Schafsschere, pralle Muskeln & nackte Realität
N 22°55’24,4“ E 145°06’30.4“Tag: 195-196 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 586-587
Sonnenaufgang:
05:25
Sonnenuntergang:
18:46-18:48
Gesamtkilometer:
5909 km
Temperatur - Tag (Maximum):
38°-42° Grad, Sonne ca. 62°-67°
Temperatur - Nacht:
19°-28° Grad
Breitengrad:
22°55’24,4“
Längengrad:
145°06’30.4“
Glenample-Camp — 27.11.2002 – 28.11.2002
„Wollt ihr mal zusehen wie Schafe geschoren werden?“ ,fragt uns Terry. „Gerne,“ antworten wir und machen uns am späten Nachmittag zu der Schafsschererhütte auf. Tanja und ich sitzen auf einem der kleinen Allradfahrzeuge die wie ein Motorrad aussehen, nur das sie vier Räder besitzen. Wir knattern bei ca. 64° Grad in der Sonne über das Farmgelände und stellen unser Gefährd vor der großen, aus Wellblech errichteten, Scheune ab. Terry und seine Tochter Kerryn begrüßen uns lachend.
Als wir die riesige Halle betreten hämmert uns moderne Popmusik entgegen. Sechs Schafsscherer, vier Frauen, die die geschorene Wolle aussortieren und ein Mann an der Wollpresse versetzen die nüchterne Halle in einen brodelnden Kochtopf. Sprachlos bleiben wir am Eingang stehen und beobachten erst mal die Szene die absolut nichts mit meiner romantischen Vorstellung des Schafscherens des vergangenen Jahrhunderst zu tun hat. Auf einer Art 1 ½ Meter hohen und etwa 15 Meter langen Rampe, beugen sich sechs muskulöse und in der gnadenlosen Hitze schwitzende Männer über je ein Schaf. Um ihren strapazierten Rücken auf Dauer nicht zu schaden hängen die Männer mit ihren nach vorne gebeugten Oberkörpern in einem Gurt der wiederum an Federn befestigt ist. Auf diese Weise wird ein großer Teil der Belastung genommen. Im Vergleich zu früher sind so die zwangsläufigen Gesundheitsschäden stark zurückgegangen.
In einer kaum zu beschreibenden Geschwindigkeit lassen die Akkordarbeiter einen elektrischen Langhaarschneider über den Schafskörper gleiten. Nur selten halten sie für ein paar Sekunden inne, um dessen Scherblätter zu ölen oder auszutauschen. Dann, als wäre so ein 40 Kilogramm schweres Tier ein Federgewicht, drehen sie es in einer spielerischen Leichtigkeit von links nach rechts, klemmen es sich zwischen die Beine oder legen es auf dem Rücken. Im rasenden Rhythmus der sich überschlagenden Musik dauert es im Schnitt nur 2,3 Minuten bis ein Schaf seinen ca. 20 Kilogramm schweren Wollmantel verliert. Kaum hat es seine wertvolle Bekleidung gelassen schiebt der Scherer das verwundert, ängstlich um sich blickende und von dem Rasiermesser an manchen Stellen geschnittene Tier auf eine Rampe. Von dort rutscht es in ein Gehege, welches sich unterhalb der Plattform befindet. Wenn es dann leicht auf den Boden plumpst, wird es von seinen Artgenossen blökend begrüßt.
Jeder Scherer lässt seine fertig geschorenen Schafe in sein eigenes Gehege gleiten. Somit weiß man am Abend genau wie viel Schafe der Einzelne Scherer geschafft hat. Terry zahlt den Männern 1.9,- $ pro Schaf. Ein Scherer kann also an einem Achtstundentag je nach seinem Geschick gut und gern 400,- Dollar verdienen. Im Durchschnitt schafft ein Mann 200 Tiere am Tag. Manche sogar 250 und mehr. Es gibt unter den Scheren regelrechte Legenden. Ein Aborigine zum Beispiel hat vor langer Zeit mit einer manuellen Schafswollschere weit über 300 Tiere am Tag geschoren.
Staunend stehe ich nun neben Bungy, dem Boss des Schafsschererteams. Durch den harten Job sieht er eher wie ein Bodybuilder aus. Seine starken, tätowierten Oberarmmuskeln sind bis zum platzen gewölbt. Der Schweiß rinnt ihm in Strömen über seine glänzende, sonnengebräunte Haut. Er hat keine Zeit, um mich zu registrieren. Zeit ist Schaf und Schaf bedeutet Geld.
Kaum hat er seinem erstaunten Vierfüßler vom viel zu warmen Mantel befreit, schnappt er sich ein weiteres Marinoschaf, welches auf der Plattform hinter dem Arbeitsplatz mit Hunderten von anderen darauf wartet seine Wolle abzugeben. Bungy, Mauarick, Jacko, Jay, Jeffry und John produzieren durch ihre konzentrierte Akkordarbeit unaufhörlich solche Mengen von Wolle, dass die vier Frauen unterhalb der Rampe wie die flinken Wiesel hin und herrasen müssen. Sie nehmen die gerade vom Schaf gefallene Wolle und werfen sie auf einen Sortiertisch. Gleich hier wird sie in verschiedene Qualitätsunterschiede eingeteilt. Eine Frau, die eine zweijährige Ausbildung hinter sich hat, übernimmt diese Aufgabe. Mit fachmännischem Blick und rasend schnellen Fingern prüft sie die Wolle auf Brüchigkeit, Reißfestigkeit und Feinheit. Je nach Qualität wird sie von Jackie, Marie, Lisa und Tahnee in dafür vorgesehene Sektoren geworfen. Auch die in der unmenschlichen Hitze schwitzenden Frauen können unserer Kamera nur einen flüchtigen Blick entgegen werfen. Als würde es schneien fliegt die weiße Wolle vom Sortiertisch im hektischen Takt der heißen Musik in die verschiedenen Klassifizierungssektoren.
Hier ist David, der Mann an der Wollpresse gefragt. Mit beiden Armen greift er die Pracht auf und steckt sie in eine hydraulische Presse. Während die Frauen für ihre Arbeit je 140,- Dollar pro Tag bekommen, verdient er 10,- Dollar für einen fertig gepressten Ballen. Auch er ist bald gezwungen im Laufschritt von den verschiedenen Sektoren zur Wollpresse zur springen, um nicht glatt in einem Wollberg unterzugehen.
Terry und seine Tochter sind mit dem Nachschub und Abtrieb der Schafe voll beschäftigt. Vor der Einzäunung stehend, in dem sich die geschorenen Schafe befinden, öffnen sie ca. alle zwei Stunden das Gatter, um die Tiere in ein Sammelgehege zu entlassen. Kaum ist es offen springt eine Wolke von splitternackten Schafen durch die Luft. Kerryns Augen haften wie hypnotisiert an den vorbeirasenden Vierfüßlern. „53!“ ,ruft sie ihrem Vater zu der auf der anderen Seite des Gatters steht und seiner Tochter wohlwollend zulächelt. „Ist ja nicht zu fassen. Wie könnt ihr denn in der kurzen Zeit so viele Schafe zählen?“ ,möchte ich verblüfft wissen. „Wir zählen sie in Dreiergruppen. Auf diese Weise sind wir in der Lage Hunderte, ja Tausende von Tieren zu zählen,“ antwortet Terry während Kerryn die Zahl in ein Heft einträgt. „Verzählt man sich da nicht?“ ,staune ich. „Kaum. Diese Zähltechnik ist sehr genau. Unsere Kinder sind damit allerdings aufgewachsen. Ihnen ist diese Arbeit in Fleisch und Blut übergegangen,“ erklärt er mich anlachend.
Es ist 17:00 Uhr als auf einen Schlag jeder der Scherer seine Langhaarschneider abstellt. Fast gleichzeitig wird der CD-Player ausgeschaltet und plötzlich herrscht eine Ruhe in der ich glaube das Echo des unfassbaren Treibens nachhallen zu hören. Wie benommen stehe ich da und schüttle meinen Kopf. „Mein Gott. Welch ein Wahnsinn. Diese Menschen müssen sich nach solch einem Tag so fühlen als hätte sie ein Roadtrain überrollt,“ sage ich leise zu Tanja auf die blökenden Schafe blickend die neben der Halle auf ihren morgigen Auftritt warten. „Sie haben sich ihr Geld hart verdienen müssen,“ antwortet Tanja ebenfalls sichtlich beeindruckt.
Nur Minuten später brausen die Autos der Scherer davon. Die Meisten von ihnen fahren in ihren 70 Kilometer von hier entfernten Heimatort. Manche allerdings bleiben hier und übernachten in den Schafsschererunterkünften. Kaum sind die Männer in einer großen Staubwolke verschwunden steigt die 17 Jahre junge Kerryn in den Tracktor, um die 200 Kilogramm schweren Wollballen auf den farmeigenen Roadtrain zu laden. Insgesamt werden in nur einer Woche 10.000 Schafe geschoren. Bei einem durchschnittlichen Wollpreis setzt Terry und seine Familie damit 500.000 $ um. Die Familie besitzt 20.000 Schafe, womit sie in diesem Jahr eine Millionen Dollar verdienen werden. „Kann man mit einem Umsatz von einer Millionen Dollar so eine große Farm mit all den vielen Maschinen und Fahrzeugen gewinnbringend betreiben?“ ,interessiert es mich. „Wenn der Wollpreis so bleibt, ja. Die letzten 10 Jahre war der internationale Wollpreis allerdings so im Keller, dass viele der Schafsfarmen aufgeben mussten. Wir sind heute froh die lange Durststrecke durchgehalten zu haben. Heute ist Wolle wieder kostbar. Du kannst den internationalen Wollmarkt wie eine Börse sehen. Der Preis wird von der Nachfrage bestimmt. Wir hatten in Australien einen riesigen Wollberg. Jetzt gibt es keine mehr und wir können nicht genug herstellen, um den Weltmarkt zu befriedigen. Es ist ein unaufhörliches Auf und Ab. Diejenigen die die Nerven, das Durchhaltevermögen und die Rücklagen haben, um die Durstrecken zu überbrücken, werden immer Geld verdienen,“ erklärt er mir und macht sich mit seiner Tochter auf, um alle geschorenen Schafe des heutigen Tages mit einem Lausmittel zu behandeln.
Tanja und ich setzen uns auf eines der Gatter, um den Beiden zuzusehen. Die Sonne steht nun tief. Endlich lässt der heiße Atem des Windes etwas nach. Die Schatten werden länger. Gewitterwolken formen bedrohliche Türme. Die bald verschwindende Sonne zündet sie mit ihren glühenden Farben an, steck sie in Brand und lässt sie einen feurigen, atemberaubenden Reigen tanzen. Es dauert eine kleine Ewigkeit bis das heiße Licht des unaufhörlich explodierenden Sonnensterns sich mehr und mehr zurückzieht. Bis die Wolkenformationen uns ihre unheilschwangeren, dunklen Farben zeigen und uns ein Schauspiel bieten welches wir hier in Australien schon bald ein Jahr nicht mehr beobachten durften.
MORD UNTER DEN SCHAFSSCHERERN
Am Abend sitzen wir wieder an dem großen Tisch im Farmhaus. Wir genießen zusammen ein köstliches Essen und unterhalten uns über den ereignisreichen Tag. „Morgen werden wir nicht ganz so viele Schafe scheren können. Einer unserer Scherer ist als Hauptzeuge vor Gericht geladen,“ sagt Terry. „Warum muss er denn vor Gericht?“ ,frage ich. Einer seiner Scherermates ist recht brutal mit den Schafen umgegangen. Er hat sie grob herumgeworfen und mit der Faust geboxt. Die armen Schafe haben während des Scherens eh schon eine sehr stressvolle Zeit. Es sind die friedlichsten Tiere die ich mir vorstellen kann. Sie beißen nicht, treten nicht und können sich auch nicht wehren. Es ist also völlig unnötige sie so zu behandeln. Das ist der Grund warum er seinem Boss davon erzählt hat wie sein Kollege mit den Tieren umgeht. Der Boss hat daraufhin ein Auge auf den angeklagten Scherer geworfen und festgestellt, dass er in der Tat gewalttätig mit den Schafen umgeht, worauf er ihn sofort entließ.“ „Kann ich verstehen,“ sage ich, nehme einen Schluck Bier zu mir und frage: „Und warum ist der Fall jetzt vor Gericht? Haben sie sich daraufhin geprügelt?“ „Viel schlimmer. Der Scherer, der morgen der Hauptzeuge ist und letztendlich der Auslöser für die Entlassung war, hat mit seinem besten Mate an einer Bar ein paar Bier getrunken. Plötzlich kam der Entlassene relativ angetrunken von hinten auf die Beiden zu, zog ein Messer und stach seinem Freund ohne Vorwarnung in den Hals. Während der Täter von ein paar anderen Barbesuchern entwaffnet wurde, versuchte er seinem am Boden liegenden, schrecklich blutenden Freund zu helfen. Obwohl er mit seinem Finger auf die Blutung drückte, konnte er die aufgerissenen Halsschlagader nicht abdrücken und musste zusehen wie er noch in der Bar starb. Es war ein guter Junge. Erst 22 Jahre alt. Er hatte nichts mit dem Streit zu tun. Er saß zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Eigentlich wollte der Mörder seinen Ankläger, der daneben saß, erstechen. Er hat nur einen Fehler gemacht und die Beiden verwechselt.“ „Hmmm, was für eine schlimme Geschichte. Ist ja furchtbar. Und was glaubst du wie viel Jahre er für diese schreckliche Tat bekommt?“ „Ich weiß nicht. Bisher ist er auf Kaution frei herumgelaufen. Sein Anwalt plädiert auf Selbstverteidigung.“ „Auf Selbstverteidigung?“ „Ja. Das ist das Letzte. Ich bin froh kein Anwalt sein zu müssen der aus beruflichen Gründen einen Mörder um die verdiente Strafe bringen will.“
EINE MILLIONEN DOLLAR FÜR EINEN WOLLBALLEN
Es dauert einige Zeit bis sich unsere Befangenheit nach dieser unglaublichen Geschichte wieder legt. Dann wechselt Terry das Thema.
„Es ist nicht lange her als ein Schafsfarmer auf einer Auktion eine Millionen Dollar für einen einzigen Wollballen bekam und damit einen neuen Weltrekord erzielte,“ beginnt Terry eine kurze Geschichte. „Eine Millionen Dollar für einen einzigen Wollballen? Wie hat er denn das angestellt?“ ,frage ich verblüfft. Wie ihr wisst benötigen wir 20.000 Schafe, große Ländereien, und einen beachtlichen Fuhrpark, um mit unserer Wolle eine Millionen Dollar zu erwirtschaften. Der Farmer von dem ich spreche hat kein Land, sondern nur eine Scheune.“ „Nur eine Scheune? Wie hat er denn das Wunder zustandegebracht“ ,fragen wir. „Er sperrte 120 Schafe in eine Scheune, um sie vor jeglichem Sonnenlicht zu schützen. Dann steckte er jedes Schaf in einen speziellen Mantel. Auf diese Weise kam die Wolle mit keinem Schmutz und Staub in Berührung. Ein Jahr später konnte er aus ca. 80 Schafen 200 Kilogramm der reinsten und feinsten Wolle scheren die die Welt je gesehen hat.“ „Ist ja unglaublich. Und wer kauft einen einzigen Wollballen für eine Millionen Dollar?“ „Eine italienische Designerfirma für Anzüge.“ „Mein Gott, ich möchte nicht wissen was die für einen Anzug verlangen müssen, um ein Geschäft zu machen,“ meine ich.
VERLORENE GLIEDER RETTETEN MEIN LEBEN
Terry ist wie jeden Abend in guter Erzählstimmung. Wir ergänzen uns mit spannenden Geschichten. Es ist ein Abend an dem unsere Gefühle auf und abgeschleudert werden. Ein Abend in dem wir staunen und ein Thema das andere ergibt. Unter großen Lachtränen berichte ich von Sebastian der während einer unserer ersten Ausritte nicht laufen wollte. „Er bewegte sich wie eine Schnecke. Bis ich ihm dann mit einem morschen Stock auf den Hintern schlug, dann ging er ab wie eine Rakete. Ich konnte ihn kaum noch bremsen und am Ende habe ich mir den linken Mittelfinger ausgekugelt. Ich sage euch das wahr wirklich nicht witzig,“ schließe ich meine Geschichte während wir alle unsere Lachtränen aus den Augen wischen.
„Ich hatte auch mal einen Hengst mit sehr eigensinnigem Charakter. Jeden Morgen hat er erst mal ein paar schlimme Bocksprünge hingelegt, bis ich ihn reiten konnte. Dann war er aber ein wunderbares, temperamentvolles Tier. Er hatte eine unangenehme Eigenschaft, denn er nahm beim Hochspringen seinen Kopf zwischen seine Vorderbeine. Eines Morgens ist er wieder wie ein Verrückter herumgesprungen, nahm wie gewohnt seinen Kopf zwischen die Vorderbeine und ist so auf einen Baum zugerast. Bevor er es merkte und ich eine Chance hatte ihn davon abzubringen, ist er mit voller Wucht gegen Stamm des Baumes geknallt.“ „Oh nein,“ stöhnen Tanja und ich. „Oh doch. Die Wucht war so stark, dass es ihn von den Beinen riss und wir beide auf den Boden aufschlugen. Er ist sofort wieder hochgesprungen und ich war Gott sei Dank unverletzt.“ „Da hast du aber Glück gehabt,“ werfe ich dazwischen. „Nein, hatte ich nicht. Durch den Schreck ist der Hengst wie ein Besessener davon galoppiert. Leider hatten sich während des Sturzes die Zügel um meinen Daumen und Zeigefinger gewickelt. Ich war sein Gefangener. Er zog mich im rasenden Tempo über Stock und Stein knapp einen Kilometer hinter sich her. Ich hatte einen Revolver an meinem Gürtel hängen und immer wieder darüber nachgedacht ob ich ihn damit während der wilden Hatz erschießen soll. Kam aber zu dem Entschluss es nicht zu wagen. Leicht hätte ich mich dabei selbst verletzen können.“ „Ja und? Wie hast du dann deine Finger wieder aus den Zügeln gebracht?“ ,frage ich aufgeregt. „Gar nicht. Als wir die Schafsschererhütten erreichten ist mein Daumen und das erste Glied meines Zeigefingers einfach abgerissen.“ „Oh nein!“ „Ja. Es hat im ersten Moment nicht weh getan. Wahrscheinlich stand ich unter Schock. Auf jeden Fall retteten mir die abgetrennten Glieder mein Leben. Ich suchte noch einige Zeit mein Fingerglied, habe es aber nicht gefunden. Der Daumen hing noch an einem Hautfetzen.
Ich bin dann so schnell es ging zur Homestead zurückgelaufen und von dort mit dem Auto nach Aramac gefahren. Im Krankenhaus gab es nur eine junge Medizinstudentin. Sie wollte mich nach Longreach schicken, da sie sich nicht zutraute den Daumen wieder anzunähen. „Ich habe keine Zeit um nach Longreach zu gehen. Wir sind gerade dabei die Schafe zu scheren. Nähen sie meinen Daumen einfach an. Er wird schon wieder zusammenwachsen,“ bettelte und redete und redete ich auf sie ein, bis sie es tatsächlich tat.“ „Und ist er wieder angewachsen?“ ,wollen wir wissen. „Ja, da schaut,“ sagt er und zeigt uns seine Hand mit dem fehlenden Zeigefingerglied. „Ich kann ihn zwar nicht mehr abknicken, habe kaum ein Gefühl drin aber er ist mir immer noch eine gute Hilfe.“ „Wau, da hast du aber Glück gehabt. Ich denke heute würdest du erkennen wie wichtig ein Daumen ist und trotz des Schafscherens in ein Krankenhaus fahren?“ „Mit Sicherheit,“ antwortet er herzhaft und laut lachend. „Was hast du denn danach mit dem Pferd gemacht. Hast du den Hengst noch mal geritten?“ „Nein. Ich habe ihm dem Rodeo Komitee geschenkt. War froh ihn auf diese Art loszuhaben,“ antwortet er wieder herzhaft lachend, worauf wir uns kaum halten können laut loszuprusten und befreiend mitzulachen.
AUFREGENDER FUND AUS PRÄHISTORISCHER ZEIT
„Aber es gibt auch viele positive Geschichten,“ erzählt er weiter. „Als mein Cousin David Elliot von Belmont Station vor zwei Jahren seine Rinder mit einem Motorrad zusammentrieb, ist der Fußraster seiner Geländemaschine gegen etwas hartes geknallt. Er ist im hohen Bogen vom Motorrad gefallen. Gott sei Dank verletzte er sich nicht. Natürlich hat er sich den Grund seines unfreiwillige Fluges angesehen. Im ersten Moment dachte er an einen Stein, doch als er den im hohen Gras versteckten Gegenstand genauer ansah, wollte er seinen Augen nicht glauben. Es war ein riesiger, vielleicht 1 ½ Meter langer, versteinerter Knochen.“ „Ein versteinerter Knochen? Der kann doch nur von einem Dinosaurier stammen?“ ,frage ich aufgeregt. „Genau. Er hat das schwere Ding später mit seiner Ute geholt und ihn für längere Zeit als Türhalter benutzt. Nach einiger Tagen kam in ihm der Drang auf noch mal zu der Fundstelle zu fahren. Tatsächlich fand er weitere versteinerte Knochen. Einer Eingebung folgend sendete er dann einen davon ans Museum nach Queensland. Es dauerte nicht lange bis sich ein Experte bei ihm meldete und wenige Wochen später steckte ein Archäologenteam eine Quadratkilometer große Fläche um die Fundstelle ab. Sie waren Monate da draußen und legten eines der größten und best erhaltenen Dinosaurierskelette Australiens frei. Es war eine bisher unbekannte Spezies, also etwas ganz besonderes. Sie benannten das Skelett nach meinem Cousin. Er heißt nun also Elliott. David versucht jetzt ein Dinosauriermuseum in Winton zu eröffnen in dem sein Elliott ausgestellt werden soll. Es war für David ein glücklicher Tag, denn die Regierung hat ihm als Gegenleistung für Elliott auf viele Jahre die Steuer erlassen. Als Rinderstationbesitzer ist das für David ein guter Gewinn…“
„Ist ja eine irre Geschichte. Meinst du da gibt es noch mehr Dinosaurier?“ „Ganz bestimmt. Queensland ist voll davon. Auf meinem Land hier soll es auch ein großes Dinosaurierskelett geben. Ein alter Mann im Dorf spricht immer wieder davon ob ich nun endlich die großen Knochen im Creekbett, einige Kilometer von der Homestead entfernt, gefunden habe. Leider hatte ich bisher nie die Zeit und die Lust dazu dort zu suchen.“ „Das musst du unbedingt tun. Mich würde so etwas brennend interessieren!“ ,sage ich aufgeregt. „Wenn ihr eure Kamele verkauft habt währe es schön wenn ihr uns wieder mit eurem Besuch erfreut. Was hältst du davon wenn wir es zusammen suchen gehen?“ „Oh ja! Eine fantastische Idee. Was meinst du Tanja?“ „Klar warum nicht. Es hängt davon ab wie lange es dauert unsere Jungs zu verkaufen,“ antwortet sie. „Stimmt, aber wenn wir Glück haben dauert es nicht lange und dann suchen wir nach einem Dinosaurier. Eine spannende Vorstellung.“