Werden wir Max zurücklassen müssen?
N 22°44’13.2’’ E 130°11’48.4’’Tag: 156 Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
05:56
Sonnenuntergang:
19:12
Luftlinie:
20,3
Tageskilometer:
26
Temperatur - Tag (Maximum):
42 Grad
Breitengrad:
22°44’13.2’’
Längengrad:
130°11’48.4’’
Meteoritensturm-Camp — 18.11.2001
Mitten in der Nacht treibt mich Bauchweh in die Welt der Moskitos. Ich weiß nicht ob es die Angst vor der bedrohlichen Wettersituation oder vor dem harten Querfeldeinlauf ist der uns bevorsteht aber was es auch sein mag, mein Körper fühlt sich hundeelend. Um drei Uhr früh quälen wir uns in die Finsternis und beginnen mit unserer Arbeit. Als Tanja später Max zum Laden bringt stellt sie fest, dass er vor Schwäche kaum laufen kann. „Ich weiß nicht was er hat aber seine beiden Hinterbeine zittern wie Espenlaub.“ „Oh weh, das sieht nicht gut aus. Ob er irgendwelche Giftpflanzen erwischt hat?“ ,frage ich Tanja. „Wenn ich das wüsste. Vielleicht hat er die gleiche Pflanze gefressen auf die sich Edgar übergeben musste?“ „Na hoffentlich kann er seinen Sattel tragen?“ ,meine ich und beginne sein Fell zu bürsten. Als wir den Afghanpacksattel auf seinen Rücken schwingen beschwert er sich leise. Wir laden ihm nur ca. 90 Kilogramm und lassen ihn aufstehen. „Seine Beine zittern immer noch,“ sagt Tanja als sich Max schwerfällig erhebt. „Ja,“ antworte ich besorgt und weiß nicht wie wir ihn durch das dicht bewachsene Sumpfland bringen sollen. Leider haben wir keine andere Chance als sofort aufzubrechen. Laut der Wettervorhersage kann zu jeder Zeit die Regenfront ihre dunklen Wolken über diesen Wüstenteil schicken und wenn das geschieht müssen wir hier weg sein. Der strahlend blaue Himmel verrät nichts von einem Wetterumschwung doch diese Jahreszeit ist unberechenbar und wie wir selbst schon erleben mussten hochgefährlich. Innerhalb weniger Stunden können am Horizont harmlos aussehende Wolken erscheinen die dann wie gefräßige, alles vernichtende Monster das Land überziehen und in einem erbarmungslosen Gewitterregen ersaufen lassen. „Camis walk up!“ ,befehle ich und führe Sebastian die Düne hinunter in ein vor Hitze dampfendes Mulgabuschland. Kaum haben wir den Boden der Ebene erreicht ist unsere Sicht auf wenige Meter begrenzt. Die Kompassnadel gibt mir die Richtung an und schon nach kurzer Zeit ist unser Marsch ungeheuerlich anstrengend. Im Zickzack führe ich unsere Lasttiere um die Büsche. Chhhhrrrr, schaben und streifen die Satteltaschen geräuschvoll an den Ästen vorbei. Chrack, brechen die Äste unter unangenehm lauten Knacken als die Kamele sich ihnen mit ihren ausladenden Satteltaschen zu sehr nähern. Ob das die Ausrüstung aushalten wird? Der Schweiß rinnt mir in Bächen die Stirn hinunter und brennt in den Augen. Plötzlich stolpert Sebastian über einen Baumstamm, den er übersehen hat. Sein schwerer Kopf saust wie ein Fallbeil nur knapp an meiner Schulter vorbei. „Sebastian, pass doch auf!“ ,rufe ich erschrocken und führe ihn weiter. Rufus hechelt laut was Sebastian von Zeit zu Zeit mit Stöhnen beantwortet. Plötzlich ändert sich die Vegetation und dichtes, hoch gewachsenes Spinifexgras gedeiht in einem bald undurchdringlichen Meer von Büschen deren Namen ich nicht kenne. Kein Windhauch rührt sich in diesem Labyrinth der Pflanzen und die Luft wabert. Das Atmen fällt mir schwer. Ständig werfe ich einen Blick auf das GPS welches ich nun ohne Unterbrechung eingeschaltet habe. Noch 43 Kilometer bis zum Aboriginedorf Nirrippi. Mein Gott, wenn wir die schon hinter uns hätten. Unter normalen Bedingungen eine kurze Strecke aber hier kommt sie mir bald unüberwindbar vor. Kaum wende ich meinen Blick nur für kurze Augenblicke auf das vor mir liegende Dickgicht, um eine Passage für die Karawane zu finden, habe ich die Orientierung völlig verloren. Gewissenhaft achte ich darauf die Kompassnadel wieder auf Kurs zu bringen. Mein Hemd ist vom Schweiß absolut durchtränkt und der Durst ist kaum noch zu stillen. Wegen der unberührten, vom Feuer verschonten Vegetation ist ein nebeneinander laufen unmöglich geworden. Aus diesem Grund folgt Tanja der Karawane und gibt mir über das Sprechfunkgerät ab und zu durch ob unsere Jungs Schwierigkeiten haben ihrem Vordermann zu folgen.
Max bricht zusammen
Ich steige wie über riesige, viel zu große Stufen durch das stachelige Gras dessen reife Samenstängel mir ins Gesicht und auf die Sonnenbrille peitschen. Ööööääähhh! Ööööääähhh, beklagt sich unser Leitkamel, denn so wie ich missachtet er dieses Gewächs mehr als alles in der Welt. Auch wenn es vor wenigen Tagen anstrengend war über die vielen Dünen zu marschieren hatten wir zumindest immer wieder einen befreienden Blick auf eine weite Ebene. Hier aber komme ich mir vor als hätte uns die Natur Scheuklappen aufgesetzt. Wir stapfen durch eine Unendlichkeit die Angst einflößend ist. Genauso muss es den Entdeckern vor hundertfünfzig Jahren gegangen sein. Wir hingegen besitzen allerdings einen nicht außer Acht zu lassenden Vorteil, denn ich weiß durch gute Landkarten mit welchem Gelände wir rechnen müssen und wann wir wieder die Chance haben auf Wasser zu stoßen. Abgesehen davon ist die Navigation durch das Satellitennavigationsgerät viel einfacher geworden. Früher mussten die Entdecker mit dem Sextanten arbeiten dessen Bedienung nicht einfach war und niemals die Genauigkeit der heutigen Technik erreichte. „Ob sich diese Hölle bis Nirrippi hinziehen wird?“ ,frage ich mich laut. Meine Muskeln brennen und die Zeit scheint still zu stehen. Immer wieder sehe ich auf die Uhr, doch es ist wie verhext. Minuten erscheinen mir wie eine Ewigkeit und die Ewigkeit ist für mich in diesem Moment kaum auszuhalten. „Deniiis Stop! Stop! Halt an!” ,reißt mich Tanjas Warnrufe aus meinen Gedanken. Ööööhhh! Öööooochch, höre ich die Schmerzlaute der Kamele während ich Sebastian abrupt zum Stehen bringe. „Was ist denn los?“ ,rufe ich. Öööooochch! Öööooochch! Öööooochch, vernehme ich im ersten Moment nur das herzzerreißenden Brüllen der Tiere. „Stop! Stop!“ ,klingt es wieder an meine Ohren, obwohl die Karawane längst steht. „Sie stehen doch!“ ,antworte ich. Durch eine Lücke im Buschwerk bekomme ich Augenkontakt mit Tanja. „Max hat sich abgesetzt. Er wird von den anderen über den Boden gezerrt!“ ,ruft sie. „Hau ihn auf seinen Hintern! Schnell!“ ,antworte ich. „Er liegt auf der Seite. Er kann nicht mehr aufstehen!“ „Komm schnell nach vorne! Nimm die Führungsleine!“ ,brülle ich aufgeregt. Tanja rast nach vorne. Im fliegenden Wechsel übernimmt sie Sebastian Führungsleine, während ich mir schnell das Plastikrohr von seinem Sattel reiße und nach hinten stürme. Sofort erkenne ich die Ausweglosigkeit der Situation die mir Tanja mit wenigen Worten schon zugerufen hatte. Der schwere Sattel hat Max auf die Seite gerissen und hält ihn wie festgenagelt auf dem Boden. Sein Hals hängt an dem Nackenseil und ist bis zum Bersten gespannt. Jasper, Edgar und Istan, die nicht wissen was da hinter ihnen geschehen ist, versuchen aufgeregt nach vorne auszureißen und zerren den armen Max wie einen Pflug über den Untergrund. All ihre Nasenleinen hat es unter dem enormen Druck zerfetzt. Nur das stabile, reißfeste Nackenseil verbindet sie noch miteinander. Wie eine gezündete Rakete rase ich zu Max, fetze mein Messer vom Gürtel und durchtrenne mit einem Schnitt das dicke Nackenseil. Jasper, Edgar und Istan laufen unter dem augenblicklich nachgelassenen Zug ein paar Meter nach vorne, um dann stehen zu bleiben, während Max seinen gemarterten Kopf und Nacken flach auf den Boden legt. „Mensch Mäxchen. Was machst du denn für Sachen? Du kannst dich doch nicht einfach absetzen,“ flüstere ich und streichle seinen Kopf. Er sieht mich mit seinen glänzenden Augen verwirrt an. Seine überdimensional langen Wimpern verleihen seinem Blick etwas Traurigkeit. Tanja, die mittlerweile Sebastian heruntergehuscht und seine Vorderfüße zusammengebunden hat, kommt aufgeregt nach hinten gerannt. „Ist er in Ordnung? Hat er sich verletzt?“ ,platzt es aus ihr heraus. „Alles okay,“ beruhige ich sie und wir zerren mit vereinten Kräften den Sattel von seinen Schultern. Max steht sofort auf und vermittelt den Eindruck, als ob er immer noch nicht wüsste was da eben mit ihm geschehen ist. „Was sollen wir jetzt tun?“ ,frage ich Tanja verzweifelt, denn so wie es aussieht ist Max am Ende und kann nicht mehr weiter. „Wir verteilen seine Ladung auf die anderen Kamele,“ schlägt sie vor. „Ja gute Idee und wir sollten ihm noch dazu fünf Liter Wasser von unseren Trinkwasservorräten abgeben. Vielleicht hilft ihm das wieder auf die Beine.“ meine ich, obwohl mir bewusst ist, dass diese Entscheidung bei unseren knapp bemessenen Rationen nur bei dem kleinsten weiteren Zwischenfall ins Auge gehen kann. Sofort gebe ich ihm die fünf Liter die er mit einem einzigen Schluck in sich hineinzieht. Eine Stunde später sind alle Nasenleinen repariert, Istans Sattel, der sich bei dem Tumult nach hinten gezogen hat neu geladen und der größte Teil des Satteltascheninhaltes von Max auf die anderen Kamele verteilt.
Tanjas schnelle Reaktion rettet Max das Leben
„Camis walk up!“ rufe ich und unser Kampf durch das Dickgicht geht weiter. Obwohl wir nun schon seit knapp zwei Stunden unterwegs sind haben wir erst drei Kilometer zurückgelegt. Unser Tagesziel liegt bei 25 Kilometer, mindestens aber bei 20 Kilometer Luftlinie. Es ist bereits kurz vor 10 Uhr und wenn wir weiterhin so langsam vorankommen erreichen wir unser Ziel nicht. Wir besitzen noch ca. 70 Liter Wasser. Bei dem jetzigen Verbrauch können wir damit noch drei Tage leben. Durch die enorme Hitze würden wir ohne Wasser nicht mehr als einen halben Tag, vielleicht nur wenige Stunden überleben. Wieder rechne ich unsere Vorräte aus und werde mir über die Ironie bewusst vor einem Gewitter auszureißen, weil wir sonst hier im Sumpf versinken und eventuell nie mehr herauskommen. Auf der anderen Seite denke ich über das Verdursten nach, wenn dieses Gewitter nicht kommt und wir nicht rechtzeitig eine Wasserstelle erreichen. „Deniiis Stop! Stooop! Halt an!” zerschneidet Tanjas Warnruf schon wieder die unheimliche Stille des dichten Buschlandes. „Udu Sebastian! Uduuu!“ ,stoppe ich ihn und hoffe innig das all die anderen ebenfalls augenblicklich stehen bleiben und nicht noch mehrere Meter weiter laufen bis sie mit ihrem Nacken auf ihren Vordermann prallen. „Was ist los?“ ,rufe ich nervös. „Max hat sich wieder abgesetzt! Oh weh, sie ziehen ihn hinter sich her!“ höre ich zutiefst erschrocken Tanjas Hilferuf. Öööooochch! Öööooochch! Öööooochch, brüllen die Kamele und mir ist klar, dass sie mit all ihrer Kraft zur Seite laufen, und den erschöpften, hilflosen Max über den Boden zerren und unter dem ungeheuren Zug jeden Augenblick sein Nacken bersten wird. Da Tanja diesmal nicht nach vorne gerannt kommt, um die Führungsleine von Sebastian zu übernehmen bin ich machtlos. „Ich muss sein Nackenseil durchtrennen!“ ,ruft sie. „Ja, mach schnell! Versuch es direkt am Knoten abzuschneiden damit wir es noch verwenden können,“ antworte ich und sehe wie sie gewand wie eine Gazelle an Max heranspringt, ihr Messer zückt und mit einem einzigen Schnitt ihm vor dem sicheren Tot rettet. Im gleichen Moment husche ich Sebastian herunter, binde ihm die Vorderbeine zusammen, damit er nicht weglaufen kann und die gesamte Karawane hinter sich herzieht und rase Tanja zu Hilfe. Max liegt schwer atmend auf der Seite, sieht aber unverletzt aus. Der Sattel hat ihn wieder auf den Grund genagelt, so dass er nicht in der Lage ist sich zu bewegen. Wie auch beim ersten Mal zerren wir ihm den Sattel vom Höcker, worauf er sich aufsetzt. Diesmal ist er zu ermattet, um gleich aufzustehen. Wir untersuchen ihn und sind froh keine schlimmen Verletzungen festzustellen. „Wir müssen ihn von der Karawane losbinden und ich werden ihn führen,“ schlägt Tanja vor. „Ja, ich glaube du hast recht. Das ist die einzige Möglichkeit sein Leben zu retten. Wenn er dann allerdings nicht mehr laufen will und wir ihn nicht mehr zum weitergehen bewegen können müssen wir ihn zurücklassen,“ meine ich und erschrecke vor meinen eigenen Worten. Natürlich gibt es noch die Möglichkeit hier in diesem menschenfeindlichen Gestrüpp eine weitere Nacht zu verbringen. Doch was ist, wenn sich die unweit von uns aufziehende Schlechtwetterfront hier mit ihren unvorstellbaren Wassermassen entleert? Was ist, wenn sich dann der vom letzten Regen gesättigte Untergrund zu Sumpf und Morast verwandelt? Wir würden darin innerhalb von wenigen Stunden einfach versinken. Selbst wenn wir in der Lage sind unseren Notsender zu aktivieren kann hier kein Hubschrauber landen. Wenn es wie wir es schon öfter erlebt haben für Tage stürmt, kann ein Hubschrauber nicht einmal fliegen. Wenn es aber nicht regnet zwingt uns die Wassersituation weiter. Es gibt im Notfall also drei verschiedene Varianten. Eine ist die des Ertrinkens, eine ist die des Verdurstens und die letzte und einzige Chance im Fall der Fälle mit heiler Haut da raus zu kommen ist Max zurückzulassen. Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. War es doch ein Fehler die Abkürzung durch dieses unberührte Land zu nehmen? Habe ich mich überschätzt? Wollte ich noch mehr Abenteuer und muss jetzt für meinen Leichtsinn bezahlen? Ach was, es war kein Leichtsinn und mit Selbstüberschätzung hat das Ganze nichts zu tun. Ich habe nie damit gerechnet das Max plötzlich solche Schwierigkeiten macht. Auf so einer Expedition geschieht eben nun mal ständig etwas mit dem man nicht rechnet. Sind es nicht diese unvorhersehbaren Geschehnisse die einen vor eine Aufgabe stellen? Sind es nicht diese Aufgaben die uns ständig reifen lassen? Die unser Leben so interessant werden lassen? Meine Gedanken schlagen wie ein Tischtennisball von links nach rechts. In einem Augenblick mache ich mir Vorwürfe und im anderen rechtfertige ich mein Tun. „Camis walk up!“ ,rufe ich und bete zu Gott das Max Tanja, ohne sich ständig absetzen zu wollen, folgt. Wieder zieht unser Zug durch die Undurchdringlichkeit. Obwohl ich glaube die jetzige Hitze kann sich nicht mehr steigern, nimmt sie mit den fortschreitenden Stunden zu. Mittlerweile hat es bei völliger Windstille 60 Grad in der Sonne. Der Boden dampft wie auch in den vergangenen Tagen und sondert ein kaum auszuhaltende Luftfeuchtigkeit ab. Manchmal hören wir Vögle zwitschern. Ihr wunderschöner Gesang passt irgendwie nicht zu unserer Situation. Schwitzend und mir große Sorgen um unseren Max machend bahne ich uns einen Weg. „Denis kannst du bitte anhalten. Max hat sich gerade abgesetzt,“ höre ich Tanjas Stimme diesmal aus dem Lautsprecher des Sprechfunkgerätes. „Okay,“ antworte ich und stoppe Sebastian. „Komm schon Max, jetzt steh wieder auf. Epna! Epna!“ fordert ihn Tanja auf sich wieder zu erheben. „Es kann weitergehen,“ krächzt es aus dem Funkgerät, worauf die Karawane wieder weiter marschiert. Nur 500 Meter danach setzt sich Max wieder ab. Geduldig stehe ich in der sengenden Hitze und warte, bis mir Tanja ihr Okay zum Loslaufen gibt. Es ist zum Haare raufen. Vier Stunden quälen wir uns nun schon durch diesen Alptraum und haben gerade mal sieben Kilometer zurückgelegt. Max setzt sich mittlerweile alle paar hundert Meter ab und es wird für Tanja jedes Mal schwere ihn zum Aufstehen zu bewegen. „Epna Max. Epna Max. Epnaaa! Verdammt jetzt steh auf! Wir können dich hier doch nicht zurücklassen!“ brüllt sie nach Stunden der Überanstrengung, denn es kostet ungeheure Kraft ein Kamel was nicht laufen möchte wieder hochzubringen.
Bilder von Goolas Tod rasen an meinem inneren Auge vorbei
Diesmal sieht es so aus als hätte Max beschlossen hier zu bleiben. Entnervt, verschwitzt, durstig, ebenfalls überanstrengt, wütend über mich selbst und den Rest der Welt und verzweifelt husche ich Sebastian nieder und binde seine Beine zusammen. Dann laufe ich ans Ende der Karawane und sehe wie Tanja schweißüberströmt und am Ende ihrer Kräfte darum kämpft Max zum Aufstehen zu bewegen. Wir beide wissen, dass dieser Moment entscheidend für sein weiteres Überleben ist. Sollten wir ihn hier zurücklassen müssen verlieren wir ein zweites Kamel, einen wertvollen Sattel den wir nicht auf die anderen Lastentiere laden können und die Möglichkeit unsere gesamte Ausrüstung auf Sieben zu verteilen. Wir verlieren dadurch Sicherheit und vor allem ein Tier welches wir in den letzten Monaten lieb gewonnen haben. Eine Mischung aus Ohnmacht und Angst hier nicht mehr lebend herauszukommen ballt sich wie eine Faust in meinem Bauch und lässt eine bittere Übelkeit in mir Hochsteigen. Es ist eine Übelkeit die elementar ist, allumfassend und gnadenlos. Obwohl in mir alles rebelliert, würde ich mich am liebsten in den Schatten einer der unzähligen verdammten Büsche werfen und dort liegen bleiben, bis ich aus diesem Alptraum erwache. Doch leider handelt es sich hier nicht um einen Traum aus dem man erwachen kann. Es ist knallharte Realität. Ich nehme das 1 ½ Meter lange Plastikrohr, trete hinter Max und lasse es auf seinen Hintern niedersausen. (Wie ich schon in anderen Textbereichen erwähnt habe nutzen wir ein leichtes Plastikrohr welches beim Schlagen einen lauten Ton von sich gibt und das Kamel eher erschreckt als verletzt. Stöcke, Eisenrohre und andere Schlaggegenstände werden von Kamelmännern oftmals in anderen Ländern verwendet um die Kamele zu trainieren oder zu bestrafen. Wir halten von dieser brutalen Methode nichts.) Max gibt nur einen kleinen Laut von sich, bewegt sich jedoch keinen Millimeter von der Stelle. Schon öfter habe ich von Expeditionen gehört die auf die gleiche Weise ein Kamel verloren haben. Es setzt sich einfach ab und ist durch nichts mehr zu bewegen. Ich muss versuchen seinen Dickkopf, seinen Willen und seinen Schmerz zu durchdringen und schlage ihn mit dem Rohr wieder und wieder auf seinen Hintern, doch Max hat sich entschieden. Plötzlich rasen die Bilder von Goolas Tod an meinem inneren Auge vorbei und ich möchte mich mit dieser Situation nicht abfinden. „Nein!“ ,brüllt es aus mir heraus wie aus dem Rachen eines angreifenden Löwen und ich wirble das Rohr durch die Luft. „Steh auf Max! Epna! Epna! Epna! Epna!“ ,brülle ich auf ihn einschlagend, bis ich glaube meine eigene Galle aus Erschöpfung in das uns umgebende, stachelige Spinifex spucken zu müssen. Völlig außer Atem knie ich mich ab. Mir steigen Tränen in die Augen. Meine Lunge brennt. Ich sehe Tanja im Augenwinkel neben mir stehen und glaube ein Gefühl ihrer Hoffnungslosigkeit aufzufangen. Welch ein Wahnsinn. Welch in Irrsinn einen weiteres Expeditionsmitglied zu verlieren, geht es mir durch den Kopf. Ich rapple mich wieder hoch, überlege ob ich dieses nutzlose Plastikrohr gegen einen der stabilen Äste austauschen soll die hier herumliegen, komme aber zu dem Schluss das ich Max nicht verletzen möchte, sondern zum weiterlaufen treiben muss. „Steh auf! Epna! Epna! Epna! Epnaaa!“ ,brülle ich wieder wie ein angreifender Tiger das mir meine Stimmbänder brennen und plötzlich springt er hoch. Max sieht mich an. „Es tut mir leid Max aber wir lassen dich hier nicht zurück. Du musst weiter. Es sind nur noch 11 Kilometer bis zur nächsten Rast. Die schaffst du schon noch. Dann kannst du dich ausruhen. Und übermorgen gibt es Wasser,“ sage ich. Ich denke du solltest die Führung der Karawane übernehmen und ich ziehe Max hinter mir her,“ schlage ich vor. „Gerne,“ willigt Tanja ein und während ich dann mit Max uns einen Weg durch diese Landschaft suche folgt sie mir mit Sebastian, Hardie, Jafar, Istan, Edgar und Jasper. Schon zweihundert Meter weiter bleibt Max abrupt stehen, läuft wie ein einparkendes Auto rückwärts und setzt sich unter lautem Knacken der brechenden Äste in einen Busch. Noch in seiner Absetzbewegung springe ich nach hinten und lasse das Plastikrohr auf seinen Hintern knallen. „Epna! Epna!“ ,brülle ich worauf Max sofort wieder hochspringt und weiterläuft als wäre nie etwas gewesen. So geht es über die nächsten fünf Kilometer. Ich freue mich, auf diese zwar anstrengende aber erfolgreiche Weise, über jeden Meter des Weiterkommens. „Seine Beine beginnen wieder zu zittern,“ warnt mich Tanja die hinter mir herläuft. Ich kann nicht verstehen warum Max nach einigen Rasttagen so derart fertig ist. Ob ihn eine giftige Spinne gebissen hat? Vielleicht aber war es ein Skorpion, ein Hundertfüßler oder doch der Biss in eine giftige Pflanze die wir nicht kennen? Grübelnd ziehe ich ihn hinter mir her und verspreche mir selbst ihn da lebend wieder raus zu bekommen.
Mein Körper hat es aufgegeben mich mit seinen Schmerzen stoppen zu wollen
Um 14 Uhr steigt das Thermometer auf 42 Grad im Schatten und 66 Grad in der Sonne. Mein Körper hat es aufgegeben mich mit seinen lächerlichen Schmerzen stoppen zu wollen. Irgend etwas in meinem Gehirn hat den Schalter zur Schmerzzentrale abgeschaltet und ich laufe wie ein Roboter, wie eine gefühllose Maschine im Zickzack durch und über des Teufels Gras. Ich laufe und höre meinen eigenen Atem, das unaufhörliche Schaben der Satteltaschen wenn sie an den Labyrinth der Äste vorbeistreifen. Ich höre sie Brechen und Knacken und frage mich wie unsere Ausrüstung diese Materialvergewaltigung wohl übersteht. Ich höre Max schnaufen. Ich vernehme das laute Hecheln von Rufus der sich tapfer auf dem Sattel von Hardie hält und empfinde das Zwitschern der Vögel als angenehme Abwechslung. War da das Rascheln einer Schlange die vor meinen voraneilenden Schritten das Weite sucht oder war es eine der vielen Echsen? Die knie hohen Ledergamaschen geben uns den nötigen Schutz. Ein totes Kamel, dessen trockene, aufgerissene Haut sich wie Pergament über ein ausgeblichenes Skelett zieht, erschreckt Max und seine Mates. Ich führe ihn in einem großen Bogen herum. Um 15 Uhr treten wir für wenige hundert Meter aus dem Tunnel der Büsche in eine freie, von einem Buschfeuer abgebrannte Landschaft. Ich atme auf und empfinde diesen Moment wie einen Befreiungsschlag. Vor mir entdecke ich einen Bergzug. Die Kompassnadel möchte, dass ich genau auf seine Mitte zuhalte. Da wir keinen mit Steinen und Felsen überzogenen Bergrücken überqueren können entscheide ich mich ihn an seiner linken Seite zu umgehen. Die Orientierung ist mit seinem erscheinen nun viel einfacher. Ich schalte das GPS ab und laufe auf die linke Bergflanke zu. Plötzlich legt sich wieder das Dach des dichtbewachsenen Buschlandes über uns. Nur noch drei Kilometer und wir haben das Muss von 20 Kilometer Luftlinie erreicht. Ich weiß jetzt das wir es schaffen werden. Max hat sich in den letzten zwei Stunden nur noch vier Mal abgesetzt. Ich bin nun zuversichtlich ihn hier rauszubringen und ein Gefühl des Friedens erwärmt mein Herz. Stille tritt ein und der Schmerz in den Zehen, Im Rücken, der Hüfte, den Schultern und anderen Körperstellen meldet sich wieder. Aber das ist nicht schlimm, denn ich weiß wir werden es schaffen. Ich bin zuversichtlich und das ist es worauf es jetzt ankommt. Ich bin stolz auf uns. Auf Tanja, Rufus, die Kamele und mich. Um 16 Uhr, nach 8 ½ Stunden Laufzeit durch eine Psychohölle die ihres Gleichen sucht, lasse ich Max auf einer freien Fläche absetzen. Tanja bringt die Karawane und huscht unsere Jungs nieder. Mir kommen fast die Tränen vor Freude, denn wir sind ein enormes Stück weitergekommen. Mit bleiernen Knochen entladen wir unsere Gefährden und lassen sie zum Fressen gehen. Max zieht es vor sich erst mal im Schatten eines niedrigen Baumes von den Strapazen auszuruhen. Obwohl es 17 Uhr ist steht das Thermometer auf 40 Grad im Schatten. Ich schreibe die Navigationsdaten in das Logbuch und meine Gedanken ins Tagebuch. Was für einen Tag wir heute hinter uns gebracht haben ist für einen Außenstehenden kaum nachvollziehbar. Obwohl wir wie so oft auf dieser Expedition am Ende unserer Kräfte sind fühlen wir uns in diesem Augeblick als die glücklichsten Menschen der Welt. Natürlich ist es schwer erkämpft, zu schwer für unseren Geschmack, aber man kann es sich nicht immer aussuchen. Man kann Glück mit nichts in der Welt kaufen. Es kommt und geht wie die Wolken eines Gewitters oder besser gesagt wie der Sonnenschein. Es erfüllt unsere Herzen mit Freude und Frieden, um wenige Augenblicke später wieder zu gehen. Wir wissen nicht wie lange es wegbleiben wird und freuen uns immer wieder, wenn es uns mit seiner Gegenwart beschenkt. Nie wird es langweilig. Ganz im Gegenteil ist es das höchste aller Gefühle. Das Höchste was ein Mensch auf dieser Erde erleben kann und von unschätzbaren, unbezahlbarem Wert. Es ist nicht greifbar, nicht fassbar aber ich bin froh, dass es zu unserem Leben gehört wie unser Atem. Ich bin froh und glücklich das dieses Glücksgefühl in diesem Augenblick sich wie eine wohlige Decke über uns gelegt hat und danke Gott oder anders ausgedrückt „Alles was ist“ dafür es erleben zu dürfen.