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Rumänien/Crisan

Naturparadies Donaudelta

N 45°10'25.6'' E 029°23'31.0''

An den folgenden Tagen sitzen wir schon am frühen Morgen in einem schmalen Fischerboot und dümpeln durch die Wasserarme des 6792 Quadratkilometer großen Reservates. Es wurde 1991 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Außer dem Getucker des Außenborders, dem Zwitschern der Vögel und einzelnem Froschquaken ist nichts zu hören. Etwa drei Meter hohes Schilfgras säumt das Ufer. Schilf gehört hier noch immer zu einem der großen wirtschaftlichen Faktoren. Für die Deltabewohner war das Schilf seit jeher ein vielseitig einsetzbarer und günstiger Rohstoff. Traditionell wurde und wird es für Dächer, für Matten und Zäune als Bau- und Brennstoff sowie – die jungen Pflanzen – als Viehfutter geerntet. Frisch geschnittene Uferbereiche zeugen davon, dass hier vor kurzem geerntet wurde. Ried gilt auch als idealer nachwachsender Brennstoff, beispielsweise als in Form gepresster Schilfbriketts. Beim betrachten der scheinbar endlosen Grünfläche, das größte kompakte Schilfgebiet der Welt, kommt mir diese Landschaft wie ein riesiger Urwald vor. Ein Wald voller Schilf der bei intelligenter Nutzung ungeheurer Ressourcen von nachwachsenden Rohstoff liefert. In einer Broschüre habe ich gelesen, dass sich heute dieses Ried auch als ökologischer Baustoff für Dämmplatten, Bau und Transportelemente bewährt. Das Wichtigste jedoch ist seine natürliche Filtertätigkeit. Es wirkt der Überdüngung entgegen, reduziert die Konzentration der Schwermetalle, hält die Sedimente zurück und vermindert die Erosion der Ufer.

Der Fischer steuert sein Boot bedächtig durch die Wasserstraßen und zeigt von Zeit zu Zeit auf die verschiedensten Vögel. Da wir keine Ornithologen sind kennen wir viele nicht, erfreuen uns aber trotzdem. Langsam tuckern wir in einen großen See. Ein paar entfernte Pelikane nehmen Reißaus. Wir sind überrascht wie scheu die Vögel hier sind. Entweder werden sie sehr häufig gestört oder sie kennen die Motorgeräusche eines Außenborders nicht. Seltsam. Viele der Vögel können wir nur von hinten fotografieren. Wir fragen uns ob es sinnvoll ist mit einem Motorboot hier überhaupt rein zufahren. Mit Naturschutz hat das wenig zu tun. Ehrlich gesagt würden wir uns in einem Ruderboot wohler fühlen. Langsam schleicht sich unser kleiner Kahn durch einen schmalen Durchlass im Schilf. Ein weiterer See tut sich auf. Schon lange habe ich die Orientierung verloren. Eine Wasserschlange quert den Bug, Frösche sonnen sich auf den ausladenden Blättern von Seerosen, Libellen schwirren in ihrer ruckartigen Flugweise hin und her. 2207 Insekten und 375 Vogelarten wurden in diesem Biosphärenreservat beobachtet. Darunter etwa 180 Brutvogelarten, wie z.B. Pelikane, Kormorane, Reiher, Störche und Ibisse. Regelmäßig im Herbst finden sich Hunderttausende von Zugvögeln im Delta ein, hauptsächlich verschiedene Arten von Enten und Gänsen, wie die Rothalsgänse, von denen sich etwa 95 Prozent der Weltpopulation im Delta versammeln.

Etwas entfernt von hier soll es noch Wölfe und wilde Pferde geben. 42 Säugetierarten wie zum Beispiel Nerz, Fischotter, Hermelin, Wildkatze, Marderhund, und Bisamratte finden hier Nahrung und Unterschlupf. Daneben gibt es auf Dünen trockene Federgrassteppen und auf den natürlichen Uferdämmen des Stroms urwüchsige Auenwälder. Ich denke über die Flüsse in Rumänien und die zugeleiteten Abwässer nach. Ungeheuer viel Schmutz haben wir auf unserer bisherigen Reise gesehen. Soviel Müll, das man sich die Haare raufen könnten. Manche Flüsse sehen so aus als wären sie Kloaken. Einige davon führen auch in die Donau und somit in das Delta. Das Leben der Anwohner hat sich innerhalb nur einer Generation stark gewandelt. Bis zu 300 Kilogramm Fisch konnte früher ein Tagesfang eines einzigen Fischers einbringen. Heute sind es meist nur 15 bis 30 Kilogramm. Das deckt nicht einmal mehr die Spritkosten. Ein Arbeiter auf der Fähre hat mir folgendes erzählt: “Ich finde es gar nicht gut das jetzt auf der Donau jeder mit seinem Motorboot rauf und runter knattern kann. Das ist eine Katastrophe für die Fische und die Vögel. Diese Boote sind kaum kontrollierbar und scheuchen alles auf. Das war eines der fischreichsten Gewässer der Erde und jetzt fängt man kaum noch etwas. Ich war gestern den ganzen Tag angeln. Kein Fisch hat angebissen. Vielleicht hatte ich einen falschen Köder gewählt aber in letzter Zeit geht es mir öfter so. Weißt du warum der Fischbestand so stark zurückgegangen ist?”, fragte er mich. “Durch die vielen Abwässer nehme ich an”, antworte ich. “Die Abwässer alleine sind nicht Schuld. Stromfischen ist es.” “Stromfischen?” “Ja, Stromfischen. Einige schwarze Schafe unter den Fischern haben sich eine Autobatterie ins Boot geladen. Dann legten sie Kabel ins Wasser, schlossen sie kurz und alles ist gestorben. Absolut alles, auch der kleinste Fisch. Weißt du was das bedeutet? Eine Katastrophe für den gesamten Fischbestand.”, erklärte er. Ich war entsetzt. “Geschieht das heute noch?”, wollte ich wissen. “Weiß nicht. Könnte mir das schon vorstellen. Wenn sie einen erwischen geht er für Jahre in den Knast. Ist bestimmt besser geworden aber ich glaube das der Fischbestand mindestens 10 Jahre benötigt um sich zu erholen”, plauderte er weiter. Nachdenklich blicke ich jetzt in das trübe Wasser. Große Austern schwimmen auf der Wasseroberfläche. Ob das normal ist? Einige Schildkröten liegen auf dem Rücken und treiben tot auf der Oberfläche herum. Vielleicht von der Schraube eines Motorbootes erwischt? Vielleicht die Wasserqualität? Gift? Schwermetalle? Strom? Im Restaurant haben wir Fisch bestellt. Klar, was sonst in dieser Gegend. Wenn ich jetzt auf die toten Schildkröten blicke kommt mir fast mein Abendessen wieder hoch. 84 Fischarten soll es hier geben wie zum Beispiel Barsch, Weißfisch, Karausche, Karpfen, Zander, Wels und der begehrte Kaviar-Lieferant Stör. Viele von ihnen finden ihren Weg in die landesweiten Restaurants. Unglaublich wie wir Menschen langsam aber sicher unsere Nahrungsressourcen zerstören.

“Schau mal ein Pelikan!”, ruft Tanja freudig. Sofort reiße ich meine Kamera hoch, um ihn im Bild festzuhalten. “Verdammt, wieder von hinten”, fluche ich leise. Es ist 20:00 Uhr. Die Sonne steht tief und wirft ihre feurigen Strahlen über das Delta. Fische springen aus dem Wasser und scheinen sich zu dieser Stunde zu vergnügen. Vögel breiten ihre Flügel vor uns aus, sie schwingen im harmonischen Takt auf und ab, folgen dem Lauf des Flusses wie unser kleines Dingi. Die Schilfwälder links und rechts engen die Wasserstraße ein, würgen sie für ein paar hundert Meter und lassen sie wieder frei. Schwimmende Pflanzeninseln treiben gemächlich dahin. Unser Boot umrundet sie, die Schraube bleibt im Geflecht von den 634 vorkommenden Algen und 107 Flechten kurz stecken. Dann geht es weiter, dem Sonnenuntergang entgegen. Es wird kühler. Moskitos übernehmen das Regiment, vertreiben die Warmblütler aus diesem großartigen Naturparadies. Mit dem letzten Tageslicht legen wir am Steg des Fischers an. Crisan hat uns wieder. Morgen wollen wir zur Mündung fahren. Wollen sehen wie die Donau ins Schwarze Meer mündet.

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