Weihnachten 2020
Liebe Freunde der Großen Reise,
Seit Tagen denke ich darüber nach, wie ich den diesjährigen Weihnachtsnewsletter beginnen soll, denn die gewohnten, zwar liebgemeinten Weihnachtswünsche sind, so finden Tanja und ich, irgendwie nicht angebracht. Aber in das allgemein Leid mit einzusteigen passt auch nicht zur Weihnachtszeit. Das bekommen wir zu Genüge durch jegliche Form der Medien um die Ohren gehauen. Die negative Informationsflut ist derart stark, dass auch die Psyche eines Hartgesottenen ins Schwanken geraten kann. Also was schreiben, um der aktuellen Situation und dem kommenden Fest der Liebe gerecht zu werden? Nach langem Grübeln fliegen meine Gedanken ein paar Wochen in die Vergangenheit, an einen anderen Ort, der vermeintlich nichts mit dem Hier und Jetzt etwas zu tun hat, und doch scheint es Übereinstimmungen zu geben.
Wuuuuiii! Fegt eine heftige Orkanböe um unsere Terra Love, sodass sie beängstigend schwankt und das Fahrgestell bedenklich ächzen lässt. „Wird sie standhalten?“, fragt Tanja in einem Ton, den ich bei ihr nur kenne, wenn sie stark beunruhigt ist. Wuuuuiii! Hämmert es erneut gegen die Kabine unserer mobilen Behausung. Der Wetterbericht warnt vor dem Orkan der Stärke 11. „Die Terra wiegt über 6 Tonnen. Solange uns keine herumliegenden Gegenstände treffen, sind wir hier sicher. Die Spielrunde mit Ajaci sollten wir allerdings verschieben, bis sich der Wahnsinn da draußen ein wenig beruhigt“, antworte ich mit betont ruhiger Stimme. Jedoch lässt der Sturm nicht nach. Im Gegenteil scheint Mutter Natur sich entschieden zu haben, noch einen Gang höher zu schalten. Der Sand am Strand wird jetzt von sich ständig verändernden Windrichtungen ins Nordmeer geblasen. Aus dem Fenster blickend sehen wir wie Fallwinde aus dem Gebirge hinter uns die heranrollenden Wellen treffen und sie regelrecht zerreißen lässt. Dann dreht der Wind blitzartig, fährt erneut in die zusammenbrechenden Wellenkämme, scheint sie wie von Zauberhand in die gebeutelte Luft zu heben, wo sie sich in Wasserstaubfontänen im Nichts auflösen. Wuuuuiii! Donnert es erneut gegen die Terra. Diesmal trifft uns eine mit Sand geladene Böe, die übers Meer kam. Es rauscht derart, dass wir Bedenken haben, der Lack und die schöne Folierung unseres Expeditionsmobils könnte Schaden nehmen. Am nächsten Morgen ist die Situation unverändert. Tanja ist mit Ajaci draußen, um ihn zu entleeren. Sie kommen wohlbehalten wieder zurück. An manchen Tagen ebbt der Sturm ab, nur um Kraft für seine nächste Attacke zu holen. Wir beginnen uns an die Wettersituation zu gewöhnen und uns mit ihr zu arrangieren. Nach zwei Wochen gehört das nordische wilde Klima zu unserem Alltag. Während unserer Norwegenreise standen wir mit der Terra über drei Wochen auf der Insel Senja 350 km nördlich vom Polarkreis am einsamen Steinfjord, um die Erlebnisse der vergangenen Wochen niederzuschreiben. Dabei erlebten wir fernab unserer Heimat zahlreiche Winterstürme.
Auch wenn uns die Naturgewalten manchmal heftig Angst einjagten, konnten wir mit ihnen umgehen, konnten sie bis zu einem gewissen Maß einschätzen. Anders und weit mehr beängstigend waren die Nachrichten, die uns aus Deutschland ereilten. Dort und über die ganze Welt fegte ein unfassbarer und unbegreiflicher Orkan, der zwar keine Bäume abknickte und Autos durch die Luft fliegen ließ, sondern eher die Grundfeste der menschlichen Zivilisation erschütterte. Es war ein Sturm, der optisch nicht sichtbar war, sondern ganz subtil aus dem Untergrund arbeitete. „Bleibt dort so lange ihr könnt. – Corona macht uns das Leben jeden Tag schwerer. – Unsere Freiheit wird erneut eingeschränkt. – Eine Ausgangssperre droht. – Weihnachten wird dieses Jahr traurig“, lasen wir neben einigen Verschwörungstheorien, die uns noch mehr verunsicherten.
Trotz der gut gemeinten Ratschläge und Warnungen wollten wir den engsten Kreis unserer Familie während des Festes nicht alleine lassen und sind nach Hause zurückgekehrt. Eine hoffentlich gute Entscheidung, denn wir waren am virensichersten Ort der Welt. Kaum angekommen geraten wir in den Coronasturm. Auch eine Laune der Natur? Zumindest vergleichbar mit einem Orkan, vor dem man sich aber bis zu einem gewissen Grad schützen kann und der wie alles im Leben irgendwann ein Ende findet. Das menschliche Leben besteht aus dem Auf und Ab. Aus Höhen und Tiefen, nur dass es diesmal nicht den Einzelnen erwischt, sondern uns alle. Jeder von uns ist mehr oder weniger betroffen. Egal ob reich oder arm, das Virus macht vor keinem Halt, vor allem, weil es keine Emotion kennt. Ganz im Gegenteil erzeugt es den Anschein, dass die menschliche Emotionalität unsere verwundbarste Stelle ist die das Virus gnadenlos attackiert. Unser Abwehrsystem hingegen ist unser logisches Denkvermögen. Wir können entscheiden, wen und ob wir jemanden umarmen, wann und warum wir das Haus verlassen. Tanja und ich sind zuversichtlich, dass wir dieser Herausforderung entgegenwirken können. Das wir Weihnachten auch im kleinen Stil genießen können. Vielleicht noch mehr als in den Jahren vorher, da wir uns ganz und gar auf Mutter und Vater, soweit sie noch leben, einlassen können. Dass wir uns bei ihnen für all ihre Liebe bedanken dürfen, die sie uns ein Leben lang entgegengebracht haben. Also ein wirklich besinnliches Fest ohne große Feier, ohne großes Besäufnis, ohne Familienzwist. Eine Feier der Ruhe, der Nähe zu unseren Liebsten. Vielleicht ist gerade diese Weihnacht die tiefste, innigste Weihnacht, die uns beschert wird.
In diesem Sinne wünschen wir Dir ein frohes, besinnliches Fest der Liebe. Wir wünschen Zuversicht, Kraft, viel Energie, noch mehr Gesundheit und die Erkenntnis, dass alles, egal was es ist, ein Ende findet.
Denis & Tanja
Mit unseren Bikes unter der Aurora am Steinfjord
auf der Insel Senja. Senja ist die zweitgrößte Insel
Norwegens und liegt etwa 350 km nördlich des
Polarkreises in Nordnorwegen.
Stürmische Brandung an der Nordseite
der Insel Senja. Senja ist die zweitgrößte Insel
Norwegens und liegt etwa 350 km nördlich des
Polarkreises in Nordnorwegen.
Ajaci an einem einsamen Strand. In der Nähe
des stärksten Gezeitenstrom der Welt unweit
der Stadt Bodo. Nördlich des Polarkreises in
Nordnorwegen.