Eine Schlange ist um seinen Fuß gewickelt
N 23°22’32.9“ E 150°24’01.3“Tag: 268-269 Etappe Drei-Expeditionstage gesamt 659-660
Sonnenaufgang:
05:40
Sonnenuntergang:
18:41
Gesamtkilometer:
6980 km
Temperatur - Tag (Maximum):
22° Grad, Keine Sonne
Temperatur - Nacht:
20°
Breitengrad:
23°22’32.9“
Längengrad:
150°24’01.3“
Paradise Lagoons-Camp — 08.02.2003 – 09.02.2003
Auch heute noch bekommen wir Anrufe aus allen Teilen des Landes und aus Europa. Viele Emails erreichen uns, weshalb wir bis über beide Ohren beschäftigt sind die plötzlich anfallende Arbeit bewältigen zu können.
Bevor ich dann zu den Kamelen gehe sehen wir uns die Sättel an, um festzustellen wie hoch der Reparaturaufwand ist. Durch die starken Regenfälle haben sich tausende von kleinen schwarzen Käfern und hunderte von Spinnen auf sie geflüchtet. Auch Frösche und Mäuse haben unsere Packsättel zu ihrem neuen Haus erkoren. Wir sind entsetzt und wissen im ersten Augenblick gar nicht wie wir uns gegen diese Flut von Insekten wehren sollen. Mit einem Plastikrohr schlage ich nun auf die Taschen und Sättel ein, um der Invasion der Käfer Herr zu werden. Es ist als würde ich einen hoffnungslosen Kampf führen. Tanja und ich bürsten und kehren für Stunden, bis die Sättel endlich einigermaßen frei von Ungeziefer sind.
Gegen Mittag suche ich die Kamele auf. Es geht ihnen sehr gut. Sebastian ist über einen von der Flut umgerissenen Zäune gestiegen und frisst im Nachbargrund. „Hallo mein Freund. Wie geht es dir? Schön dich fressen zu sehen,“ sage ich und stecke meine Hand unter die Decke die wir ihm zum Schutz übergezogen haben. „Ist schön warm da drunter. Soll ich dir die Decke wieder abnehmen?“ ,frage ich ihn und öffne einen der Bauchgurte. „Aaahhh!“ ,brülle ich vor Schreck als mein Blick auf seinen Hinderfuß fällt und springe wie von der Schlange gebissen zu Seite. Eine fette, lange Schlange windet sich nur wenige Zentimeter neben mir um Sebastians linken Hinterfuß. Für einige Schrecksekunden bleibe ich wie versteinert stehen und überlege meine nächsten Schritte. Sehr vorsichtig nähere ich mich wieder Sebastians Hinterfuß, um mir die Situation genauer anzusehen. Ich kann es kaum glauben. Tatsächlich steht er auf einer langen, eingerollten Schlange. Sie bewegt sich nicht. Ob sie tot ist? Sie hat sich mehrfach um seinen unteren Fuß gewickelt. Am Vorderfuß entdecke ich Blut, was offensichtlich vom Biss der Schlange kommt. Wie versteinert stehe ich da und will wiedereinmal nicht glauben welchen Brocken uns das Schicksal hier vorgeworfen hat. Ich bin zwar froh nicht ebenfalls von dem Reptil gebissen worden zu sein aber wenn das Ding dort eine Giftschlange ist wird Sebastian wieder um sein Leben kämpfen müssen. Seelenruhig steht er da und frisst das leckere Gras.
Nach den ersten Schrecksekunden ziehe ich den friedlich grasenden Sebastian vorsichtig nach vorne. Als hätte er gar nicht gemerkt auf einer ernsthaften Bedrohung zu stehen, hebt er seinen Fuß von ihr und folgt mir. Die Schlange reagiert zu meiner Überraschung nicht. „Mein Gott Sebastian! Was machst du denn noch alles, um dich Lebensgefahr zu bringen?“ ,frage ich ihn. Ich packe ihn am Halfter und ziehe ihn ein paar Meter aus der hohen Wiese. Dann untersuche ich seinen Vorderfuß. In der Tat ist es eine Bissstelle aus der frisches Blut tropft. „Sieht eigenartig aus,“ flüstere ich. Neben ihm kniend überlege ich wieder was zu tun ist. Mein Blick fällt auf einen Ast der in dem schilfähnlichen Gewächs liegt. Ich nehme ihn auf und schleiche jetzt durch die nassen Halme. Vorsichtig stochere ich mit dem Ast vor mir herum. An der Stelle an der eben noch Sebastian auf der unterarmdicken Schlange stand ist nichts mehr zu sehen. Sie ist weg, geht es mir durch den Kopf. Ganz langsam schreite ich weiter. Vielleicht kann ich sie ja doch noch finden. Wegen ihrer Größe glaube ich eine Python erkannt zu haben. Sollte es wirklich eine Python gewesen sein, ist Sebastian nicht in unmittelbarer Gefahr. Der Biss kann sich zwar immer noch entzünden aber er wäre zumindest nicht giftig. Es könnte aber auch eine ausgewachsene King Brown sein. Die sind absolut tödlich. Wenn er von dieser gebissen worden ist muss ich sofort den Tierarzt verständigen. Nervös schleiche ich Zentimeter für Zentimeter weiter. Plötzlich entdecke ich durch das dichte Grün eine Regung. Kaum sichtbar liegt das Kriechtier zusammengerollt da und scheint mich aufmerksam zu beobachten. Langsam berühre ich sie mit dem Stock, worauf sie sich gemächlich entrollt und wie in Zeitlupe davon schlängelt. Im ersten Augenblick glaube ich die Körperzeichnung und den Kopf einer Carpet Python (direkt übersetzt Teppich Python) erkannt zu haben. Bedacht und aufgeregt folge ich ihr. Mein Herz schlägt so stark, dass ich den Pulsschlag in meinem Kopf pochen höre. Plötzlich entdecke ich sie wieder. Es ist ohne Zweifel eine Carpet Python. Da sie das Gras in dem Sebastian frisst anscheinend nicht verlassen will versuche ich sie herauszutreiben. Leicht könnte Sebastian wieder auf sie steigen. Die Gefahr, dass er wieder gebissen wird ist zu groß. Auch möchte ich nicht das diese Prachtschlange von seinen Füßen getötet wird.
BLITZSCHNELL SCHIESST IHR KOPF NACH HINTEN
Vorsichtig berühre ich mit meinem Finger ihren Schwanz, worauf sie sich wieder ein paar Zentimeter weiterschlängelt. Ich konzentriere mich, sammle alle Energie in mir, bündle sie und lasse meine Hand nach vorne schießen. Blitzschnell greife ich ihren Schwanz, richte mich auf und bin bereit zurück zu hechten, falls sie mich beißen will. Zu meiner Zufriedenheit jedoch will sie flüchten. Mit eisernem Griff halte ich sie fest. Adrenalin durchströmt meinen Körper. Sehr wachsam ziehe ich sie jetzt aus dem Gebüsch. Ich laufe langsam rückwärts. Dann erreiche ich das offene, unbewachsene Feld. Schritt für Schritt gehe ich weiter. Ich kann es nicht glauben als die Schlange immer länger und länger wird. Im ersten Augenblick würde ich sie am liebsten wieder loslassen, doch dann würde sie sich sofort wieder in das hohe Gras flüchten. Die Schlange wird schwerer und schwerer. Ich habe schon mindestens zwei Meter ihres Körpers herausgezogen und sehe noch immer keinen Kopf. „Du bist ja ein richtiges Monster,“ flüstere ich. Plötzlich kommt ihr Kopf zum Vorschein. Erst jetzt bemerke ich, dass ich den Schwanz einer ca. drei Meter langen Python halte. Sie versucht immer noch davon zu kommen. Behutsam ziehe ich sie etwa 20 Meter auf das offene Feld. Bevor ich sie loslasse nehme ich mit einer Hand die Kamera von den Schultern und schieße ein paar Fotos. „Sonst glaubt mir diese Geschichte keiner,“ sage ich. Dann lasse ich das Prachtexemplar los. Entsetzt muss ich mit ansehen wie sie sich wieder auf das hohe Gras schlängelt. Wieder bekomme ich sie am Schwanz zu fassen und ziehe sie ein paar Meter in eine andere Richtung. Als ich sie loslasse beginnt alles von vorne. Nachdem dritten Mal hat sie anscheinend genug von mir. Blitzschnell bewegt sich ihr Kopf nach hinten und richtet sich auf. „Wooohhhhaaauu!“ ,rufe ich erschrocken. „Ist schon gut. Geh zurück in dein Reich. Ich hole Sebastian dort raus,“ sage ich und lasse sie in Frieden. Schnell laufe ich in den Nachbargrund, schnappe mir Sebastian und führe ihn weg.
Immer noch aufgeregt erreiche ich wenig später das Haus der Ringer. Wir haben mittlerweile Besuch. Judith und Cowboy John sind hier und haben uns unseren Ford und Anhänger gebracht. Vor bald einem Jahr lernten wir auf unserem Basis Camp New Haven die deutsche Touristin Barbara kennen. Sie arbeitet bei Alex als Jilleroo und bot uns damals an unseren Ford an die Ostküste zu fahren. Damit war für uns eine weitere Organisationsherausforderung gelöst. (Tagebuchgesamtübersicht vom 23.05.02-24.05.02 Tag 7-8 Etappe Drei) Barbara und ihr Freund Uli haben später tatsächlich unsere Auto und Anhänger zur Ostküste gefahren und bei Cowboy John abgestellt.
„Und wie geht es unserem alten Ford?“ ,frage ich Judith und John lachend. „Er ist in absoluter Topform,“ antwortet John ebenfalls lachend. Sofort erzähle ich ihnen von meinem jungfräulichen Schlangenerlebnis. Seit dem sie uns in einem unserer Kamelcamps besucht hatten sind schon wieder vier Wochen vergangen. Wir haben uns viel zu erzählen und verbringen wieder einen wunderschönen Abend zusammen. Judith und John packen ihre Gitarren aus und spielen. Judith singt Lieder die vom Outback handeln. Wir riechen regelrecht das Feuerholz unter den Gidyeabäumen und sehen das diamantene Blinken des Sternenmeeres.