Jasper lernt das wichtigste Kommando
Temperatur - Tag (Maximum):
ca. 30 Grad
Anna Plains Station — 04.05.2001
Nach dem Kamele füttern beschäftige ich mich mit dem neuen Navigationscomputer. Es kostet mich Stunden, um herauszufinden, dass er keine Detailkarte für Australien besitzt. Obwohl uns solch eine Karte in der Wüste nicht besonders dienlich ist wäre es trotzdem dienlich sie zu besitzen. Man kann zwar auf den kleinen Navigationscomputer eine Landkarte überspielen, aber das kostet wieder Geld und Zeit. Am Ende entscheide ich mich mit unserem alten GPS zu arbeiten und den neuen als Ersatzgerät zu nutzen.
Neben dem Kameltraining stehen natürlich auch ständig andere wichtige Vorbereitungsarbeiten an. So müssen Taschen genäht und repariert werden, das Funkgerät und die Technik getestet, neue Riemen und Seile für die Kamele geschnitten, neue Hoppeln eingeölt, Taschen umgeräumt und ausgetauscht werden und unendlich viel mehr. Nicht zu vergessen ist die endlose Arbeit mit der Webseite, das Ausbessern vieler kleiner Fehler, die damit verbundenen Telefonate nach Deutschland, das Niederschreiben unserer Erlebnisse, die Interviews und und und. Tanja und ich sind vom frühen Morgen bis zum späten Abend beschäftigt. Wir haben geplant spätestens am 12 Juni wieder unterwegs zu sein. Obwohl wir zu diesem Datum mit einem Monat Verspätung aufbrechen, lässt sich ein früherer Termin mit all der anstehenden Arbeit einfach nicht realisieren. Selbst Anfang Juni ist nur machbar, wenn absolut nichts mehr dazwischen kommt.
Am späten Vormittag schreiten wir wieder zu den Kamelgehegen. Heute wollen wir Jasper absetzen lassen und sind aufgeregt ob es klappen wird. Dadurch das er jetzt ein 9 Meter langes Seil um den Nacken hat ist es hoffentlich etwas leichter ihn einzufangen. Vorsichtig nähere ich mich dem scheuen Tier, doch er läuft sofort in panikartiger Flucht davon. Schnell versuche ich das Seil, welches er hinter sich her schleift, zu fassen. Kaum habe ich es mit meinen alten, löchrigen Handschuhen gegriffen, zischt es mir durch die brennenden Hände. Vor Schmerz lasse ich los und versuche es ein zweites Mal. Wieder bringt Jasper es fertig mir das Seil aus den Händen zu reißen. Die ruckartigen Bewegungen schmerzen mir in Rücken und Schultern. Nach weiteren fehlgeschlagenen Versuchen liegt das Seil direkt neben dem einbetonierten Pfosten. Langsam wickle ich es dreimal herum. Jasper bemerkt die Falle zu spät. Er will wieder ausreißen, das Seil straft sich und mein Pfosten muss das erste Mal eine massive Bewehrungsprobe bestehen. „Er hält,“ rufe ich erleichtert als Jaspers Flucht ruckartig gestoppt wird. Er tänzelt nervös hin und her, hebt aggressiv seinen schweren Kopf und möchte das lästige Seil abschütteln, doch gegen das eiserne Rohr hat er keine Chance. Jasper meint nun ich besitze diese Bärenkräfte um ihn zu halten und somit lernt er bereits eine weitere Lektion. Wenn ich ihn in Zukunft fangen werde und das Nackenseil aufnehme, wird er wissen das ein Ausreißen kaum Sinn macht. Allerdings werden bis dahin noch einige Tage und viele Versuche vergehen.
Immer wenn er jetzt einen Schritt nach vorne geht, um den Zug an seinem Nacken nachzugeben, ziehe ich ihn noch näher an den Pfosten. Nach einer Weile befindet sich sein Kopf nur noch zwei Meter von mir entfernt. Ich knote das Seil fest und wir lassen ihn für einige Zeit alleine. Auf diese Weise kann er sich daran gewöhnen wie es ist angebunden zu sein. Wir setzen uns auf die Erde, trinken Wasser und sehen zu wie Jasper sich befreien möchte. Endlich, nach vielleicht einer halben Stunde hat er sich erst mal mit seiner Situation abgefunden. Langsam und bedacht gehen wir nun auf ihn zu. Er bekommt große Augen und als er bemerkt das er nicht ausreißen kann brüllt er schrecklich auf. Um seine Angst zu untermauern bekommt der arme Kerl Durchfall und verteilt seine flüssigen Ausscheidungen durch den auf und abschwingenden Schwanz über unsere Köpfe. Vorsichtig werfe ich jetzt ein 16 Millimeter starkes Seil zwischen seine Vorderfüße an dessen Ende wir eine Schlaufe gebunden haben. Tanja versucht nun mit dem von Tom gebautem Metallstab, an dessen Ende ebenfalls ein Haken geschweißt ist, die Öse der Schnur zu erwischen. Sie darf dabei auf keinen Fall zu nahe an Jasper heran, denn Kamele können mit ihren Vorderfüßen blitzartig und gnadenlos nach vorne Kicken. Nervös tritt Jasper gegen den Haken der nur leicht seinen Vorderfuß berührt. Wieder und wieder versuchen wir das nervende, aufreibende Spiel bis Tanja die Schlaufe am Haken hat. Schnell zieht sie daran, gibt mir die Schlaufe durch die ich blitzartig das andere Ende des 16 Millimeterseiles führe, bis es sich direkt oberhalb seines Fußes und unterhalb seines Knöchels festzieht. „Auf diese Art haben wir seinen linken Vorderfuß gefangen. Nun werfe ich das Seil über seinen Rücken, so dass es zwischen Schulter und Höcker liegt. Tanja fängt es auf der anderen Seite und zieht daran. Ich komme ihr zu Hilfe und mit gemeinsamen Kräften schaffen wir es seinen linken Vorderfuß vom Boden abzuheben. Er liegt jetzt durch den Zug des Seiles angewinkelt am Oberschenkel. Jasper steht nun auf drei Beinen. Nachdem was wir gelernt haben wird er nach einiger Zeit müde auf drei Beinen zu stehen und setzt sich ab. Wenn das geschieht werden wir husch down rufen und somit lernt er eines der wichtigsten Kommandos. Doch wie sooft unterscheidet sich die Theorie von der Realität. Ohne die geringsten Anzeichen von Müdigkeit zu zeigen bleibt Jasper wie angewurzelt stehen. „Husch down! Husch down!“ , rufen wir doch ohne Erfolg. Es dauert bald 30 Minuten bis sein rechter Oberschenkel zu zittern beginnt. „Es kann nicht mehr lange dauern,“ meint Tanja schnaufend vor Anstrengung. Endlich nach ca. 40 Minuten zeigt Jasper Anzeichen sich abzusetzen und wenig später geht er in die Knie. „Husch down Jasper, husch down. Good Boy,“ loben wir ihn. Wir sind in diesem Moment äußerst glücklich. Welch ein Gefühl so ein großes Tier trainieren zu dürfen und welch ein schneller Erfolg. Natürlich bedarf es noch viele Aufforderungen bis er sich auf Kommando absetzen wird, doch ist mit dem ersten Mal die gröbste Barriere dieser Lektion überwunden.
Oft haben wir in Indien, Pakistan oder Afrika gesehen wie Kamele durch schlagen auf die Vorderfüße zum Absetzen gezwungen werden. Es ist für das Kamel eine äußerst schmerzhafte Methode und wenn man unseren Erfolg in der kurzen Zeit betrachtet, eine ungeeignete und brutale zugleich. Durch das brutale Einbrechen eines Lebewesens ist es sehr schwer eine gute Beziehung zu dem Tier aufzubauen und weil Kamele ein ausgezeichnetes Gedächtnis besitzen geschieht es nicht selten, dass der Trainer sich einen Todfeind auf Lebzeit kreieren kann.
Nachdem Jasper nun eine ganze Weile dasitzt, lasse ich ihn durch einen kräftigen Zug am Nackenseil wieder aufstehen. „Epna,“ befehle ich ihm im selben Moment, damit er gleich zu Beginn dieser Übung mit dem neuen Kommandowort vertraut wird. „Das hast du gut gemacht,“ lobe ich ihn und weil wir ihn nicht schon am ersten Tag überstrapazieren wollen lassen wir ihn für heute.
Am Abend kommen die Jilleroos und Jackeroos der Farm zu der Trainingskoppel, um zu sehen wie es mit unserer Arbeit vorangeht. „Kommt nur rein. Ihr könnt alle streicheln bis auf die zwei Neuen,“ sagt Tanja einladend. Keiner von ihnen zögert das Gehege zu betreten. Ich hole Sebastian, Goola, Hardie, Jafar und Istan, lasse sie in einer Reihe absetzen und sage: „Hier warten sie um gestreichelt zu werden. Nur Augenblicke später legen alle fünf Kamele ihre Köpfe auf den Boden ab und lassen sich mit sichtbarer Hingebung verwöhnen. Es ist ein wunderbares Bild und trägt definitiv dazu bei das Kamele nicht nur um sich tretende, beißende und spuckende Monster sind. Kurz vor Sonnenuntergang sitzen bald alle Farmarbeiter auf den Gattern und beobachten vergnügt und laut lachend wie sich unsere Boys um das Futter rangeln: „Sieh mal was der da für eine lustige Lippe hat. Oh dem scheint es aber zu schmecken. Der mit der schiefen Lippe ist ja ein gemeiner Drängler. Die armen Neuen bekommen ja kaum etwas ab,“ schnattern sie durcheinander und haben ihren Spaß.