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Abbrechen
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Rumänien/Fischerhütte

Wieder unterwegs

N 44°29'36,7'' E 026°39'01,9''

Ich öffne meine Augen und starre an die weiße Zimmerdecke. Draußen zwitschern die Vögel und die Sonne taucht den Tag in ein grelles Licht. Tanja schlummert noch friedlich neben mir. Ich beobachte sie eine Weile und frage mich wie es uns heute ergehen wird? Heute ist der Tag der Tage. Bald ein Jahr habe ich darauf gewartet und jetzt ist es soweit. Eine Wallung der Aufregung durchbebt meinen Körper. Wie jeden Morgen nutze ich die frühe Stunde, um meine Rückengymnastik zu betreiben. Die alte Matratze ist nicht gerade geeignet dazu aber egal, sie gibt mir genügend Halt, um meinen Muskeln die nötige Bewegung zu verschaffen. “Wie fühlst du dich?”, fragt Tanja mit einem Lächeln auf den Lippen. “Großartig”, schwindle ich ein wenig, denn obwohl ich im letzten Jahr viel trainiert habe würgt mich ein flaues Gefühl. “Ist nur Radfahren Mann”, beruhigt mich meine innere Stimme.

Nach einer ausgiebigen Dusche und einem leckeren Frühstück beladen wir unsere riese und müller Räder. “In welche Tasche kommen meine Sandalen?”, frage ich vor Aufregung etwas unkoordiniert. “Hinten links”, antwortet Tanja. Dann belade ich den Anhänger und am Ende stehen die schwer bepackten Roadtrains fertig aufgepackt in Huibs Garage. “Seit ihr soweit?”, möchte er wissen. “Ja, es kann losgehen”, antworten Tanja und ich. “Wann werdet ihr an der Kreuzung sein?”, fragt Huib noch mal. “In 30 Minuten”, sage ich und versuche meine unsichere Stimme in den Griff zu bekommen. Dann schieben wir unsere Drahtesel aus der Garage auf die staubige Dorfstraße. Etwas wackelig schwingen wir uns in den Sattel und, ich kann es kaum glauben, meine Beine lassen die Drehtkurbel kreisen. Nichts geschieht, außer, dass wir die ersten Meter voranrollen. Wir drehen uns noch mal um und winken den Nachbarn von Huib, die auf der Piste stehen und uns nachsehen. “Hurra!”, ruft Tanja freudig. “Hurra!”, antwortet es aus meinem Mund. Wir biegen auf den schmalen Asphaltstreifen und holpern den ersten leichten Hügel hinab. Das Wetter ist perfekt. Es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt. Menschen stehen an ihrem Gartenzaun, auf der Straße oder vor ihren Häusern und winken verhalten. Ganz Mariuta weiß das die zwei Deutschen heute aufbrechen. Vorbei geht es an von der Sonne verbrannten Feldern. Ab und zu durchfahren wir leichte Rauchschwaden. Plastik wird verbrannt und verpesstet die Dorfluft. Als wir durch sind riecht es wieder wie es auf dem Land riechen soll. Vögel trällern ihr morgendliches Lied. Die ersten Autos überholen uns und empfangen uns mit ihren Hupen. Die Fahrer freuen sich offensichtlich die zwei fremdartig aussehenden Radfahren zu sehen. Kurz bevor die Dorfstraße auf die Bundesstraße trifft überholt uns Huib mit seinem Jeep. Er bringt uns freundlicher Weise die schweren Anhänger nach damit wir uns die ersten Kilometer an die beladenen Räder gewöhnen können. Unter den interessierten Blicken einiger Passanten kuppeln wir dann die Anhänger an die Räder. “Vielen Dank noch mal für Deine große Hilfe”, bedanken wir uns bei Huib. “Keine Ursache, es war mir ein Vergnügen. Ich wünsche euch eine gute und sichere Reise”, antwortet er lachend. Wieder schwingen wir uns in den Sattel, winken ein letztes Mal und lassen unseren Engel in menschlicher Gestalt hinter uns.

Ab jetzt gilt es den Blick nach vorne zu richten und Vergangenes hinter uns zu lassen. Die ersten Meter schwanken unsere Straßenzüge noch ein wenig doch mit jedem Meter mehr gewöhnen wir uns wieder an das Gepäck. Obwohl wir einiges an Ausrüstung zurückgelassen haben wiegt mein Rad inklusive Anhänger ca. 105 Kilogramm und Tanjas Rad ca. 80 Kilogramm. Klar ist die Frage berechtigt warum wir soviel Gepäck dabei haben? Also am Luxus liegt es sicherlich nicht, denn als erfahrene Expeditions- und Reiseprofis sind wir es gewohnt darauf zu verzichten. Es liegt einzig und alleine an der Technik. Da wir über unsere Tour online in unsere Webseite berichten brauchen wir einen Laptop, einen Laptop allerdings der auch die ständigen Erschütterungen aushält ohne sofort sein Zeitliches zu segnen. Wir brauchen Film und Fotokameras, Objektive, Kabel, Speicherchips, Solarpattel, Akkus um unsere Erlebnisse zu dokumentieren. Warum brauchen, wird sich der eine oder andere fragen. Weil wir es uns zur Aufgabe gemacht haben unsere 30 jährige große Reise in Bild, Film und Schrift zu dokumentieren. Darin sehen wir unsere größte Aufgabe, unsere Berufung, unseren Job und unser Leben. Deswegen also radeln wir dieses Gewicht. Ein Gewicht welches für einen Radler eine gewaltige Herausforderung bedeutet. Schon Hügel mit einer Steigung von 7% werden ernsthafte Aufgab für Körper und Geist. Die ersten 3000 Kilometer vom Bodensee bis hierher haben uns aber gezeigt das unser Vorhaben machbar ist. Obwohl viele eingefleischte Radler meinten es sei nicht durchführbar. Manche waren sich auch sicher, dass wir bald aufgeben würden. Nun, bisher haben wir nicht aufgegeben. Ganz im Gegenteil hat uns die Reise trotz Anstrengung viel Freude bereitet und jetzt, nach der unfreiwilligen Unterbrechung, sind wir noch mehr motiviert als vorher unser Ziel zu erreichen. Doch was bedeutet es schon das Ziel zu erreichen? Geht es im Leben doch darum sich des Lebens zu erfreuen. Womit ich meine, dass jeder Mensch zwar mindestens ein Ziel benötig, aber doch nur deswegen damit wir Menschen einen Weg besitzen. Also, der uralte Spruch, der Weg ist das Ziel hat seine Berechtigung. Als Reisende haben wir diesen Spruch inhaliert, wir haben in verstanden und sind uns darüber klar, dass es im Leben darauf ankommt unterwegs zu sein. Das ist für mich mein Ziel. Das bedeutet für mich Lebensfreude, das bedeutet für mich die Quelle der Erfahrungen ständig anzapfen zu dürfen, Neues zu lernen, zu begreifen, Weitsicht zu erlangen. Es bedeutet schlechthin ein hochwertiges, bis zum Anschlag erfülltes Leben leben zu dürfen. Es bedeutet aber auch diese Erfahrungen mit anderen Menschen teilen zu dürfen, mit Menschen die unsere Erfahrungen nicht machen können, aus welchen Gründen auch immer. Aber es ist auch wichtig zu erwähnen, dass jeder Mensche, ob Reisender oder nicht, seine Erfahrungen sammelt. Dabei ist es egal wie er unterwegs ist. Hauptsache er ist unterwegs. Denn unterwegs sein heißt nichts anderes als zu Leben. Wie wir Menschen unterwegs sein wollen ist uns überlassen. Der Eine zieht es vor seinen Lebensinhalt im Luxus zu suchen. Ein großes Auto, ein schönes Haus, eine neue Stereoanlage, ein Plasmabildschirm usw. Wir ziehen es vor diesmal unsere schweren Räder zu strampeln und zwar freiwillig, mit Freude und Zuversicht. Keiner von uns weiß was am Ende dabei raus kommt. Wir Menschen haben unsere Taten selbst zu verantworten. Eines ist mir aber schon lange klar, Tanjas und mein Leben ist bisher voll erfüllt. So angereichert mit Ereignissen und Erfahrungen, das, sollte es einmal zu Ende gehen, wir nichts versäumt haben. Es ist seltsam, kaum beginnt der Alltag des Radfahrens kreisen meine Gedanken schon wieder um die Sinnfrage unserer Tour. Ich bin erleichtert für den positiven Gedankenstrom.

“Denis? Wollen wir da vorne mal anhalten?”, ruft Tanja. “Klar, gerne!”, antworte ich und lenke mein Roadtrain in die Raststätte. “Guten Tag. Sie dürfen ihre Fahrräder gerne dort drüben parken. Setzen sie sich doch dort unter die Bäume. Da haben sie Schatten”, lädt uns der junge Tankwart freundlich ein. Wir sind angenehm überrascht schon am ersten Tag solch eine schöne Begegnung zu haben. Durch die ersten 25 Km ermüdet lasse ich mich in den Stuhl sinken während Tanja in den kleinen Laden geht. Es dauert nicht lange und ich falle in einen Schlaf der Erschöpfung. Die Aufregung, ob alles klappt, ob meine Psyche mir einen Streik spielt und dieser Aufbruch wieder von einem unvorhersehbaren Zwischenfall vereitelt wird, hat mich mehr mitgenommen als ich mir eingestehen möchte. Tanja kommt zurück und bringt mir einen Kaffee. “Geht’s dir gut?”, fragt sie. “Klar”, antworte ich gähnend.

Ein freundlich dreinblickender Mann kommt auf uns zu. Er reicht Tanja eine Rose und einen kleinen Teddybären. “Ein Geschenk für dich. Er soll euer Talisman sein und euch beschützen”, verstehen wir. “Oh das ist aber sehr nett. Vielen, vielen Dank”, antwortet Tanja lachend. Auch der Tankstellenbesitzer lacht. Dann drückt er dem kleinen Kerl aus Stoff auf den Bauch. “I love you! I love you!”, plärrt dieser, worauf wir alle zusammen herzhaft lachen. “Ich fühle, dass du müde bist. Wir besitzen nicht weit von hier einen kleinen See und eine bescheidene Hütte. Wenn ihr wollt dürft ihr dort gerne die Nacht verbringen. Es ist ein schöner, ruhiger Ort. Keiner wird euch stören. Wir wollen dafür kein Geld”, bietet uns der Sohn des Tankstellenbesitzer an. Tanja und ich trauen unseren Ohren kaum. Als völlig fremde Menschen sitzen wir hier, bekommen eine Rose, und einen Talisman geschenkt, einen Kaffee spendiert und jetzt auch noch das Angebot einer kostenfreien Übernachtung. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen? Oder doch? Ist dass das Leben? Ja das ist es. Das Leben eines Reisenden. Auch solche Begegnungen können einen ganz unverhofft widerfahren. Obwohl wir heute noch nicht weit gekommen sind brauchen wir nicht lange, um uns zu entscheiden. “Wir würden gerne bleiben”, sage ich, worauf sich die Familie regelrecht freut. Nur wenige Minuten danach fährt uns ein alter Datcia voran. Wir folgen ihm bis wir die Hauptstraße verlassen und auf eine Erdstraße abbiegen. Die Landschaft wird immer schöner und lieblicher. Kleine Seen tauchen auf. Der Datcia hält vor einer niedlichen Hütte. Hier sind wir, sagt Andrei, der Sohn des Tankwarts, aus dem Auto steigend. Er hat sein Englisch im Internet gelernt weshalb wir uns sehr gut verständigen können. Sofort kehrt Dan, der Vater von Andrei, die Hütte sauber. “Fühlt euch wohl hier”, sagt er in gebrochenem Englisch. Wenn nachts jemand kommen sollte nutze diese Lampe. Leuchte einfach auf ihn und er weiß, dass Jemand da ist. Das wird ihn vertreiben. Solltet ihr trotzdem Probleme mit ungebetenen Gästen haben geben wir euch unsere Mobilnummer. Euer Handy funktioniert doch?”, möchte er wissen. “Ja”, antworten wir über die unverhoffte Gastfreundschafft noch immer überrascht.

Andrei und Dan verlassen uns wieder. Plötzlich, als wären die Beiden eine Fata Morgana gewesen, sind wir an dem lieblichen See alleine. “Was soll ich dazu sagen?”, frage ich Tanja. “Hm, tolle Menschen, die Rumänen”, antwortet sie. “Stimmt”, meine ich nachdenklich und bin froh wieder unterwegs zu sein. “Magst du Nudeln mit Tomatenpesto von Rapunzel?”, fragt sie. “Oh jaaa”, rufe ich und fühle wie mir das Wasser im Mund zusammenfließt. Augenblicke später sitzt ein Topf mit Wasser auf dem Kocher. Es dauert nicht lange und Tanja hat uns ein leckeres Mahl bereitet. Obwohl wir heute nur 27 Kilometer zurückgelegt haben besitze ich einen Bärenhunger. Wir genießen das einfache Essen, blicken auf den See und beobachten die Schafherde am dem gegenüberliegenden Ufer. Ein Schäfer geht seelenruhig seiner Aufgabe nach und treibt die blökende Menge ganz gemächlich in einen nahe Einfriedung. Als wären wir Gäste in einem Kino lassen wir die beruhigende Szene auf uns wirken. Die Sonne verabschiedet sich mit glühendem Rot hinter dem Hügel. Als es dunkel ist blasen wir unsere Isomatten auf und legen uns auf die kleine Terrasse der Fischerhütte. Wegen den Moskitos kriechen wir in unsere Schlafsäcke und schwitzen. Gegen drei Uhr Morgens kommt starker Wind auf der die Mossis verjagt.

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