Skip to content
Abbrechen
image description
RED EARTH EXPEDITION - Etappe 2

Guter alter Mann

N 22°36’34.6’’ E 130°24’11.9’’
image description

    Tag: 157 Etappe Zwei

    Sonnenaufgang:
    05:55

    Sonnenuntergang:
    19:11

    Luftlinie:
    25,5

    Tageskilometer:
    30

    Temperatur - Tag (Maximum):
    42 Grad

    Breitengrad:
    22°36’34.6’’

    Längengrad:
    130°24’11.9’’

Emu-Camp — 19.11.2001

Meteoritensturm

„Mensch Denis schau dir das an. Der gesamte Himmel ist voller Sternschnuppen. Oh das sieht ja fantastisch aus!“ ,ruft Tanja um drei Uhr am Morgen als sie sich aufgesetzt hat, um einen weiteren harten Tag zu beginnen. Sofort schieße ich hoch und betrachte mir den mondlosen, klaren Sternenhimmel. Es vergehen nur Augenblicke als auch ich gleich mehrere Sternschnuppen entdecke die in die Erdatmosphäre eindringen. Manche von ihnen ziehen einen glühend hellen Schweif hinter sich her der sogar noch zu sehen ist nachdem der Meteorit bereits verglüht ist. „Ist ja unglaublich! Da kommt ja ein ganzer Meteoritenregen auf die Erde geprasselt! Wauuu schau dir das an. Ich habe gleich drei Himmelskörper auf einmal verglühen sehen. Man könnte meinen die Feen des Himmels werfen sich gegenseitig die Sternschnuppen zu.“ „Sieht beeindruckender als Silvester aus.“ „Ja viel besser. Das muss eine besondere Nacht sein. So etwas konnte ich noch nie in meinem gesamten Leben bewundern,“ staune ich als 360 Grad um uns herum ein Lichtstreifen nach dem anderen das Firmament durchzieht. Die Milchstraße erscheint wie ein Sternennebel und ist so hell wie selten. Die Lichterscheinungen schießen unaufhörlich wie überdimensional große Raketen in die Atmosphäre. Wir sitzen da und können kaum begreifen welches einmalige Schauspiel wir beobachten dürfen. „Es hört nicht auf,“ flüstert Tanja andächtig. „Nein, da muss irgendwo im All einer der Sterne explodiert sein der jetzt mit seinen Einzelteilen auf unseren Planeten hernieder herunterstürzt. Hoffentlich wird Mutter Erde nicht von einem größeren Stück getroffen;“ sage ich meine Augen gebannt in die Ewigkeit der Galaxis gerichtet. Suuuummmm, suuuummmm, suuuummmm, fliegen die glühenden Stückchen einer fernen Welt lautlos in einem schrägen Winkel durch die Wüstennacht und beleuchten die Finsternis wie gleißende Blitze eines schweren Gewitters. Es ist so eindrucksvoll, dass ich bei dem Feuerwerk der Himmelskörper am liebsten Applaudieren würde. Es fällt uns schwer das Spektakel aus den Augen zu lassen, um unserer Arbeit nachzugehen. Doch als wir realisieren das der Meteoritensturm anhält blicken wir zwischendurch immer wieder nach oben, um uns an dem schönstem Feuerwerk der Erde zu ergötzen. Das zunehmende Tageslicht lässt das Himmelsgewölbe mit seinem lautlosen Inferno der verglühenden Meteoriten verblassen.

Dreht sich das Windrad oder steht es still?

Die Sonne taucht dann wenig später die Wüste in ihr gnadenloses Licht und schleudert ihre heißen Strahlenbündel auf uns hernieder. Max läuft die ersten sechs Kilometer ohne sich nur ein einziges Mal abzusetzen. Wir erreichen die Ausläufer der Bergflanke und werden höher und höher getragen, so dass wir glauben wie ein Adler über der Unendlichkeit zu fliegen. Wir sind tief berührt von dem Überblick auf das dichte Pflanzenmeer, welches wir durchdrungen haben und können es kaum glauben soweit in das Herz einer Wüste vorgedrungen zu sein. Wir folgen dem Bergzug und entdecken weitere Tafelberge neben uns deren Spitzen im Laufe von Jahrmillionen von Wind und Wetter regelrecht abgeschliffen wurden. Auch wenn der Marsch sehr anstrengend und gefährlich ist haben wir das Gefühl für jeden Meter dieser Durchquerung mit der Schönheit der unberührten Natur entlohnt zu werden. Unter einem Schatten spenden Baum halten wir kurz an. Eine Wildkatze rast in wilder Flucht davon. Rufus möchte natürlich die Verfolgung aufnehmen und stürzt sich in seiner Kamikazeart von Hardies Sattel. Noch bevor er in dem niemals endenden Spinifex verschwindet kann ich ihn zurückpfeifen. Wir essen zwei Müsliriegel, trinken das sich bereits aufwärmende Wasser aus unseren Trinkschläuchen und setzen unseren Marsch fort. Wie gestern auch verschluckt uns kurze Zeit danach das Stachelgras nur um uns Stunden später wieder auf einer Lichtung auszuspucken. Max setzt sich jetzt von Zeit zu Zeit ab, doch meist genügt es ihm das Plastikrohr zu zeigen. Im Vergleich zu gestern verhält er sich sehr gut und kostet mich nur wenig Energie. Meine anfänglichen Zweifel ihn hier raus zu bringen weichen der Zuversicht. Plötzlich wird das Land offener. Die Folgen von Buschfeuer zeugen davon nicht mehr all zu weit von einer Aboriginegemeinschaft zu sein. Es ist 15 Uhr, wir haben 22 Kilometer Luftlinie zurückgelegt und schreiten mit großen Schritten über eine weite Fläche auf der noch vor kurzer Zeit das Spinifex geherrscht hat. Schwarze, kahle Baumstümpfe ragen wie ein totes Skelett aus dem Boden. „Schau mal da vorne. Das sind doch Kamele!“ ,rufe ich Tanja zu die mit der Karawane meinen Schritten folgt. Ein Bulle blubbert uns mit seinem tiefen und gefährlich klingenden Laut an. Wir haben keine Angst vor ihm denn die Brunftzeit ist längst vorbei. Wenige Meter weiter entdecken wir den Grund seiner Aufregung. Ein paar Kamelkühe stehen im Schatten einiger vom Feuer verschonten Bäume. Kleine Kamelbabys mit dicken Höckern blicken uns neugierig entgegen bis der Bulle sie mit seinem Blubbern dazu auffordert vor uns reis aus zu nehmen. Ich entdecke die erste Autospur, die nach meiner Schätzung zwar ein paar Wochen alt ist aber ebenfalls auf die Nähe von Menschen hinweist. Der Satellitennavigationscomputer, in dem ich die Koordinaten von Nirrippi programmiert habe, zeigt mir noch zwei Kilometer bis Zielerreichung an. Gebannt werfe ich meine Blicke nach Norden, um nach bald acht Stunden ununterbrochenen Laufens durch schwerstes Gelände die ersten Anzeichen einer Siedlung zu entdecken. Und plötzlich ist es soweit. Durch die Astgabel eines entfernten Baumes sichte ich ein Windrad. „Noch einen Kilometer und wir haben Nirrippi erreicht!“ ,rufe ich stolz, denn meine Navigation erweist sich in diesem Augenblick als Volltreffer. In dem Moment als der Druck der Verantwortung von meinen Schultern fällt empfinde ich wieder eine kaum zu beschreibende Leichtigkeit. Es ist das seltene Gefühl der vollen Zufriedenheit, ja ganz simpel ausgedrückt ein Glücksgefühl. Der Anblick des Windrades verleiht mir neue Energie. Ich lasse es nicht mehr aus den Augen. Dreht es sich? Frage ich mich als meine Euphorie plötzlich Zweifel aufkommen lässt. „Ja es dreht sich,“ beruhige ich mich selbst, denn ich nehme die Bewegung des Rades war und erkenne wie die einzelnen Windradblätter in der Sonne aufblitzen. Die nächsten Minuten durchlebe ich dann allerdings ein Wechselbad zwischen Hoch und Tief, denn einmal glaube ich das Windrad in Bewegung zu sehen und dann wiederum meine ich mich getäuscht zu haben. Als es nur noch wenige hundert Meter sind fallen meine Empfindungen wieder in ein tiefes Loch. Es ist eindeutig, dass sich das Rad trotz des leichten Windes nur manchmal bewegt, was darauf schließen lässt das es entweder kaputt ist oder aus irgend einen anderen Grund abgestellt wurde. Beides ist nicht verheißungsvoll dort auf Wasser zu treffen. Kurz vor 16 Uhr stehen wir vor einem verlassenen Aboriginedorf dessen Windrad kein Wasser mehr pumpt. Entkräftet wollen wir nicht glauben was wir sehen. Ich untersuche den Windradmast und entdecke zu meiner freudigen Überraschung eine schwergängige Handpumpe. Mit großer Kraftanstrengung bringe ich es fertig etwas Wasser aus der Tiefe zu befördern. Zufrieden zumindest ein paar Liter für uns und die Kamele gewinnen zu können erzähle ich Tanja davon die unweit vom Windradmast auf die Kamele achtet. Wir stehen jetzt auf einem schmalen Track der von hier aus weiter in Richtung Osten führt. „Laut meiner Karte sind es noch 18 Kilometer nach Wait Creek Settlement. Jo hat bei unserem letzten Funkkontakt schon erwähnt das Alex, der Besitzer von New Haven, davon erzählte das Wait Creek und Nirrippi das Gleiche ist. Ich konnte diese Aussage nicht verstehen, denn ich glaubte meiner Karte, doch jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Dieser Ort hier ist definitiv nicht Nirrippi obwohl er in der Karte so beschrieben ist,“ erkläre ich Tanja. „Meinst du die Karte ist falsch?“ „Da bin ich mir ganz sicher.“ „Wie kann das passieren?“ „Wie du weißt sind die Kartenblätter teilweise 20 Jahre alt. Im Laufe der Zeit hat sich anscheinend einiges verändert,“ sage ich schulterzuckend als wir ein Motorengeräusch vernehmen.

Good old man

Es dauert nicht lange und ein alter, klappriger Jeep rattert um die langgezogene Kurve des Tracks. „Der hat ja einen Affenzahn drauf. Wir sollten besser die Kamele vom Weg führen,“ schlägt Tanja vor. „Er wird schon anhalten,“ sage ich als das Fahrzeug auch schon seine Geschwindigkeit verringert und neben uns stoppt. Die Türen springen auf und die weißen Zähne mehrerer Aboriginemänner blitzen uns an. „Hallo, wo kommt ihr denn her?“ ,fragen sie offensichtlich verwundert. „Wir kommen von Perth und sind mit unseren Kamelen bis Broome gelaufen, um von dort durch die Wüste hierher zu gelangen,“ antworte ich. „Perth?“ ,fragen sie ungläubig und lachen. Dürfen wir fotografieren?“ ,fragt einer von ihnen höflich. „Klar, gerne. Soviel ihr wollt,“ antworten wir. „Hast du eine Kamera?“ ,entgegnet der Wortführer. „Ja habe ich und du?“ „Nein wir besitzen keine,“ antwortet er zu meiner Verblüffung. „Na ja macht nichts wir können trotzdem ein Bild schießen,“ schlage ich vor und stellen uns vor die Kamele. Die fünf Männer lachen, strecken den rechten Arm nach vorne und winken, während Tanja den Fotoapparat bedient. „Wir sind übrigens die Brownbrüder und kommen von Nirrippi. Das ist Rocher, hier ist Ian und Thompson, ich heiße Walter und der dort ist Elan Watson,“ stellt er sich und seine Brüder vor. „Elan Watson ist aber nicht euer Bruder?“ „Nein.“ „Macht nichts,“ antworte ich freundlich und schüttle jedem von ihnen die Hand, worauf sie wieder herzhaft und ausgelassen lachen. „Wie weit ist Nirrippi von hier?“ ,möchte ich wissen. „Ach nicht weit. Vielleicht 30 Kilometer. Da seid ihr bald dort. Unser Mob wird sich freuen euch zu sehen. Vor allem die Kinder werden ihren Spaß haben.“ „Wohin fahrt ihr denn?“ ,frage ich. „Wir besuchen unsere Familie in Kintore.“ „Wollt ihr heute noch Kintore erreichen?“ „Ja,“ antwortet Walter. Als sie nach einem weiteren kurzem Gespräch wieder in ihre Klapperkiste einsteigen erwähnt Walter seinen Brüdern gegenüber etwas von einem netten alten Mann, worauf ich mir allerdings keinen Reim machen kann. „Good bye und gute Reise!“ ,rufen sie und fahren die paar Meter zum defekten Windrad. „Hast du gehört wie er dich bezeichnet hat?“ ,fragt mich Tanja vor herzhaftem lachen kaum Luft bekommend. „Nein, wie denn?“ „Er hat gesagt du bist ein guter alter Mann.“ „Du machst doch Witze.“ „Nein, er hat ganz klar gesagt, good old man.“ „Ach komm, das kann doch nicht sein.“ „Ist aber so,“ sagt Tanja und haut sich vor Freude auf die Oberschenkel. Ich muss sie etwas betreten ansehen denn sie meint: „Mach dir nichts daraus. Du weißt doch das diese Bezeichnung „old man“ bei den Aborigines respektvoll gemeint ist und in keiner Weise etwas mit einer Beleidigung zu tun hat. Einige der Männer machen sich sogar mit Absicht älter als sie sind.“ „Ich weiß,“ meine ich ebenfalls lachend bin aber trotzdem geschockt, dass man mich mit meinen 41 Jahren als einen netten alten Mann bezeichnet. „Der verdammte Bart lässt mich mindestens 20 Jahre älter wirken. Wenn ich wieder in Deutschland bin rasiere ich ihn ab,“ verspreche ich mir und obwohl ich einen leichten Bittergeschmack bei Walters Kompliment verspüre singen wir beide alle paar Minuten: „Good old man, good old man,“ in dem gleichen Tonfall den Walter benutzte. Während dann die fünf Männer sich an der Handpumpe zu schaffen machen huschen wir unsere müden Tiere auf einem schmalen Weg nieder. Wir sind gerade beim Entladen als Rocher kommt und uns kaltes Wasser aus ihrer Kühlbox anbietet. Da wir ihnen ihr Wasser nicht wegtrinken wollen und uns selbst das frische Nass mit der Handpumpe aus der Erde befördern können, lehnen wir sein freundliches Angebot dankend ab. Es dauert nicht lange und der ächzende Motor des alten Nissan heult scheppernd auf. Ich hebe gerade einen Rucksack aus der Satteltasche als sich das angeschlagene Gefährt holpernd in Richtung Süden in Bewegung setzt. „Würde mich nicht wundern wenn sie da draußen auf halber Strecke stehen bleiben,“ meine ich schnaufend vor Anstrengung.

Faules Wasser

Nachdem wir die Tiere entladen haben suchen wir die Handpumpe auf. Tanja klappert laut mit den Eimern und ruft: „Kommt Jungs es gibt etwas zu saufen!“ Unsere Boys sehen ihr nach als sie die letzten Meter zu rennen beginnt und springen ihr vor Vorfreude, endlich Wasser zu bekommen, ausgelassen hinterher. Wir stellen den Eimer unter das Rohr aus dem die lebensnotwendige Flüssigkeit kommt und hängen uns beide an die eisernen Pumphebel. „Oh weh ist das schwer,“ schnauft Tanja die nahezu ihr gesamtes Körpergewicht in das Gestell hängen muss, um der Pumpe ein paar Tropfen abzuringen. „Ja vor allem für den good old man,“ antworte ich worauf wir wieder prusten vor Lachen. Gemeinsam arbeiten wir jetzt mit unseren letzten Kräften bis wir endlich einen Eimer voll haben. Die Kamele, die nun schon seit 12 Tagen nichts mehr zu trinken hatten und mittlerweile knapp 200 Kilometer durch härtestes Gelände zurücklegen mussten, raufen sich um jedes Tröpfchen. Wir sind zu erschöpft, um sie einzeln zu tränken und die anderen an einen Baum zu binden. So kommt es, dass sie sich gegenseitig beißen und versuchen gleich zu dritt ihre ausgedursteten Mäuler in den viel zu kleinen Eimer stecken. Selbst Sebastian, der sonst immer Angst vor Windmühlmasten hat streckt seinen Kopf in das Stahlgestell und rauft sich wie ein Straßenkämpfer, um das kostbare Nass. Tanja und ich geben alles was in uns steckt, um unseren tapferen Boys die versprochene Belohnung zu geben, doch die Pumpe geht so schwer, dass wir nach all der Anstrengung kurz vor dem Zusammenbrechen stehen. Uns rinnt wieder der Scheiß in Bächen hinunter und wir sind im Begriff uns völlig zu verausgaben. Wir bringen es fertig in einer halben Stunde 10 Eimer nach oben zu befördern. Plötzlich schüttelt sich Sebastian als hätte er Gift gesoffen. Auch Hardie reißt sein Maul auf und beginnt zu spucken. Edgar schleudert seinen Kopf derart auf und ab worauf seine Lippen laut in der Luft schlappern. Istan tut es ihm nach und Mäxchen verzieht sich mit den nimmersatten Jafar und Jasper, um an einem der Büsche zu fressen. „Da stimmt doch was nicht,“ meine ich und rieche an der trüben Flüssigkeit. „Ohhch riecht ja widerlich,“ stelle ich fest. „Es hat doch vorher nicht so gerochen, oder?“ „Ich weiß nicht, aber es stinkt so als hätte jemand altes Öl hinein geschüttet,“ meine ich und verstehe warum unsere Kamele trotz ihres Durstes plötzlich zu saufen aufhören. „Wie viel Wasser haben wir noch für uns?“ „Noch 20 Liter. Wir kommen also nicht in Bedrängnis wenn wir morgen Nirrippi oder diese Wait Creek Siedlung erreichen,“ antworte ich.

Ich klebe fast an der Zeltdecke

Als der glühend heiße Sonnenball endlich untergeht und einen Teil seiner unmenschlichen Hitze mit sich nimmt baue ich unser Moskitozelt auf. Dunkle Wolken wehen in rasender Geschwindigkeit von Westen her zu uns und beginnen die aufkommenden Sterne zu verdecken. Kaum steht das Zelt bemerke ich Millionen von Ameisen, die den Weg auf dem wir Campen unter Besitz genommen haben. Wir stellen unsere Behausung um und hoffen so vor ihnen verschont zu bleiben. Hundemüde löffeln wir unser Abendessen. Blitze zucken durch den schwarzen Himmel und wir machen drei Kreuze das Sumpfgebiet gerade noch rechtzeitig hinter uns gebracht zu haben. „Ob wir hier sicher sind?“ „Viel sicherer als dort drin,“ meine ich und deute nach Norden in die Schwärze einer unheimlichen Nacht. Das kaputte Windrad dreht sich in dem aufkommenden Böen mit schaurigen und quietschenden Geräuschen. Die Kamele klagen. Ihr lautes Blöken erinnert uns an ihren unbefriedigten Durst, der Anstrengung und viel zu wenig Rast. Nach dem Essen ziehe ich meine Schuhe aus, um mir meine schmerzenden Füße zu betrachten. Wieder sind die Zehen unter der enormen Hitze, dem Schwitzen, dem Sand und der Belastung aufgeplatzt wie kleine Bratwürste auf dem Grill. Ich behandle sie, träufle eine desinfizierende Flüssigkeit darauf und beiße die Zähne zusammen als das Kodan auf die offenen Stellen kommt. Dann creme ich sie mit Propolis ein und schlüpfe fast bewusstlos aber froh das Sumpfland hinter uns zu haben in unsere Stoffbehausung. Die Böen werden stärker und reißen an der Zeltwand. Trotzdem ist es ca. 30 Grad heiß. Ich liege da und beobachte wie die zunehmenden Blitze den Himmel zerteilen. Irgendwo dort draußen setzt ein Gewitter das gepeinigte Land unter Wasser. Donner grollen und die bedrohlichen Geräusche eines Unwetters vereinen sich mit dem unangenehmen Quietschen des Windrades. Obwohl ich mich vor Müdigkeit und Erschöpfung kaum bewegen kann ist es bei dieser Hitze unmöglich einzuschlafen. Plötzlich kommt mir in meiner Not eine geniale Idee. Ich erinnere mich daran wie ich in Pakistan unter noch heißeren Temperaturen als hier gelitten habe. Damals stieg das Thermometer auf 53 Grad im Schatten und fiel selten unter 35 Grad in der Nacht. Wir durchquerten das Land auf dem Rücken von Kamelen und kamen durch verschiedene Geschehnisse in den Sommer. (Ich habe über die Pakistandurchquerung in unserem Buch: „DIE GROSSE REISE / An die Grenzen des Ich’s,“ geschrieben) Um überhaupt schlafen zu können befeuchtete ich ein Bettlaken mit Wasser und deckte mich damit zu. Der Wind und die Verdunstungskälte ließen mich dann einschlafen. „Das ist die Idee,“ sage ich leise, öffne den Reißverschluss, greife mir den Wasserbeutel und beträufle mein Nachthemd. Dann ruhe ich wieder auf der Isolationsmatte und lege mir das Hemd auf den Bauch, den Kopf, die Oberschenkel und brennenden Füße. Es dauert tatsächlich nicht lange bis sich mein Körper abkühlt und ich in einen unruhigen Schlaf falle. Immer wieder wache ich auf und lausche den sich nähernden Energieentladungen der aufeinander stoßenden Luftschichten. Tiefe Wolken verdecken alle Sterne und ich warte gespannt wie lange es noch dauern wird bis sie uns mit ihrem Wasser überschütten. Es ist drückend heiß und zwischen den Windböen absolut Windstill. Meine Augen brennen vor Müdigkeit und nachdem ich eine Weile das Wetter beobachtet habe schlafe ich wieder ein. Schlimme Träume plagen mich und als ich dann auch noch das Blubbern von wilden Kamelbullen vernehme habe ich genug von all der Aufregung. Wieder öffne ich meine Augen und lausche in die Nacht. Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb, reißt es mich derart, dass ich fast an der Zeltdecke klebe. „Kamelbullen!“ ,rufe ich, worauf Tanja ebenfalls nach oben schießt. Wie schon unendlich oft praktiziert, reißen wir die Reißverschlüsse unseres Zeltes auf und springen in die Nacht. Während ich mir die Schuhe anziehe holt Tanja unsere Schusslampe. Durch den Schock, die Überanstrengung der letzten Tage und die vielen, vielen Camps der vergangenen Monate laufe ich die ersten Sekunden orientierungslos herum. Ich weiß nicht wo unsere Sättel stehen, in welchen Camp wir uns befinden und woher die Kampfrufe der Bullen gekommen sind. Noch nie in meinem Leben ist mir das widerfahren. „Wo sind wir hier? Ich habe keine Orientierung!“ ,rufe ich bestürzt umherirrend. „Wir sind an der Windmühle die nicht funktioniert. Der Mast steht da vorne. Siehst du ihn?“ ,erklärt mir Tanja mit ruhigen Worten. Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb, donnert der Angriffsruf unweit von uns durch das Schwarz einer mond- und sternenlosen Nacht. „Ich habe sie immer noch nicht. Ich habe keine Orientierung! Wo sind die Sättel?“ ,rufe ich verzweifelt. „Da vorne,“ antwortet Tanja und ich stolpere in die angegebene Richtung. Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb, treibt es uns zur höchsten Eile. Nie hätten wir damit gerechnet in diesem Jahr noch mal von angreifenden Kamelbullen aus dem Schlaf gerissen zu werden. Da die Brunftzeit schon seit Monaten vorbei ist können wir uns nicht erklären warum sie ins Camp kommen. Von ihrem Ruf angetrieben rase ich zu Sebastians Sattel und zerre das Gewehr aus der Hülle. Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb bebt die Nacht. „Wo sind sie?“ ,frage ich damit beschäftigt die Marlin durchzuladen und zu entsichern. „Dort, gleich neben dem Baum. Ich kann mindestens zwei erkennen!“ Ich lege das Gewehr an und suche im Schein meiner Stirnlampe die Gegend ab die Tanja angegeben hat. Plötzlich dröhnt der Boden als würde er von schweren Kettenfahrzeugen bearbeitet. „Sie reißen aus!“ „Ja, sie hauen ab,“ bestätige ich. „Es müssen mehr als zwei sein. Spürst du wie der Boden bebt?“ „Ja sagt Tanja leise in die Richtung blickend in die sie davon stürmen. Plötzlich bleiben sie wieder stehen. Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb!… Bullluuubullluuubbb hören wir ihr Brüllen wie Gewitterdonner. „Glaubst du sie kommen zurück?“ „Ich glaube nicht. Es gibt für sie außerhalb der Brunftzeit keine Veranlassung,“ erkläre ich und spüre wie sich das Schlagen meines Herzens wieder normalisiert. „Weißt du jetzt in welchen Camp wir uns befinden?“ „Ja, im Good Old Man Camp,” antworte ich grinsend. „Seltsam, so eine Orientierungslosigkeit habe ich noch nie gehabt. Ich muss ganz schön fertig sein,“ sage ich verwundert als ich das Gewehr vor den Zelteingang lege und wieder hineinkrieche. „Eigenartig, dass sie überhaupt noch mal ins Lager gekommen sind?“ ,flüstert Tanja. „Ja, mir kommt es so vor als haben sie sich von uns verabschiedet. Als hätten sie uns mit ihren Blubbern gesagt: „Für diesmal lassen wir euch in Ruhe aber nächstes Jahr besuchen wir euch wieder.“ „Glaubst du wir müssen nächstes Jahr mit Kamelbullenangriffen rechnen?“ „Ich möchte nicht pessimistisch sein aber ich denke wir hatten dieses Jahr noch Glück. Vor unserer Reise habe ich von einem Abenteurer gelesen der auf seiner Expedition 25 Bullen erschießen musste.“ „Gott bewahre,“ höre ich Tanja leise antworten. Ich möchte noch etwas sagen, doch ihr gleichmäßiger Atem verrät mir, dass sie in einen tiefen Erschöpfungsschlaf gefallen ist.

This site is registered on wpml.org as a development site.