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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Organisiertes Verbrechen – baldiger Bürgerkrieg? – Bilgees Tief

N 51°39'155'' E 099°21'977''
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    Tag: 313

    Sonnenaufgang:
    05:09

    Sonnenuntergang:
    21:30

    Gesamtkilometer:
    1361

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    9°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    4°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 9°C

    Breitengrad:
    51°39’155“

    Längengrad:
    099°21’977“

    Maximale Höhe:
    1858 m über dem Meer

Es ist de facto schwierig solch eine Reise ohne jeglichen Plan anzugehen, durchzuführen oder fortzusetzen. Auf der anderen Seite scheinen Pläne hier nur einen Sinn zu beinhalten und der ist sie über den Haufen zu werfen sobald sie Gestalt angenommen haben. Für uns Europäer ist und bleibt diese unumstößliche Tatsache eine große Herausforderung. Es gibt nur zwei Alternativen, entweder man dreht durch oder nimmt dieses Jo-Jo-Spiel mit stoischer Gelassenheit an. So könnte man die Mongolei auch als einen Lehrmeister betrachten. Wie immer kommt es dabei auf den Blickwinkel an. Aber wie ich es auch drehe und wende, die Herausforderung dieses Land für 15 Monate zu bereisen, in seiner Tiefe zu erleben und dabei nicht einfach ins Gras zu beißen, ist groß. Manchmal glauben wir besiegt worden zu sein und sind nahe daran aufzugeben. Dann erholen wir uns wieder, strecken uns und versuchen aufkommende Hürden mit Ideen und Tricks zu überlisten. So sitze ich mit Saraa im Tipi von Buyantogtoh. Wir grübeln darüber wie man die Visaverlängerung organisieren könnte. Anfang Juli muss Saraa zwei Hongkongchinesen von Ulan Bator abholen. Das wäre eine Gelegenheit unsere Visa zu verlängern. Weil es aber nicht sicher ist ob die Touristen nicht gleich weiter nach Mörön fliegen, wodurch Saraas Flug nach Ulan Bator hinfällig wäre, entscheiden wir uns die letzten Euros auszupacken und ihr den Flug nach Ulan Bator zu finanzieren. Für die nötigen Dokumente und Flugticket geben wir ihr 200,- €, darauf hoffend sie wird es irgendwie hinbekommen die Aufenthaltsgenehmigung rechtzeitig zu besorgen. Sollte sie es nicht fertigbringen gibt es noch die Alternative die Pferde irgendwo unterzustellen, nach Ulan Bator zu fahren, in den Zug nach Peking zu steigen und in der dortigen mongolischen Botschaft ein gewöhnliches Touristenvisum zu erhalten. Dieses müssten wir dann in Ulan Bator um einen Monat verlängern lassen. Eine wirklich aufwendige und nicht gerade billige Variante aber machbar. Die Frage wäre dann nur ob unsere Pferde noch da sind wo wir sie gelassen haben?

„Ich gebe mein Bestes“, verspricht Saraa. „Gut, wir vertrauen darauf“, antworte ich und reiche ihr unsere Pässe und Arbeitsgenehmigungen. „Was ist wenn wir während unserer Reise kontrolliert werden sollten?“, überlege ich laut. „Ich fertige ein Schreiben an auf dem steht, dass sich eure Pässe gerade zur Visaverlängerung in Ulan Bator befinden. Zur Sicherheit versehe ich es mit meiner Unterschrift und dem Stempel unserer NGO. Das sollte genügen“, schlägt sie vor. „Hoffentlich. Und wie kommen wir an den Wisch heran?“, frage ich. „Ich sende ihn zu Tsendmaa. Wenn ihr nach Tsagaan Nuur reitet könnt ihr ihn von ihr abholen.“ „Ein guter Plan. Wir wollen nur hoffen das nicht wieder etwas dazwischen kommt“, meine ich. „Wird schon klappen“, ist sie zuversichtlich. „Jetzt brauchen wir nur noch einen Ersatz für Bilgee“, fahre ich fort. „Ja das ist wirklich ein Problem. In diesem Land solltet ihr nicht alleine unterwegs sein. Die Chancen eure Pferde nach Mörön zu bringen liegen bei null.“ „Du meinst der Pferdediebstahl ist so schlimm?“, frage ich. „Er ist extrem. Es handelt sich dabei um organisiertes Verbrechen. Keiner der Touristen die ohne Mongolen unterwegs sind behalten ihre Pferde. Sie werden gestohlen und dann wieder an andere Touristen verkauft. Das ist ein richtiges Geschäft von dem so manche Mongolen leben. Es ist schlimm aber wahr. Ihr braucht einen Pferdemann. Selbst dann ist es nicht sicher ob ihr durchkommt. Ihr habt ja jetzt selbst erfahren wie schnell man ein Pferd verlieren kann. Und der Dieb hat nicht davor gescheut es einem Mongolen zu stehlen. Womit ich sagen möchte, dass die Mongolen sich die Pferde auch untereinander stehlen. Abgesehen davon gibt es immer wieder Fälle von schweren, bewaffneten Raub. In solch einem Fall verliert der Betroffene alles und kann von Glück sprechen wenn er seine Unterhose anbehält“, erklärt sie. „Ja ich weiß. Tsaya hat mir von einem Mongolen berichtet der von drei bewaffneten Männern überfallen wurde und absolut alles verloren hat. Sie ließen dem armen Kerl nichts und er musste sich halb nackt bis zur nächsten Jurte durchschlagen, um Hilfe zu bekommen“, erzähle ich. „Muu, muu“, (schlecht, schlecht) sagt sie nachdenklich.

Baldiger Bürgerkrieg?

„Ich verstehe eure Regierung nicht. Warum unternimmt sie nichts dagegen. Pferdediebstahl schadet doch eindeutig dem Tourismus“, sage ich. „Unsere Regierung ist korrupt. Dafür gibt sie kein Geld aus. Außerdem haben unsere Herren da oben im Augenblick andere Probleme. In wenigen Wochen finden die Wahlen statt. Einige von uns glauben sogar an einen baldigen Bürgerkrieg. Die Bevölkerung ist mit ihrer Regierung und ihren korrupten Politikern schon lange sehr unzufrieden.Und jetzt steigen auch noch die Preise rapide. Erinnerst du dich als ich vergangenen November für euch Fleisch gekauft habe? Da kostete das Kilogramm Rindfleisch zwischen 3.700 (2,11 €) und 4.000 Tugrik. (2,28 €) Heute ist der Preis auf 10.000 Tugrik (5,71 €) gestiegen.“ „Ist ja kaum zu fassen. Und das in einem Land indem auf knapp drei Millionen Einwohner ca. 45 bis 50 Millionen Nutztiere kommen? Wer kann sich dann noch Fleisch leisten?“, frage ich erschrocken. „Ja, das ist die Frage. Ist übrigens auch der Grund warum Pferde so teuer geworden sind. Als ihr eure Pferde gekauft hattet bekam man ein gutes Reitpferd für 450.000 (257,- €) bis 500.000 Tugrik. (286,- €) Jetzt kosten Pferde 800.000 bis 850.000 Tugrik.“ (457,- € bis 486,- €) „Was? Das ist ja ein Vermögen. Da kann doch keiner mehr Pferde kaufen.“ „Die Reichen schon. Und es sind genau die welche immer reicher werden.“ „Na jetzt verstehe ich erst recht warum Pferdediebstahl außer Kontrolle geraten ist. Dann hat der Dieb der Od stahl glatte 800.000 Tugrik plus Halfter und ein 10 Meter langes Seil kassiert. Weil das Durchschnittseinkommen nicht gestiegen ist raubte er in Minuten einen Reichtum wofür er ansonsten knapp fünf Monate arbeiten hätte müssen“, stöhne ich. „So ist es“, antwortet Saraa kurz.

„Und wie kommen wir jetzt an einen verlässlichen Pferdemann heran?“, wechsle ich das unangenehme Thema. „Keine Ahnung. Ich werde mal mit Naraas Sohn sprechen. Vielleicht hat er ja Interesse daran euch zu begleiten.“ „Du meinst den Sohn deiner Schwester?“ „Ja.“ „Oh, ist ein netter Kerl. Wir haben ihn kennengelernt als wir letztes Jahr im Haus von Naraa wohnten.“ „Ja, er ist nett, verlässlich und beendete vor kurzem sein Studium. Wenn er nicht möchte oder kann habe ich noch einen Jungen Mann im Sinn. Er gehört ebenfalls zu meiner näheren Verwandtschaft und ist Ringer. Er gewann letztes Jahr das Nadaam in Mörön. Zur Zeit arbeitet er auf dem Bau. Vielleicht ist er für eine Abwechslung bereit?“, überlegt sie. „Gut, aber woher soll ich wissen ob du die Jungs für uns gewinnen kannst oder nicht?“ „Ruf mich am siebten Juni an. Zu diesem Zeitpunkt müsste ich es wissen.“ „Am siebten Juni? Wir haben von hier aus keinen Kontakt zum Handynetz“, wende ich ein. „Du könntest auf den Berg steigen. Die Tuwa haben mir berichtet von dort oben Telefonieren zu können“, sagt sie und deutet auf den Berg der unser Lager in südlicher Richtung begrenzt. „Ist ein vierstündiger Marsch. Wenn ich da hochsteige muss ich sicher sein dich erreichen zu können. Wir sollten eine Zeit ausmachen“, schlage ich vor. „Was hältst du von 17:00 Uhr?“ „Okay, ich werde am siebten Juni auf den Berg steigen und dich um 17.00 Uhr anrufen. Aber vergiss mich bitte nicht. Ist ein weiter und anstrengender Weg für ein Telefonat.“ „Ich vergesse dich nicht. Übrigens wenn ihr möchtet nehme ich eure Ausrüstung, die bei Ayush gelagert ist, nach Mörön mit.“ „Oh, das ist eine gute Idee. Müsste nur mit Tanja sprechen ob wir daraus etwas benötigen. Wenn ja sollte einer von uns mit euch reiten wenn ihr das Frühjahrscamp wieder verlasst. Dann könnten wir das Gepäck aussortieren und dir alles mitgeben was wir nicht mehr brauchen“, antworte ich über den Vorschlag erfreut.

Bilgees Tief

Wie gestern besprochen reitet Tanja am Nachmittag los, um Bilgee zu bitten sein Lager abzubauen und die Pferde ins Frühjahrscamp zu treiben. In der Zwischenzeit backe ich Brot und schreibe ein paar Zeilen. Schon 3 ½ Stunden später erreicht Bilgee das Lager. Er begrüßt mich verhalten. Sofort fällt mir seine schlechte Laune auf. Als Tanja vom Pferd steigt sagt sie; „Sei bitte nett zu ihm. Sein Gemütszustand ist eine Katastrophe. Erst hat er sich über meinen Besuch gefreut aber urplötzlich kippte seine Stimmung. Auch die Pferde waren widerspenstig. Auf einmal ist Naraa umgekehrt und alle anderen hinterher. „Lass den dämlichen Mogi los und nimm Naraa an die Leine!“, hat er mich plötzlich angebrüllt.“ „Was? Er hat dich angebrüllt?“, frage ich erschrocken da ich Bilgee in bald jeder Situation als gelassenen Menschen kennen gelernt habe. „Ja, aber bitte sag jetzt nichts zu ihm.“ „Nein, ich werde freundlich zu ihm sein“, antworte ich.

Nachdem wir die Pferde abgeladen haben verschwindet Bilgee leise vor sich hin fluchend. „Er wird uns morgen verlassen hat er gesagt“, meint Tanja. „Nun, dann soll er uns verlassen. Ich besitze für das schreckliche Hin und Her keine Energie mehr. Wir werden eine andere Lösung finden“, antworte ich. „Das denke ich mir auch. Ist mir schleierhaft was in ihn gefahren ist?“, überlegt Tanja. „Na wir haben ihn gebeten seinen selbstgewählten Weideplatz zu verlassen und somit in seinem Kompetenzbereich eingegriffen. Dachte mir schon damit solch eine Reaktion zu provozieren“, erkläre ich. „Ich berichtete ihn davon morgen mit dir oder mir nochmal nach Tsagaan Nuur reiten zu müssen, um die Ausrüstung umzusortieren damit Saraa sie mit nach Mörön nehmen kann. Es wurmte ihn, dass du oder ich in seiner Abwesenheit auf die Pferde achten. Wenn das geschieht gehe ich sofort“, meinte er. „Na diese Reaktion soll einer verstehen? Er verlässt uns doch sowieso bald. Dann sind wir gezwungen ohne ihn auf die Pferde zu achten“, sage ich ärgerlich. „Ich denke da fehlen ihm ein paar Synapsen.“ „Du meinst er ist nicht ganz dicht?“, frage ich. „Seine Reaktion ist zumindest nicht normal.“ „Ihm sind die Nerven durchgegangen. Der Verlust von Od macht ihn offensichtlich mehr zu schaffen als wir glaubten. Da geht es um die Ehre des Pferdehirten. Die scheint schwer beschädigt worden zu sein“, vermute ich.

Plötzlich hören wir lautes Gezanke welches der Wind von Buyantogtohs Tipi zu uns herüberträgt. „Kein Wunder das man dir das Pferd gestohlen hat. Der Platz an dem du warst ist sehr schlecht! Außerdem ist das Futter hier viel besser als dort!“, ist Delimurens Stimme zu vernehmen. „Das Gras hier ist braun und abgestorben. Dort ist es frisch und grün“, verteidigt sich Bilgee lautstark. „Dieses Gras hier ist zwar braun aber voller Vitamine. Es wurde über den Winter von Schnee und Eis konserviert. An deinem Weideplatz wird es dem gesamten Winter von Rindern abgefressen. Das frische Grün besitzt keine Qualität und ist für solch abgemagerten Pferde wie eure es sind nicht gut“, kontert die Pferdefrau Delimuren. „Du hast doch keine Ahnung!“, erwidert Bilgee und stürmt fluchend davon.

Als er wieder bei uns im Tipi ist beruhigen wir ihn und versuchen sein Ehrgefühl aufzubauen. „Mach dir nichts aus anderer Leutes Worten. Du weißt doch das hier viel gesprochen wird. Du kannst nichts für den Pferdediebstahl. Es ist geschehen. Was soll man daran ändern? Nichts. Wer weiß für was es gut war? Jetzt setze dich erst mal und trink einen Tee“, reden wir auf ihn ein. Ich berühre ihn behutsam an der Schulter und sage; „Du bist ein guter Pferdemann. Das ist uns bewusst. Wir haben uns entschieden morgen nicht nach Tsagaan Nuur zu reiten. Saraa soll die gesamte Ausrüstung, die bei Ayush lagert, mitnehmen. Wir sollten mit der Ausrüstung die sich hier im Tipi befindet zurechtkommen. Tanja oder ich wollten nur mitreiten, um eventuell Hierbenötigtes aus den Seesäcken herauszunehmen. Sie hat zwar gut gepackt als ihr dort wart aber nicht damit gerechnet Saraa könnte kommen, um alles nach Mörön zu transportieren. Wir kommen schon zurecht. Außerdem entschieden wir uns dafür schon am achten Juni aufzubrechen. Also zwei Tage früher als geplant. Wenn wir zu Fuß gehen ist es kein Problem die sich hier befindliche Ausrüstung herauszubringen, trotz fehlenden Od und schwacher Pferde“, sage ich. Bilgees Gesichtszüge glätten sich.

„Sollen wir eine Flasche Wodka auspacken und seinen Geburtstag nachfeiern?“, fragt Tanja. „Kann nicht schaden“, antworte ich. Sobald die Flasche auf dem Tisch steht ist Bilgees restlicher Ärger verschwunden. Er lacht. Das wir uns trotz des Pferdediebstahls auf seine Seite gestellt haben tut ihn sichtlich wohl. Nach Landessitte segne ich die Flasche. Bilgee übernimmt die wichtige Aufgabe des Ausschenkens. Tanja legt die Weinbrandpralinen auf den von mir gebauten kleinen Holztisch, die sie extra für diesen Anlass während ihres letzten Tsagaan Nuuraufenthaltes besorgte. Dann bereitet sie uns eine Nudelsuppe mit Elchfleisch, welches ich heute von Ultsan bekam. Nichts mehr ist von Bilgees morgiger Heimreise zu hören. „Tanja?“, sagt Bilgee plötzlich. „Sorry“, entschuldigt er sich für sein schlechtes Verhalten am Nachmittag. „Ist schon vergessen“, antwortet sie freundlich lächelnd. Mit harmonischer Stimmung und vom Wodka leicht angeheitert, begeben wir uns um 1:00 Uhr nachts in unsere Schlafsäcke. „Tanja, Denis?“ „Ja?“ „Schlaft gut“, sagt Bilgee auf Deutsch. „Schlaf gut Bilgee“, antworten wir.

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