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Vorbereitung der RED EARTH EXPEDITION

Situationsbericht und Höllenritt

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Woneroo — 03.03.2000

Auch wenn es unwahrscheinlich klingt, sind die letzten Wochen hier in West Australien in keinster Weise einfacher verlaufen als die vergangenen 8 Monate und ich habe in meinem Expeditions- und Reiseleben das erste Mal ernsthaft über ein Aufgeben nachgedacht, bevor wir überhaupt aufgebrochen sind.

Die nervliche Belastung, die vielen Menschen, die einem ständig Ratschläge erteilen wollen, obwohl einige davon sehr gut gemeint sind, der Neid, die Missgunst und die Geldgier mancher, machen uns das Leben nicht gerade einfach.

Neben den Ausläufern eines Zyklons, dem gefährlichen Höllenritt auf Sebastian, einer weiteren menschlichen Katastrophe die uns wieder dazu gezwungen hat die gesamte Basis zu verlegen, hatten wir auch viel Glück, dass unser gesamter Wohnwagen mit all der teuren Ausrüstung nicht einfach abgebrannt ist.

Trotz allem erfahren wir in unserer Not geradezu unbeschreibliche Hilfsbereitschaft, Freundschaft und Warmherzigkeit die uns den Glauben an die Menschheit nicht verlieren lässt.

HÖLLENRITT AUF SEBASTIAN

Seit einigen Tagen reiten wir wieder unsere Kamele aus, um zu sehen, ob sie bereits Gelerntes vergessen haben. Eigentlich möchte ich auf Sebastian reiten und Kadesch, Istan, Jafar und Hardy an Sebastians Sattel anbinden. Es soll ja ein Test sein wie sich unsere Kamele in der Gruppe verhalten. “Ich würde erst mal nur mit Sebastian und Hardy anfangen,” schlägt Tanja vor. Nach einiger Überlegung gebe ich ihr recht, denn aus Sicherheitsgründen ist es besser nur mit zwei Kamelen auszureiten. Wie immer steige ich in den Sattel und befehle Sebastian mit dem Wort “epna” aufzustehen. Er reagiert sofort, springt auf und los geht’s in den nahen Wald. Tanja geht nebenher, um im Notfall eingreifen zu können. Schon nach wenigen Minuten fühle ich mich sicher und führe Sebastian um einige Bäume und Sträucher herum. Hardy, der mit einer Leine an Sebastians Hals festgebunden ist läuft gelangweilt hinterher. Plötzlich verlangsamt Sebastian seinen Schritt. “Walk up! Walk up Sebastian!”, befehle ich ihn mit fester Stimme. Doch Sebastian reagiert nicht. Nach weiteren erfolglosen Versuchen ihn zu einem schnelleren Schritt zu bewegen, bitte ich Tanja mir einen Stock zu suchen mit dem ich Sebastian einen Klaps auf sein Hinterteil geben kann.

Tanja gibt mir kurze Zeit später einen ausgetrockneten dünnen Ast. Wieder Befehle ich meinem Reittier schneller zu laufen, den Ast als Gerte benutzend. Obwohl der Ast sofort abbricht beschleunigt Sebastian augenblicklich in normaler Marschgeschwindigkeit. “Gut Sebastian, sehr gut!”, lobe ich ihn. Doch kaum habe ich mich gefreut, beginnt er im Zickzack hin und her zu laufen, mal an jenen Busch und mal an einem anderen Busch fressend. Ihm scheint es völlig egal zu sein ob ich Kommandos erteile oder nicht, denn er tut gerade das, wozu er Lust hat. Sebastian scheint vergessen zu haben wer der Herr ist und das ist für eine Expedition durch die Outback Australiens eine echte Katastrophe. Wir müssen mindestens zwischen vier und fünf Kilometer pro Stunde zurücklegen, um Strecke zu machen. Außerdem kann es unmöglich sein, dass unser Leitkamel plötzlich so unerzogen reagiert.

“Such mir noch mal einen Ast!” rufe ich Tanja zu, während ich versuche Sebastian zum Weiterlaufen zu bewegen. Der Schotterweg führt nun leicht bergab als Sebastian seinen Schritt beschleunigt. “Ja wunderbar! Guter Junge!”, frohlocke ich. Anscheinend ist er durch mein Lob angespornt, denn er wird noch schneller. Wieder freue ich mich, doch als er unaufgefordert in leichten Trab verfällt straffe ich sicherheitshalber die Zügel. Doch Sebastian denkt nicht daran seinen Schritt zu verlangsamen, ganz im Gegenteil, er beschleunigt seinen leichten Galopp. “Langsamer Sebastian!”, rufe ich. Als hätte ich ihm das Kommando zu Durchstarten gegeben, steigert er die Geschwindigkeit zum rasenden Galopp. Als er dann noch eine ganze Serie von Bocksprüngen hinlegt wird mir himmelangst. Krampfhaft halte ich mich mit der rechten Hand am Sattelgriff fest und ziehe mit der linken die Zügel so eng, dass er seinen Kopf wie eine Kobra in die Höhe streckt. Plötzlich hört jeglicher Spaß auf. Er rast in unkontrollierter Geschwindigkeit über den groben Schotter als der Sattel zu rutschen anfängt. Ich bemerke, dass Hardy Schwierigkeiten hat das Tempo zu halten, er wird wie eine Flagge im Wind hinterhergezogen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis ich falle und sollte ich den Sturz aus dieser Höhe bei diesem Tempo überleben werden mir Hardys stampfende Füße den Rest geben. Mein Herz rast und ich kämpfe ganz plötzlich um mein Leben. “Stand! Stand! Stand!”, brülle ich. Mir schmerzen die Hände und die Lunge. Dann taucht nur etwa 500 Meter vor uns der Great Eastern Highway auf. Sebastian rast ungebremst auf die schwer befahrene Hauptstraße zu. Es kann nur noch Sekunden dauern bis der Sattel nach rechts weggerutscht ist und ich unter die rasenden Hufe komme, oder von einem der Road Trans überrollt werde, wenn Sebastian die Straße kreuzt. Die Gedanken rasen: “Soll ich abspringen?” Urplötzlich erinnere ich mich an die mahnenden Worte unserer Reitlehrerin auf der Insel Lombok. “Wenn dein Hengst durchgeht kannst du ihn nur bremsen indem du den Zügel nach rechts oder links reißt! Vergiss das nicht!” Kurz vor dem Highway reiße ich blitzartig Sebastians Nasenleine nach rechts worauf er augenblicklich in einen großen Bogen galoppiert. Mit aller mir noch zur Verfügung stehenden Kraft halte ich die Nasenleine einseitig gezogen und der Kreis wird enger bis Sebastian zum Stehen kommt. Er tänzelt schnaubend wie ein wilder Hengst, wieder kurz vor dem Durchbrechen. “Usch! Usch Sebastian!”, brülle ich mit brennenden Lungen um ihm zum absetzen zu bewegen.

Von weitem höre ich Tanja schreien. Sie rast wie ein Sprinter den Schotterweg entlang und nur Augenblicke später hat sie uns schwer atmend erreicht. Sofort greift sie Sebastian am Halfter und befiehlt ihm mit harter Stimme sich abzusetzen. Endlich gibt er nach und geht langsam, aber widerwillig nach unten. Rasend vor Wut springe ich ab und schreie ihn an. Mir ist bewusst, nur mit knapper Not davongekommen zu sein. Mir schlottern die Knie und ich habe Probleme sie unter Kontrolle zu halten. Tanja und ich fallen uns in die Arme. Nach einer kurzen Verschnaufpause steige ich wieder in Sebastians Sattel. Obwohl ich mir des Risikos bewusst bin, ist das die einzige Chance ihm für alle Zeiten zu zeigen, wer hier der Meister ist. Ich bin heilfroh, dass er es einsieht und wir erreichen ohne weitere Zwischenfälle die kleine Farm. Erst jetzt verspüre ich die Schmerzen. Das Resultat dieses Höllenritts ist ein ausgekugelter Mittelfinger.

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