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Rumänien/Mamaia

Ankunft am Schwarzen Meer

N 44°15'11.3'' E 028°37'16.4''

Wie jeden Morgen wecken uns unsere Suunto-Armcomputer um sechs Uhr. Obwohl ich hundemüde bin nutze ich die frühe Stunde wie jeden Tag für meine Rückengymnastik. Dann kriechen wir aus dem Zelt, bauen unser Lager zusammen, frühstücken und beladen unsere Bikes. Wir drücken Nicko und Marianna zum Abschied und bedanken uns noch mal für den angenehmen Schlafplatz. Dann lassen wir die Reifen über die Dorfpiste kreisen bis wir auf den Asphaltstreifen treffen. Sofort werden wir von einem 200 Meter-Hügel begrüßt. Unsere Beinmuskeln haben kaum die Chance einen Schreck zu bekommen schon müssen sie die Tretkurbel wie wild rotieren lassen. Damit wir nicht zu euphorisch werden bremst leichter Gegenwind die folgende Talfahrt. Dann geht es wieder hoch. Nach gut 20 Kilometer rauschen wir den Hügel hinab in die Stadt Mihail. Aus ist es mit der ländlichen Ruhe. Schade. An der ersten schönen Terrassenkneipe stoppen wir und nehmen unser zweites Frühstück zu uns. Wir lehnen die Räder gegen ein Geländer und haben sie während des Frühstücks im Blick. Jugendliche bleiben nicht selten stehen, um die fremdartig aussehenden bereiften Ortliebtaschen zu bestaunen. Keine Sekunde lassen wir unseren wertvollen Besitz aus den Augen. Einem Dieb würde es zwar nicht leicht fallen auf einen der Böcke zu springen, um sich damit schnell aus dem Staub zu machen. Aber sicher ist sicher. Nach der Stärkung geht’s weiter durch die Stadt. Da Mihail einen Militärflughafen besitzt donnern laut kreischende Kampfflugzeuge über unsere Köpfe. Autos hupen und stinken. Welcome back in der Zivilisation der Menschen. Am Ende der Stadt werden wir wieder auf die E 60 gespuckt. Und jetzt geht’s erneut los, das Rennen im Chaos. Gott sei Dank ist die Straße vierspurig und es gibt keine der für uns schlimmen Leitplanken. Laut Karte müssen wir auf dieser Verkehrsader nur 10 Kilometer zurücklegen bis wir kurz vor Konstanza in Richtung Mamaia abbiegen dürfen. Gut gelaunt, uns unweit vor einem großen Etappenziel, dem Schwarzen Meer zu befinden, rauschen wir mit starkem Seitenwind über den Teer. Der unangenehme Geruch von Fäkalien weht uns teilweise um die Nase. Überfahrene Tiere säumen den Weg. Hunde, Katzen, eine Fledermaus, Echsen und Schlangen gären in der Sonne. Plastik wird verbrannt. Der schreckliche Geruch erinnert mich an das furchtbare Gift Dioxin (polychlorierter Kohlenwasserstoff) entsteht durch unvollständige Verbrennung auch von Plastik. So wie es aussieht hat der rumänische Staat den Kampf gegen das gigantische Plastikflaschenheer verloren. Deshalb brennen bald überall, vor vielen Häusern oder auch auf den Feldern kleine Müllberge und verpesten die Luft. Ich hänge gerade meinen Gedanken hinterher und frage mich wie man das Müllproblem lösen könnte als plötzlich zwei große Hunde aus einem Fabrikgelände schießen. Es sind durchaus große Hunde, zu groß für meinen Geschmack. Mit tiefen bellen fliegen sie geradezu in einer irren Geschwindigkeit auf mich zu. Ich brauche meinen Beinmuskeln nicht einmal einen Befehl geben als sie sich wie von selbst mächtig ins Zeug legen, um meinen Bock auf Höchstgeschwindigkeit bringen. Die Hunde bemerken meinen Ausreißversuch und kürzen ganz frech und intelligent übers Fabrikgelände ab. Ein Loch im Zaun spuckt sie aus. Ich rase vorbei und… “Hä! Hä! Hääää! Ihr kleinen Scheißer! Ich hab’s Euch gezeigt!” Jubiliere ich und lasse mein Gefährt wieder auf normale Geschwindigkeit auslaufen. Erst jetzt kommt mir Tanja in den Sinn. “Ach du Schreck. Die Hunde”, schießt es mir durch den Kopf und drehe mich um. Wegen meines Adrenalinausbruches habe ich meinen Roadtrain weit nach vorne katapultiert. Tanja hängt stark zurück. Als die Hunde sich wieder auf den Rückweg zu ihrer geliebten Fabrik machen entdecken sie Tanja. In dem Moment steigt ein Polizist aus seinem Auto und brüllt die Kerle an. Die ziehen ihren Schwanz ein und trollen sich. Tanja kommt unbehelligt vorbei. Glück gehabt. Die E 60 wird noch breiter. Vor uns türmen sich die grauen Häuserblöcke von Konstanza in den von Rauch geschwängerten Himmel. Ein großes Schild weist auf die Grenzstadt Tulcea und dem Badeort Mamaia. “Da vorne müssen wir abbiegen!”, rufe ich. “Okay!”, schallt es hinter mir. Brummis und Autos brausen nun von allen Richtungen an uns vorbei. Wir wieder mitten drin. Unsere Sinne sind geschärft, der Körper mit genügend Adrenalin versorgt. “Bist Du dran!”, rufe ich durch die spannende Situation wie gedopt. “Ja! Alles klar!”, antwortet meine Frau. Im Rückspiegel sehe ich wie sie den Kopf nach unten zieht und kräftig in die Pedale haut. Sie sieht aus wie eine kleine Renn-Semmel. Plötzlich muss ich mitten in der Kreuzung herzhaft lachen. Situationskomik. Wir strecken unseren Arm nach links, ziehen mit dem Verkehr auf die linke Fahrspur. Dann stoppen wir im Zentrum des Gebrauses bis der Gegenverkehr uns eine Lücke lässt um abbiegen zu können. “Jetzt!”, brülle ich und wir lassen die Kurbeln in irrwitzige Geschwindigkeit kreisen. “Ja! Ja! Ja!”, rufe ich und wir sind auf der richtigen Seite. “War ja wie ein Kommandoeinsatz”, lacht Tanja als sie auf dem Seitenstreifen neben mir zum stehen kommt.

Ein paar hundert Meter weiter befinden wir uns wieder auf einer kleineren Straße. Der Verkehr hat sich dementsprechend beruhigt. Mächtiger Gegenwind bläst uns von der Küste entgegen. Nach fünf Kilometer erhebt sich wie aus dem Nichts ein blauer Streifen. Das Schwarze Meer. “Hurraaa! Da ist es!”, rufe ich freudig und halte an. Der Moment ist überwältigend. Wir haben es tatsächlich bis zum Schwarzen Meer geschafft. Vom Bodensee bis hierher, meist der Donau entlang. Was für ein aufregender Trip. Obwohl auf unserem Tacho erst 3360 Kilometer stehen war es speziell für mich eine geradezu gigantische Reise. Höhen und Tiefen, Kultur endlos, Landschaften unbeschreiblich, Euphorie, Neues, Unbekanntes, Gastfreundschaft durch Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien und Rumänien und dann der Unfall. Kurz vor dem Etappenziel. Mein Gott was für eine Reise. Ich stehe da und sehe auf den blauen Streifen. Noch ein paar Kilometer trennen uns noch und ein Reiseziel hat sich verwirklicht. Knapp wäre es beinah geworden. Unser Lebensprojekt “die große Reise” stand auf der Kippe. OP. ein Jahr Reha und jetzt ist es zu guter Letzt doch weitergegangen. Erfolgreich mit viel Freude, viel Wille, Gesundheit und Zuversicht. Mann ist das Leben schön. Hurraaa! Wir steigen wieder auf unsere riese und müller die uns so zuverlässig hierher gerollt haben. Wir durchfahren die Hafenstadt Navodari. Wieder so eine Hässlichkeit. Schwarzer Rauch und Schornsteine bestimmen das Bild. Es geht über eine mächtige Brücke, dann folgen wir der Küstenstraße. Ein Ortsschild zeigt uns das wir den Badeort Mamaia erreicht haben. Der Schreck ist groß als wir auf heftige Bauarbeiten treffen. Überall wird gebackert, Straßen aufgerissen und Häuser gebaut. Die Luft ist auch hier mit Staub und Dreck geschwängert. “Das sieht ja furchtbar aus. Und das soll ein Badeort sein? Ist für mich eher eine Megabaustelle am Meer”, schimpfe ich. Ohne Zweifel haben wir uns die Ankunft am Meer anders vorgestellt. Bald alle Hotels und Fremdenhäuser befinden sich im Bau oder Umbau. Mittendrin gibt es ein paar Urlauberunterkünfte an denen nicht gewerkelt wird. “Urlaub auf dem Bau”, frotzle ich. Dann das Schild Konstanza. Da Konstanza über 350.000 Einwohner hat wollen wir eigentlich nicht weiter. Urlaub in einer Großstadt ist auch nicht unser Ding. Eigentlich wollten wir hier ein paar Tage bleiben. Ich muss dringend unsere Erlebnisse der bisherigen Reise niederschreiben und in unserer Webseite veröffentlichen und dachte hier hätte ich die Ruhe und das Ambiente für diese Arbeit. Aber so wie es aussieht, sieht es nicht gut aus.

Wir beschließen uns von dem Ortschild nicht abschrecken zu lassen und radeln weiter in Richtung Konstanza. Auf einen Schlag sind die Bauaktivitäten beendet. Der gesuchte Urlaubsort taucht wie aus der Versenkung auf. Die Hotels machen zwar teilweise einen recht heruntergekommenen Eindruck, so wie wir es in einem ehemaligen Ostblockland kennen, aber immerhin sie sind vorhanden. Die ersten Touristen in ihrer bunten Kleidung, Badehosen, Bikinis, Schlappen und dicken Sonnenbrillen wuseln herum. Wir mit unseren Rädern mitten drin. Unsere Stimmung steigt wieder. Wir fragen in den ersten Hotelbunkern nach einem Zimmer. “100 bis 150 Euro pro Nacht”, hören wir und die Stimmung sinkt wieder. “Ich bin kaputt und brauche etwas zum Essen”, lamentiere ich. Auf der Suche nach einem Restaurant besuche ich weitere Hotels. “Tut uns leid. Wir haben kein Zimmer frei. Wir sind völlig ausgebucht”, sagt die Dame an der Rezeption. “Völlig ausgebucht? Wie kommt denn das? Sie haben doch in diesem riesigen Hotel mindestens 200 Zimmer?”, wundere und frage ich. “Ja, aber die Hautsaison beginnt bald. Wenn sie keine Reservierung haben kann ich ihnen nicht weiterhelfen”, vernehme ich. Ich schüttle den Kopf. Stehe etwas verlegen herum und bemerke erst jetzt dass ich hier wie ein Papagei in der Antarktis auffallen muss. Mit meiner eng anliegenden, bunten Radkleidung, die durch das viele Schwitzen nicht gut riecht fühle ich mich hier wie ein Fremdkörper. Geknickt suche ich das gegenüberliegende Hotel auf. “Sorry, ausgebucht”, höre ich und nachdem ich ca. 10 oder 15 solche Bunker abgeklappert habe robbe ich völlig deprimiert auf dem Zahnfleisch zu Tanja. Tanja übernimmt jetzt das Kommando. Sie hat bemerkt, dass mit mir nicht mehr viel anzufangen ist.

Ranzige Laune

Wir finden einen Fastfootschuppen. Lehnen unsere Räder an den Zaun und hauen uns Fastfood hinter die Kiemen. Schrecklich aber es wirkt. “Ich gehe mal los und versuch mein Glück”, sagt Tanja. “Okay”, antworte ich müde. “Pass gut auf die Räder auf”, ruft sie noch und eilt davon. Nun sitze ich hier in meiner verschwitzten Radkleidung unter einem blauen Plastikdach wo die Sonne zwar nicht durchkommt dafür aber die Hitze. Ich fühle mich von Minute zu Minute wie ein ranziges altes Huhn gegart. Aber nicht nur mein Körper fühlt sich ranzig an sondern auch mein Geist. Schlechte Stimmung, viel zu schlecht für meinen Geschmack. “You want buy Souvenir??, spricht mich ein Souvenirverkäufer an. Erschrocken reiße ich meine müden Augen auf, sehe den Mann mit seiner Holzschnitzerei ins Gesicht und sage so freundlich wie möglich; “No thank you.” “Sind sie von Deutschland?”, möchte der Mann jetzt Kommunikation betreiben. “Ja.” “Sehen sie doch. Ist wunderschön. Kaufen. Ganz billig”, frohlockt er und hält mir den großen Holzteller direkt unter die Nase. “Nein danke.” Der Mann betrachtet seine Beute, die sich da völlig fertig im Stuhl windet, und holt erneut aus. “Heute schlechtes Geschäft. Für dich Spezialpreis.” “Danke. Siehst du die Räder dort? Das sind unsere. Ich kann deine schöne Schüssel nicht transportiere”, erkläre ich und hoffe auf Ruhe. “Schlechter Tag heute. Du mir ein Bier ausgeben?” “Stimmt, schlechter Tag heute. Ich dir kein Bier ausgeben”, antworte ich mit ernster Miene. Der Mann bleibt noch eine Weile neben mir stehen. Scheint zu überlegen ob seine Beute keine Beute ist und kommt zu dem Entschluss sich zu trollen. Nur Augenblicke danach sitzt er mit einem Kollegen Bier trinkend am Nachbartisch. Beide beobachten mich jetzt unaufhörlich. “Oh man womit habe ich das verdient?”, mumpfle ich in meinen Bart. Die Hitze unter dem Dach ist kaum auszuhalten. Nach einer halben Stunde des Leidens komme ich auf die glorreiche Idee meine Schuhe und mein Hemd auszuziehen. “Viel besser. Seltsam warum man für gute Ideen manchmal so lange braucht.” Vor Müdigkeit fällt mir der Kopf auf die Schultern. Die zwei Souvenirverkäufer beobachten mich noch immer. “Was die bloß an mir finden? Nur nicht einschlafen. Vielleicht haben sie ja bemerkt wie müde ich bin. Unsere Räder wären dann eine leichte Beute. Oh man bin ich müde.” Wieder fällt mir der Kopf nach vorne über. Erschrocken hebe ich ihn hoch. “Nur ein Sekundenschlaf. Glück gehabt.” Ich erhebe mich, gehe zum Dresen und bestelle eine Tasse Kaffee. Das Getränkt hilft nicht wirklich. Nicht stark genug. Gehe wieder zum Dresen und kaufe gegen meine Überzeugung eine Cola. “Manchmal ist Cola auch eine Medizin”, sagt mein Vater öfter. Na ja, in diesem Fall kann er Recht haben. Ich stürze mir das Zuckergebräu in den Rachen. Es scheint zu wirken. Die letzten Minuten sind meine Augen offen geblieben. Meine Beobachter haben das anscheinend auch bemerkt. Sie stehen auf und hatschen davon. “Gut so. Wo bleibt denn Tanja? Oh man bin ich müde. Und heiß ist es hier. Heißer als es gut ist. So ein schreckliches blaues Dach. Der der so etwas erfunden hat sollte bestraft werden”, geht es mir unentwegt durchs Gehirn.

“Hallo mein Schatz! Geht es dir gut?”, fragt Tanja als sie nach 11/2 Stunden endlich wieder auftaucht. “Frag besser nicht”, antworte ich. Sie bringt gute Nachrichten und ist fündig geworden. “Das Hotel und vor allen das Personal ist ganz nett. Es gibt eine Terrasse auf der du schreiben kannst, unser Zimmer hat Meerblick und wir dürfen die Räder in die Putzkammer stellen”, berichtet sie. Sofort gehen wir los, um das Hotel Pelikan aufzusuchen. Tatsächlich ist es ein schönes Zimmer, nicht nur für rumänische Verhältnisse. Im Vierten Stock haben wir einen wunderbaren Blick auf das lang ersehnte Schwarze Meer. Es gibt eine gut funktionierende Klimaanlage, einen wunderbaren Stuhl, einen Balkon und das zu einem fairen Preis. Alles was ich für meine Arbeit brauche. Nach einer ausgiebigen Dusche spazieren wir ein paar hundert Meter am Strand entlang. Der Hunger treibt uns bald in ein Strandrestaurant. Jetzt haben wir es tatsächlich geschafft. Ohne Zweifel sind wir am Meer. Die Wellen rauschen, das Essen schmeckt hervorragend und wir lieben uns und das Leben. Was kann ein Mensch schon mehr wollen?

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