„Wir sinken!“, ruft Tanja
N 28°57'39.8" W 010°36'25.1"Tag: 04.02.2024
Tag: 429
Camp 77
Land: Marokko
Ort: Strand Plage Blanche/Parkplatz
Breitengrad N: 28°57’39.8″
Längengrad W: 010°36’25.1″
Gesamtkilometer: 11.658 km
Höhe: 10 Meter
Temperatur Tag max: 24°
Temperatur Nacht: 12 °
Nachdem wir einige Tage an einer wunderschönen Steilküste am Atlantischen Ozean verbracht hatten und den Offroadern zusahen, die sich auf die bis zu 170 km lange und spannende Strecke des Plage Blanche wagten, sind wir nun zu einem Stellplatz weitergefahren, der ebenfalls direkt am Plage Blanche liegt. Von hier aus kann man problemlos den Plage Blanche erreichen und eine außergewöhnliche Fahrt zwischen Meer und Dünen genießen.
Kaum habe ich den Zündschlüssel gezogen und die ersten Blicke auf den wundervollen Strand erhascht, kommen schon ein paar neugierige Besucher vorbei. Da Tanja und ich während unserer großen Reise in den letzten 33 Jahren fast 12.000 Kilometer mit Kamelen zurückgelegt haben, geht uns immer das Herz auf, wenn wir diese wunderbaren Tiere sehen, mit denen wir so viele Jahre unseres Lebens verbracht haben.
In Marokko gibt es übrigens hauptsächlich Dromedare, die sich durch ihren einzigen Höcker auszeichnen. Diese Tiere sind perfekt an das Leben in trockenen Wüstengebieten angepasst. Traditionell werden sie als Lasttiere genutzt und sind teils noch immer unverzichtbare Transportmittel in der Wüste. Heutzutage sind sie zudem eine beliebte Attraktion für Touristen. Besonders in Regionen wie Erg Chebbi und Erg Chigaga genießen viele Besucher Kameltouren durch die beeindruckenden Sanddünen, die wir in den kommenden Wochen ebenfalls besuchen werden.
Aber Kamele sind für die Einheimischen nicht nur Lastentiere, sondern liefern auch Milch und Fleisch, die wichtige Nahrungsquellen für die Menschen in den Wüstenregionen darstellen. Für die Berber und andere nomadische Stämme sind Kamele lebenswichtig. Sie symbolisieren Reichtum und Status und sind ein integraler Bestandteil der nomadischen Kultur. Außerdem spielen sie eine wichtige Rolle in verschiedenen kulturellen und religiösen Festen. Diese faszinierenden Tiere sind hervorragend an das Leben in extrem trockenen und heißen Umgebungen angepasst. Sie können lange Strecken ohne Wasser zurücklegen und fressen eine Vielzahl von Wüstenpflanzen, die für andere Tiere oft ungenießbar sind.
Doch trotz ihrer beeindruckenden Anpassungsfähigkeit sind Kamele nicht vor modernen Herausforderungen wie Klimawandel und Überweidung geschützt, die ihre Lebensräume und Nahrungsquellen beeinträchtigen können. In Marokko fressen Ziegen und Schafe oft Müll, um zu überleben, besonders in ländlichen und ärmeren Gebieten. Dies liegt an Armut und Ressourcenknappheit, die viele Bauern und Hirten daran hindern, ihren Tieren hochwertiges Futter zu geben. Zusätzlich sind Weideflächen oft durch Überweidung, Dürre und Bodenverschlechterung eingeschränkt, und die unzureichend organisierte Abfallentsorgung macht Müll leicht zugänglich für die Tiere.
Diese Praxis hat schwerwiegende gesundheitliche Folgen für die Tiere. Das Verschlucken von Plastik und anderen nicht verdaulichen Materialien kann zu Verdauungsproblemen, Vergiftungen und sogar zum Tod führen. Auch die Qualität von Fleisch und Milch kann beeinträchtigt werden, was die Gesundheit der Menschen gefährdet, die diese Produkte konsumieren.
Obwohl Tanja zunächst nicht begeistert davon ist, einen Abschnitt auf dem Plage Blanche zu fahren, kann ich sie schließlich überreden. Nach einer vom Saharawind gebeutelten Nacht verlassen wir den Parkplatz und fahren hinunter auf den riesigen Strand. Vereinzelt stehen Camper auf dem Sand, fast auf Meereshöhe, was vermutlich bedeutet, dass die Flut diese Region normalerweise nicht erreicht. Starker Wind weht uns entgegen. Die Szene wirkt ein wenig skurril. Beim Fahren über den teils festgefahrenen Sand schlägt mein Abenteuerherz höher. Da hier auch normale Wohnmobile stehen, sind wir relativ entspannt, denn wo diese fahren können, sollte es für unsere Terra Love kein Problem sein.
Auf der einen Seite liegt ein Fjord mit wahrscheinlich flachem Wasser, auf der anderen Seite schlagen die Wellen des Atlantiks auf den Sand. An manchen Stellen erheben sich kleine Dünen, über die der Wind feinen Sand in die Luft wirbelt.
Ein Freund hat uns vor wenigen Tagen gewarnt, dass es hier in der Nähe Stellen gibt, die aus extrem feinem, noch dazu feuchtem Sand bestehen, in dem nach seiner Aussage jedes Fahrzeug hoffnungslos versinkt. Der Sand ist so tückisch, dass, wenn man hineingeraten sollte, nicht gerettet wird, weil auch die Fahrzeuge darin versinken, die einen bergen könnten, was im schlimmsten Fall bedeutet, sein Wohnmobil zu verlieren.
Aufmerksam beobachten wir den Untergrund und folgen den Fahrspuren vor uns, sodass wir sicher sein können, nicht aus Versehen in ein solches gefährliches Sandfeld zu gelangen. Abgesehen davon haben wir nicht geplant, jetzt 170 Kilometer am Plage Blanche entlangzufahren, sondern nur ein paar Kilometer, um, wie viele andere Offroader, ein bisschen das Gefühl zu bekommen, wie es ist, auf dem berühmten Strand zu fahren. Als der Sand weicher wird, halte ich an, um die mittlere und hintere Differentialsperre einzulegen, und plötzlich geschieht das, wovor wir die ganze Zeit Angst hatten.
Mein Puls schlägt bis zum Hals. Haben wir auf der kurzen Strecke wirklich das Pech gehabt, in ein solch verhängnisvolles Sandfeld geraten zu sein? Ich kann es einfach nicht fassen und ärgere mich maßlos, nicht von Anfang an auf Tanja gehört zu haben. Schnell steige ich aus, um zu sehen, wie tief wir eingesunken sind. Um Tanja nicht nervös zu machen, versuche ich zu lächeln und hole das Manometer, um Luft aus den Reifen zu lassen. „Warum habe ich das nicht schon früher gemacht?“, wird sich der eine oder andere fragen. Nun, bisher fuhren wir auf hartem Sand, da war es einfach noch nicht nötig, und abgesehen davon waren wir gerade im Begriff, umzukehren.
Ein Wüstenbewohner taucht plötzlich auf. Woher er gekommen ist? Keine Ahnung. Er ist freundlich und, anstatt nur zuzusehen wie einige Camper, die nur einen Steinwurf von uns entfernt sind, beginnt er sofort mit seinen bloßen Händen, den Sand um die Reifen wegzugraben. Was für eine üble Situation, die in keinem Verhältnis zum Spaß am Strand entlangzufahren steht. Selber schuld, geht es mir unentwegt durch den Kopf.
„Und was geschieht, wenn die Flut kommt? Wann kommt die Flut überhaupt? Wie viel Zeit haben wir noch? Werden wir unsere Terra Love verlieren?“, wirbeln meine Gedanken durch mein zunehmend panisches Gehirn. Nachdem mein von Gott gesandter Helfer und ich die im feuchten, feinen Sand versunkenen Reifen so weit wie möglich ausgegraben haben, legen wir die Sandbleche – in unserem Fall Traction Boards – in die freigelegte Spur vor den Reifen. So hoffen wir, dass unsere Terra Love wieder Halt findet und ich sie aus dem Sand befreien kann.
Der Moment der Wahrheit ist nun gekommen. Ich steige in die Terra ein und konzentriere mich. Ich habe nur einen Versuch – wenn der nicht klappt, müssen wir von vorne beginnen, und die Zeit bis zur nächsten Flut läuft uns davon. Ich lege die Untersetzung ein, gebe beherzt Gas, es ruckelt kurz und dann… sind wir wieder frei. Yeaa!
Was für ein Abenteuer. Wäre da nicht die Angst um unsere Terra Love gewesen, um unser Zuhause, unser Heim auf Rädern, unseren Stolz und Augenweide und unsere Zukunft für die Reise nach Südafrika und den Rest der Welt, hätte ich sicherlich nicht solche Angst gehabt. Vielleicht war sie auch unbegründet, aber für uns war es das erste Mal, dass wir uns in einem sicherlich nicht ungefährlichen Landstrich festgefahren haben. Zum Glück ist alles gut ausgegangen.
Ist dir auch schon einmal Ähnliches widerfahren? Oder achtest du darauf, erst gar nicht in so eine Situation zu geraten? Wirkliches Abenteuer ist letztendlich schwer kalkulierbar. Hat man es gemeistert, fühlt man sich großartig. Ist es schiefgegangen, würde der eine oder andere sagen: „Siehst du, ich habe dich ja gewarnt.“ Und genau dann, wenn die Herausforderung zuschlägt, lebt man im Hier und Jetzt. Man spürt den Pulsschlag und vergisst alle Sorgen, die man bisher hatte. Letztendlich ist es genau das, was ein wirkliches Abenteuer ausmacht.
Wir wollen uns nicht ins Boxhorn jagen lassen und freuen uns auf weitere Abenteuer. Wir bleiben zuversichtlich und bemühen uns, den Adrenalinpegel in Grenzen zu halten.
Hier ist der Link zum Video: