Skip to content
Abbrechen
image description
Mongolei/Brunnen Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Als hätte ein Vampir meine Lebensenergie eingesaugt

N 49°50'003'' E 100°09'180''
image description

    Tag: 347

    Sonnenaufgang:
    05:18

    Sonnenuntergang:
    21:29

    Luftlinie:
    29,62

    Tageskilometer:
    38

    Gesamtkilometer:
    1704

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    21°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    17 °C

    Temperatur – Nacht:
    8 °C

    Breitengrad:
    49°50’003“

    Längengrad:
    100°09’180“

    Maximale Höhe:
    1950 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    11:30

    Ankunftszeit:
    19:45

Schweren Herzens verlassen wir unser traumhaft schönes Versteck auf der kleinen Flussinsel des Egyin Gol. Ich treibe die Packpferde von der Insel durch die Fluten des Flusses. Alles geht gut bis Tengers Seesäcke beim Hochstapfen der steilen Böschung nach hinten rutschen. Er wird nervös, stolpert gegen Bors Ladung und geht urplötzlich wie eine Rakete durch. Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, die ein Auge zum Zwinkern benötigt, und die gesamte Ladung fliegt im hohen Bogen ins Wasser. Tenger schießt nun ohne Last in einen großen Kreis bis er aufgeregt hin und her tänzelnd neben Naraa stehen bleibt. Ich springe aus dem Sattel, lege Sar die Fesseln an und sprinte zum Flussufer. Gott sei Dank ist das Wasser hier nur einen knappen halben Meter tief so das die Strömung unsere teure Ausrüstung nicht mit sich fortgerissen hat. Tanja und ich heben die vor Nässe triefenden wasserdichten Säcke aus dem Fluss. Es kostet uns viel Geduld Tenger von der Harmlosigkeit seiner Last zu überzeugen. „Ruhig. Sind nur leblose Seesäcke. Ruhig Tenger“, sagt Tanja in besänftigenden Tonfall. Nachdem Tenger beladen ist müssen wir Bors Kuriertaschen ebenfalls neu verschnüren.

„Okay, es kann losgehen“, sage ich nach einer halben Stunde. Ich steige in meinen Sattel, der dabei fast vollständig zur Seite rutscht. „Die Isomatte ist zu glatt. Der Sattel hält nicht“, erkläre ich Tanja wegen den Startschwierigkeiten an diesem Morgen etwas gereizt. Um Sars und Naraas Rücken zu schonen hatten wir vor dem Aufbruch unter den Sattelfilz der Pferde je eine Isomatte gelegt. Ich war mir sicher somit den Satteldruckstellen erfolgreich entgegen gewirkt zu haben. Nun zeigt sich meine Idee als Fehlschlag. Ich binde die Isomatte an Shargas Ladung. Dann reiten wir endlich los.

Wegen den vielen Windungen und teils geröllhaltigen Uferstreifens des Egyin Gol kommen wir erst langsam voran. Dann müssen wir den Fluss verlassen und über bis zu 2.000 Meter hohe Pässe reiten. Ab hier gibt es kaum noch Bäume. Endlose Weite umgibt uns. Wegen der Gewitterstimmung ist es wieder tropisch warm. Nach der Mittagsrast, die wir erschöpft im Gras liegend verbringen, müssen wir auch die Isomatte unter Naraas Sattel entfernen. Auch Tanjas Sattel begann zu rutschen. „Ab morgen werde ich laufen. Wir können Naraa mein Gewicht nicht mehr zumuten“, entscheidet Tanja.

Weil es in dieser Gegend keinen Bach- oder Flusslauf gibt sind wir erneut gezwungen länger zu reiten als gewollt. Die Pferde bringen Höchstleistung. An einer übel riechenden, flachen Wasserfläche, in der hunderte von Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen urinierten, tränken wir die durstigen Pferde. „Ich hoffe sie verkraften diese Brühe ohne krank zu werden“, äußere ich meine Bedenken. Da aber nur hundert Meter vom Wasserloch entfernt eine Pferdeherde grast sind wir überzeugt davon das auch diese hier zum Saufen kommt. „Sollte kein Problem sein“, meint Tanja auf die Herde deutend.

Im goldenen Abendlicht fragen wir an einer Jurte wo es in diesem Tal Wasser gibt. „Bei uns“, antworten die Jurtenbewohner und deuten auf einen Schöpfbrunnen. „Dürfen wir hier unser Nachtlager errichten und die Pferde tränken?“, fragt Tanja müde. „Gerne“, antworten die freundlichen Hirten.

Als wir Naraa absatteln erschrecken wir. Ihre Wunde hat sich verschlimmert. Ob wir sie auf diesem Trip überhaupt noch einmal einsetzten können ist fraglich. Auch Sars Druckstelle ist geschwollen. Bors Sattel passt ebenfalls nicht denn auch seine Druckstelle ist trotz des leichten Gepäcks aufgebrochen. Als Tanja und Bilgee vom Frühjahrscamp der Tuwa nach Tsagaan Nuur ritten wollte Bor nicht auf die Fähre. Bilgee sind dabei die Nerven durchgegangen weshalb er ihn, so erfuhr ich später von Tanja, mit einem dünnen Baumstamm auf die Hüfte drosch. Sicherlich hat Bilgee Bor nicht mit Absicht verletzt aber trotzdem ein unverzeihliches Verhalten. Bor kann zwar wieder laufen, wenn auch ein wenig unrund so scheint uns, jedoch besitzt seine Hüfte eindeutig Schiefstand.

Ich muss zugeben, diese Situation betrübt mich zu tiefst. „Wie soll es nur weitergehen?“, kreuzt ein Gedanke meine Gehirnwindungen. Ob wir reiten oder zu Fuß gehen, morgen werden wir Mörön erreichen. Von hier sind es nicht mehr als ca. 27 Kilometer. Nur was machen wir dann? Auch Tanja ist niedergeschlagen. Schon letztes Jahr bemerkten wir Druckstellen an den Pferden. Doch dieses Jahr sind sie viel schlimmer. „Ob die Pferde an den Sattelauflagestellen empfindlicher geworden sind?“, fragt Tanja. „Ich weiß es nicht. Fakt ist, die deutschen Sättel passen nicht“, antworte ich sie genau untersuchend in der Hoffnung daran etwas modifizieren zu können.

Weil es in diesem Tal kein Feuerholz gibt und unser Kocher im Schuppen bei Saraa gelagert ist, suche ich die Weide nach Holzresten der Nomaden ab. Im zurückgelassenen Müll einiger Jurtencamps finde ich weggeworfene Überreste von Jurten, Sätteln oder alten Holzpfosten. Nach einer halben Stunde ist mein Armbeuge voll. „Genug für heißes Wasser“, sage ich und entfache unter großer Mühe das nasse Holz, während Tanja die Pferde zum Schöpfbrunnen bringt, um sie zu tränken.

Wie aufsteigender Dampf breitet sich in mir ein ungutes, schweres Gefühl aus. Ein Gefühl der Lustlosigkeit, der Kraftlosigkeit, der Verdrossenheit. Ich fühle mich physisch und psychisch völlig ausgelaugt. Als hätte ein Vampir meine gesamte Lebensenergie in sich hineingesaugt. Entweder liegt es an der Erschöpfung, der Anspannung der letzten Tage und Wochen, der Unzuverlässigkeit unserer bisherigen mongolischen Begleiter oder schlichtweg daran, dass wir seit fast einem Jahr gezwungen sind unentwegt schier unlösbare Aufgaben zu lösen. Am Rande meines Bewusstseins sind mir die Höhen und Tiefen unserer Psyche verständlich. Jedoch, im jetzigen Zustand verspüre ich nicht mal einen Funken Energie, um meine Niedergeschlagenheit zu analysieren, um aus der daraus resultierenden Klarheit Kraft zu schöpfen.

Wir freuen uns über Kommentare!

This site is registered on wpml.org as a development site.