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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Letzten Tage im Tuwacamp – Zur Schamanin berufen

N 51°39'155'' E 099°21'977''
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    Tag: 314-317

    Sonnenaufgang:
    05:09/05:07

    Sonnenuntergang:
    21:32/21:35

    Gesamtkilometer:
    1361

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    9° C/23 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    4° C/19 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 7° C/9 °C

    Breitengrad:
    51°39’155“

    Längengrad:
    099°21’977“

    Maximale Höhe:
    1858 m über dem Meer

Der Sommer scheint das Ringen gegen den Winter langsam zu gewinnen. Jeden Tag wird es ein weniger wärmer. Das Thermometer klettert an manchen Tagen bis auf 23 °C und fällt in der Nächten nur noch auf minus 7 °C. Für Anfang Juni noch immer beachtlich aber wir sind zuversichtlich auch nachts bald plus Grade zu genießen.

Die letzten Tage im Tuwacamp vergehen geruhsam. Gott sei Dank ohne Zwischenfälle, Dramen oder unvorhergesehene Ereignisse. Bis jetzt zumindest. Wir nutzen die Zeit, um unseren Pferden die Mähne zu stutzen. Die Tuwa meinen dies sei wegen den Zecken und der kommenden Hitze wichtig.

Ultsan beschenkt uns reichlich mit Elch- Gazellen- und Steinbockfleisch. Alle Jäger sind erfolgreich zurückgekehrt. Unaufgefordert Fleisch zu bekommen bedeutet ein Mitglied des Stammes geworden zu sein. Man teilt mit uns nach Stammessitte das wichtigste Nahrungsmittel. Wir sind akzeptiert. Auch werden wir wieder jeden Tag besucht. Das liegt sicherlich daran, dass viele der Familien ihre Tipis neben unserem errichtet haben. Waren wir vor Tagen noch der Außenposten der Gemeinschaft sind wir nun von Zelten umzingelt. Mit der Ruhe ist es also vorbei.

Abends werden wir zu einem weiteren Ritual des Schamanen zugelassen. Wir bekommen sogar die Erlaubnis den Beginn seines Tanzes dokumentieren zu dürfen. Ein weiteres Zeichen welches Privileg wir mittlerweile genießen. Damit der Spirit vom Blitzlicht nicht gestört wird bittet uns Gambas Schwester Buyantogtoh wenig später das Fotografieren einzustellen. Sofort lege ich die Kamera auf die Seite und beobachte das faszinierende Ritual. Um 1:30 Uhr nachts fragen wir Gambas Sohn Sansar, der mit Buyantogtoh als eine Art Zeremoniemeister fungiert, das Tipi verlassen zu dürfen. Kurz darauf krabbeln wir in unsere Schlafsäcke. „Do dong! Do dong! Do dong!“, begleiten uns die mystisch klingenden Trommelschläge in den Schlaf. Als ich morgens um 4:30 Uhr kurz aufwache, vernehme ich noch immer die Trommelschläge.

Am nächsten Tag beginnen wir damit uns von den einzelnen Familien zu verabschieden. Wir bedanken uns für die unvergessliche Zeit, die Gastfreundschaft und Aufnahme in ihre Gemeinschaft. Da wir die ersten Europäer sind, die sie in ihrer Mitte zugelassen haben, sind wir uns der Ehre bewusst. Wir überreichen kleine Geschenke wie Kerzen, Parfüm, Tee und Tabak. Die scheue Suren sieht mich beim Sprechen nicht an. Kein Wunder, denn seit ich auf der Neujahrsfeier unter dem Einfluss einiger Gläschen Wodka sie als schöne Frau bezeichnetet, wird sie von allen Tuwa unaufhörlich aufgezogen und veräppelt. Wahrscheinlich muss die alte, zahnlose Suren diesen Spott noch bis zu ihrem Lebensende ertragen. „Wir werden übermorgen aufbrechen“, erklärt Tanja ihr auf Mongolisch und fährt fort; „In Tsagaan Nuur wird uns Bilgee verlassen. Wegen dem Pferdediebstahlproblem suchen wir im Ort nach einem neuen Pferdemann. Dann geht es weiter nach Khatgal und Mörön. In Mörön möchte Bilgee wieder zu uns stoßen. Er wird seine zwei Kinder Orgio und Husle mitbringen. Wir wollen dann die restliche Strecke bis nach Erdenet gemeinsam zurücklegen. Zumindest ist das der Plan.“ Suren versteht Tanja und nickt. „Was macht ihr mit eurer Motorsäge? Die könnte ich gebrauchen“, fragt sie. Tanja versucht ihre Frage auf mongolische Art zu übergehen aber die ansonsten so schüchterne Suren lässt nicht locker. Tanja umschifft die Frage erneut und reicht ihr ein Thermounterhemd und ich gebe ihr drei Kerzen. Suren legt die kleinen Geschenke, die wie winzige Wassertropfen im Wüstensand versickern, auf die Seite. Wir verabschieden uns freundlich. Suren weiß nicht, dass wir die Motorsäge schon lange Tsaya und Ultsan versprochen haben. Wie hätte wir ihr das erklären sollen ohne Missgunst zu sähen? Abgesehen davon hat sie einen 30 jährigen, kräftigen Stiefsohn. Wenn Nyam Dalai nicht soviel Wodka trinken würde wäre er in der Lage sich nicht nur neue Kleidung und Alkoholnachschub zu kaufen, sondern seiner alten Stiefmutter eine Motorsäge mit der er dann Holz für den harten Winter bereiten könnte. Indes hängt er lieber Monate lang im Camp herum ohne einen Finger krumm zu machen.

Da mich Ultsan gestern darauf ansprach ob ich ihm nicht eine Stirnlampe von Deutschland schicken würde, nutze ich die Gelegenheit, um mit ihm und Tsaya zu sprechen. „So eine Stirnlampe ist sehr teuer. Auch der Versand und Zoll sind kostspielig. Wir haben euch Ofen, Brillen, Motorsäge und einiges mehr für über 700.000 Tugrik (400,- €) dagelassen. Ich hoffe ihr seid damit zufrieden?“ „Aber ja“, antworten beide. „Uns ist auch nicht möglich jedes Stammesmitglied im gleichen Rahmen wie euch zu beschenken. Aber jeder von euren Leuten bekam von uns Aufmerksamkeiten. Wir möchten euch als Freunde verlassen und im Herzen behalten. Sollte am Ende einer der Tuwa unzufrieden sein bitte ich euch darum ihn daran zu erinnern was wir für den Stamm getan haben und welch eine wunderbare Zeit wir zusammen verbrachten. Das Wichtigste einer Begegnung ist das erste Treffen und der Abschied. Wenn beides positiv verläuft, bleiben positiver Erinnerungen, manchmal sogar bis ans Lebensende. Dies ist ein wunderbarer Schatz“, erkläre ich. Ultsan und Tsaya, die nun ebenfalls nur wenige Meter neben uns in ihrem Tipi wohnen, nicken. „Kommt ihr wieder?“, fragt Ultsan. „Ich weiß es nicht. Die Welt ist klein aber vor uns liegt noch eine große Strecke“, antworte ich. „Ihr kommt bestimmt wieder“, ist sich Tsaya sicher.

Zur Schamanin berufen

19:00 Uhr. Wir suchen die nach ihren Müttern rufenden Rentierbabys auf und setzen uns auf einem Baumstamm, um das warme Licht, welches durch die Stämme der dünnen Lärchenbäume blinzelt, zu genießen. Purvee, Tsaya, Monkoo,
Buyantogtoh und Puntsels Tochter sind damit beschäftigt ihre Rentiere zu melken. Jetzt wo sie Nachwuchs haben ist dies wieder möglich. 200 Milliliter pro Kuh können sie zurzeit täglich abzapfen, um damit ihren Tee zu weißen. Später, so berichtet man uns, wird daraus auch Käse zubereitet.

Als die Sonne sich mit einem warmen Gelbton hinter dem Gebirgszug im Westen versteckt, suchen wir spontan das Tipi von Saintsetseg auf. „Saijn bajna uu“, („Guten Tag“) begrüßen wir die Schamanin, die gerade ein Hungon (Traditionelles Brot) aus dem Kanonenofen holt. Kaum haben wir uns auf dem niedrigen Bett niedergelassen, bietet sie uns ihr frisches Brot an, welches sie mit einem Messer in Scheiben schneidet. Dazu nutzt sie kein Schneidebrett, sondern ihr Knie, über dem der alte, speckige Deel hängt. „Hm, lecker“, loben wir während dessen Saintsetseg zwei kleine Porzellanschüsseln mit einem Stückchen alten Papier reinigt und uns Milchtee einschenkt.

„Obwohl du uns den gesamten Winter jeden Tag mehrfach besucht hast konnten wir wegen unseren begrenzten mongolisch Kenntnissen kein tieferes Gespräch führen. Es ist schön das Tsaya, die wir gerade beim Melken getroffen haben, sich bereit erklärt hat einige unserer Fragen zu übersetzt“, sagt Tanja. „Tijmee“, (Ja) antwortet sie schüchtern lächelnd. „Wir sind natürlich an deiner Person interessiert aber auch an deiner schmanistischen Tätigkeit,“ meint Tanja. „Tijmee“, antwortet sie erneut freundlich. „Eine gute Freundin in Deutschland ist ebenfalls Schamanin. Das ist der Grund warum ich etwas über den Schmanismus weiß. Wir können aber verstehen wenn du nicht auf alle Fragen antworten möchtest. Es ist für uns in Ordnung wenn eine Frage zu persönlich ist oder du wegen den Götter nicht antworten kannst oder darfst“, leitet Tanja das Gespräch ein. „Tijmee.“ „Wir haben viele Länder bereist und sprachen mit Handlesern, Auralesern, Gurus, Sadhus in Indien, Nepal und Sri Lanka. Wir unterhielten uns mit Mönchen, Lamas, Schamanen und Priestern in Tibet, Südamerika und Afrika. In Australien trafen wir Menschen die andere Wesenheiten gechannelt haben. Jeder dieser Menschen hatte seine Bestimmung und Begabung. Für uns ist es hoch interessant auch etwas über das alte Schamanentum der Tuwa zu erfahren.“ „Tijmee.“ „Jedes Jahr hat eine besondere Energie. Hast du ein Gefühl zum das Jahr 2012?“ Saintsetseg antwortet mit einem langen Schweigen. Dann sagt sie; „Ich glaube es wird ein hartes Jahr.“ „Hartes Jahr?“ „Tijmee.“

Manche Schamanen haben ein Krafttier welches sie schützt. Hast du eines?“ „Einen Adler.“ „Hast du den Adler selbst gewählt?“ „Ügüj, (nein) er ist zu mir gekommen.“ „In einem Traum?“, frage ich. „In einem Traum.“ „Mein Krafttier ist der Bär. Wenn ich Angst habe ist er bei mir, um mich zu schützen“, erklärt Tanja. „Wir leben in der Welt hier und die Geister und Götter in der jenseitigen Welt. Hast du in der anderen Welt dort einen Zwilling oder einen Freund der dir hilft?“ „Deine Fragen sind etwas seltsam. Das kann sie nicht beantworten. Ich denke, dass bringt sie durcheinander“, sagt Tsaya die oftmals während ihren Übersetzungen der letzten Monate ihre eigene Meinung mit einbringt und manchmal aus ihrer Sicht Fragen beantwortet. „Da ist keine andere Welt für sie. Es ist der Geist der in sie fährt. Wir wissen nicht wo dieser Geist lebt“, erklärt Tsaya. „Hm, okay, dann frage ich etwas anderes“, sagt Tanja. „Frage doch wie sie Schamanin wurde“, schlägt Tsaya vor. „Okay. Wie wurdest du einen Schamanin?“, fragt Tanja. „Ich war 37 Jahre alt als ich die ersten Zeichen wahrnahm wie die Kraft zu mir kam. Ich sah in meinen Visionen eine schamanische Trommel oder hörte Trommelschläge. Daraufhin traf ich einen meiner zukünftigen Lehrer der mir erzählte, dass ich auserwählt sei eine Schamanin zu werden.“ „Hast du die Trommel am Tag oder in der Nacht gesehen? Wann hattest du diese Visionen?“, frage ich. „Als ich schlief hörte ich den Ton einer Maultrommel.“ „Hm, sind das die Zeichen die ausreichen um zur Schamanin berufen zu sein?“ „Wenn du einen Schamanen in deiner Familie hattest kennst du die Zeichen.“ „Und in deiner Familie gab es Schamanen?“ „Tijmee. Die Mutter meines Vaters war eine Schamanin und der Vater meiner Mutter war ebenfalls ein Schamane. Beide entsprangen einer starken schamanischen Generation. Sie hatten sechs Kinder. Einer der Kinder musste ein Schamane werden. Eltern können aber nicht auswählen wer das Schamanentum fortführt. Die Wahl kann nur die geistige Welt treffen. Sie hat mich gewählt. Meine Mutter war keine Schamanin. Trotzdem besaß sie eine Maultrommel aus einem ganz besonderen Holz die sie spielte.“

„Was machst du mit deiner Gabe als Schamanin? Heilst du auch Menschen?“, interessiert es Tanja. „Manchmal kommen Menschen zu mir deren Tierherden sich nicht vermehren. Oder ihre Kinder werden ständig krank. In diesen Fällen helfe ich den Menschen und repariere ihre Probleme.“ „Das machst du mit Hilfe der Götter und Geister des Jenseits?“ „Oftmals nur durch meinen Blick.“ „Hilfst du auch mit speziellen Kräutern und Medizin?“, fragt Tanja. „Ügüj.“ „Ich bereite eine Mixtur aus verschiedenen Pflanzen. Mit diesem Energiepuder können sich die Menschen einreiben, um sich damit zu waschen.“ „Rauchst du auch spezielle Pflanzen wie es Puntsel tut?“ „Ügüj“. „Ich sammle Blüten mit neun verschiedenen Farben. Damit wasche ich meine Haare.“ „Das ist schön. Sammelst du die Blüten im Frühling?“ „Wenn die Blumen blühen.“

„Wo lebt dein Lehrer?“, frage ich. „Er ist gestorben.“ „Gestorben? Wann?“ „Vor ein paar Wochen.“ „Das ist schlimm. Musst du nicht deine Ausbildung noch abschließen?“ „Ich habe einen Onkel der Schamane ist. Sein Name ist Dabaayaf. Ihn kann ich fragen. Und der in Ulan Bator lebende große Schamane Gana, der den englischen jungen von Autismus geheilt hat, unterrichtet mich ebenfalls wenn ich Fragen habe.“ „Du kannst also deine Ausbildung zu Ende bringen?“ „Tijmee.“ „Musst du diese Meister aufsuchen um deine Fragen zu stellen?“, will ich wissen. „Tijmee.“ „Wann wirst du du dort hingehen?“ „Bevor der Mond alt wird werde ich hingehen.“ „In welchem Teil eines Monats darfst du Rituale halten?“, frage ich. „In der ersten Hälfte des Mondkalenders.“

„Wann wird deine Ausbildung abgeschlossen sein?“ „Bald.“ „Was dachtest du als du wusstest als Schamanin auserwählt zu sein?“ „Ich war etwas ängstlich.“ „Kann ich verstehen.“ „Ist es schwierig eine Schamanin zu sein?“, frage ich. „Oh ja. Sehr schwierig.“ „Was ist schwierig?“ Saintsetseg überlegt. Keine Antwort. „Ist es eine große Verantwortung?“, fragt Tanja. „Tijmee. Ich übernehme die Verantwortung der Verantwortung. Das macht es schwierig.“

„Alle Menschen sind hier auf Erden um zu lernen. Was glaubst du warum es so schwierig für uns Menschen ist sich weiterzuentwickeln?“ „Weil wir nicht das respektieren was sich um uns befindet. Wir respektieren Mutter Erde nicht genug.“

„Was magst du lieber. Die alte Zeit oder die heutige?“, fragt Tanja. „Ich mag die alte Zeit lieber.“ „Warum?“ „Weil die Produkte aus Russland und nicht aus China kamen. Die Qualität war viel besser.“ „Was ist deine Lieblingsspeise?“ „Buuz, hi, hi, hi.“ „Puntsel und Purvee mögen ebenfalls Buuz am liebsten“, sagt Tanja. „Was ist dein größter Wunsch?“ „Meine Träume sind endlos.“ „Vielleicht kannst du uns einen davon nennen?“ Schweigen.

„Wenn du alt bist willst du dann in Tsagaan Nuur leben?“ „Tijmee. Dann muss ich kein Holz mehr sammeln und keinen Schnee schmelzen. Hi, hi, hi.“

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