Was soll ich schreiben?
N 47°44'839'' E 009°08'824''Tag: 15
Sonnenaufgang:
06:06 Uhr
Sonnenuntergang:
20:50 Uhr
Luftlinie:
22,59 Km
Tageskilometer:
36,43 Km
Gesamtkilometer:
347,63 Km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt, 25 % Schotter, Waldwege
Temperatur – Tag (Maximum):
25 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
14 °C
Temperatur – Nacht:
10 °C
Breitengrad:
47°51’904“
Längengrad:
009°23’154“
Maximale Höhe:
750 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
12.00 Uhr
Ankunftszeit:
17.00 Uhr
Durchschnittsgeschwindigkeit:
11,50 Km/h
Der anscheinend ständige Begleiter dieses Sommers, der Regen, hat den Tag fest im Griff. Wir haben uns aus dem Zelt geschält und in einer kurzen Regenpause unser Frühstück eingenommen. Wie hat Bauer Schmidt gesagt? “Das ist ja richtig ungemütlich.” Bauer Schmidt hatte Recht, es ist richtig ungemütlich und der miserable Sommer frisst schon zum jetzigen Zeitpunkt an unserer Reisemoral.
“Wo soll ich denn bei diesem Sauwetter schreiben?” frage ich Tanja. Setzt dich doch in deinen schönen Stuhl und fang an.” “Aber ich weiß nicht was ich schreiben soll? Was haben wir denn schon erlebt? Das bringe ich nie zu Papier”, jammere ich. “Na dann schreib einfach in kurzen Worten was geschehen ist. Fasse alles zusammen. Du musst Dir nicht so den Kopf zerbrechen”, antwortet sie um mich zu motivieren. “Aber ich weiß nicht mal in kurzen Worten was ich schreiben soll. Die Menschen werden sich tierisch langweilen. Soll ich denn berichten was Bauer Schmidt uns gefragt hat?” “Zum Beispiel.” “Aber das interessiert doch keine alte Sau”, protzle ich vor mich hin und stelle meinen leichten Klappstuhl in den nassen Rasen. Kaum klappe ich den Computer auf, blenden mich die ersten Sonnenstrahlen des Tages. “Mann, da brauche ich ja ne Sonnenbrille”, murre ich weiter, erhebe mich und stelle den Stuhl in den Schatten des nahen Baumes. Kaum lasse ich mich nieder, bläst der kalte Wind in meine Hosenbeine und lässt mich erschaudern. “Unter solchen Bedingungen kann kein Mensch schreiben”, fluche ich schlecht gelaunt. “Du hast schon unter anderen Bedingungen geschrieben”, tröstet mich die Stimme meiner Frau worauf ich meinen Itronix-Laptop schnappe und zur Kneipe der Naturfreunde hoch schlurfe. Zigarettenrauch verschlägt mir den Atem. Der Nachrichtensprecher des Radios haut mir die negativen Weltneuigkeiten um die Ohren und ein paar Kinder rasen schreiend und quietschend durch die Gaststätte. Sofort mache ich kehrt und untersuche den Raum in dem die Naturfreunde ihre Feste feiern. Bierbänke und Tische stehen fein säuberlich aufgereiht in der zur einen Seite offenen Räumlichkeit. Es ist dunkel und kalt. An der hinteren Fensterseite trifft ein einziger Sonnenstrahl auf die Bierbank. Angezogen von dem Lichtfleck setzte ich mich auf den Strahl der mir nun den Rücken wärmt. Ich kaure vor dem leeren Bildschirm und versuche meine Gedanken zu ordnen. Mir wird heiß und kalt und ich habe das Gefühl das ich nie mehr in meinem Leben meine Gedanken zu Papier oder besser gesagt in den Laptop tippen kann. Mein Kopf ist leer. Ich reibe mir die Augen und sehe aus dem Fenster. Verlassene Bänke, ein ebenfalls verlassener Grillplatz und Feuerstelle scheinen mich in ihrem traurigen Zustand anzugähnen.
Mein Kopf ist immer noch leer. Keine Gedanken. Am liebsten würde ich das Ding vor mir wieder zuklappen und mich zu Tanja gesellen. Der Frust hier alleine in dieser verlassenen kalten Zelle zu sitzen und über die letzten fünf Tage nachzudenken scheint eher größer zu werden. Nun verweile ich hier, sehe aus dem Fenster und kann nicht gerade sagen in diesem Moment Glück zu verspüren. Spinnen krabbeln mit ihren langen Beinen an der Wand vorbei. Die wissen wenigstens was sie tun denke ich mir. Dann beobachte ich die Fliegen die sich auf dem Tisch niederlassen. Nachdem sie darauf geschissen haben surren sie weiter. Eine Maus rennt vorbei, bleibt stehen, sieht zu mir hoch und scheint sich zu wundern was dieser einsame Mensch hier tut. Sinn und Unsinn unserer Unternehmung kreuzt es mir durch die Gehirnwindungen. Kaum habe ich den Gedanken realisiert ist er wieder vorbeigerauscht, ist es wieder leer in meinem Kopf. Ich spüre den warmen Sonnenstrahl in meinem Rücken und freue mich darüber. Ein positiver Gedanke. Seit einer Stunde sitze ich nun da und der Sonnenstrahl fällt immer noch auf den gleichen Fleck. Eigenartig. Eigenartig aber schön. Meine Stimmung wird etwas besser. Der Nebel der Leere lichtet sich langsam, Stück für Stück. “Schreib doch einfach dass euch die Bodenmüllers die ersten Kilometer begleitet haben”, schießt es mir durch den Kopf. “Aber das ist doch stink langweilig”, antwortet es in mir. “Das lass mal jemand anderen beurteilen. Es ist dein, euer Leben. Kein Leben ist langweilig. Egal was geschieht, es ist immer eine interessante Geschichte. Es ist immer der Winkel der Betrachtung. Oder glaubst du nicht?” höre ich seit der Wüste in Australien wieder meine innere Stimme. “Meinst du?” antworte ich und bin im gleichen Atemzug belustig über mein stummes Selbstgespräch. “Na klar meine ich. Stell dir vor jemand der in Afrika lebt oder in einer Wüste in der es keine Flüsse gibt, keine grünen Bäume und vor allem keine Menschen die mit dem Fahrrad nach Burma fahren wollen. Glaubst du nicht das die so eine Geschichte interessant finden?” “Denke schon dass so eine Erzählung für diese Menschen etwas Neues ist. Aber für die Menschen in Deutschland ist so etwas doch eher unbefriedigend.” “Es gibt aber auch viele Menschen die nie mit dem Rad fahren, oder gerade weil sie mit dem Rad fahren können sie mit euch fühlen. Wie du es auch immer drehst und wendest, schreib einfach was geschehen ist und mach dir keine Gedanken über interessant, langweilig oder uninteressant. Schreib einfach.” “Okay, na dann beginne ich einfach mal. Du hast Recht. Also fange ich mal damit an, dass es uns bei Bodenmüllers mit jedem Tag besser gefallen hat und wir trotzdem froh darüber waren unseren jungfräulichen Radtrip fortsetzen zu können.” “Genau, das ist doch schon mal der Beginn.”
Wieder unterwegs
Nachdem die Räder mit einem neuen Ritzel und besseren Anhängerkupplungen versehen sind, das erste Update mit Sattelitentelefon in der Webseite veröffentlicht wurde, freuen wir uns auf neue Erlebnisse.
Der Himmel ist wie in den letzten Wochen Wolken verhangen und verspricht weiteren Regen. Seit sieben Tagen hat es jede Nacht geschüttet was das Zeug hält. Weil Familie Bodenmüller ihre Ferienwohnung vermietet hatte verbrachten wir die Nächte im Zelt. Manchmal glaubte ich einen Zeltkoller zu bekommen. Das ewige Getröpfel auf der Stoffbahn hat irgendwann einmal den Grad der Unannehmlichkeit erreicht, dass man sich nur noch ein trockenes Bett wünscht.
Ingrid und Alfred lassen es sich nicht nehmen uns an diesem Tag mit ihren Rädern zu begleiten. Alfred kennt einige Schleichwege. “So können wir die meisten Hügel dieser Gegend umgehen”, sagt er. Trotzdem sind wir gezwungen unsere Drahtesel immer wieder zu schieben. Nach 22 Km erreichen wir Alfreds Lieblingsplatz an dem er gerne wohnen würde. Es ist ein betagter Bauernhof in einem lieblichen Tal. Ein kleiner Hund bellt, um uns zu zeigen dass er hier der Herr ist. Hühner gackern und flattern aufgeregt herum. Nach mehrmaligem Hallo-Rufen kommt ein altes Mütterchen aus der Tür. Mit gebeugten Rücken und einem geschnitzten Holzstock humpelt sie auf uns zu, um uns zu begrüßen. Ihre Erscheinung erinnert mich an die Märchen der Gebrüder Grimm. Sie scheint sich über die Abwechslung unseres Besuches zu freuen. Seit Jahren wohnt sie schon alleine in ihrem alten Haus und hat nur selten Gäste. Alfred kauft ihr zwei staubige Flaschen Bier ab. Wir nutzen die Gelegenheit um bei der alten Dame unsere Mittagsrast einzulegen. Gerne setzt sie sich zu uns an den Tisch der vor dem leeren Schweinestall steht und ist interessiert an den Neuigkeiten die ihr Alfred erzählt.
Nach etwa 30 Kilometern verabschieden sich Ingrid und Alfred von uns. Ab jetzt dürfte es nicht mehr viel bergauf gehen”, meint Alfred. “Wäre schön”, antworten wir und sagen Auf wieder sehen. Kaum verschwinden die Beiden hinter der nächsten Biegung sind wir uns nicht sicher welche Richtung wir einschlagen sollen. “Da ist das Zeichen zum Campingplatz!” ruft mir Tanja zu als ich glatt vorbeigefahren bin. Wir biegen in die kleine Seitenstraße ein. Sie verschwindet in einem Wald und führt so steil bergauf, dass wir trotz der neuen Übersetzung unserer Räder gezwungen sind zu schieben. Über eine Stunde drücken wir die Fahrradlastwagen den Höhenzug hinauf. Oben angelangt sind wir fix und fertig. “Gibt es hier irgendwo einen Zeltplatz?” frage ich am Rande des Dorfes eine Frau die im Garten ihre Wäsche aufhängt. “Ja, ihr müsst dort hinten den Berg hinauf, an zwei kleinen Bauernhöfen vorbei, durch ein Waldstück und dann immer gerade aus. Dort trefft ihr auf den Buhof. Die haben auch einen Zeltplatz”, schockiert uns ihre Antwort. “Ist das noch weit?” frage ich. “Nein, nein, das schafft ihr locker. Ich mache die Strecke sogar immer wieder mit meinen Kindern”, antwortet sie, worauf wir uns nicht sicher sind ob ihre Aussage beruhigend ist. Weitere 20 Minuten später erreichen wir den etwa 750 Meter hoch gelegenen Buhof.
Außer ein paar Dauercamper, die auf dem hübschen Bergrücken ihre Wohnwägen parken, hat sich hier trotz Hauptsaison kein einziger Zelturlauber eingefunden. Wir haben nahezu den gesamten Platz für uns und stellen müde und erschöpft unsere Behausung auf. Der einzige Trost für uns ist, das die zarten Sonnenstrahlen die Regenwolken vertrieben haben und wir in den nächsten Stunden nicht damit rechnen müssen wieder nass zu werden.