Schatztruhe der Erfahrungen
N 48°21'722'' E 013°58'859''Tag: 42
Sonnenaufgang:
06:22 Uhr
Sonnenuntergang:
19:41 Uhr
Luftlinie:
26,25 Km
Tageskilometer:
36,28 Km
Gesamtkilometer:
1054,02 Km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Temperatur – Tag (Maximum):
25 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
20 °C
Temperatur – Nacht:
14 °C
Breitengrad:
48°19’154“
Längengrad:
014°19’785“
Maximale Höhe:
271 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
14.45 Uhr
Ankunftszeit:
18.00 Uhr
Durchschnittsgeschwindigkeit:
16,34 Km/h
Die Tage bei unseren Freunden waren wunderschön aber für mich sehr arbeitsintensiv. Wie schon erwähnt ist das Schreiben für mich oftmals genauso anstrengend wie die aktive Zeit unserer Expeditionsreisen. Manchmal, vor allem wenn ich müde bin, dauert es Stunden, bis ich mich in die erlebte Situation wieder hineinversetzt habe. Es kommt mir so vor als würde mein Geist sich durch eine dicke Nebelwand graben dessen Grund in unerreichbaren Tiefen liegt. Erreiche ich ihn, klart es sich schlagartig auf und ich bin wieder ein Teil der Geschichte, befinde mich also wieder da wo wir vor Tagen oder manchmal Wochen waren. Klar, umso weniger Zeit zwischen dem Erlebten und meinen Aufzeichnungen liegt desto besser ist die Wiedergabe. Ich weiß nicht ob es Sinnvoll ist wenn ich einige der Erfahrungen und Gespräche manchmal versuche im Detail wiederzugeben. Oftmals aber liegt gerade der Sinn eines Gespräches, der Witz eines Dialoges, die Spannung einer Situation oder Anmut der Natur im Detail. Vielleicht vergleichbar mit der Struktur eines Blütenblattes dessen fantastische Schönheit uns Menschen erst bei genauem Hinsehen auffällt. Wie auch immer, ich weiß nicht warum ich mir die Mühe mache unser Leben bis in die Einzelheiten zu zerpflücken, um diese dann mit Buchstaben wieder zusammenzusetzen. Es ist einfach so und ich folge meiner inneren Stimme. Bis zum heutigen Zeitpunkt aber hadere ich gerade in diesem Punkt mit meiner inneren Stimme also mit mir selbst. Könnte ich die Zeit nicht sinnvoller einsetzen?
“Was ist sinnvoller?”, fragt es dann im gleichen Atemzug. “Na ja vielleicht mit ein wenig Faulenzen. Mit Schlafen. Mit schnelleren Vorankommen?”, antworte ich. “Für deine nötigen Ruhephasen bekommst du genügend Zeit. Zu viel Faulenzen hat noch keinem Menschen etwas gebracht. Sei froh dass du eine Aufgabe hast. Das du Befriedigung darin findest und sogar den einen oder anderen Leser etwas von der schönen Welt mitteilen kannst was er sonst nie erfahren würde. Schnelleres Reisen? Das soll wohl ein Witz sein. Du weißt doch, dass es bei Euren Reisen und Expeditionen nicht auf die Geschwindigkeit ankommt. Das haben wir Dir schon oft versucht verständlich zu machen. Mit Geschwindigkeit wirst du nicht mehr erleben. Wirst du keine Bienen summen hören oder den eigenwilligen Duft von Wildkräutern im Wald wahrnehmen. Es kommt nicht auf die Geschwindigkeit an sondern darauf was ihr erlebt. Was ihr fühlt. Was ihr spürt. Du wirst beim Sitzen am Lagerfeuer unendlich mehr erfahren als der beste Hollywoodspielfilm dir zeigen kann. Nicht das Reisen an der Oberfläche ist für dich wichtig sondern das Reisen in die Tiefe der Länder, Völker und in die Tiefen deines Selbst. Das ist dir doch klar?” “Ja, natürlich. Es ist nur so schwer meinen inneren Schweinehund zu überwinden, um bei auftretenden Schwierigkeiten nicht einfach davon oder weiterzulaufen. Es fällt mir nicht leicht die Disziplin aufzubringen mich immer wieder hinzusetzen, um unsere Erlebnisse niederzuschreiben, sie schriftlich festzuhalten. Manchmal ist es mir einfach zuviel.” “Verstehe. Nimm dir mehr Pausen. Erhole dich zwischendurch und wenn du wieder voller Energie bist mach da weiter wo du aufgehört hast.” “Aber dann komme wir nie nach China. Dann werden wir ewig brauchen bis wir vernünftige Strecken zurücklegen.”
“Immer wieder das Gleiche mit dir. Wer bestimmt denn was eine vernünftige Strecke ist? Deine und eure Arbeit der Dokumentation ist genauso ein Meilenstein der gemessenen Entfernung wie der Tritt in die Pedale. Du machst dir zu viele Gedanken. Wir, die Mutter Erde, die Wüsten oder Alles was ist haben dir schon oft gesagt, dass du dir über das Ankommen keine Sorgen bereiten sollst. Du weißt doch, dass das Ankommen das Ende einer Reise bedeutet. Du weißt doch, dass die Reise des Lebens mit dem Ankommen aufhört. Also sei froh über eure Reiseart. Über die Fähigkeiten die du bekommen hast genau zu beobachten. Vor allem sei Dankbar dafür das ihr euch ohne Zeitdruck fortbewegen dürft. Das tiefere Leben, also ein Leben weg von der Oberfläche wird automatisch und zwangsläufig ein längeres Leben sein. Es wird sich potenzieren, intensivieren oder anders ausgedrückt, solch ein Leben wird sich um ein Vielfaches länger anfühlen und dadurch letztendlich auch länger sein. Deine Schatztruhe der Erfahrungen füllt sich von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag und bildet somit einen Reichtum der mit Nichts vergleichbar ist. Würdest du all deine Erfahrungen und Erlebnisse in Geld umtauschen wärst du zwar ein materialistischer reicher Mann aber in deiner Emotions- und Gefühlswelt bettelarm. Teile deinen Schatz der Erfahrungen und Geschichten mit den Menschen. Sei nicht geizig damit. Alles was du gibst bekommst du zurück. Das ist unser Gesetz.” “Hm, klingt echt gut was du erzählst. Ich bin ja auch bereit die Geschichten aufzuschreiben. Denke nur manchmal sie könnten zu banal, zu langweilig sein.” “Das haben wir auch schon behandelt. Nichts ist banal und langweilig. Es kommt immer nur auf den Winkel der Betrachtung an.” “Und warum laufen die Dinge oft nicht leichter? Ich meine es könnte doch alles glatt gehen, ohne Schwierigkeiten, ohne Hürden oder wie wir oft sagen Probleme?”
“Vergiss nicht, das Leben ist ein Kreislauf mit Höhen und Tiefen. Ein Auf und Ab welches wiederum die Würze bedeutet oder besser gesagt das Salz in der Suppe. Freue dich über die Höhen und Tiefen die das Leben dir offeriert. Freue dich darüber dass eure Expeditionsreise so lange dauert wie sie dauert, dass deine Schreibarbeit ein Teil davon ist, das sie ein Teil deines Lebens bedeutet, deines Selbst und vor allem ein Teil von allem was ist. Lasse es zu, lasse es fließen dann wirst du darin noch mehr Freude und Befriedigung finden. Obwohl wir dir das schon oft erzählt haben werden wir es dir immer wieder versuchen zu vermitteln, solange bis du es aus der Tiefe deines Herzen verstanden hast.” “Glaubst du das wird geschehen? Ich meine das ich alles was du sagst wirklich aus der Tiefe meines Herzen begreife?” “Ganz sicher. Du musst es nur fließen lassen. Zulassen und versuchen nie aufzugeben.”
Kurz vor dem Aufbruch
Durch die Gespräche innerlich gestärkt mache ich mich daran die Aufhängung der neuen Taschen von Ortlieb für die Räder einzustellen. Ab sofort werden wir nämlich auch vorne mit großen Ortliebtaschen fahren. Nicht weil wir noch mehr Ladung besitzen, sondern weil wir das was wir haben nur mit Schwierigkeiten unterbringen. Immer wenn wir an einem Laden etwas zum Essen für uns kaufen hatten wir Schwierigkeiten es unterzubringen. Es war eine unangenehme Schlichterei. Christoph von Ortlieb hat uns auf unsere Bitte hin sofort die neuen Taschen geschickt und Gott sei Dank sind sie rechtzeitig bei Franz angekommen.
Kurz vor unserem Aufbruch schlichtet Tanja noch mal ihre Nahrungsmitteltaschen um. Rapunzel und Reiter haben uns ebenfalls mit Nachschub versorgt. Obwohl wir in Österreich und auch in Ungarn alles kaufen können was wir zur Versorgung unserer hungrigen Körper benötigen, wollen wir, zumindest solange es machbar ist, nicht auf unsere eigene Ernährung verzichten. Die Anforderungen an unsere Systeme überzeugt uns mehr denn je wie wichtig es ist sie mit den richtigen Lebensmitteln zu füttern. Bionahrung steht dabei an erster Stelle. Aber auch die gefriergetrockneten Mahlzeiten von Reiter sind fantastisch. Dadurch dass wir nur heißes Wasser in die Beutel schütten müssen sparen wir viel Zeit und Energie. Das Beste dabei ist das es noch sehr gut schmeckt. Nicht zu vergessen sind unsere Nahrungsmittelergänzungen von Sanatur wie zum Beispiel Vitamine, Mineralien und Algen.
Durch die Dokumentationsarbeit der letzte Tage komme ich erst jetzt dazu den Kettenantrieb unserer treuen riese & müller Fahrräder zu reinigen und zu ölen. Bis heute haben sie trotz der enormen Belastung ohne ein einziges Mal Probleme zu machen 1000 Kilometer durchgehalten. Vor dem Trip hatte ich große Angst davor jeden Tag an den Böcken herumschrauben zu müssen. Doch bis zum jetzigen Zeitpunkt waren diese Bedenken verschwendete Energie. Unsere Maschinen laufen fantastisch und absolut fehlerfrei. Auch die 14 Gang Nabenschaltung von Rohloff funktioniert bisher perfekt.
Im Vergleich zu unserer Kamelexpedition ist diese Reise nahezu relaxend. Klar, auf dem Donauradweg bewegt man sich wie auf dem Himmelbett für Fahrräder und es werden auch andere Zeiten kommen. Aber nach dem Motto genieße den Augenblick, tun wir dies und vor allem die fantastischen Radwege.
Ich nutze die große Erdbeerwaage von Franz, um noch mal meine gesamte Ladung zu wiegen. Obwohl ich das Eine oder Andere abgespeckt habe erschreckt mich das Ergebnis. “110 Kilogramm, es sind immer noch 110 Kilogramm”, sage ich zu Tanja erstaunt. “Mit dem neuen Lebensmittelnachschub für deinen ständig knurrenden Magen fahren ich auch wieder 88 Kg”, antwortet sie. “Wieso meinen knurrenden Magen? Deiner steht wohl um nichts nach. Manchmal glaube ich einen Grizzlybär hinter mir zu hören”, foppe ich lachend zurück. “Wie schwer ist denn dein Anhänger jetzt?” möchte Tanja dann wissen. “53,7 Kilogramm.” “Meinst du das hält er auf Dauer aus?” “Denke schon. Used ist eine tolle Firma. Die haben einen sehr guten Hänger konstruiert. Er ist simpel, funktionell und megastabil. Das System ist genial. Ich glaube nicht dass die Hänger uns Schwierigkeiten bereiten. Und wenn, kann man sie bestimmt leicht beheben”, antworte ich zuversichtlich.
Rotes Wundermittel?
Dann endlich ist es soweit. Die Räder sind bis auf ein paar Kleinigkeiten beladen und neu aufgerüstet für die nächsten 1000 Kilometer. Ungarn und die Slowakei können kommen. Ich eile noch ins Bad, um meinen Waschzeugbeutel zu holen. Schnell packe ich alles hinein als mein Blick wie hypnotisiert an einem fetten roten Fleck auf der Ablage des wunderschönen neuen und teuren Bades hängen bleibt. “Oh Gott!”, entfährt es mir. Sofort schnappe ich mir die Seife und eine nahe liegende Handwaschbürste, um den roten Fleck zu beseitigen. Trotz großer Anstrengung strahlt mich der Klecks unverändert an. Wütend starre ich auf das kleine Fläschchen, welches ich von Ingo dem Kunstprofessor vor kurzem geschenkt bekommen habe. “Das tut gut gegen Muskelverspannungen. Ist ein reines Wundermittel. Schicken mir immer meine chinesischen Freunde wenn es mir ausgeht. Weiß nicht was drin ist, hilft aber fantastisch. Nimm das Fläschchen mit. Du wirst es bestimmt noch brauchen”, hatte er mir das offensichtliche Teufelszeug lobend geschenkt. Jetzt ist ein winziger Teil davon an der Flasche herunter gelaufen und hat sich in einer beachtlichen Größe auf der weißen Ablage verewigt. “Na dir helfe ich in die Strümpfe”, drohe ich flüsternd der in seiner roten Farbe glänzenden, fremdländischen Flüssigkeit und gehe in die Küche um mir härtere Putzmittel zu besorgen. Franz liegt derweilen auf dem Sofa und sieht Fern. Wieder im Bad behandle ich den Fleck mit energischem Einsatz. Nichts, absolut nichts tut sich. “Pah!”, rufe ich leise und laufe schnell wieder in die Küche. Franz hebt seinen Kopf und wirft mir einen belanglosen Blick zu. Hoffentlich merkt er nichts, denke ich mir und schütte etwas von dem aggressiveren Putzmittel auf die eingefärbte Fläche. Nichts! Es tut sich wieder nichts. Bösartig scheint mich das rote Scheißding anzublitzen. Fast verzweifelt wetze ich wieder in die Küche. “Denis! Was machst du da eigentlich?”, lässt mich die Stimme von Franz zusammenzucken. “Komm gleich”, antworte ich ausweichend. Diesmal rücke ich dem hartnäckigen Kerl mit Stahlwolle zu Leibe. Siehe da es tut sich etwas. Das vermeidliche freche rote Grinsen wird weniger. Nach wenigen Minuten ist bald nichts mehr zu sehen. Erleichtert atme ich auf. Ich habe es geschafft. Noch einmal gehe ich über die Stelle, um sicher zu sein alles erwischt zu haben als das ehemalige Rot sich etwas gräulich verfärbt. “Was ist denn das?”, flüstere ich. Noch mal reibe ich über die jetzt graue Stelle. Oh Schreck sie wird größer. Wie kann das nur geschehen? Ich nehme den Mutanten etwas genauer unter die Lupe als mir vor Schreck fast die Augen aus dem Kopf fallen. Ohne Zweifel habe ich der ganze Sache zuviel Energie gewidmet und die Beschichtung der Ablage glatt durchgescheuert. Geknickt schlurfe ich wieder in die Küche um die Stahlwolle in den Müll zu werfen. “Was machst du denn da?”, fragt Franz noch mal freundlich. “Ich glaube ich habe gerade einen Versicherungsfall produziert”, antworte ich.
Unterwegs
Endlich, um 14:45 Uhr geht es los. Franz begleitet uns bis zur Donau und schießt ein paar Bilder. Weil Maria übers Wochenende nach Tschechien gereist ist und wir uns bereits gestern schon verabschiedet haben ist sie heute nicht dabei. Am großen Fluss angekommen lässt Franz sein Auto stehen und schwingt sich auf sein mitgenommenes Rad. “Ich leiste euch noch für ein paar Kilometer Gesellschaft”, sagt er freudig. Dann ist der Zeitpunkt des Abschiedes gekommen und ich umarme meinen Freund. ”Ich hoffe es dauert nicht wieder Jahre bis wir uns wieder sehen”, meine ich. “Vielen Dank für eure Gastfreundschaft”, sagt Tanja ihn ebenfalls umarmend.
Dann endet der Radweg und wir müssen mit der Fähre nach Ottensheim übersetzen. Wir nutzen die Zeit des Wartens auf das betagte Fährschiff und trinken einen heißen Tee aus der Thermoskanne. Drei ältere Damen und ein Herr wollen ebenfalls auf die andere Seite des Flusses. Sie stehen neben mir und unterhalten sich. “Wo fahren sie denn mit all ihrem Gepäck hin?” fragt eine der Damen. “Haben sie in der Box da wohl einen Hund drin?” “Nö, Ausrüstung und wir brauchen soviel weil wir nach China radeln”, antworte ich pflichtbewusst und mittlerweile sehr geübt. “Ach fahren sie wohl nach Shanghai? Mein Neffe hat eine Chinesin aus Shanghai geheiratet. Wir waren alle zur Hochzeit eingeladen. Das war ein Fest sag ich ihnen. Ich war auch an der chinesischen Mauer. Ist ein großartiges Bauwerk”, erzählt sie mit sichtbaren Stolz. “Ist das die Klagemauer?”, fragt die andere. “Nein, die Klagemauer ist in Israel. Die Chinesische Mauer in China”, berichtigt sie ihre Freundin mit ernster Mine. Tanja und ich sehen uns an und schlürfen unseren Tee während die Unterhaltung der Damen weitergeht. “Die Chinesische Mauer ist das längste Bauwerk der Welt”, musst du wissen. “Ist das einzige Bauwerk auf Erden was man auch von den Satelliten erkennen kann”, erklärt sie der anderen. “Waren sie schon mal in China?”, fragt mich die wissende Dame unvermittelt. “Ja. Wir haben mit Kamelen die Taklamakan, die Wüste des Todes, durchquert”, antworte ich brav. “Ah, die Taklamakan ist doch die kälteste Wüste auf Erden. Da wird es bis zu minus 40°. Das habe ich in einer Fernsehdokumentation gesehen”, blabbert sie weiter. Gott sei Dank legt die Fähre an und befreit mich aus dem Geschichtsunterricht.
Als wir auf der anderen Seite das Ufer erreichen schiebt Tanja ihr Gefährd die steile Böschung hoch. “Kann ich ihnen helfen?”, fragt die Frau die sich über den Standort der Klagemauer aufklären hat lassen. Tanja bleibt nicht die Zeit für eine Antwort als die Hände der Dame sich von schräg hinten gegen die Satteltaschen drücken. “Nein niiicht!”, ruft Tanja entsetzt, denn sie kann auf der steilen Zufahrt der Fähre kaum noch ihr Rad halten. Noch bevor die alte Dame Tanjas Fahrrad umgedrückt hat lösen sich ihre helfenden Hände. Doch kaum ist Tanja von der gut gemeinten aber destruktiven Hilfe befreit legen sich die Hände der Frau schon wieder gegen den Anhänger. “Nein Danke. Ich schaffe das alleine”, ruft Tanja keuchend, mit letzter Kraft das Rad vor dem Umkippen und den unvermeidbaren Absturz auf die Rampe zu bewahren. “Lass sie doch! Wenn sie keine Hilfe möchte!”, sagt die Chinaexpertin zu ihrer Freundin weshalb sich diesmal endgültig ihre Hände zurückziehen.
Wir lassen dann die ehemalige Römersiedlung Lentia, also das heutige Linz, hinter uns. An den Ufern erinnern die Industrieanlagen an die frühe Entwicklung der Stadt. Kaiser Maximilian leitete bereits 1497 die Entwicklung der Stadt ein, die Linz und seine Jahrmärkte im 16. und 17. Jahrhundert europaweit bekannt machte. Gerne würden Linz, welches sich in letzter Zeit zu einer international anerkannten Kulturstadt entwickelt, einen Besuch abstatten, jedoch wollen wir heute noch einen Zeltplatz erreichen.
Unsere Räder schnurren auf der linken Seite der Donau über den Damm. In den frühen Abendstunden kommen uns viele Radfahrer und Freizeitsportler auf ihren Inline Skater entgegen. Die saftigen Wiesen links und rechts werden von den Stadtbewohnern genutzt. Es wird Fuß-, Federball und Schach gespielt. Inder oder Pakistaner üben sich in Kricket. Einheimische Jugendliche brausen zu heißer Musik mit ihren Skateboards über eine dafür vorgesehene Anlage. Wieder andere nutzen den Sonntagabend um die letzten Würstchen auf den Grill zu legen oder das letzte Bier zu schlucken. Das Treiben ist bunt und interessant anzusehen.
Am Pleschinger Badesee finden wir den Campingplatz. Nur drei kleine Zelte stehen auf der Wiese. “Sieht eigenartig aus”, stelle ich fest. Eine Chinesin kommt, öffnet den Reißverschluss ihrer kleinen Behausung und schlupft Kommentarlos hinein. Dann wirft sie ein paar Taschentücher vor ihren Eingang und zündet sie an. Die Flammen züngeln nur wenige Zentimeter neben der Zeltbahn nach oben. Verwundert sehe ich der Inszenierung zu und frage mich was die Frau aus dem Reich der Mitte mit dieser Aktion bewirken möchte. Plötzlich öffnet sich der Reißverschluss wieder und weitere Taschentücher füttern das heruntergehende Flämmchen. Andere Länder andere Sitten. Vielleicht vertreibt die Frau mit dem Rauch die Moskitos, denke ich mir und kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten.