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AUFGELADEN zu den Polarlichtern im hohen Norden - 2020

Mit dem E-Bike über den größten europäischen Festlandgletscher

N 61°50’13.9’’ E 008°34’08.3’’
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    Datum:
    17.09.2020 bis 18.09.2020

    Tag: 046 – 047

    Land:
    Norwegen

    Ort:
    Lom

    Tageskilometer:
    89 km

    Gesamtkilometer:
    3708 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Fähre
    0

    Brückenüberquerungen:
    1

    Tunneldurchfahrten:
    0

    Sonnenaufgang:
    06:51 Uhr – 06:54 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:50 Uhr – 19:46 Uhr

    Temperatur Tag max:
    17°

    Temperatur Nacht min:
    11°

    Aufbruch:
    11:30

    Ankunftszeit:
    19:30

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

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(Für weitere Beiträge klick auf eines der Fähnchen in der Karte)

 

Auf einem Geröllstreifen neben der Piste parken wir unsere Terra Love, die in den knapp zwei Jahren, seit sie in unser Leben getreten ist, 40.000 Reise- und Expeditionskilometer unter die grobstolligen Geländereifen gebracht hat. „Ein guter Platz, um die Bikes auszupacken“, sage ich. Weil uns in ca. 1.400 Meter Höhe ein starker, kalter Wind um die Ohren bläst, schlüpfen wir in warme Wollunterwäsche und ziehen einen Wollflies, eine dünne Daunenjacke und eine Daunenweste an. „Sollte ausreichen“, sage ich zuversichtlich. Bevor wir die Terra verlassen, um uns für einen Tag auf dem E-Bike in extremer Landschaft fertigzumachen, ziehen wir uns noch einen Rückenprotektor von Komperdell an. Eine neue Errungenschaft, die uns mehr Sicherheit gewähren soll, nachdem ich mich in den letzten Jahren bei Stürzen immer wieder mal verletzte. Ich lade die Superdelites von Riese und Müller aus der extra für sie gebauten Box, die wie ein Rucksack an der Terra hängt. Während Tanja die Satteltaschen lädt und die vier 500 Watt Intube Bosch Akkus in die Rahmen klickt, stelle ich die Lenker gerade, schraube die Pedale an, stecke das GPS, die GoPro und den Boschcomputer an die dafür vorgesehenen Halterungen.

Eine Stunde später sind wir startklar. „Auf gehts Ajaci!“, sage ich, worauf unser Hund jaulend vor Freude in seinen Anhänger springt. „Juhu! Juhu!“, jubeln wir wieder im Sattel zu sitzen und die Reifen über eine der schönsten Passstraßen der Welt rollen lassen zu dürfen. Schon 100 Meter nach unserem Aufbruch lasse ich meinen Biketrain für ein paar Hundert Meter in eine Senke gleiten, lege mich in die erste Kurve und muss mir Mühe geben, nicht dem Rausch der Geschwindigkeit zu verfallen. Die Federung fängt die Unebenheiten im Asphalt problemlos ab, absorbiert genauso wie bei einem Motorrad jede Bodenwelle. Es ist ein Traum mit solch einem robusten Hightechgerät, was mein Bike ist, die Passstraße hinunter zu hämmern. Es hält trotz schwerer Ladung exakt die Spur und beginnt nicht zu schlingern. Was auch eine Gefahr in sich birgt, da ich dadurch die sich ständig steigende Geschwindigkeit nicht wahrnehme. Der extra für Ajaci gebaute Hundeanhänger liegt ebenfalls satt auf der Straße. „Eine gute Konstruktion“, schießt ein Gedanke durch mein Gehirn. „Nicht so schnell!“, warnt mich Tanjas Stimme, die ich über den Lautsprecher unseres modernen Smarthelm von Sena klar und deutlich vernehme. „Ich pass schon auf“, wird meine Antwort an Tanjas Helm via Intercom übertragen. (Übertragung der Sprache mittels elektrischer Signale) „Schon verrückt, welche fantastischen Vorteile die moderne Technik bietet“, geht es mir durch den Kopf, da wir auf unserer letzten E-Bike-Expedition von Russland bis Thailand von einer Sprachübertragung von Helm zu Helm nur träumen hätten können. Um die Geschwindigkeit unter Kontrolle zu halten, muss ich in die Eisen steigen, besser gesagt an den Bremshebeln ziehen. Schwerstarbeit für unsere Magurabremsen. Unter solchen harten Bedingungen garantieren uns die Scheibenbremsen die nötige Sicherheit, das Gewicht von 220 kg inklusive meines Körpers, den Hundeanhänger und unseren 35 kg schweren Hund in kurzer Zeit von 50 km/h auf 10 km/h zuverlässig abzubremsen. In manchen Abschnitten der Passstrecke sogar über 10 oder 20 Minuten hinweg. Dabei glühen die Bremsscheiben nicht aus und die Bremsleistung bleibt zu hundert Prozent erhalten. „Du bist so schnell! Siehst du eigentlich, durch welche fantastische Landschaft wir fahren?“, kommt das Sprachsignal aus dem Helmlautsprecher. „Du hast recht. Mich hat der Rausch der Geschwindigkeit erwischt und dabei habe ich fast vergessen, wo wir sind“, gebe ich zu.
Bei 1200 m angekommen, arbeiten wir uns wieder nach oben. Links und rechts vor und hinter uns erhebt sich das Gebirge, über das sich der Josdedalsbreen, Europas größter Festlandgletscher, mit seinen 28 Auslassgletschern wölbt, deren Süßwasserinhalt etwa 300 000 Millionen mit Wasser gefüllten Badewannen entspricht, also dem Wasserverbrauch Norwegens in 100 Jahren.

Die schmale Straße windet sich über und durch die Heimat der Gletscher, so nennen die Norweger die Provinz Vestland nördlich des Sognefjords. Wir überqueren Höhenzüge und Hochtäler. Hier unterwegs sein zu dürfen ist ein Geschenk, ein Highlight unseres Reiselebens. Schnee und Eisfelder ducken sich in Felsspalten und überdimensional großen Mulden. Die Nordseite der imposanten rauen Berge ist bis auf ein paar dunkle Felszacken weiß. Links und rechts von uns sind in regelmäßigen Abständen lange Stöcke gesteckt, die bei Schneefall zeigen sollen, wo sich die Straße befindet. Eine kalte Böe erwischt uns von der Seite, bläst in den Aluminiumrahmen meines Superdelites, der dabei kurz aufheult. „Hier möchte ich nicht im Winter unterwegs sein“, geht es mir durch den Kopf, denn in manchen Wintern soll die insgesamt gefallene Schneemenge bei bis 12 m sein.
Der Hauptgletscher, den wir von hier aus nicht sehen können, besitzt eine 500 m dicke Eisschicht, eine Länge von ca. 40 km und ist in südwestlicher Richtung etwa 15 km breit. „Wäre schon klasse, wenn wir morgen zum Jostedalsbreen hochwandern könnten“, spreche ich in das Helmmikrofon. „Wenn Du noch zum Geirangerfjord, zu den Trollstigen, Lofoten, der Inselgruppe der Vesterålen, Pottwale und Polarlichter fotografieren, zur Insel Senja und ans Nordkap möchtest, wird das ein wenig viel. Glaubst du nicht?“ „Ja, dann kann es sein, dass uns noch vorm Nordkap der Winter einholt“, schnaufe ich in die Pedale tretend. „Und wir haben keine Schneeketten dabei.“ „Leider nicht“, antworte ich, da wegen Corona die Lieferzeit recht lang war und die Ketten nicht vor unserer Abreise angekommen wären. „Man kann nicht alles haben“, höre ich Tanja ebenfalls schnaufen. Also streichen wir den Besuch des Gletschers, der von den 1713 m hohen Gipfel des Suphellenipa und des 2083 m hohen Lodalskåpa überragt wird. Wir genießen diese fantastische Tour durch die von gigantischen, manchmal bläulich schimmernden Eismassen bedeckten Bergen und Senken.

„Wooouuu!“, heult Ajaci vor Freude, als es erneut in eine Talsenke geht. Dann schraubt sich die Straße abermals gen Himmel, einem Himmel, der sich mit seinen dahinrasenden Wolkenbändern ständig verändert. Ab und an stiehlt sich ein Sonnenstrahl hindurch, um uns ein wenig Wärme zu schicken. Weil wir in unseren neuen Superdelites jetzt zwei 500 Watt Boschakkus haben, also 1000 Watt pro Bike, können wir uns den Luxus erlauben, im Turbomodus zu fahren. Mit ca. 20 km/h erreichen wir wieder eine Höhe von 1400 Meter. Wegen Corona und der Jahreszeit wird die Passstraße nur von wenigen Autos befahren, weswegen wir völlig alleine sind. Unbekümmert halten wir an, stellen unsere Räder quer auf den Asphalt, schießen ein paar Fotos und strampeln weiter bergauf. Ich genieße das leise Surren des kraftvollen Boschmotors, (New Performance CX) der unermüdlich die Energie der Akkus auf die KMC-Kette überträgt, die laut Hersteller eine Reichweite von sage und schreibe 10.000 km besitzt. Zu unserer Linken und Rechten wächst zwischen den Felsen und groben Gestein kurzes grünes Gras, das an vielen Stellen mit einer Art Heidekraut das goldgelben, manchmal leicht rötlich gefärbt ist. „Wie sieht es mit deiner Reichweite aus?“, funke ich Tanja durch. „Noch 70 km.“ „Fantastisch, wenn wir in 20 km umkehren, sollten wir noch genügend Energiereserve in den Akkus haben“, schlage ich vor. „Gute Idee“, funkt es aus den kleinen Helmlautsprechern.

Plötzlich geht es wieder steil in die Höhe, weshalb ich gezwungen bin runterzuschalten. Klack, klack, klack, springt das Schaltgetriebe der Rohloff in den richtigen Gang. „Großartig wie dieses Schaltwerk selbst unter hoher Last funktioniert“, denke ich, denn es hat uns in den vergangenen 40.000 km Radkilometern noch nie im Stich gelassen.

Sicherlich könnte man an dieser Stelle meinen; „Aha, jetzt muss er eine Lobeshymne an seine Sponsoren schreiben“, jedoch weit gefehlt. Bis jetzt bin ich begeistert, mit welch fantastischer Qualität uns unsere Partnerfirmen ausgerüstet haben. Das ist Weltklasse und zum Großteil mit dafür verantwortlich, welch Freude es uns bereitet, auf diese Art, Mutter Erde für uns erforschen und entdecken zu dürfen.

Kurz vor unserem Wendepunkt verändert sich die Bergwelt. Die schroffen, mit Eis und Schnee überzogenen Felswände und Gebirgszüge werden von sanfteren Hügeln abgelöst. Goldgelbe Laubwälder ziehen sich über ihre Rücken und erstrecken sich vor uns bis in die scheinbare Endlosigkeit. Das Auf und Ab meiner Oberschenkel und mein gleichmäßiges Atmen versetzen mich in eine Art Trancezustand, indem ich noch Stunden so dahingleiten könnte. „Wir sollten umkehren!“, erschreckt mich Tanjas Durchsage. „Du hast recht“, antworte ich die Bremsen ziehend.

Am späten Nachmittag, als sich die Sonne aufmacht hinter den Bergriesen zu verstecken, als der Wind zunimmt und eine Schlechtwetterfront ankündigt, erreichen wir mit noch 20 % Energie im zweiten Akku unser mobiles Heim. „War ein Hammertrip“, sage ich. „Absolut“, antwortet Tanja lachend. Schnell sind unsere Bikes und die Ausrüstung in der Terra Love verstaut, die unter den bis zu 100 km/h starken Windböen beachtlich schwankt. „Nichts wie weg von hier“, sage ich, drehe den Zündschlüssel, legen den ersten Gang ein und folge der Strecke, die wir gerade eben noch mit unseren E-Bikes zurückgelegt hatten…

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