Aus der Wüste der Tiere in die Wüste der Menschen
Tag: 170 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 561
Sonnenaufgang:
05:36
Sonnenuntergang:
18:37
Luftlinie:
17,6
Tageskilometer:
20
Gesamtkilometer:
5718 Km
Temperatur - Tag (Maximum):
41° Grad, in der Sonne ca. 61°
Temperatur - Nacht:
16,3° Grad
Inspektor-Camp — 02.11.2002
Etwa 15 Kilometer vor Longreach erreichen wir Strathmore Station. Wir benötigen dringend Trinkwasser, weshalb ich die Kamele vor der Homestead abhusche. „Ich sehe mal ob ich jemanden finde. Ich werde mich beeilen,“ sage ich zu Tanja und öffne das Gatter zur Homestead. Sekunden später befinde ich mich in einem wahren Paradies. Lilafarbene Blüten sitzen auf großen, runden Büschen und empfangen mich. Wo ich hinsehe wächst saftig, grüner Rasen. Palmen strecken ihre mächtigen Kronen in den blauen, heißen Himmel. Hunderte von Vögel leben in ihren fächerartigen Blättern und fliegen von Zeit zu Zeit aufgeregt kreischend hin und her. Ein gut gepflegter Tennisplatz zeigt das die Menschen hier auch zu leben wissen.
ANKLAGE WEGEN TIERQUÄLEREI
„Hallo!“ ,erschreckt mich ein Ruf. Nur unweit von mir sitzen ein paar Menschen auf einer Treppe vor dem Haus. „Hallo,“ begrüße ich die Bewohner dieses schönen Ortes freundlich. Ich strecke der Frau und den beiden Männern meine Hand zur Begrüßung entgegen und erzähle ihnen wer wir sind und woher wir kommen. Während meines kurzen Vortrages spüre ich ein eigenartiges Gefühl in mir. Es dauert länger als sonst, bis die Menschen auf mich wohlgesonnen reagieren. Meine Empfindungen zur Seite schiebend frage ich: „Ist es möglich etwas Wasser für uns zu bekommen?“ „Aber natürlich,“ antwortet einer der Männer sehr freundlich, während mich der andere durch seine dunkle Brille beobachtet. „Ich zeige dir den Weg zum Wassertank,“ sagt dieser aufstehend.
Als wir nur ein paar Meter von der Treppe entfernt sind, fährt er fort: „Ich muss an einem stillen Ort mit dir sprechen.“ Seine Stimme klingt so offiziell, dass sie mir wie ein Stich unter die Haut geht. „Gerne. Worum geht es denn?“ ,frage ich und versuche meine aufwallende Aufregung zu kontrollieren. „Ich bin der leitende Inspektor vom Department of Primary Industrie (unter anderem verantwortlich für Tierschutz). Man hat euch wegen Tierquälerei angezeigt,“ sagt er ernst und klappt wie im Film seine Polizeimarke auf, um sich auszuweisen. Als würde mir ein Vorschlaghammer die Füße weghauen, starre ich auf die hässliche Marke. „Man hat uns angezeigt? Wie soll ich das verstehen?“ ,frage ich während wir zu seinem Jeep laufen. „Ihr gebt euren Tieren zu wenig Wasser. Zumindest wird das behauptet.“ „Was? Das kann ich nicht glauben. Wer soll uns denn wegen so etwas beschuldigen? Wir kommen gerade aus der Wüste. Dort gibt es keine Menschen. Die Wenigen, die uns begegneten, waren sehr gut zu uns. Wer behauptet denn so etwas?“ „Es tut mir leid Denis, aber ich muss mir eure Kamele ansehen.“ „Aber natürlich gerne. Unseren Jungs geht es sehr gut. Ich kann es einfach nicht fassen. Uns würde es nicht einmal im Traum einfallen unsere Boys zu quälen. Sie sind unsere Familie. Wir lieben jeden einzelnen von ihnen wie unsere besten Freunde.“ „Das mag schon sein. Nehme diese Anschuldigung nicht so ernst. Ich muss allerdings jeder Anzeige nachgehen.“
„War es einer von den Stationleuten?“ „Nein, einer eurer Hörer. Es hat sich ein Radiohörer beschwert.“ „Ein Radiohörer? Wie kommt er denn darauf das wir unseren Tieren nichts zu saufen geben? Wenn einer unserer Jungs stirbt ist auch unser Leben gefährdet. Wir sind hundertprozentig von einander abhängig. Die Kamele haben da draußen bald den selben Strellenwert wie ein Menschen. Wir sind ein Team. Abgesehen davon können Kamele selbst bei großer Hitze bis zu zwei Wochen ohne Wasser auskommen. Dafür sind sie geschaffen. Tanja und ich geben unseren Tieren spätestens alle drei bis fünf Tage Wasser. Manchmal sogar jeden Tag. Immer dann wenn es möglich ist.“ „Du hast den Hörern erzählt durch totes Land gelaufen sein. Durch Land in dem tote Rinder in Wasserstellen liegen und das Wasser verseucht haben.“ „Aber natürlich habe ich das erzählt. Es ist doch klar, dass wir unseren Jungs kein verseuchtes Wasser anbiete. Dann wären sie wahrscheinlich gestorben. Ich habe auch davon berichtet, dass dort draußen Rinder zu Hunderten an Hunger elendig verrecken.“ „Das hat uns auch einige Probleme gemacht.“ „Wieso denn?“ „Nun, weil wir auch dafür verantwortlich gemacht werden können wenn dort draußen die Rinder sterben.“ „Dafür kann man doch keine Menschen verantwortlich machen. Hier herrscht die größte Dürre seit hundert Jahren. Verstehen die Hörer das denn nicht?“ „Ich weiß nicht.“ „Ich begreife es nicht. Da sterben Rinder zu Tausenden, Pferde verhungern, Schweine liegen mit aufgeblasenen Bäuchen in den Dämmen und man beschwert sich weil wir mit unseren Kamelen da hineingekommen sind,“ sage ich verzweifelt und traurig über diesen für mich schmerzhaften Fakt.
„Was ist eigentlich mit den Fünfmillionen Kamelen die es dort draußen gibt? Kümmert sich denn irgend einer darum ob sie genügend Wasser bekommen?“ „Die Trockenheit sorgt wahrscheinlich dafür das Problem der Kamelüberbevölkerung in den Griff zu bekommen,“ sagt er mich ansehend. „Es ist eine eigenartige Welt. Wir werden angezeigt weil wir angeblich unseren Tieren nicht genügend zu saufen geben und auf der anderen Seite ist man froh wenn ein paar der wilden Tiere sterben. Aber ich kann dir versichern, die wilden Kamele werden höchstwahrscheinlich die Einzigen sein die diese Jahrhundertdürre ohne jeglichen Schaden überleben.“
Augenblicke später hält der Jeep neben der Karawane. Mehrere Touristen haben sich in der Zwischenzeit um unsere Kamele versammelt. Tanja ist gerade damit beschäftigt ihnen Rede und Antwort zu stehen. „Ich hole nur ein paar Wasserbeutel,“ sage ich zu Tanja und husche unsere Jungs ab. Brav setzt sich einer nach dem anderen. Dann packe ich nervös und innerlich zitternd vor Angst die Wassersäcke aus. Schon vor Jahren hat man uns vor dieser Tierschutzabteilung gewarnt. Sie besitzt die Macht uns sofort die Tiere abzunehmen. Natürlich ist es wichtig, dass es diesen Tierschutz gibt, aber leider wird er von den Menschen immer wieder missbraucht. Es kommt nicht selten vor, das Menschen ihren Nachbarn oder irgend jemand anderem aus niedrigen Beweggründen den DPI oder R.S.P.C.A. (weitere Organisation zum Schutz der Tiere) an den Hals schickt. In manchen Fällen konfiszieren die Inspektoren dieser Behörden erst mal die Tiere. Zumindest hat man uns das immer wieder berichtet. Sind die Tiere eingezogen haben wir schlicht weg Pech gehabt. Auch wenn sich herausstellt, dass wir unschuldig sind kann die Prüfung eines solchen Falles Monate und länger dauern. Für uns wäre so etwas ein furchtbares und noch dazu unfaires Ende unserer Expedition.
BESTÄTIGTER EXELENTER ZUSTAND UNSERER BOYS
In meinen quälenden Gedanken versunken lege ich die Beutel auf den Schotterweg. „Denis…!“ ,fährt mir die Stimme des Inspektors wieder unter die Haut. „Ja.“ „Die Kamele sehen exelend aus. Mach dir keine Gedanken.“ Durch die Anspannung der letzten 15 Minuten und der plötzlichen Erleichterung werden mir die Knie weich. Ich habe für kurze Augenblicke das Gefühl sie könnten nachgeben und mein Gewicht nicht mehr tragen. „Klar sehen sie exelend aus. Auf unserer Expedition gilt das Motto; Einer für alle, alle für einen,“ antworte ich und steige wieder in sein Auto, um zum Wassertank zu fahren.
Am Wasserauffangbecken hilft er mir die Säcke zu füllen. Wir unterhalten uns noch weiterhin über den Vorfall. „Musst du denn jeder einzelnen Beschwerde nachgehen? Selbst wenn ein Mensch eine Anzeige macht nur weil er ein Radiointerview falsch interpretiert?“ „Ja, wir sind verpflichtet jeder Anzeige nachzugehen.“ „Mein Gott, du musst ein enorm beschäftigter Mann sein.“ „Ha, ha, ha, ha, bin ich in der Tat,“ antwortet er herzhaft lachend.
Als wir wieder bei den Kamelen sind und ich die Wassersäcke in die Satteltaschen lade sind immer noch einige Touristen da. Die Frau des Stationbesitzers kommt mit einer großen Schachtel voller Pampelmusen. „Ich hoffe ihr könnt sie alle laden?“ „Klar, sage ich mich herzlich bedankend. „Hier sind auch noch ein paar Eier,“ meint sie und reicht Tanja eine volle Schachtel. „Wenn ihr duschen wollt dürft ihr gerne ins Haus kommen.“ „Vielen Dank, aber wir können unsere Jungs hier nicht sitzen lassen. Es muss immer einer bei ihnen bleiben, vor allem wenn sie beladen sind,“ erkläre ich. „Ich hole euch von eurem Camp ab. Ihr müsst es uns nur wissen lassen,“ bietet sie weiterhin an. „Tausend Dank,“ antwortet Tanja und erklärt der gastfreundlichen Frau mit wenigen Worten selbst während des Routineablaufes im Camp kaum Zeit dafür zu besitzen, für eine Dusche zu einer entfernten Farm zu fahren.
Wir sind gerade wieder im Begriff uns zu verabschieden als der Inspektor verkündet, uns im Camp zu besuchen. Wieder beschleicht mich dieses ungute Gefühl. „Ist der Fall noch nicht abgeschlossen?“ ,möchte ich wissen. „Ich habe noch ein paar Fragen an euch. Es ist reine Routinesache. Wann soll ich euch aufsuchen?“ „Ich denke um 14:00 Uhr ist eine gute Zeit. Bis dahin sollten wir die Tiere abgeladen haben.“ „Gut. Ich komme um 14:00 Uhr. Ich kann dir dann auch einen Weg zeigen wie ihr um Longreach kommt.“ „Oh, das wäre fantastisch,“ antworte ich und gebe den Befehl zum Loslaufen.
Wegen dem vielen Müll den die Wochenendurlauber der nahen Stadt Longreach an das Ufer des Wasserlochs geworfen haben bauen wir unser Lager hundert Meter weg vom Thomson River auf. Mittlerweile habe ich Tanja von dem Tierinspektor erzählt. Auch sie ist bis aufs Mark geschockt und kann nur schwer verstehen warum man uns bei dieser Behörde angezeigt hat
PAPIERE UND GENEHMIGUNGEN
Um 14:00 Uhr fährt ein Jeep am Camp vorbei. „Das war er,“ sagt Tanja. „Anscheinend hat der Inspektor die vielen Kamelspuren nicht gesehen. Na ja, er muss ja keine Spuren lesen können,“ antworte ich und springe auf, um dem Auto hinterher zu rennen. Als er mich sieht, fährt er einen Bogen und kommt zurück. Nach einer weiteren Inspektion der Kamele sitzen wir wenig später im Schatten eines Eukalyptusbaumes. „Habt ihr irgend welche Papiere die beweisen das diese Kamele wirklich eure eigenen sind?“ ,beginnt er seine Fragen. „Ich habe Quittungen aber da wir sie schon vor Jahren gekauft haben sind diese längst in Deutschland.“ „Wo habt ihr denn die Kamele gekauft?“ ,möchte er wissen, worauf wir ihm erzählen woher unser Jungs stammen. „Kann ich eure Pässe sehen?“ „Oh, die sind aber tief verpackt. In der Wüste interessiert es keinen ob wir Pässe besitzen,“ antwortet Tanja, steht auf, um in einen der Rucksäcke nach den plötzlich wichtig gewordenen Dokumenten zu suchen. „Habt ihr eine Genehmigung, um eure Kamele von A nach B zu transportieren?“ ,hämmert die nächste Frage auf uns nieder. „Was? Eine Genehmigung um die Kamele zu transportieren? Wir laufen doch mit ihnen,“ sage ich. „Das spielt keine große Rolle. Hier in Queensland benötigt ihr ein Papier, welches euch erlaubt die Tiere von einem Ort zum anderen zu bringen. Diese Regelung ist zwar für Viehtransporte geschaffen worden aber im weiteren Sinne trifft sie auch auf euch zu.“ „Nein, wir besitzen keine solchen Papiere.“ „Habt ihr die Gesundheitsgenehmigung, um die Kamele von Northern Territory nach Queensland zu befördern?“ „Was…? Eine Gesundheitsgenehmigung? Nein die haben wir leider auch nicht. Wir hatten eine, um die Kamele von Western Australien Nach Northern Territory zu bringen. Das hat damals Jo arrangiert aber diesmal führen wir solche Papiere nicht mit uns.“
Dort draußen ist doch nur Wüste. Da leben Millionen von Kamelen. Die besitze ja auch keine Papiere, um von Staat zu Staat zu gehen und eine Grenze gibt es in der Simpson Wüste ebenfalls nicht,“ antworte ich und spüre wie sich die Fessel der Angst wieder um meinen Hals schnürt. „Nun, unter diesen Umständen müsste ich normalerweise eure Tiere konfiszieren und euch vor Gericht bringen,“ erstickt uns seine Aussage die er mit freundlichem Lächeln von den Lippen gleiten lässt. „Wenn du uns die Tiere wegnehmen musst wäre das sehr traurig,“ antworte ich. „Keine Angst, ich nehme sie euch nicht weg. Ich versuche nur einen Weg zu finden wie wir diesen Fall am besten behandeln.“ „Ja und was machen wir mit all den Papieren und Genehmigungen die wir benötigen und nicht haben?“ „Ich stelle euch die Transportgenehmigung aus. Den Grenzübertritt habe ich nicht erwähnt und für die Zukunft schreibe ich euch etwas auf meine Visitenkarte. So seit ihr auf dem Weg zur Küste von weiteren Belästigungen sicher.“ „Oh danke, das ist sehr nett. Vielen Dank,“ sagen Tanja und ich erleichtert.
„Soll ich dir nun den Weg um Longreach herum zeigen?“ ,fragt er. „Gerne,“ antworte ich und steige in seinen Jeep. Während der Fahrt erzählt mir der Inspektor wie er seine verschiedenen Doktortitel bekommen hat. „Ich bin auch Pferdezahnarzt,“ sagt er. „Mein Gott, du scheinst die Titel ja richtig zu sammeln,“ antworte ich, worauf er herzhaft lacht. In einer 1 ½ Stunden langen Fahrt erkunden wir einen ruhigen und sicheren Weg um die 2500 Seelen Stadt. Wir müssen unsere Jungs über einen Highway, eine Einsenbahnlinie und verschiedene Straßen führen, doch glauben wir eine perfekte Route gefunden zu haben. „Ich bringe euch morgen die Transportgenehmigung vorbei,“ sagt der Inspektor später, nachdem er mich wieder im Camp abgesetzt hat und fährt davon.
„Puhhh, was für ein Tag. Den ersten Stadtmenschen den ich getroffen habe war der Inspektor. Am liebsten würde ich wieder in die Wüste gehen. Was er alles für Genehmigungen wollte?“ ,sage ich nachdenklich als wir auf unseren Campbetten liegen und in den Sternenhimmel blicken. „Es sieht so aus als ob wir aus der Wüste der Tiere in die Wüste der Menschen treten,“ antwortet Tanja. „Hm, ich glaube du hast recht.“
UNANGENEHME NACHBARN
Nur ein paar hundert Meter weiter campen ein paar Menschen aus der nahen Stadt. „Äääähhhhöööö! Ääääähhhääähööö! Liiiiääähhöö!“ ,kreischt eine Frauenstimme laut und schmerzhaft ein Lied. Die Lautsprecherboxen eines Autos hämmern den Hit in den nächtlichen Himmel. „Äääähhhhöööö! Ääääähhhääähööö! Liiiiääähhöö!“ ,zerreißt die schwer angertrunkene Stimme die ewige Stille die uns in den letzten Jahren so heilig geworden ist. Lautes Gelächter hallt über das Wasserloch. Bierflaschen klirren. „Kannst du schlafen?“ ,frage ich leise. „Nein. Ich hoffe sie kommen nicht in unser Camp,“ antwortet Tanja flüsternd. „Glaube ich nicht,“ wispere ich und versuche trotz des Lärms ins Traumland zu flüchten.
Wuuuuuummmmm! Hebt uns eine Explosion plötzlich aus dem Bett. Aufrechtsitzend starren wir in die Dunkelheit der Nacht. „Was war denn das?“ „Ich weiß nicht. Vielleicht ein heftiger Feuerwerkskörper? Lass uns wieder hinlegen,“ sage ich. Wuuuummm, zerreißt ein Gewehrschuss die Schwärze der Nacht. „Das war ein Gewehr. Ich glaube unsere Nachbarn sind Schweinejäger,“ flüstere ich. Wuuuummm, donnert es wieder.
Bis nachts um 23:00 liege ich hellwach auf dem Campbett und starre in den Sternenhimmel. An schlafen ist nicht zu denken. Die Ereignisse des Tages lassen mich nicht zu Ruhe kommen. Ich wälze mich hin und her. Manchmal knallt ein weitere Schuss durch die Finsternis. Meine Gedanken gehen im Alleingang durch den nächtlichen Busch, bis sie sich irgendwo hinter einem Strauch zum schlafen niederlegen.