Auf dem berühmten Ho Chi Minh Highway nach Süden
N 19°55’10.3’’ E 105°23’37.8’’Datum:
11.11.2016
Tag: 504
Land:
Vietnam
Provinz:
Thanh Hóa
Ort:
Vu Ban
Breitengrad N:
19°55’10.3’’
Längengrad E:
105°23’37.8’’
Tageskilometer:
85 km
Gesamtkilometer:
20.517 km
Luftlinie:
61 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
24,3 km
Maximale Geschwindigkeit:
43.7 km/h
Fahrzeit:
3:27 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Maximale Höhe:
100 m
Gesamthöhenmeter:
56.205 m
Höhenmeter für den Tag:
437 m
Sonnenaufgang:
06:04
Sonnenuntergang:
17:20 Uhr
Temperatur Tag max:
20°C
Aufbruch:
09:20 Uhr
Ankunftszeit:
14:30 Uhr
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Als wir gestern das schmale Gebirgssträßchen hinter uns ließen, trafen wir auf den berühmten und wenig befahrenen Ho Chi Minh Highway, der in Teilabschnitten am berühmten Ho Chi Minh Pfad entlangführt und uns die kommenden Wochen bis in den Süden Vietnams bringen wird. Während des letzten Vietnamkrieges war diese Region von einem logistischen Netz aus 16.000 Kilometer langen Pfaden und kleinen Straßen überzogen, die von Nord- nach Südvietnam reichten. Für die kommunistischen Truppen Nordvietnams – die „Vietcong“ war das geheime, durch den Dschungel führende Verkehrsnetz von großer Wichtigkeit. Mit Guerilla-Taktik nutzen sie es gegen die US-Armee im Süden und um die dortige Befreiungsfront Südvietnams logistisch zu versorgen. Aus taktischen Gründen wurden Teile des Ho Chi Minh Pfades in die Nachbarländer Laos und Kambodscha verlegt. Obwohl sich diese beiden Länder während des furchtbaren Krieges neutral verhielten, weiteten die Amerikaner die Angriffe in die unbeteiligten Länder aus, um die Versorgungswege unter einem endlosen Bombenhagel untergehen zu lassen. Der Freiheitswille der Vietnamesischen Soldaten war jedoch so stark, dass sie trotz der ständigen Luftangriffe der US-Kampflugzeuge täglich hunderte Tonnen Material über den Ho Chi Minh Pfad geschleust haben. Um diese Versorgungslinien endgültig dem Gar auszumachen, entschied sich die US-Armee den Dschungel mit dem chemischen Entlaubungsmittel Agent Orange zu vernichten. Auf diese Weise wurde das Straßennetz sichtbar und konnte von der Luftwaffe direkt angegriffen werden. Über 6000 Gifteinsätze wurden zwischen 1965 bis April 1970 geflogen. Dabei versprühten die US-Streitkräfte insgesamt 45.677.937 Liter Agent Orange. Urwälder und Ernten wurden vernichtet. Große Teile des Landes wurden auch für zukünftige Generationen nachhaltig vergiftet und trotzdem war es den Amerikanern nicht möglich den Willen des Volkes zu brechen. Sobald Pfade und Straßen zerstört waren, wurden sie in unzerstörte Urwaldregionen, oder in ein aufwendig gegrabenes, bis zu 9 Meter tiefes Tunnelsystem unter die Erde verlegt. Somit konnte der Transport von Soldaten und Gütern des Vietcong weiter in den Süden gelangen.
Während einer kurzen Pause blickend wir schweigend über den Chu Fluss, der sich aus Laos seinen Weg durch die dichten Urwälder bis hierher gebahnt hat. „Ich bin fassungslos“, sagt Tanja, nachdem ich ihr das Ergebnis meiner Recherche über den Ho Chi Minh Highway erzählt habe. „Für mich ist einfach nicht nachvollziehbar warum bis heute keiner der damaligen verantwortlichen amerikanischen Politiker und Militärs für dieses ungeheure Kriegsverbrechen jemals bestraft und eingesperrt wurde“, sage ich nachdenklich. „Liegt wahrscheinlich daran, dass sich eine Weltmacht alles erlauben kann“, antwortet Tanja. „Der, der das Geld und die Macht besitzt, kann sich das Recht zurechtbiegen bis es passt. Das war anscheinend schon immer so. Ich hoffe es gibt eine Zukunft für die Menschheit, in der sich solche Gräueltaten und verbrecherischen Kriege nicht immer und immer wieder wiederholen. Irgendwann muss doch selbst der dümmste Mensch begreifen, dass dieses aggressive, machtgierige Verhalten für alle Beteiligten tödlich ist und die menschliche Rasse, egal welcher Hautfarbe, keine Zukunft haben wird“, sage ich und denke dabei an den unbegreiflichen Ausgang der jüngsten US-Wahlen, den Krieg in Syrien, Ukraine, Afghanistan, Jemen usw.(Laut einer Veröffentlichung auf Wikipedia gibt es zurzeit auf 5 von 7 Kontinenten (ohne Australien, Antarktis) bewaffnete Konflikte. 2014 sind weltweit 164.000 – 220.000 Menschen direkt an Kampfhandlungen gestorben, so viele wie seit 26 Jahren nicht mehr. 2015 starben in Konfliktgebieten mindestens 167.000 Menschen. Über 5 der 7,3 Mrd. Menschen leben in Staaten in denen es bewaffnete Konflikte gibt.)
Die großen Gebirge liegen vorerst hinter uns, Der Ho Chi Minh Highway von den Einheimischen wegen dem Truong-Son-Gebirge, Truong-Son-Straße genannt, führt ohne große Erhebungen durch eine nach wie vor schöne und friedlich wirkende Landschaft. Nichts ist mehr von den Gräueltaten der Amerikaner zu bemerken, zumindest nicht auf den Streckenabschnitt den wir gerade durchradeln. Die Berge sind hier nur ca. 500 bis 600 Meter hoch und säumen den zweispurigen Asphaltstreifen. Seit der Durchquerung der Wüste Gobi in der Mongolei dürfen wir hier das erste Mal wieder auf einer relativ geraden Strecke mit ca. 27 km/h dahingleiten. Im Turbomodus schaffen wir mit einem Akku ca. 40 Km. Das bedeutet für uns, dass wir im Notfall bis zu 240 Kilometer Distanz, ohne Aufladen zu müssen, zurücklegen können.
Gegen Nachmittag erreichen wir ein heruntergekommenes Hotel. Die Zimmer sind feucht und riechen stark nach Schimmel. Die Realität des Reisens hat uns wieder, geht es mir durch den Kopf. Wegen dem langen Aufenthalt in Mai Chau und meiner Schulterverletzung bin ich schlecht trainiert. Und obwohl wir heute keine Berge überwinden mussten, spüren wir die 85 zurückgelegten Kilometer. „Können wir die Räder ins Haus bringen?“, ist meine übliche Frage. Nach langen Hin und Her deutet die Frau auf ein ehemaliges, verlassenes Pförtnerhäuschen. Erst nachdem wir unsere Ausrüstung ins Zimmer getragen haben, rollen wir die Bikes zu ihren Übernachtungsort, an den man zwar die Tür absperren kann, aber die Schiebefenster kein Schloss besitzen. „Die kann man einfach aufschieben, durchgreifen und die Tür von innen öffnen“, stellt Tanja fest. Obwohl man unseren edlen Bikes somit leicht stehlen könnte, entscheiden wir uns hier zu bleiben. „Glaube nicht, dass hier jemand kommt, um sie zu klauen“, ist Tanja überzeugt, obwohl wir mittlerweile einige Reisende getroffen haben, denen man ihre Bikes aus dem Vorraum eines Hotels und aus einem abgesperrten Hof gestohlen hat, obzwar sie mehrfach mit Schlössern gesichert waren. „Wird schon gut gehen“, antworte ich die Räder mit unseren Kabelschlössern zusammenbindend und der Plane abdeckend.
„Oh nein! Mein Campstuhl ist gebrochen“, rufe ich erschrocken, als ich ihn gerade aufstellen wollte, um meine Tagesaufzeichnungen in den Laptop zu tippen. „Kannst du ihn reparieren?“, fragt Tanja. „Keine Chance, aber neben dem Hotel habe ich eine Mopedwerkstatt gesehen. Die Jungs sind meist recht findig. Vielleicht fällt ihnen etwas ein“, antworte ich, schnappe mir meinen geliebten, weitgereisten, alten Klappstuhl und verlasse das Zimmer. „Kannst du das reparieren?“, frage ich den jungen Mechaniker hoffnungsvoll. Er unterbricht augenblicklich seine Arbeit an einem verrosteten Moped und greift sich kommentarlos den Stuhl. Ein zweiter Mechaniker schlurft herbei und sieht seinem Kollegen zu. Eine Frau kommt aus der Küche, um sich ebenfalls in die Runde zu reihen. Kraaack!, scheppert es urplötzlich, dass mir vor Schreck fast das Herz stehen bleibt. Ich spüre nur einen Luftzug, dann ist der Mann mit seinem Moped an mir vorbei gerast. Klooong!, scheppert es erneut, als er mit seinem Rosthaufen in ein nagelneues Moped hämmert. Doooock!, ertönt es, als der Vorderreifen des gebrechlichen Gefährt in eine offen stehenden Kiste rauscht und zum Stehen kommt. Verblüfft blicken wir den Mann an, der nun grinsend von seinem Bock steigt. „Die Bremse ist kaputt!“, verstehe ich, worauf alle Anwesenden herzhaft lachen. Dabei scheint es keinem zu stören, dass mich der Mann fast über den Haufen gefahren hat und das Schutzblech des nagelneuen Mopeds demoliert ist. Als wäre nichts gewesen, blickt der Mechaniker auf meinen geliebten Campstuhl. Dann holt er eine Bohrmaschine, eine kleine Rohrschelle und wühlt aus einer Kiste eine betagte Schraube heraus. Nur fünf Minuten später ist mein Stuhl auf brachiale Art repariert. „Super. Vielen Dank“, freue ich mich und frage was er für seinen Einsatz möchte. „“20.000 Dong“ (0,84 €), antwortet er und lädt mich zu einer Tasse grünen Tee ein. Auch die anderen Mechaniker, die Frau und der Kunde, der mich fast umgefahren hat, setzen sich mit an das kleine Tischchen in mitten von Mopeds, Werkzeugen und alten Blechteilen. Obwohl wir uns kaum verständigen können bin ich in der Lage zu erklären woher ich komme und wohin wir wollen. Als sie in meinem Smartphone die Bilder von unseren Rädern und Ajaci sehen, und verstehen, dass wir von Deutschland nach Vietnam geradelt sind, wollen sie mich gar nicht mehr gehen lassen. Immer wieder wird meine winzige Teetasse gefüllt und immer wieder kreist die Wasserpfeife von Hand zu Hand. Dabei bombardieren mich die Werkstattinsassen mit vielen Fragen. Erst eine halbe Stunde später bin ich wieder bei Tanja und berichte ihr von meinem Abenteuer und dem Glück in einer Werkstatt nicht überfahren worden zu sein…
Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.
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