Plötzlich wickelt sich das Seil um die Füße
N 23°21’57.7’’ E 139°39’17.9’’Marion Downs-Camp — 22.09.2002
Heute ist ein besonderer Tag. Der Tag des Jym Khana Festes in Boulia. Einmal im Jahr wird in vielen Städten des Outback dieses Fest gefeiert. Alle Menschen der umliegenden Stations versammeln sich, um sich gegenseitig in den verschiedensten Reiterwettkämpfen zu messen.
Aufgeregt fahren wir in die kleine Stadt. Als wir das Wettkampfgelände, in dem auch jährlich Kamelrennen stattfinden, erreichen, sind schon viele Menschen anwesend. Überall stehen die Pferdetransporter und Anhänger herum. Der Geruch von frischem Pferdedung liegt in der Luft und die Wettkämpfe sind bereits im vollen Gange. Ohne viel Zeit zu verlieren gesellen wir uns zu den Zuschauern. Angus und sein Vater Robert befinden sich unter den Teilnehmern. Interessiert warten wir auf ihren Einsatz.
Schon Kinder im alter von vielleicht fünf Jahren reiten wie die stolzen Mongolen auf ihren Pferden. Es ist lustig anzusehen, wenn die Kleinen auf ebenso kleinen Ponys, ihre ihnen gestellten Aufgaben lösen. Obwohl es ein richtiger Wettkampf ist wird viel gelacht. Keiner scheint es wirklich verbissen zu sehen und trotzdem strengen sich die Teilnehmer an.
Es geht hierbei darum sein Pferd im vollen Galopp um Hindernisse zu lenken. Bei einem der Wettkämpfe kann ich beobachten wie der Reiter Wasser aus einem Eimer schöpfen muss, dann schnell zu einem anderen Eimer reitet, um den Becher dort zu entleeren. Viermal muss der Teilnehmer den Becher voll schöpfen und viermal muss er ihn entleeren. Es kommt dabei darauf an wer der Schnellste ist und ob der Becher auch wirklich voll geschöpft wird. Die Menschen und ihre Reittiere leisten geradezu Unglaubliches. Staunend beobachten wir das Paarreiten. Zwei Reiter, die in ihren freien Händen ein dünnes Band halten, galoppieren nebeneinander um die Hindernisse. Ohne Zweifel beherrschen diese Menschen das Reiten und zeigen ihr Können.
Gleich neben den Reiterspielen und Wettkämpfen messen sich die Kinder und auch Erwachsene, die mit Reiten nichts zu tun haben wollen, in anderen Sportarten. Es gibt viel Gelächter und Preisgelder bis zu 100 Dollar für den Gewinner der 100 Meter Wettläufe, Seilziehen, Sackhüpfen, Mülleimerziehen, Eierlaufen, Eierwerfen und anderen interessanten Sportarten wie dem einarmigen und zweiarmigen Peitschenknallen und Schafswollballen rollen.
BRONCO BRANDING
Zum gleichen Zeitpunkt findet das Bronco Branding statt. Leanne, die kleine Clara und ich laufen dann zu einer Rindereinzäunung aus der dichte Staubwolken in die heiße Mittagsluft getragen werden.
Beim Bronco Branding muss Ein Reiter aus einer Herde Rinder eine Kuh mit dem Lasso fangen. Wenn er es geschafft hat, zerrt das Pferd die Kuh zu einem Metallgitter. Drei Männer packen dann das blökende Tier. Während einer mit all seiner Kraft das wildausschlagende Rind an das Gitter presst, müssen die anderen Beiden versuchen ein Lasso um den Vorder- und Hinderfuß zu wickeln. Dann wird der Schwanz gegriffen und mit einem gemeinsamen Ruck das Vieh auf die Seite geworfen. Schnell rast ein Ringer zum Brandeisen, tunkt es in Farbe und drückt es dem Tier auf den Leib, um somit das Brandmarken zu symbolisieren. Insgesamt muss der Fänger drei Rinder in einer vorgeschriebenen Zeit fangen und die Ringer es so schnell wie möglich auf die Seite werfen. Das Team, welches die meisten Rinder in der kürzesten Zeit gebrandmarkt hat, gewinnt. Es gibt dabei mehrere Durchgänge und verschiedene Variationen.
Schon beim Zusehen stockt mir manchmal der Atem. Die Jackeroos werden teilweise von den Rindern schrecklich getreten. Einer von ihnen wischt sich gerade seine blutige Nase. Robert, der sich bei diesem Durchgang im Bodenteam befindet, hat die Aufgabe sich um das Hinterbein des gefangenen Rindes zu kümmern.
In diesem Augenblick hat der Fänger wieder sein Lasso um den Kopf einer Kuh geschleudert. Schnell reitet er zu dem Metallgitter in der Mitte der Einzäunung. Das Lassoseil ist am Sattel befestigt. Das Pferd hat alle Mühe das Rind hinter sich herzuziehen. Der Fänger umreitet das Metallgitter, so das er und sein Pferd sich dahinter befinden, während die Kuh auf der anderen Seite von den drei Ringern dagegen gepresst wird. Alles scheint nach Plan zu verlaufen, doch kurz vor dem Metallgitter beginnt die Kuh mit wilden, ekstatischen Bocksprüngen in die Luft zu hüpfen. Sie schafft es irgendwie an dem Gitter vorbei zu springen und befindet sich auf einmal auf der Seite des Pferdes. Der Reiter gibt seinem Pferd die Sporen und versucht das Seil, an dem das wild springende Rind hängt, zu straffen.
Plötzlich herrscht große Unruhe. Mir ist klar, das etwas schiefgegangen ist. Etwas was nicht zum Ablauf dieses friedlichen Wettkampfes gehört. Das Rind rast jetzt in einer wahnwitzigen Geschwindigkeit an dem Pferd vorbei. Die Jackeroos und Robert können gerade noch auf die Seite hechten und somit den durch die Luft fliegenden Rinderhufen ausweichen.
Es kracht als das Rindvieh in die Umzäunung knallt. Dann dreht es sich um die eigene Achse, läuft einen Bogen und in diesem Moment wickelt sich das Lassoseil um alle vier Beine des armen Pferdes. „Geht rein! Helft ihm! Haltet das Rind!“ ,brüllen Stimmen durcheinander. Es kann nur noch Sekunden dauern bis das Pferd auf den Boden kracht. Es strauchelt, versucht sich von dem immer fester schließenden Seil zu befreien, während der Reiter es fertig bringt aus dem Sattel zu klettern. Gewannt springt er auf die nahe Umzäunung und befindet sich außer Gefahr. Die Kuh gebärdet sich wie wahnsinnig und stürmt ungebremst hin und her. Mittlerweile befinden sich etwa 10 Männer im Gehege. Sie hängen sich an das Seil. Versuchen den Zug herauszunehmen, damit sich das Pferd nicht die Beine bricht. Zuspäht. Mit einem lauten Dröhnen donnert der Hengst kopfüber auf den staubigen Boden. Mehr Männer klettern in das Gehege. Befehle werden gebrüllt. Einer der Jackeroos bringt es unter vollen Einsatz fertig das Lassoseil aus dem Sattel zu klicken, während die anderen es ebenfalls schaffen das wildgewordene Rind vom Lasso zu befreien. Schnell laufen sie nun zu dem am Boden liegenden Pferd. Sie wickeln ihm das Seil von den Beinen und lassen es aufstehen. Es hat sich Gott sei Dank keinen Fuß gebrochen und so wie es aussieht nicht weiter verletzt.
Kaum ist das Rind laut brüllend in der Herde verschwunden, setzt sich der Fänger wieder auf sein Pferd. Das Tier hat keine Zeit sich von dem Schock zu erholen und wird auf diese Weise auch in Zukunft seiner harten Rinderarbeit auf der Farm nachgehen können. Leicht aus dem Maul blutend läuft es ängstlich in der Viehherde herum. Der Fänger wirft sein Lasso, doch verfehlt es diesmal sein Ziel. Wieder und wieder verfehlt der Werfer die Rinderköpfe, bis der Gong das Ende der Runde angibt.
Noch Stunden stehen wir da und beobachten die Männer bei ihrem gefährlichen Spiel. Ein etwa fünfzig Jahre alter Mann, der als besonders hart gilt, wird von einem Rind auf die Hörner genommen. Er hechtet sich dann in einem gewagten Sprung auf das Metallgitter in Sicherheit. Ein anderer bekommt einen Schlag auf das Knie. Es schwillt an wie ein Kürbis. Erst am Abend verlassen die Gladiatoren des Outback die Arena.
Sie treffen sich alle unter einem großen Vordach. Stellen sich an die Bar. Es wird kräftig getrunken und gelacht. Wir befinden uns in einer anderen Welt. Im wilden Westen des Outback. In einer Zeit die ich schon lange vergessen glaubte.
STIERREITEN
Die Sonne geht unter. Der Vollmond steigt über die Tribüne und in dem Station, in dem noch vor ein paar Stunden die Pferdewettspiele stattgefunden haben, gehen die Flutlichter an. „Was kommt jetzt?“ ,frage ich Robert. „Stierreiten,“ antwortet er freundlich. „Stierreiten? Du meinst die setzen sich jetzt auf wilde Stiere?“ „Genau. Es ist nicht so gefährlich wie Bullenreiten aber trotzdem eine riskante Schache,“ erklärt er als wir zur Einzäunung gehen.
Es herrscht eine eigenartig, aufgeregte Stimmung. Die Zuschauer auf der Tribüne sehen gebannt nach unten. In aus massiven Stahl gebauten Boxen befinden sich die Rinder. Ab und zu springt eines mit geballter Muskelkraft nach oben. Manchmal knallen die ausschlagenden Hufe gegen das Metall. Junge Männer machen sich für ihren Höllenritt fertig. Sie ziehen sich Helme auf, legen sich aus unzerbrechlichen Kunststoff gegossene Brust und Rückenpanzer an, Ellbogenschoner und Hosen mit langen bunten Fransen. Bewundernde Augen einiger junger Mädchen hängen an den Gladiatoren der Neuzeit. Ein Ansager heizt mit seinen peitschenden Worten die Stimmung auf. Ich sitze mit meiner Filmkamera auf einen Pfosten der Einzäunung und habe eine wunderbare Sicht auf das kommende Geschehen. Einer der Stierreiter wird nun von oben in die Box gelassen, in der sich der Stier befindet. Die Vorderbeine des Stieres sind nach unten gebunden, trotzdem gebärdet er sich beängstigend wild. Es kracht und knallt. Der Reiter fliegt schon in der Box mindestens einen Meter in die Luft. Helfende Hände befördern ihn wieder auf den Rücken des Muskelkoloss. Es herrscht eine Aufregung in den Boxen die kaum zu beschreiben ist.
„Und nun meine Damen und Herren achten sie auf die Box eins! Gleich wird einer der jungen Athleten aus der Gegend von Boulia seinen Höllenritt beginnen! Wir drücken ihm die Daumen!“ brüllt der Ansager als zwei Ringer den schweren Verschlussriegel von dem Eisentor schieben.
Mit einem kräftigen Schlag fliegt die Tür auf und der Stier explodiert in die Arena. Ich halte die Luft an, denn bis auf ein paar Filmbeiträge im Fernsehen habe ich so etwas noch nie live gesehen. Der Reiter und das Rind reißt es für Sekundenbruchteile in die Höhe, nur um augenblicklich danach wie ein Fallbeil auf dem Boden zu donnern. Der Rücken des Athleten wird gestaucht. Dann startet der Stier wie eine explodierende Rakete nach vorne. Der Reiter hält sich mit einer Hand an einem kleinen Stück Seil fest, welches um den Leib des Tieres gespannt ist und dafür verantwortlich, dass er sich so wild gebärdet. Die Zentrifugalkraft zerrt seinen, sich durchbiegenden Körper, nach hinten. Gleichzeitig schleudert das vor Wut schäumende Rind seinen Kopf mit ungeheurer Wucht nach links und rechts. Der Körper des Sportlers bewegt sich in zuckenden Schlangenbewegungen mit. Dann dreht sich das Tier in einer auf und ab hüpfenden Bewegung um die eigene Achse, um seinen lästigen Ballast loszuwerden. Der Mann von Boulia rutscht zur Seite, wird fast in den Staub geschleudert, doch als der Stier den Kreis in einem atemberaubenden Sprint verlässt, kann er sich wieder aufrappeln. Plötzlich ändert das rasende Tier in einer abrupten Bewegung die Richtung und stürmt zur Seite. Der Gladiator fliegt mit gleicher Geschwindigkeit in einem hohen Bogen geradeaus weiter und landet kopfüber im Dreck. Er rollt sich gewand ab und befindet sich nur Bruchteile einer Sekunde danach wieder auf den Beinen. Er reißt die Hände hoch, denn er hat sich die vorgeschriebenen acht Sekunden auf dem Rücken des Monsters halten können. Applaus schallt von der Tribüne. Er nimmt seinen Helm ab und schenkt uns allen sein siegessicheres, glückliches Lachen.
„Achten sie jetzt auf Box Nummer Zwei!“ dröhnt die Stimme des Ansagers durch die Arena und verliert sich im aufgewirbeltem Staub. Wummm, knallt die Tür auf und ein weitere Kamikaze schleudert heraus. Es dauert nur wenige Sekunden bis er mit seiner Schulter auf der roten Erde landet. Wummm, knallt die nächste Tür auf. Diesmal katapultiert es den junge Sportler schon nach wenigen Metern von dem Rücken des entsetzlich erregten Rindviehs. Er fliegt hoch in die Luft und landet mit dem linken Bein zu erst auf der Erde. Bevor er von dem Stier zu Tode getreten wird sprinten die sogenannten Clowns dazwischen. Es sind Ringer, die das Rindvieh ablenken, wenn der Reiter stürzt und ihm schnell wieder auf die Beine helfen. Geknickt humpelt er dann vom Platz.
Insgesamt dürfen wir 10 Athleten bei ihren Höllenritt bobachten. Manche von ihnen schaffen es sich die vorgeschriebene Zeit auf dem Rücken zu halten und mache nicht. Es ist ein Sport der zweifelsohne seinen Tribut fordert. Ein Sport der zweifelsohne das Adrenalin bis zur Schädeldecke pumpt und ein Sport der so machen Athleten nicht alt werden lässt.
„Wie lange kann man so etwas machen bis man kaputt ist?“ ,frage ich Robert. „Oh, ich kenne einige Bullenreiter die sind 45 Jahre alt.“ „45? Das muss aber die Ausnahmen sein?“ ,wundere ich mich. „Oh ja. Die Meisten verletzen sich. Es gibt auch immer wieder tödlich Unfälle. Vor mehreren Jahren hat es den weltbesten Bullenreiter in Amerika erwischt. Beim Sturz haben sich die Hörner des Stiers in seine Brust gebohrt. Er ist noch auf dem Platz gestorben…“