Abschied – In windiger Höhe
N 51°39'155'' E 099°21'977''Tag: 318
Sonnenaufgang:
05:06
Sonnenuntergang:
21:35
Gesamtkilometer:
1361
Bodenbeschaffenheit:
Gras
Temperatur – Tag (Maximum):
25 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
19 °C
Temperatur – Nacht:
minus 5 °C
Breitengrad:
51°39’155“
Längengrad:
099°21’977“
Maximale Höhe:
1858 m über dem Meer
„Als Erinnerung an uns“, sagt Ultsan und überreicht mir ein aus Rentierhorn gearbeitetes Rentier. „Oh, vielen Dank. Ist eine schöne Arbeit. „Hast du das geschnitzt?“, frage ich angetan. „Tijmee“, antwortet er nickend. „Ich werde es in Ehren halten“, sage ich. „Und das ist für dich“, sagt Tsaya und gibt Tanja ein kleines aus Gazellenfell gefertigtes Täschchen in dem sich ein ebenfalls geschnitzter Rentierkopf befindet. „Wir werden heute noch nach Tsgaan Nuur reiten. Ich muss zur Nachuntersuchung meines Herzens nach Mörön und Ultsan hat sei Tagen starke Zahnschmerzen. Er wird dort einen Zahnarzt aufsuchen. Wir wollten eigentlich warten bis ihr aufbrecht, um euch gebührend zu verabschieden aber wir bekommen eine Mitfahrgelegenheit von Tsagaan Nuur nach Mörön. Deswegen müssen wir jetzt schon auf Wiedersehen sagen“, erklärt Tsaya. „Wir werden die Zeit mit euch nie mehr vergessen“, sage ich. „Wir auch nicht. Eure Anwesenheit hat uns bereichert und so manche lange Wintertage angenehm verkürzt“, antwortet Tsaya. Wir unterhalten uns noch eine Weile. Dann verlassen unsere beiden Gastgeber das Tipi, um ihre Pferde zu satteln.
„Wir sollten jetzt zu ihnen gehen und mit ihnen zusammen meine letzte Flasche Wodka teilen“, schlägt Bilgee vor. „Am Vormittag?“, frage ich. „Denis, wir sind in der Mongolei. Da trinkt man Wodka zu jeder Tageszeit und jedem Anlass“, erinnert mich Tanja. „Wie konnte ich das vergessen“, entgegne ich lachend. Wenig später sitzen wir in Tsaya und Ultsans Tipi. Ovogdorj, Ultsans Bruder Hoo, sein Onkel Bayandalai und Shagai sind ebenfalls anwesend. Ohne Umschweife packt Bilgee die Flasche aus. Sofort ist sie geöffnet. Da wir es sind, die sich nun seit unserem ersten Treffen vor etwa acht Monaten von den Tuwa verabschieden, nutze ich die gebotene Gelegenheit eine kleine Dankesrede zu halten. Ich segne nach dem mongolischen Brauch das Getränk, tippe meinen rechten Ringfinger in die klare Flüssigkeit und schnippe sie in alle Himmelsrichtungen damit die Naturgeister ihren Teil abbekommen und besänftigt sind. In kurzen Worten bedanke ich mich für die offene Aufnahme im Kreise der Tuwagemeinschaft und das sie uns an ihrem Leben teilhaben lassen. „Tanja und ich dokumentierten während unserer Anwesenheit unsere gemeinsamen Erfahrungen detailgenau und hoffen somit der Nachwelt ein Zeit getreues Dokument eures Lebens in der Taiga hinterlassen zu haben. Wir erfuhren am eigenen Leib welche Herausforderungen ihr zu meistern habt, welche Gesundheitlichen Probleme euch das Leben hier draußen erschweren und wie ihr der oftmals gnadenlosen Natur trotzen müsst. Wir können nun verstehen warum ihr als eine der letzten ursprünglich existierenden Nomaden trotz allen Widrigkeiten dieses einfache Leben der Zivilisation vorzieht. Auch wenn es schwierig und manchmal gefährlich ist der Natur und seinen Gewalten ausgesetzt zu sein, bedeutet diese pure Lebensform Erfüllung. Weit Abseits vom industriellen Stress, der, so weiß ich aus eigener Erfahrung, viele Menschen frühzeitig tötet. Weit ab von der zivilisierten Welt, die viele Menschen so mögen ohne zu verstehen wie hoch der zu entrichtende Preis dafür ist. Übermäßiger Konsum, persönlicher Ehrgeiz und andere Gründe führen dazu, dass sich die Menschen ausnutzen lassen. Die Welt da draußen verfällt immer mehr zu einer Art modernem Sklaventum. Ein Sklaventum welches so machen Menschen dazu zwingt für wenig Geld bis zu 16 Stunden am Tag zu arbeiten. Und das nur um sich an dem vermeintlich wichtigen Konsum beteiligen zu können. Ein Alptraum aus dem es kaum ein Erwachen gibt. Im Vergleich dazu ist euer Leben in der Taiga vorzuziehen. Macht weiter so. Leider verbreitet sich die moderne Welt wie eine Krankheit in jeden Winkel dieser Erde. Handys zum Beispiel dringen wie ein Virus in die entlegensten Regionen vor. Eine ursprüngliche Lebensform aufrecht zu erhalten scheint unmöglich. Mittlerweile eroberten Motorsägen, Batterien, kleine Elektrogeräte und auch schon ein Moped eure Welt. Das ist der Anfang der Konsumspirale die uns Menschen in Abhängigkeit bringen und letztendlich zum modernen Sklaventum führen. Für all diese Güter die uns das Leben auf den ersten Blick erleichtern seid ihr gezwungen Geld zu verdienen und genau darin liegt die Gefahr eure ursprüngliche Lebensform zu verlieren. Aber Tanja und ich wünschen euch, euren Familien und Rentieren noch viele verbleibenden unbeschwerte Jahre in der Taiga“, sage ich und beschließe damit meine Rede.
Tsaya übersetzt meine Worte. Nachdem sie endet herrscht kurzes Schweigen, dann einträchtiges Nicken. „Hubaaa!“, sage ich laut und stürze mir das Gläschen Wodka hinter die Binde. „Hubaaa!“ erwidern die Anwesenden lachend und die Stimmung ist ausgelassen und gelöst. „Ihr seid sehr gute Menschen“, ergreift Ovogdorj das Wort. „Wir waren über eure Anwesenheit glücklich. Ich kann mich an jedes Fest erinnern welches ihr geschmissen und mit uns gefeiert habt. Es war eine schöne Zeit. Wir hoffen ihr kommt wieder“, sagt er und tut es mir gleich indem er mit einem kräftigen Hubaaa sein Gläschen verdunsten lässt.
„Wenn ihr geht werdet ihr eine Lücke hinterlassen die schwer aufzufüllen sein wird. Wir haben euch lieben und schätzen gelernt. Wir lachten zusammen und teilten das eine oder andere Drama. Nun wissen wir, dass auch Europäer in der Lage sind solch einen harten Winter mit Bravour zu überstehen. Wir zollen euch unseren Respekt. Ihr seid die ersten Europäer die mit uns das Leben teilten. Nicht für wenige Tage sondern für den gesamten Winter und Frühjahr. Ihr seid für uns keine Fremden mehr sondern ein Teil unserer großen Familie. Jeder Anwesende verlor euch gegenüber seine Scheu. Durch das Leben mit euch werden wir die kommenden Touristen die unser Sommercamp besuchen mit anderen Augen sehen. Ihr habt uns viel beigebracht. Dafür möchten wir uns aus ganzem Herzen bedanken“, hören wir Tsayas Worte. „Hubaaa!“, rufe ich und versuche mir mit dem Hemdsärmel unauffällig ein paar Tränen aus den Augen zu wischen. Tanja und ich sind durch die netten Worte berührt. „Noch ein kleines Geschenk für dich“, sagt Ultsan und reicht Tanja einen Gazellenfuß an dem ein Lederbändchen gebunden ist. „Das ist dafür um dein Pferd besser antreiben zu können. Wir sagen, der leichte Hieb eines Gazellenfuß auf den Hintern eines Pferdes lässt es so schnell wie eine Gazelle werden“, erklärt er. Tanja ist sichtlich angetan und bedankt sich nochmals herzlich. Nachdem die Flasche gelehrt ist setzen wir uns zu einem Abschiedsfoto zusammen. Dann verlassen Tsaya und Ultsan ihr Tipi, um in Richtung Tsagaan Nuur zu reiten.
In windiger Höhe
Um 15:00 Uhr machen wir uns daran den 2.300 Meter hohen Berg zu besteigen, um von seinem Gipfel Mobilfunkkontakt zu bekommen. Der Aufstieg durch den Lärchenwald und das dichte Gestrüpp ist beschwerlich. Ab 2.000 Höhenmeter wird der Wald immer lichter und von einem groben Geröllfeld zurückgedrängt. Bedacht nicht in eine der unzähligen kleine Spalten zu stolpern, steigen wir Meter für Meter den Gipfel entgegen. Bilgee, der gestern schon mal oben war, um mit seinen Kindern zu telefonieren, kennt den Weg und springt wie eine Gämse voraus. Oben angekommen bläst uns kalter Wind entgegen. Dunkle Wolken öffnen ihre Pforten und Regen peitscht uns ins Gesicht. War das Wetter im Tal noch angenehm ist es jetzt wieder extrem. Ein Wechsel der zu diesem Teil des Landes gehört wie der Sonnenauf- und Untergang zu einem Tag. Bevor wir unsere Handys zücken genießen wir den atemberaubenden Rundblick über die endlos erscheinenden, teils mit Schnee bedeckten Bergzüge. Von unserer Adlerposition aus ist zu erkennen wie die Lärchenwälder langsam zum Leben erwachen. Das leichte Grün zieht sich wie ein Tuch durch die Täler und über die Höhen. Nur noch wenige kleine Seen sind mit einer weißen Eisdecke überzogen. Es kann nicht mehr lange dauern bis auch diese von der Sonne aufgeleckt werden und sich die Wolken in ihren blauen Wassern spiegeln.
Tatsächlich bekomme ich sofort Kontakt zu Saraa. „Und konntet ihr unser Gepäck welches wir bei Ayushs gelagert hatten mit nach Tsagaan Nuur nehmen?“, ist meine erste Frage. „Nicht alles. Wir haben uns einen Jeep gemietet. Da passte nicht die gesamte Ausrüstung rein. Aber mach dir keine Sorgen, irgendwie bringen wir den Rest auch noch weg.“ „Okay, gut. Und wie sieht es mit einem neuen Pferdemann aus?“ „Der junge Ringer von dem ich sprach möchte euch begleiten. Er ist zurzeit aber auf dem Land und baut ein Blockhaus. Wenn alles gut geht ist er ab dem 15. Juni wieder in Mörön“, höre ich. „Das ist zu spät. Dann benötigt er noch mal zwei Tage für die Fahrt nach Tsagaan Nuur. Gibt es noch eine Alternative?“ „Nein. Naraas Sohn arbeitet. Das wusste ich nicht. Im Augenblick ist der junge Mann die einzige Option“, vernehme ich enttäuscht. „Okay, wir brechen morgen unsere Zelte hier ab und werden nach Tsgaan Nuur laufen. Ich melde mich sobald wir Kontakt zum Netz bekommen. Vielleicht fällt uns bis dahin eine Lösung ein“, beende ich das Telefonat. Der starke Wind treibt uns zur Eile den Gipfel so schnell als möglich zu verlassen. Konzentriert machen wir uns auf den beschwerlichen Abstieg über das Geröllfeld und erreichen zwei Stunden später wohl behalten unser Tipi.
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