrunkenen empfangen. Kaum dass wir unsere Räder gegen das verrostete Stahlgeländer gelehnt haben, belästigt er uns. Dann fasst er Tanja am Arm, will die Uhr sehen. Sie schiebt seine Hand weg. Jetzt greift er an meinen Lenker und dreht an der Schaltung. “Lass das bitte”, sage ich. “Mein Gott. Was ist denn das für ein Tag?”, jammere ich laut. “Ist nichts passiert”, beruhigt mich Tanja. “Stimmt”, gebe ich ihr Recht. “Was machen wir mit ihm? Kann ich dich kurz alleine lassen oder willst du das Wasser kaufen”, frage ich. “Geh nur. Ich halte die Stellung. Schnell eile ich in das Magazin, kaufe fünf Flaschen Wasser und hetze wieder nach draußen. Der Betrunkene ist noch lästiger als vorher und spricht immer eindringlicher auf uns ein. Bevor er ärgerlich wird, schütten wir schnell das Wasser in unsere Sourcetrinkrucksäcke und radeln wieder zurück. Die Friedenssoldaten lachen, als sie uns nun zum vierten Mal vorbeiradeln sehen. Dann winken wir den moldawischen Zöllnern zu und machen uns an den Aufstieg der knapp 200 Höhenmeter. Starker Rückenwind kommt auf und macht uns das Vorankommen einfacher. Mit jedem Meter, den wir hinaufsteigen, fühle ich mich wohler. Es war eine richtige Entscheidung, nicht nach Transnistrien zu fahren. “Denis! Es ist 14:30 Uhr. Du musst dein Satellitentelefon für das Interview aufbauen!”, ruft Tanja hinter mir. “Noch nicht!”, antworte ich von einer unbestimmten Energie getrieben. Als wir den Rücken des Höhenzuges erreichen, bläst uns der Wind mit 25 Sachen über den geplagten Asphaltstreifen. Plötzlich entdecke ich ein Kreuz, an den man Jesus genagelt hat. Instinktiv fühle ich mich davon angezogen. “Dort halten wir das Interview!”, entscheide ich und parke meinen Straßenzug im Schatten eines nahen Wahlnussbaumes.

Kaum kommen wir zur Ruhe, hält ein dicker Mercedes-Jeep auf der Straße. Ein gut gekleideter Mann steigt aus, und als er auf uns zuläuft ,bekomme ich weiche Knie. Wird doch nicht schon wieder ein Mann vom Zoll sein? “Kommt ihr aus Deutschland?”, fragt er im perfekten Deutsch, worauf sich meine Verkrampfung sofort löst. “Ja.” “Das kann ja nicht wahr sein. Was macht ihr denn hier?”, will er wissen. Wir erzählen unsere Geschichte und erfahren dass Holger, zu einem internationalen Team der Grenzüberwachung gehört. “Ihr habt gut entschieden, nicht durch Transnistrien zu fahren. Das Gesetz in der Republik steht auf wackligen Beinen. Wenn es überhaupt so etwas wie ein Gesetz gibt. Die Alternative über Moldawien in die Ukraine zu reisen, ist entschieden sicherer.” Wir sind erleichtert diesen Mann zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Sseine Aussage gibt uns wieder Kraft und Zuversicht. Dann verabschiedet er sich wieder von uns und fährt mit seinen Kollegen davon. Gerade noch rechtzeitig baue ich das Sattelitentelefon auf. Die Verbindung ist perfekt. Obwohl uns starker Wind um die Ohren bläst und ich auf dem Bauch hinter meinem Anhänger kauere, verläuft das Interview sehr gut. “Lass uns erstmal was essen”, schlägt Tanja vor. “Gute Idee”, sage ich und merke, wie sich mein Pulsschlag weiter in Richtung Normalität bewegt. Wir verspeisen mit großem Heißhunger das Weißbrot von Maria. Tanja packt das letzte Gläschen mit in Olivenöl eingelegten Tomaten von Rapunzel aus und wir lassen uns das Festmahl schmecken. “Eigenartig, wie schnell der Mensch mit dem einfachsten Essen zufrieden zu stellen ist. Man braucht nur elf Stunden bei knapp 60 Grad in der Sonne durch ein völlig verarmtes Land zu radeln, sich von korrupten Zöllnern abzocken zu lassen und am Ende nicht wissen, wo man nachts endet”, sage ich etwas ironisch lächelnd. Dann fällt mein Blick auf eine im Bau befindliche Klosterkirche. “Sollten wir dort mal nachfragen ob wir einen Übernachtungsplatz bekommen?”, frage ich Tanja. “Weiß nicht. Die Kirche ist ja noch im Bau. Wer weiß, ob da überhaupt jemand ist?” “Vielleicht errichten sie gerade eine neue Kirche. Da gibt es bestimmt ein Kloster.” “Was ist mit morgen. Wenn wir jetzt ein Camp aufschlagen, ist es morgen 20 Kilometer weiter bis zur Grenze.” “Stimmt, aber wir sollten die Strecke auf zwei Tage aufteilen und in einem Dorf schlafen. Wir wissen ja, dass wir meist gern gesehene Gäste sind.” “Unter diesen Umständen lass uns beim Kloster fragen”, schließt Tanja.

Wie Königin und König behandeltAls wir auf den Hof des Klosters rollen sehen wir einen freundlichen Priester mit langen, grau melierten Bart und einem Zopf. Wir lehnen die Räder an einen Baum und ich gehe zu dem Mann mit der netten Ausstrahlung. “Gerne dürft ihr euer Zelt in unserem Park aufstellen. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr auch ein Zimmer haben”, verstehe ich und glaube im ersten Augenblick meinen Ohren nicht trauen zu können. Vater Andrew, so heißt der Priester, führt mich sofort in einen wunderschönen Park, an dessen niedrig gelegenen Stelle ein kleiner See im nachmittäglichen Sonnenlicht glänzt. “Such dir einen Platz aus, wo du dich am wohlsten fühlst”, sagt er mit seiner warmen, freundlichen Stimme. “Vielen Dank. Das ist ein wunderschöner Ort mit viel positiver Energie”, antworte ich. “Ja, wir tun auch etwas dafür. Wir beten viel und heben somit den Energielevel”, antwortet er und sieht mich mit seinen warmherzigen Augen an. Gerade noch in den Fängen des geierhaften Soldaten beim transnistrieschen Zoll und jetzt im Herzen eines Orthodoxen Klosters. Wie das Leben so spielt. Einfach nicht zu fassen, geht es mir durch den Kopf. “Komm ich zeig dir unsere kleine Kappelle und die Quelle mit dem heiligen Wasser”, höre ich Vater Andrews Stimme und folge seinen wallendem Priestergewand. “Oh, das ist ja wie in einem japanischen Garten. Schön habt ihr das angelegt. Und die kleine Kapelle. Sehr geschmackvoll”, lobe und freue ich mich über die Frieden ausstrahlende Anlage. “Wollt ihr etwas essen?” “Wir haben gerade etwas gegessen. Aber als Radfahrer hat man immer Hunger.” “Dann komm”, sagt er und wir spazieren trotz dieser fatalen Trockenheit wieder durch den saftig grünen Park. “Ein toller Ort. Hier werden wir uns wohl fühlen. Es war eine sehr gute Entscheidung umzukehren und hier zu fragen”, sage ich zu Tanja, die sich sichtlich freut, endlich ausruhen zu dürfen. “Können wir unsere Räder einfach so unbeobachtet stehen lassen?”, möchte ich wissen. “Hier im Kloster gibt es kein zapzerap”, (Russisches Wort für stehlen), antwortet Vater Andrew. Wir folgen Vater Andrew, der übrigens der Gründer und oberster Priester dieses Klosters ist, in den großen Speisesaal. “Hier essen unsere Nonnen, die Gäste und Arbeiter”, erklärt er. “Nonnen?”, frage ich. “Ja, das Kloster Marta si Maria ist ein Nonnenkloster. Wir sind hier 52 Nonnen und drei Priester. Das Kloster gibt es erst seit 10 Jahren. In dieser Region gab es keine Klöster. Das ist der Grund, warum wir es gegründet haben. Wir unterrichten Kinder, spenden den Menschen Trost. Geben ihnen den Glauben zurück, den uns die Kommunisten versucht haben zu nehmen. Wir wollen die Energie in dem Land heben und vieles mehr. Ist noch viel Arbeit und ein ewiger Kampf um die Finanzierung. Gott wird uns helfen, unsere Pläne zu verwirklichen”, erklärt er, während ein paar freundlich dreinblickende Nonnen uns einen Tisch bis zum Biegen decken. Sie servieren uns kühlen Tee, Gemüsesuppe mit Kartoffeln, Reis und Karotten, selbst gebackenes Brot, Tomaten, frischen Schafskäse, gekochte weiße Bohnen in schmackhaftem Sud. Dann lässt Vater Andrew eine ganze Karaffe Rotwein auf den Tisch stellen und eine weitere Karaffe Kirschsaft. Wohl gemerkt alles biologisch angebaut und vor allem aus eigener Produktion. Wir sitzen da und wissen nicht, was wir sagen sollen. Auf der gesamten bisherigen Reise haben wir kein einziges Mal so ein Festmahl bekommen. Im Restaurant gibt es so etwas überhaupt nicht und vor allem nicht diesen fantastischen Geschmack. Einfach göttlich und das ohne jegliche Übertreibung. Wir schlemmen, was das Zeug hält, und als unsere Bäuche zum Platzen angefüllt sind, lächelt Vater Andrew gütig. “Ich zeige euch jetzt, wo eure Zimmer sind”, sagt er und steht auf. “Was kostet eine Nacht?”, möchte ich wissen. Vater Andrews freundlich lächelnde Augen sehe mich an. “Nichts. Unsere Gäste müssen doch nicht bezahlen. Wir freuen uns, dass ihr zu uns gekommen seid. Das ist eine Ehre für unser Kloster”, verblüfft er mich. Fast beschämt sage ich, dass wir nur ein Zimmer benötigen. “Bei uns im Kloster müssen die Frauen getrennt von den Männern schlafen. Tagsüber könnt ihr natürlich gerne zusammen ins Zimmer. Ihr könnt aber auch zusammen ins Zelt. Wie ihr wollt. Das bleibt euch völlig frei”, erklärt er. Tanjas Zimmer ist im Erdgeschoß und meines im ersten Stock. Es sind schöne, saubere, einfache aber mit Liebe eingerichtete Räume. Der für Moldawien übliche braun gemusterte Teppich verziert eine der Wände. Ein runder Tisch befindet sich am Fußende der zwei Betten. Das Nachttischchen steht am Kopfende der Betten. Ein großes Bild von Mutter Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm und zwei weitere orthodoxe Abbildungen haben ein Potest in der linken Ecke neben dem Fenster, und in der rechten Ecke ist ein Glasschrank mit den verschiedensten heiligen Bildern in den Regalen. Der Boden ist ebenfalls mit einem braun gemusterten Teppich ausgelegt. Ansonsten sind die Wände fleckenlos weiß. An der Decke hängt die zum Raum passende nette Lampe, in deren Glasblättchen sich das Licht bricht. Obwohl die Räume sehr angenehm sind, haben sich die hochsommerlichen Temperaturen auf über 30 Grad aufgeheizt. Das ist der Grund, warum wir das Zelt für die Nacht vorziehen.

Nachdem wir unser Zelt am Ufer des Sees neben einer Bank und einem Tisch errichtet haben, hilft uns der Bruder von Vater Andrew, die Räder in einen Schuppen zu sperren. Dann sind wir frei und ich nutze die Zeit, um ein wenig über das Gelände zu schlendern. Hinter den Zimmern befinden sich die Stallungen der verschiedensten Tiere. Es gibt Hasen, Schweine, Rinder, zwei Rehe, Vögel, Enten, Hühner usw. Eine Muttersau liegt stöhnend auf dem heißen Boden und bringt in diesem Moment ihre Ferkel zu Welt. Gebannt stehe ich da und sehe zu. Zwei Nonnen überwachen die Geburt. Sie lachen mich schüchtern aber warmherzig und freundlich an. “Mutter Erde, wo hast du uns hingebracht?”, flüstere ich fast andächtig. Mir steigen die Tränen in die Augen. Womit haben wir soviel Glück verdient? Das kann doch kein Zufall sein nach solch einem Tag, nach all den Hügeln und der erbarmungslosen Hitze in einem der ärmsten Länder gesamt Europas an solch einem liebevollen Ort zu stranden? Ich schlendere weiter. Sehe den Kindern zu, die ihre Ferien hier verbringen, um im Kloster zu helfen, wie sie Saltos ins Heu schlagen. Idylle pur, in Perfektion. Das es so etwas überhaupt gibt? Oder sind es unsere überreizten Sinne, die uns dieses Paradies nur vorspielen? Wie auch immer. Ich genieße diese Augenblicke die nicht schöner sein könnten.

Es ist bereist dunkel, als eine Klosterschwester zu unserem Lagerplatz kommt ,um uns erneut zum Essen einzuladen. “Vater Andrew möchte, dass ihr oben speist”, sagt sie. Tanja und ich sind hundemüde und noch satt vom ersten Essen. “Bitte richte Vater Andrew aus, dass wir noch immer satt sind”, sage ich ihr, worauf sie sich leicht verneigend zurückzieht und davon schwebt. Es dauert nicht lange und Vater Andrew taucht in Begleitung seines Bruders und drei Nonnen im Camp auf. Ohne einen Einwand bringen zu können wird eine Karaffe feinster Rotwein, Kirschsaft, gebratene Paprika, Tomaten und Schafskäse aufgetischt. “Möchtet ihr Bier?”, fragt er. Schon mein kurzes Zögern reicht aus, dass Vater Andrew in sein Funkgerät spricht und eine Anweisung durchgibt. Sofort werden mehrere Flaschen Bier gebracht und in den nahen See zum Kühlen gelegt. Nachdem die mondlose Nacht kaum Licht für das Abendmahl zu Verfügung stellt, wird ein kleiner Kronleuchter mit Kerzen auf dem Holztisch platziert. Wir können unser Glück nicht fassen. Wo kann so etwas geschehen, dass man als völlig Fremder wie ein König und eine Königin behandelt wird? Moldawien ist die Antwort. Wir scherzen und unterhalten uns sehr angeregt. Eine Nonne, die als Lehrerin im Kloster arbeitet, spricht perfekt Englisch. Sie übersetzt unsere Geschichten und die der anderen Nonnen und Vater Andrews. Wir sind überrascht, dass Vater Andrew ein wenig Deutsch spricht. Er war viele Jahre als Soldat in Deutschland stationiert, bis er gemerkt hat, dass das Soldatenleben nicht seine Erfüllung ist. Er brach seine Karriere als Verbindungsoffizier ab, gab alles auf, zog nach Moldawien zurück, um Theologie zu studieren. “Es ist wirklich eine große Freude und Ehre für uns, dass ihr unser Kloster besucht”, lässt er übersetzen. “Es ist für uns eine große Freude und ein kaum zu glaubende Fügung, hier gelandet zu sein und von euch so herzlich aufgenommen worden zu sein”, antworte ich mich leicht verneigend. Tanja und ich entscheiden uns noch in dieser Nacht, ein paar Tage länger zu bleiben. Natürlich nur, wenn man uns das Gastrecht gewehrt. Nach bald 200.000 Reisekilometer und Reisen seit 1983 habe ich schon viel erlebt. Seit 1991 reisen Tanja und ich zusammen und gemeinsam haben sich unsere Erlebnisse publiziert. Wir haben Pferde, Esel, Mulis, Kamele und Elefanten geritten. Wir waren Gäste eines indischen Maharadschas, Gäste der Sejeds, deren Stammbaum direkt zum Prophet Mohamed zurück zu verfolgen ist. Wir haben mit den Mudschaheddin der Nordwest Grenzprovinz in Pakistan gelebt und deren Schutz genossen. Suchten Ashrams und spirituelle Plätze auf. Erlebten das Handeln und wirken heiliger Männer. Wir waren bei Urvölkern zu Gast und teilten mit ihnen das Lagerfeuer, aber wir waren noch nie Gäste eines orthodoxen Priesters, der uns wie Fürsten behandelt. Es wäre reine Dummheit, morgen weiter zu fahren, denn hier ist das Zentrum des Friedens und eine Quelle des Wissens, ein Quelle von der Tanja und ich viel lernen können.

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