Wasserknappheit
N 50°29'49.6'' E 106°23'08.9''Tag: 89
Sonnenaufgang:
07:23 Uhr
Sonnenuntergang:
20:18 Uhr
Luftlinie:
48.19 Km
Tageskilometer:
57.20 Km
Gesamtkilometer:
13880.69 Km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt – schlecht
Temperatur – Tag (Maximum):
22 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
12 °C
Temperatur – Nacht:
0 °C
Breitengrad:
50°29’49.6“
Längengrad:
106°23’08.9“
Maximale Höhe:
882 m über dem Meer
Maximale Tiefe:
590 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
10.10 Uhr
Ankunftszeit:
18.00 Uhr
Durchschnittsgeschwindigkeit:
10,59 Km/h
“Wieweit ist es noch bis zur Grenze?”, möchte Tanja wissen. “Ca. 80 Kilometer. Wir könnten es heute bis zum Grenzort Kjachta schaffen und morgen Nachmittag in die Mongolei einreisen. Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben haben wir dann noch genügend Luft. Das wäre zumindest ideal”, sage ich. “Um diese Strecke zu bewältigen müssten wir den Meister im Rücken haben, die Berge sich plötzlich auflösen und dein Knie eine Blitzheilung widerfahren” “Kann doch sein”, antworte ich lachend.
Als wir unser Zelt verlassen, warten bereist die kleinen Fliegen auf uns, um sich überall dahin zu stürzen wo wir sie bestimmt nicht haben wollen. Vor allem die Farbe des Rapunzelmüslis scheinen sie besonders zu mögen. Da es überhaupt keinen Sinn ergibt die vielen Flugkamikaze herauszufischen, essen wir sie einfach mit. So gut gestärkt machen wir uns auf, um den nächsten Achthunderter zu besteigen. Am hohen Gipfel freuen wir uns auf die Talfahrt. “Nein, nein, das ist kein Berg. Vielleicht eine kaum wahrzunehmende Bodenwelle aber kein Berg”, reiße ich Witze über das von vielen Russen angesagte Flachland dieser Region. “Denis! Wie viel Wasser hast du noch in deinem Trinksack?”, fragt Tanja. “Nicht mehr viel. Denke einen halben Liter. Und du?” “Meiner ist auch fast leer.” “Und deine Trinkflaschen?” “Noch knapp 1 ½ Liter. Das reicht nicht lange. Wir sollten bei nächster Gelegenheit in ein Dorf radeln, um unsere Wasservorräte aufzufrischen”, schlägt Tanja vor. An einer Holzhütte am Straßenrand halten wir an. “Ob das ein Straßencafe ist?”, wundert sich Tanja. “Ich frag mal nach”, sage ich. “Hi! Hi! Hi! Hier ein Cafe? Nein. Das nächste Cafe ist weit weg”, erklärt die lustige Burjatin. “Wie weit?” “Na in Kjachta an der Grenze gibt es ein paar.” “Finden wir auf dem Weg dorthin ein Magazin?” (Lebensmittelgeschäft) “Nein. Das Magazin ist auch in Kjachta”, erschreckt mich ihre Antwort, da es bis dorthin noch 75 Kilometer sind. “Das bedeutet, wir müssen die Stadt heute noch erreichen, ob wir wollen oder nicht. Mit oder ohne Berge. Mit oder ohne den Meister. Wir brauchen dringend Wasser”, folgere ich. “Ist schon seltsam. Erst kommt alle 20 oder 30 Kilometer ein Dorf oder ein Magazin oder ein Cafe und jetzt auf einmal ist Schluss. Damit kann doch keiner rechnen”, sagt Tanja.
Mit dem Wissen zu wenig Flüssigkeit im Sack zu haben fällt das Radfahren noch viel schwerer als vorher. Noch dazu läuft mir bald unaufhörlich die Nase. Das braucht natürlich auch Flüssigkeit. “So ein Mist. Wenigstens die Nase könnte unter diesen Umständen mit ihrer Flüssigkeitsverschwendung aufhören.” Die Sonne brennt vom Himmel als wolle sie den Herbst in einen Sibirischen Sommer verwandeln. Mein Thermometer zeigt 28 Grad in der Sonne. Wir schwitzen wie die Rösser. Vor allem kommen wir wegen den unaufhörlichen Steigungen nur sehr langsam voran. Immer wieder, aber nur dann wenn es nicht mehr anders geht, zuzel ich am Trinkschlauch meines Sourcewassersacks. Mein Gaumen ist trocken und ich sehne mich nach dem frischen und kühlen Nass. Hätten wir genügend Wasser dabei hätte ich vielleicht nicht einmal Durst. Wie so oft spielt mir hier meine Psyche einen Streich. “Oder spielt sie mir keinen Streich? Ich habe einfach gewaltigen Durst”, geht es mir durch den Kopf und frage mich wie es Tanja ergeht. “Nur nicht hineinsteigern, ansonsten hältst du es nicht mehr aus”, ist ihre schlaue Antwort. “Woher sie nur immer die schlauen Antworten nimmt? Klar steigere ich mich nicht hinein. Ich habe trotzdem einen geradezu unbändigen Durst”, denke ich. “Wasser! Wasser! Wasser! Einen ganzen See davon und zwar jetzt”, geht es mir unaufhörlich durch den Kopf.
“Kann ich ihnen helfen?”, fragt ein Autofahrer das erste Mal seit Krasnojarsk. “Aber ja”, antworte ich erfreut. “Wir benötigen Wasser.” “Wasser? Warum haben sie denn in dieser Gegend kein Wasser dabei?”, fragt er, worauf ich keine Lust verspüre jetzt auch noch eine Erklärung abgeben zu müssen. Der Mann steigt aus seinem Wagen und sieht im Kofferraum nach. “Tut mir Leid. Ich habe auch kein Wasser”, antwortet er, weshalb ich ihn fragen könnte, was er wohl unternimmt, wenn er in dieser Gegend ganz unerwartet eine Panne hat? Der freundliche Burjate hält einen Postbus an, um den Fahrer nach Wasser zu fragen. “Nein, er hat auch kein Wasser.” “Wie weit ist es noch bis nach Kjachta?”, möchte ich wissen. “Ca. 50 Kilometer”, ist die ernüchternde Antwort. “Gibt es auf der Strecke bis dorthin noch ein Dorf?” “Nein, da kommt nichts mehr. Wie auch immer. Ich wünsche ihnen viel Glück und eine gute Reise”, lacht der Fahrer und braust davon. “Was soll man dazu sagen? Entweder hat er gemeint ich mache Witze oder er hat den ernst unserer Situation nicht erkannt. Oder wollte er den Ernst nicht erkennen? Das hätte wirklich bedeutet uns helfen zu müssen. Wie auch immer. Es ist nicht seine Schuld. Wir haben einen Planungsfehler gemacht. Hatten einfach nicht damit gerechnet das es auf dieser Strecke keine Ortschaften mehr gibt. Unser Kartenmaterial ist zu schlecht. Dort sind nur die größeren Siedlungen eingezeichnet. Und trotzdem wurden wir offensichtlich zu leichtsinnig. Eindeutig unsere eigene Schuld”, sage ich zu Tanja. “Vielleicht kommt ja doch noch ein Dorf? Könnte doch sein. Ich glaube fest daran”, höre ich ihre Stimme. “Na besser zuversichtlich als panisch”, überlege ich mich nicht weiter in meine kreisenden Gedanken verkriechend. Leider scheint in dieser Region auch wenig Regen zu fallen. Alle Bäche sind ausgetrocknet und das Gras ist von der Sonne braun gebrannt. Wir können also nicht mal Flüssigkeit aus der schönen Landschaft gewinnen. Eigenartig. Am Baikal gab es Wasser ohne Ende. Hundert von Flüssen und kleine Zuläufe speisen ihn und wir sind meist durch eine Art Sumpfland gefahren. Das liegt nur 150 Kilometer hinter uns. Vielleicht ist hier eine Wetterscheide?
Eine Stunde später strampeln wir unsere Bikes gerade um eine Kurve, als ich glaube ein paar Häuser vor uns zu sehen. “Tanja! Da vorne ist ein Dorf!”, juble ich, als ich mir sicher bin von keiner Fata Morgana getäuscht zu werden. Schnell sind mein Knie und die dumme laufende Nase vergessen und ich lasse die Tretkurbeln glühen. “Gibt es hier ein Magazin?”, frage ich einen Mann der mit seinem Kind und Frau im Schatten eines Baumes vor seinem Haus sitzt. “Ja. Dort vorne”, vernehme ich und freue mich über seine Antwort. Am Laden angekommen versuche ich die Tür zu öffnen. “Abgeschlossen”, bemerke ich enttäuscht. “Die Inhaberin wohnt da drüben!”, ruft ein Nachbar. Wenig später öffnet die Dewuschka ihren Laden in dem fast alle Regale total leer sind. “Haben sie Wasser?” “Nur eine Flasche”, antwortet sie verschüchtert. “Die nehme ich. Haben sie Saft?”, frage ich weil ich weiß das die Russen gerne Saft zu ihrem Wodka trinken. “Ja habe ich”, antwortet sie worauf ich zwei Liter davon erstehe. Wieder draußen stürzen Tanja und ich die 1 ½ Literflasche Wasser in unseren Rachen. Ich lache ausgelassen und bin glücklich. Kurz vorher waren es die Wehwehchen die mich nachdenklich stimmten. Dann kam die Bedrohung durch den Wassermangel und die vorherigen Problemchen waren plötzlich nicht mehr wichtig. Etwas Größeres und Beunruhigenderes hat sie einfach verdrängt. “Und? Was leert mich dieses Erlebnis? Es liegt auf der Hand, dass wir glauben unsere augenblicklichen Herausforderungen im Leben seien elementar. Sie bringen uns schlecht drauf. Machen uns depressiv und dann kommt urplötzlich etwas Größeres, etwas Schlimmeres und lässt das Vorhergehende einfach zur Nichtigkeit schrumpfen. Das bedeutet für mich, dass diese Herausforderungen schon vorher Nichtigkeiten waren. Das wir ihnen nur zuviel Gewicht verliehen haben. Zumindest soviel, dass sie die Kraft hatten unser Leben negativ zu beeinflussen. Vielleicht schaffe ich es ja in Zukunft diesen Problemchen nicht zuviel Gewichtung zu geben. Das wäre ideal. Dann wäre das Leben leichter.”
Bevor wir weiterradeln füllt Tanja am Brunnen der Ladenbesitzerin alle unsere Wasserflaschen und Sourcerucksäcke auf. Nun mit frischem, kühlem und leckeren Wasser aus dem Bauch der Mutter Erde, setzen wir bestens gelaunt unsere spannende Reise fort. Nach fünf Kilometern legen wir eine Rast im Schatten einiger Bäume ein. Wir genießen eines der letzten Studentenfutter von Rapunzel, leckere russische Plätzchen und spülen die Köstlichkeiten mit viel Brunnenwasser hinunter.
Als der Westwind wieder dunkle Gewitterwolken heran bläst entscheiden wir uns 20 Kilometer vor Kjachta unter eine Allee von Pappelbäumen unser Nachtlager zu errichten. Kaum sitzen wir im Zelt bricht das Gewitter über uns aus. Es donnert das die Erde bebt und Sturmböen lassen die Zeltbahn knattern. “Es war eine gute Entscheidung schon hier und noch dazu rechtzeitig unser Lager aufzubauen”, meint Tanja.