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Wie in einem Film

N 44°26'48.2 E 026°03'41.6

“Custom! Custom!”, reißt uns mitten in der Nacht eine Stimme unsanft aus dem Schlaf. Wir öffnen die Abteiltür und reichen unsere Pässe hinaus. “Was haben sie in der Box?”, möchte der rumänische Beamte wissen. “Campingausrüstung”, antworten wir und erklären das wir mit den Rädern von Deutschland bis nach Burma unterwegs sind. Er nickt, sieht uns etwas ungläubig an, stempelt die Dokumente und wünscht uns eine angenehme Nacht.

Am kommenden Tag genießen wir die Fahrt. Weil wir wegen der vielen Ausrüstung in unserem Schlafabteil nicht sitzen, sondern nur liegen können, stehen wir davor und sehen aus dem Fenster. Seit wir in Rumänien sind hat sich das Landschaftsbild geändert. Wir fahren durch Täler der Karpaten, über Brücken, durch tiefe, kräftiggrüne Wälder, arme Dörfer, vorbei an zerfallenen Fabriken, heruntergekommenen Gebäuden und angeschlagene Bahnhöfe. Die eiserne Schlange scheint sich durch blühende Felder zu wühlen, auf denen die Bauern und Arbeiter das Heu und Gras noch mit der Sichel ernten. Gruppenweise arbeiten sie in gebückter Stellung und rechen mit der Hand das Raufutter für die Tiere. Manchmal beobachten wir einen Mann der mit einer Mistgabel auf einem kilometerlangen Feld steht und wie im Mittelalter der unendlichen Arbeit trotz. Wir fühlen uns wie in einem Film, einem Film der uns unwirkliche Bilder vorgaukelt, doch uns ist bewusst hier der nackten Realität in die Augen zu sehen. Direkt vor unserer Haustür arbeiten die Menschen noch wie bei uns in Westeuropa vor hundert Jahren. Die Felder werden noch mit dem Pferde und Ochsenpflug bestellt und man muss sich sein tägliches Brot mit Schwerstarbeit beschaffen. “Kaum vorstellbar das Rumänien bereits 2007 in die EU aufgenommen werden soll”, staune ich.

“Haben sie ein Ticket für ihre Räder?”, fragt uns plötzlich ein rumänischer Zugbeamter. Mit Zeichensprache erklären wir ihm, dass wir alle Papiere besitzen. Grantig dreinblickend verschwindet er und sucht seinen österreichischen Kollegen auf. Wir können beobachten, dass er uns verteidigt, trotzdem kommen beide wieder zu uns. “Er möchte etwas für sich herausschlagen”, erklärt uns der hilfsbereite Österreicher mit der Schulter zuckend. “Hier ist unser Gepäckticket. Wir haben sogar ein Dreimannabteil für uns gebucht”, erklärt Tanja freundlich lächelnd. “Wir fahren mit dem Rad nach Burma. Verstehen sie? Ist sehr weit. Fahren nach Rumänien zurück. Waren letztes Jahr schon in ihrer Heimat”, fügt sie noch hinzu und macht mit ihren Armen kreiselnde Bewegungen und schnauft wie ein Walross, um den Beamten das Treten zu simulieren. Plötzlich lacht dieser und das Eis ist gebrochen. Er wünscht uns einen schönen Tag und lässt uns unbehelligt.

Wenig später unterhalte ich mich mit dem netten Österreicher. “Wissen sie warum wir mit so einem alten Schlafwagen nach Rumänien fahren?”, fragt er mich. Ich schüttle den Kopf. “Wir sind mal mit modernen Waggons gefahren. Ein rumänischer Techniker kam, hielt seine Hand an den Generator und sagte er ist heiß. Wegen vermeintlicher Brandgefahr musste der Waggon in Rumänien bleiben. Wochen später bekamen wir den Waggon vollkommen leer zurück. Es fehlten die Betten, der Generator und alles an wertvoller Technik. Da ist der Grund”, erklärt er mir. So erfahre ich die eine oder andere Geschichte die mich ins Staunen versetzt aber auch erklärt wie hoch in diesem Land die Gefahr von Diebstahl und Korruption ist.

Mit 40 Minuten Verspätung erreichen wir den Bahnhof von Bukarest. Wir sind nervös weil wir angeblich nur 15 Minuten zum Entladen haben. Außerdem besteht die Gefahr, dass wir während des Ausladens Teile unserer Ausrüstung durch Diebstahl verlieren. Da wir nur zu zweit sind und wir nicht gleichzeitig auf dem Bahndamm oder im Abteil sein können. Es gibt zwielichtige Gestalten die nur auf die Gelegenheit warten bis Gepäcktücke für wenige Augenblicke unbeobachtet herum liegen und schon ist es geschehen. “Machen sie sich keine Sorgen. Ich helfe ihnen und habe auch unserem Sicherheitsmann bescheid gegeben beim Ausladen ihrer Ausrüstung aufzupassen”, beruhigt uns der österreichische Schaffner. Noch ehe ich mich versehe packen er und der Sicherheitsmann die schwere Anhängerbox und tragen sie auf den Bahndamm. Ich kann so meinen Rücken schonen. In Hand umdrehen haben wir zu viert alles auf den Bahndamm getragen ohne einem Dieb nur die geringste Chance einer Gelegenheit zu bieten. Wir verabschieden uns von den hilfsbereiten Menschen, bauen die Räder an die Anhänger, klicken die Ortliebsatteltaschen an die delite-black-Räder und schieben sie in die Bahnhofshalle. “Ich sehe mich mal nach einem Hotel um”, schlage ich vor. “Okay, ich warte hier und passe auf die Räder auf”, antwortet Tanja. Müde und gerädert von der langen Fahrt schleppe ich mich über den Gehweg zu einem Hotel von dem mir der Schaffner berichtete. “Was, 70 Euro?”, frage ich erschrocken und begebe mich zu dem Hotel in dem wir letztes Jahr vor unserer Abreise hausten. Obwohl es sehr heruntergekommen ist freue ich mich endlich in ein Zimmer zu kommen in dem wir uns ausruhen können. “Tut mir leid, wir sind ausgebucht”, höre ich und laufe zum nächsten Hotel nur 200 Meter weiter. “Kein Problem wir haben ein Zimmer für sie”, antwortet die freundliche Frau an der Rezeption. Aus Erfahrung sehe ich mir die Unterkunft erstmal an. Sie kostet knapp 40 Euro und hat das Wort Zimmer kaum verdient. Ich würde es eher mit einem verwanzten Loch vergleichen. Es stinkt nach altem Rauch und über den getrennten Betten liegen Decken die seit Jahren nicht mehr gewaschen wurden. Das Türschloss ist von jedem Leihen in Handumdrehen geknackt und mein Gefühl sagt mir, dass wir unsere Ausrüstung dort nicht für wenige Minuten zurücklassen können. Geknickt laufe ich zu Tanja zurück und erkläre ihr die Situation. Wir entscheiden uns dass 70 Euro-Hotel zu nehmen und schieben unsere Räder hin. “Tut mir leid aber wir sind ausgebucht.” “Was? Ich war doch gerade eben noch bei ihnen und habe nach einem Zimmer gefragt”, wundere ich mich. “Sie haben nach dem Preis gefragt aber nicht ob wir ein Zimmer frei haben”, entschuldigt sich die junge Frau freundlich. Dann empfiehlt sie uns das Hotel Orhideea, welches nur einen Kilometer entfernt sein soll. Wir schwingen uns in die Sättel und strampeln im Berufsverkehr von Bukarest über die Hauptstraße. Ich muss mich höllisch konzentrieren das schwere Rad mit Anhänger nicht gegen den Randstein zu fahren. Wir sind nun seit über 36 Stunden unterwegs und obwohl bisher alles gut verlaufen ist sind wir beide todmüde. Im Augenwinkel kann ich beobachten wie ein Autofahrer hinter uns den Verkehr blockiert damit wir unbehelligt vorankommen. Als wir gegenüber vom Hotel Orhideea auf den Gehsteig fahren winkt er uns freundlich zu. “Muss einer unserer Schutzengel sein!”, rufe ich müde und schiebe mein Gefährt über die belebte Verkehrsader.

“Ja, wir haben ein Zimmer für sie”, vernehmen wir. Wir können es kaum glauben aber das Hotel hat erst vor vier Wochen eröffnet, ist somit nagelneu, mit Klimaanlage und allem was sich ein müder Reisender wünscht ausgestattet. Außerdem macht es einen sicheren Eindruck, unsere Räder bekommen einen eigenen absperrbaren Raum und noch dazu kostet es nicht mehr als 50 Euro pro Nacht. Im Vergleich zu den anderen Unterkünften die wir bisher hin Bukarest gesehen haben, ein Traum. Erleichtert schaffen wir mit der Hilfe eines Angestellten die Ausrüstung in unsere Unterkunft in der wir die nächsten Tage verbringen wollen, um uns zu akklimatisieren und den weiteren Weg bis zum Schwarzen Meer auszuarbeiten. Glücklich über den bisherigen Verlauf der Reise, dem Durchhalten meines Rückens und der guten Unterkunft genießen wir eine Dusche und nehmen eine Mütze voll erholsamen Schlafs.

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