Tödliche Gefahr
N 51°33'336'' E 099°15'341''Tag: 155
Sonnenaufgang:
09:28
Sonnenuntergang:
17:18
Gesamtkilometer:
1281
Bodenbeschaffenheit:
Eis, Schnee
Temperatur – Tag (Maximum):
minus 17°C
Temperatur – Tag (Minimum):
minus 25°C
Temperatur – Nacht:
minus 29°C
Breitengrad:
51°33’336“
Längengrad:
099°15’341“
Maximale Höhe:
1981 m über dem Meer
Schon 1 ½ Stunden vor Sonnenaufgang kümmere ich mich wie jeden Morgen um ein wärmendes Feuer. Dann kehre ich den Boden und setze einen Frischkornbrei für unser Frühstück und einen Wasserkessel auf die Platte des Kanonenofens. Alsdann krabble ich noch mal unter den Schlafsack und warte bis um ca. 10:00 Uhr die ersten Sonnenstrahlen durch die Dachkrone unserer Jurte blinzeln.
Nachdem Frühstücken holt Tanja Schnee für unseren Wasservorrat. Ich tippe indes diese Zeilen in den Laptop. Leises Wimmern dringt durch die Filzwand der Jurte zu mir. Weil Mogi noch an der Kette hängt jammert er ein wenig vor sich hin. Da er durch seinen ausgeprägten Jagdinstinkt unberechenbar ist müssen wir erst sehen wie er auf Rentiere reagiert. Sollte er eines anfallen werden ihn die Tuwa erschießen. Rentiere sind sehr wertvoll. Wir erfahren, dass ein Reittier ca. 350.000 Tugrik (200,- €) kostet.
Am Abend bekommen wir wieder Besuch von unseren Nachbarn Tsaya und Ultsan. Durch Tsayas perfekte Englischkenntnisse ist eine ausgelassene Unterhaltung möglich. Wir erzählen wie unsere Kamele in Australien von jungen Kamelbullen angegriffen wurden. Mit großen Augen lauschen die beiden Geschichten von einer für sie fremden Welt.
„Wurdest du auch mal von einem wilden Tier bedroht?“, interessiert es Tanja. „Nicht nur einmal“, antwortet Ultsan. „Möchtest du uns die Geschichte erzählen?“, fragt sie. „Aber ja“, sagt der junge Jäger. In der darauf folgenden kurzen Gesprächspause vernehmen wir nur das Knistern des brennenden Holzes im Ofen. Ein leichter Windzug lässt die Plastikplane rascheln mit der wir die Öffnung in der Dachkrone schließen können. Die Kerze flackert ein wenig, nur um ein Augenzwinkern später wieder bewegungslos zu leuchten.
„Es war letztes Jahr im Dezember. Wir waren 14 Mann und auf der Jagd. Wir planten eigentlich nur ein paar Tage vom Camp wegzubleiben. Jedoch wurden wir von einem außergewöhnlich heftigen Blizzard überrascht. Es schneite zwei Wochen Tag und Nacht. Zum Schutz haben wir ein halbes Tipi aufgebaut und im Windschatten ausgeharrt. Ein Weiterkommen war unmöglich. Der feine Pulverschnee war über einen Meter hoch. Nach zwei Wochen klärte es auf. Die Sonne kam heraus und der Himmel überraschte uns mit tiefem Blau. Wir entschieden uns das Camp zu verlassen. Das Vorankommen war schwierig. Auf dem Rücken unserer Rentiere reitend ging uns der Schnee bis zu den Knien, an manchen Stellen sogar bis zu den Oberschenkeln. Weil wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts vor die Flinte bekommen hatten waren wir noch immer auf der Suche nach Wild. Aber wegen dem hohen frischen Schnee konnten wir keine Spuren ausmachen.
Am Abend spannten wir unsere Zeltbahn wieder so zwischen die Bäume, dass wir uns auf der windgeschützten Seite für die Nacht niederlassen konnten. Unsere Gewehre waren nass. Um sie zu trocknen hängten wir sie an ein Seil an dem wir die Zeltbahn gespannt hatten. In dieser mondlosen scheinbar friedlichen Nacht stürmten auf einmal die Rentiere ins Camp, um bei uns Schutz zu suchen. Leider besaßen wir zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Taschenlampe, die noch dazu in China produziert wurde, weswegen sie nur wenig Licht abgab. Wir leuchteten so gut es eben ging das unmittelbare Gebiet um unser Lager ab, konnten aber außer Bäume nichts erkennen. Dann ließen wir uns unter dem Schutz unserer Plane im Schnee nieder, um zu essen. Hundegebell war hinter der Zeltbahn zu hören. Da ich als Erster mit dem Essen fertig war bin ich aufgestanden um nachzusehen. Im diffusen Strahl der Lampe erkannte ich eine große massige Gestalt die mit unserem Hund kämpfte. Als ich einen großen Braunbären ausmachte, erschrak ich furchtbar, bin zu meinem Gewehr gerannt und löste es vom Seil. Erneut sprang ich hinter die Zeltbahn. Ich sah nur noch wie sich der Bär auf die Hinterbeine stellte. Im ausgehenden Licht der Taschenlampe konnte ich nur zwei glühende, grüne Punkte ausmachen die mich anstarrten. Ich drückte ab und traf den Bären in den Bauch. Der stürmte davon.
Weil angeschossenen Bären immer und ohne Ausnahme zurückkommen, um ihren Feind zu töten, herrschte große Aufregung in unserem Camp. Umgehend trugen wir alles Holz zusammen was wir finden konnten und entfachten mehrere große Feuer. So waren wir in der Lage im Umkreis von etwa fünf bis zehn Meter die Taiga beobachten zu können. Alle Männer hatten ihr Gewehr geladen. So lagen wir auf Lauer und warteten auf den Angriff. Es dauerte Stunden. Wir von den Anstrengungen des Tages schläfrig. Die Angst vor der lauernden Gefahr war allerdings so groß, dass keiner von uns die Augen schließen wollte. Stunden später sahen wir wie sich etwas schnell auf uns zu bewegte. Einer meiner Freunde schrie, „Er kommt!“ Die massige Gestalt wurde rasch größer. Der Bär sprang in großen Sätzen durch den Wald. Er riss einem Rentier mit einem einzigen Biss die Schulter heraus und setzte seinen Angriff fort. Es krachte. Äste brachen. Die tödliche Gefahr donnerte wie eine Lawine in unser Camp. Der Erste von uns schoss. Wegen den nassen Patronen hatte das Gewehr eine Ladehemmung. Der Zweite drückte ab. Wieder Ladehemmung. In einem Sekundenbruchteil hechtete ich von der einen Seite des Feuers auf die andere, um eine freie Schussbahn zu bekommen. Der Bär war schon da als ich den Abzug zog Die Kugel traf ihn genau zwischen die Augen. Er brach zusammen und sein Kopf landete vor mir im Feuer. Die anderen Jäger hatten sich indes unter ihren Decken und Planen versteckt. Sie zitterten vor Angst am gesamten Körper.
Weil es in diesem Sommer keine Pinienkerne gab war der Bär sehr hungrig und gefährlich. Noch dazu kam, dass es in diesem Jahr bis zu dem Blizzard kaum Schnee gab um eine Höhle zu bauen. Solche Jahre gibt es selten aber wenn sie vorkommen sind die Bären unberechenbar und absolut tödlich. Hätte ich ihn nicht richtig getroffen oder wie meine Freunde ebenfalls eine Ladehemmung gehabt, wäre diese Jagd für uns schlecht ausgegangen. Weil der Bär so ausgehungert war konnten wir sein Fleisch nicht verwehrten. Er war einfach zu dünn. Wir nahmen nur sein Fell und die Zähne mit“, endet Ultsan die Erzählung.
Kurzes Schweigen erfüllt unsere Jurte. Nachdenklich lausche ich dem Knistern des Feuers und spüre wie sich meine Haare aufstellen. Die Kerze flackert wieder kurz als würde ein Windhauch ihre Flamme bewegen. „Man oh man. Das ist ja eine spannende Geschichte. Hast du keine Angst um deinen Ultsan wenn er auf die Jagd geht?“, breche ich die Stille. „Oh ja. Ich mache mir oft Sorgen. Vor allem wenn er für mehrere Tage ganz alleine unterwegs ist“, antwortet Tsaya.
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