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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Auf stürmischer See zu den Pottwalen

N 69°19'28.8" E 16°07'05.7"
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    Datum:
    02.10.2020

    Tag: 061

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Andenes

    Tageskilometer:
    0 km

    Gesamtkilometer:
    5444 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Sonnenaufgang:
    07:11

    Sonnenuntergang:
    18:31

    Temperatur Tag max:
    14°

    Temperatur Nacht min:

    Aufbruch:
    10:30

    Ankunftszeit:
    18:00

 

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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06:30 Uhr. Zartes Licht schleicht sich durch die Fenster der Terra und legt sich auf unsere Zudecke. Von der friedlichen Lichtstimmung wachgestreichelt blicke ich auf das spiegelglatte Nordmeer und beobachte, wie die ersten Sonnenstrahlen den endlos wirkenden Horizontstreifen in einem geldorangenen Band erglühen lassen. „Du bist schon wach?“, fragt Tanja sich rekelnd. „Schau mal raus. Auf uns wartet ein traumhafter Tag“, antworte ich leise gähnend. „Oh wie schön. Keine Wolke am Himmel und das Meer ist glatt wie ein Kinderpopo“, antwortet sie lächelnd. „Ab, wann ist die Rezeption des Hotels besetzt?“, frage ich. „Glaube ab 9:30 Uhr.“ „Wir sollten rechtzeitig dort sein, um Tickets zu kaufen.“ „Nach dem Frühstück werde ich mal vorlaufen und nachfragen“, antwortet Tanja ihre Füße von unserem gemütlichen Bett baumeln lassend. „Wooouuuuiii!“, heult Ajaci vergnügt aus seiner Höhle unter unserem Bett kommend. „Wooouuuuiii!“, heult er erneut, als Tanja ihm mit ihren Füßen die Ohren krault. „Wir gehen erst mal Ballspielen“, sagt sie, worauf sich Ajaci wie jeden Morgen kaum noch einkriegt vor haltloser Freude. Während die beiden auf einem der frisch geschnittenen Rasenflächen vor einem der Häuser am Hafen „Fang den Ball“ spielen, mache ich meinen Morgensport. Danach frühstücken wir, blicken dabei aus dem Fenster und beobachten die Möwen, wie sie dicht an unserer Terra vorbeischießen, um sich dann in kleinen Gruppen auf der glatten Wasserfläche niederzulassen. „Ajaci und ich haben heute früh während unserer Polarlichtermission eine grauweiße, große Möwe gesehen, die ständig vor uns her gehüpft ist“, beginne ich unsere Erlebnisse der gestrigen Nacht zu erzählen.“ „War die Aurora auch so schön wie in unseren ersten Polarlichternächten auf Lofoten?“ „Sie war völlig anders. Einfach der Hammer, wie sie sich direkt über die Häuser am Hafen gezogen haben. Du hättest dabei sein sollen“, schwärme ich „Ich war so müde. Habe ich viel versäumt?“, ärgert sich Tanja ein wenig nicht mitgegangen zu sein. „Wir werden auf unserer Reise zum Nordkap bestimmt noch einige Nordlichternächte bewundern können und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob es schlau war, sich vor der Walsafari die Nacht um die Ohren zu schlagen. Im Gegensatz zu dir bin ich jetzt hundemüde und weiß gar nicht, wie ich den heutigen Tag überstehen soll.“ „Ha, ha, ha. Die Müdigkeit wird sich in Luft auflösen, wenn du den ersten Pottwal sehen wirst.“ „Hoffentlich“, antworte ich jetzt wie ein Löwe gähnend.

„Wir haben die Tickets!“, ruft Tanja begeistert in die Terra stürmend. „Super, also war das Schiff nicht ausgebucht?“ „Nein, laut der Frau an der Rezeption ist es nur halb voll. Mit uns sind eine Schulklasse und ein paar wenige Touristen an Bord.“ „Und wann gehts los?“ „Wir sollen uns an der Rezeption neben dem Restaurant um 10.30 Uhr für eine Museumstour treffen. Danach fahren sie mit der alten M / S Reine raus.“ „M / S Reine?“ „Ist ein Robbenjagdschiff, mit dessen Bau sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen haben.“ „Die armen Robben“, antworte ich. „Die Frau hat mir erzählt, dass sich wegen dem Krieg der Bau des Schiffes bis 1949 verzögerte und es nie für die Robbenjagd eingesetzt wurde.“ „Oh gut, also kein Robbenblut an Bord“, sage ich.

„Und ihr seid die Journalisten, die sich bei uns für eine Tour akkreditiert haben?“, spricht mich ein etwa fünfzigjähriger Mann auf Englisch an. „Ja. Und du bist der Käpten?“, antworte ich fragend. „Ha, ha. Nein, ich bin einer der Guides“, antwortet er lachend. „Gehört das tolle Expeditionsfahrzeug draußen am Kai euch?“, möchte er wissen. „Ja. Ist wirklich ein fantastisches Mobil. Macht viel Spaß“, antworte ich freundlich. „Das glaube ich. Ihr seid sicherlich schon länger unterwegs?“ „Bald 30 Jahre. Aber nicht nur mit dem Wohnmobil. Das kam erst vor knapp zwei Jahren in unser Leben“, erkläre ich. Im Verlauf unseres kurzen Gespräches stellt sich heraus, dass Stefan Schweizer ist und mit seiner Frau Nathalie erst vor wenigen Monaten nach Norwegen ausgewandert ist und hier in Andenes ein Haus gekauft hat. „Vielleicht können wir uns später noch ein wenig unterhalten“, sagt Stefan, weil sich zwischenzeitlich einige Gäste um uns versammelt haben, die auf Anweisungen und Informationen warten. „Gerne“, antworte ich mich auf die Tour freuend.

Wir steigen die Stufen zum Keller des Gebäudes hinunter in dem sich das Walmuseum befindet. „Der Pottwal ist der größte der Zahnwale, dessen Männchen kolossaler und schwerer sind als die Weibchen. Er ist in allen Ozeanen verbreitet“, beginnt Stefan seine Erklärung vor einer Seekarte stehend. „Sein deutscher Name bezieht sich auf seinen Kopf, der bis zu einem Drittel seiner Gesamtlänge ausmachen kann und wie ein Topf, auf niederdeutsch Pott, hervorragt. Seine englische Bezeichnung lautet Sperm Whale weil in der Melone, einem Organ im Kopf des Wales, eine wachshaltige Substanz beinhaltet ist, die aussieht wie Sperma. Diese Subtanz nennt man Walrat, aus dem man Kerzen, Hochdruck-Schmierstoffe, Hydraulikflüssigkeiten, Tinten, Reinigungsmitteln, Kosmetika, Weichmacher und Gerbstoffe produzierte und einer der Gründe war, warum man dieses wundervolle Wesen fast ausrottete. Aus dem Tran des Wales wurden Seifen, Salben, Suppen, Farben, Gelatine oder Speisefette, auch Margarine sowie Schuh- und Lederpflegemittel gefertigt. Walöl war ursprünglich sogar nötig, um Nitroglyzerin herzustellen. Was bis nach dem Ersten Weltkrieg von der Armee dringend gebraucht wurde. Ihren Gipfel erreichte die Jagd nach Pottwalen im Jahre 1964, als man 29.255 Exemplare ermordete, um daraus die erwähnten Produkte herzustellen.

Die heutige Population der Pottwale wird auf nur noch 360.000 Tiere geschätzt, wovon ca. 5.000 in Norwegen leben. Heute sind die Tiere unter anderem auch von der zunehmenden Verschmutzung der Meere bedroht. Man hat im Magen eines jungen Pottwales 100 Kilogramm Müll gefunden, darunter Reste von Fischernetzen, Seilen, Tüten, Verpackungsbänder und Plastikbecher.

Die männlichen Tiere sind übrigens für die langen Strecken bekannt, die sie zurücklegen und stoßen unter anderem bis in Polargebiete und Nebenmeere vor, die am Rand der Ozeane liegen und nur durch Inselketten, Meeresrücken oder Tiefseerinnen vom freien Ozean getrennt sind. Die Verbände aus Weibchen und Jungtieren leben hingegen in den Tropen und Subtropen.“ „Die mögen es genauso warm wie ich!“, ruft einer der Gäste seinen Kommentar dazwischen. „Hi hi“, lacht seine Begleiterin als einzige über den flachen Witz. „Hier am nördlichen Ende der Insel Andøya in Vesterålen fällt kurz vor der Küste der Meeresboden bis zu einer Tiefe von 1.000 Meter ab“, fährt Stefan seine Erklärung fort. „Das sind fantastische Bedingungen für den Pottwal, der sich neben Kabeljau, Thunfisch, Seeteufel, kleinere Haie und sogar von größeren Krustentieren ernährt und in dieser Tiefe nach Kraken taucht, die er gerne jagt. In den Mägen verendeter Tiere fand man bis zu 10 Meter große Exemplare von Riesenkalmaren und auf der Haut von Pottwalen fand man Narben von Saugnäpfen der Riesenkalmare. Daraus lässt sich auf heftige Kämpfe zwischen Wale und Kalmare schließen. Man muss aber sagen, dass so etwas noch nie gefilmt wurde und die genauen Umstände für solche Kämpfe völlig unerforscht sind. Der Pottwal gehört übrigens zu den am tiefsten tauchenden Meeressäugern unseres Planeten. Dabei tauchen die Männchen, die pro Tag etwa anderthalb Tonnen Nahrung aufnehmen, im Schnitt länger und tiefer als die Weibchen und durch Funde von Fischen in ihren Mägen, die ausschließlich in über 3.000 Meter Tiefe leben, gilt es als gesichert, dass der Pottwal selbst solche extremen Tiefen erreichen kann.“ Eine knappe Stunde lauschen wir gebannt seinen umfassenden Erklärungen. Am Ende fordert uns der sympathische Schweizer auf, ihn in eine Halle zu folgen, in der sich eines der wenigen Pottwalskelette der Welt befindet. Staunend stehen wir vor dem 15.8 Meter langen Skelett eines Wales, der 1996 am Strand von Andanes gestrandet ist. Wir erfahren das große Bullen von 20 Metern Länge über 50 Tonnen auf die Waage bringen und deren Gehirn bis zu 10 kg wiegt und somit das schwerste im gesamten Tierreich ist. „Aufgrund von über 30 Zentimeter langen Zahntrophäen aus der Zeit, in der Pottwale noch im großen Stil gejagt wurden, schließt man, dass es Exemplare gab, die noch viel länger und über 100 Tonnen schwer waren“, hören wir. Neugierig laufe ich um das Skelett herum und schieße ein paar Fotos, bis ich bemerke, der Letzte in der Halle zu sein. Schnell eile ich nach draußen in den sonnenüberfluteten Tag zum einstigen, als Robbenfänger konstruierten Schiff.

Der schwere Dieselmotor blubbert bereits und die Gäste gehen an Bord.
Während das betagte Schiff mit seinem Holzrumpf ausläuft, bekommen wir von Stefan und seiner Kollegin eine Sicherheitseinweisung. Desgleichen wird uns mitgeteilt, dass wir mit etwas Glück die Chance haben, neben Pottwale auch Bartenwale vor die Kameras zu bekommen. „Also haltet die Augen auch nach Finn- Buckel- Grindwale und Delfine auf. Wir erkennen anhand des Blas, was da vor uns im Wasser schwimmt und sagen euch Bescheid. Viel Glück und viel Spaß!“ „Super“, sage und steige mit Tanja auf das Oberdeck und genießen die Hafenausfahrt. „Dort drüben ist die Insel Senja“, sage ich auf die ca. 40 Kilometer nordöstlich von uns auftauchende Landmasse deutend. „Unser nächstes Ziel“, meint Tanja freudig.

Obwohl kein Wind über das Meer streicht, werden die Wellen zusehend höher, sodass wir gezwungen sind, uns festzuhalten. Die M / S Reine beginnt beachtlich zu schwanken, hebt sich über die anrollenden Wellenkämme nur um Sekundenbruchteile später in das nächste Wellental zu rauschen. Plötzlich steht Stefan neben uns. Wir beginnen unser Gespräch fortzusetzen, wo wir es vor zwei Stunden beendeten. Dabei bemerke ich erst viel zu spät, dass mir ein wenig mulmig im Magen wird. „Sorry Stefan, ich muss mich ein wenig auf die Wellen konzentrieren. Ich glaube, ich gehe mal nach vorne zum Bug des Schiffes“, sage ich, worauf wir uns schwankend zum Vorderschiff vorarbeiten. Durch den Fahrtwind weht uns eine kühle Brise entgegen. Der betagte, aber technisch auf neuestem Stand ausgerüstete Holzkahn pflügt durch das aufgewühlte nordeuropäische Meer. Kaum hat sich das Boot auf einen weiteren Wellenberg geackert, fällt es auch schon wieder ins tiefe Tal. Dort vorne am Bug haben wir das Gefühl, auf einer Sprungschanze zu stehen. Würden wir uns nicht an der kalten Stahlreling festhalten, würde es uns in hohen Bogen ins Meer schleudern. Mir wird zusehend übler. Wale interessieren mich jetzt immer weniger. Gischt spritzt auf, weht über uns, und einige, die am Bord sind, kämpfen ebenfalls mit aufkommender Übelkeit. Nach knapp drei Stunden auf hoher See ist von Walen noch immer nichts zu sehen. „Worauf habe ich mich hier nur eingelassen?“, geht es mir durch den Kopf. Der Veranstalter verspricht im Normalfall nach 40 bis 60 Minuten auf Wale zu treffen. Doch was ist der Normalfall? Trotz des blauen Himmels zeigt sich das Nordmeer stürmisch. „Wo die verdammten Wellen nur herkommen?“, streift mich ein neuer Gedanke. Wuuummms, kracht der Bug der 30 Meter langen und 6,8 Meter breiten M / S Reine in eines der Millionen Wellentäler, als gäbe es kein Morgen. Die ersten Gäste nutze Tüten, um ihre Übelkeit hinein zu reihern. „Lass uns nach unten in die Mitte des Schiffes gehen“, schlägt Tanja vor, weil Stefan schon während seiner Sicherheitseinweisung davon gesprochen hat, wo sich der ruhigste Platz des Schiffes befindet. Wie angetrunken schwanken wir ins Mittelschiff. An der Treppe nach unten müssen wir uns festklammern, um nicht einfach auf den stählernen Planken unter uns zu knallen. „Oh mir wird immer übler“, sage ich kleinlaut. Dann setzen wir uns auf eine der Bänke. Obwohl ich warm angezogen bin, beginne ich zu frieren. „Das liegt daran, das sich Seekranke kaum noch bewegen“, erfahren ich später von Stefan. Aber an Bewegung ist in diesem Augenblick nicht zu denken. Einfach nur stocksteif dasitzen, den Blick auf den entfernten Horizont gerichtet. Nur alles dafür tun, um irgendwie Stabilität zu erlangen. Dann regt sich plötzlich etwas. Gunnar, der 94-jährige Exkapitän der M / S Reine klettert in den Ausguck, um nach dem Blas eines Pottwales Ausschau zu halten. „Hast du das gesehen?“, fragt Tanja sanft. Der Vater des Kapitäns steigt im Alter von 94 in den Ausguck und das bei diesem starken Seegang.“ „Habe ich nicht gesehen“, bringe ich mit Anstrengung über meine Lippen, da ich unter keinen Umständen meinen Kopf in den Nacken legen möchte. „Bereits im 16. und 17. Jahrhundert nutzten holländische Walfänger die Region, um nach Walen zu jagen. Sie waren wochenlang auf hoher See unterwegs und mir wird es bereits nach drei Stunden schlecht“, denke ich. Obwohl ich in den letzten Jahrzehnten öfter der rauen See ausgesetzt war, ist mir nie so schlecht geworden, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Mit Hilfe der auf dem Boot befindlichen Unterwassermikrofonen ist die Crew in der Lage, die Pottwale zu hören, denn um ihre Beutetiere zu finden und um sich zu orientieren, verwenden die Wale eine Form der Echoortung. Sie senden dabei Klicklaute aus, die man mit den Hydrophonen ganz klar vernehmen kann. Dabei sind sie anscheinend auch in der Lage, Schalldruckwellen von gemessenen über 230 dB zu erzeugen, die nach einer Theorie zufolge eventuell auch geeignet sind, ihre Beute zu betäuben. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Start eines Düsenjets 120 dB, der Start einer Rakete 140 dB und der Schuss einer Kanone mit 150 dB einem die Ohren klingeln lassen. Trotz meiner Übelkeit blicke ich auf und sehe ein Crewmitglied auf der Brücke stehen, der mit dem Fernglas, wie auch der alte Gunnar in seinem Krähennest mit bloßem Auge die Wasseroberfläche nach einem Blas absucht. Stefan hat uns erklärt, dass der Blas die nach dem Tauchvorgang ausgeatmete, mit Feuchtigkeit gesättigte Atemluft von Walen ist, die mit hohem Druck ausgestoßen wird. Durch die niedrigere Außentemperatur kondensiert sie und wird durch eine Nebelfontäne sichtbar. „Durch den unterschiedlichen Blas der Wale kann man erkennen, welches Tier seine Atemluft ausstößt“, erklärte er uns heute Morgen. „Ein Bartwal zum Beispiel“, setzte er seine fantastische Erklärung fort, „hat zwei Blaslöcher und erzeugt meist eine V-förmige Nebelfontäne. Der Glattwal hat einen Blasausstoß, der bis zu 8 Meter in die Höhe schießen kann. Hingegen besitzen Blau- und Finnwale einen birnenförmigen Blas. Den höchsten Blas mit 12 Meter hat der Blauwal, der mit einer Körperlänge von bis zu 33 Metern und einer Körpermasse von bis zu 200 Tonnen das schwerste bekannte Tier der Erdgeschichte ist. Die Zahnwale hingegen verfügen nur über ein Blasloch. Beim Pottwal ist es auf der linken Seite und sein Blas geht in einen Winkel von ca. 45° nach links oben. Somit können wir genau erkennen, welches Tier aufgetaucht ist.“

Der Blas war es also, der die Wale früher vor der Zeit von Unterwassermikrofonen verraten hat. Sichteten die Walfänger einen Blas, sind sie dorthin gerudert oder gesegelt und haben dem wunderbaren Tier mit Harpunen den Garaus gemacht. „Wal backbord!“, ruft der alte Gunnar nach über drei Stunden und 32 Kilometer bewegter Fahrt auf hoher See, worauf diejenigen, die noch können, zur linken Bordwand springen, die Kameras zücken und auf das Wasser blicken. Ich raffe mich auf, packe die Systemkamera mit dem 400 mm Objektiv und schlurfe ebenfalls zur linken Bordwand. „Gehts?“, fragt Tanja mitfühlend. „Geht schon“, schwindle ich. Tatsächlich ist ein Blas zu sehen. Die Aufregung ist groß, die Kameras klicken. Ich frage mich, wie einige der Gäste mit ihren Handys das weit entfernte Ausblasen festhalten wollen. Der Kapitän steuert seinen Kahn in Richtung des Wals, sobald wir näherkommen, drosselt er die Maschinen, stellt die M / S Reine quer zu dem wie ein Baumstamm im Wasser liegende Tier. Der ehemalige Robbenfänger schwankt nun beachtlich in den hohen Wellen, sodass man am liebsten das tief sitzende Grün des Mageninhaltes über die Reling spucken würde, um den Wal zu füttern. Ich versuche in der ganzen Schwankerei die Kamera so ruhig wie möglich zu halten und drücke auf dem Auslöser. Keine Ahnung, ob ich nun das Wasser oder den Himmel verewige. „Taucht!“, ruft es über die Bordlautsprecher, womit wir wissen, dass der Meeresbewohner jeden Augenblick seine Fluke zeigen wird, um für einen weiteren Jagdzug in die dunkle Tiefe abtauchen wird. „Ohhh! Ahhh!“, rufen die Gäste entzückt, als der Wal nur Augenblicke nach dem Tauchruf seine Schwanzflosse in den blauen Himmel streckt und sein schwerer Körper für ca. 30 Minuten verschwindet. Ich schleppe mich wieder auf die Holzbank in der Bootsmitte und bin erleichtert, dass sich ein Wal gezeigt hat. „Jetzt können wir endlich wieder zurückfahren“, sage ich zu Tanja mir ein erleichtertes Grinsen abringend. „Wir haben einen weiteren Wal geortet!“, erschreckt mich Minuten später eine freudig erregte Stimme, die durch die Bordlautsprecher scheppert. „Soll ich dir eine Decke bringen?“, fragt Tanja, weil ich mittlerweile vor Kälte zittere und weil ich während der morgendlichen Aurora-Aktion durch nasses Gras gestriffen bin, meine Füße noch immer in feuchten Schuhen stecken. „Ja“, antworte ich kleinlaut. Neben mir liegt ein junger Norweger auf der Bank, der regelrecht grün im Gesicht ist. Alle paar Minuten erhebt er sich ächzend, um den Rest seines Mageninhaltes mit schrecklichem Würgen in die Tüte zu spucken. Dann, völlig erschöpft, lässt er sich wieder auf die Bank nieder und zittert genauso wie ich. Ein Mädchen legt eine Decke über ihn und spricht ein paar beruhigende Worte. „Armer Kerl“, denke ich, weil es mir im Vergleich zu ihm noch viel besser geht. 20 Minuten später höre ich den Ruf „Wal!“ Diesmal stürmt jeder, der noch fit ist auf die Steuerbordseite des Schiffes. „Soll ich fotografieren?“, fragt Tanja. „Schaff ich schon“, antworte ich kurz angebunden, nehme die Kamera und schwanke im Takt der Wellen zur rechten Seite der Reling. Durch den Sucher erkenne ich den Blas in den Himmel steigen. Wäre es mir nicht schlecht, wäre ich absolut fasziniert, so ein riesiges Tier mit eigenen Augen beobachten zu dürfen. Die M / S Reine erreicht den Pottwal noch bevor er wieder für mindestens 30 Minuten in sein dunkles Reich der Tiefsee abtaucht. Zitternd vor Kälte und Schwäche, Übelkeit und eine aufgewühlte See sind keine guten Bedingungen, um akzeptable Fotos zu schießen. Ich reiße mich zusammen, konzentriere mich und drücke auf den Auslöser…

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