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Abbrechen

Lavagestein und undurchquerbahrer Sumpf

N 23°23’36.2’’ E 139°11’10.2’’

5000 Kilometer-Camp — 04.09.2002

Wieder ziehen sich Wolken über den Himmel und verdecken die Sonne. Wir freuen uns über den Schatten obwohl es von Tag zu Tag drückender wird. Ohne Zweifel sieht es so aus als würde sich da etwas zusammenbrauen. Gegen Mittag allerdings haben sich die Wolken wieder zurückgezogen.

Unsere Karawane überquert einen riesigen Geröllberg. Vorsichtig tasten sich die 24 Kamelfüße über das grobe Gestein. Mit Adleraugen wache ich über den Grund und ziehe Sebastian über die Stellen die nicht ganz so schlimm aussehen. Manche der interessanten Steine sind zweifellos die Überbleibsel eines mehrere Millionen Jahre alten Lavastroms. Immer wieder bücke ich mich, um die ineinander verschmolzenen Formen aufzuheben. Wäre es nicht so anstrengend und riskant unsere Jungs über diese scharfen Brocken zu führen, käme es einem Vergnügen gleich über die Wunderwerke der Natur zu schreiten. Als wir den Zenit des Berges überqueren ist der Blick in die Weite atemberaubend. Wir stoppen für einige Augenblicke, um das beeindruckende Bild zu genießen und einige Fotos zu schießen, dann geht es wieder Bergab. Im Tal verändert sich der Boden. Plötzlich entdecke ich tiefe Risse und Einbrüche in dem roten Erdreich. Erschrocken stoppe ich die Tiere. „Hier ist der Lehmboden von dem man uns schon vor Jahren gewarnt hat“ ,sage ich nach unten deutend. „Du meinst, das hier ist der Boden der sich bei Regen in einen undurchquerbahren Sumpf verwandelt?“ „Genau. Schau dir die Risse an. Sie sind mindestens einen Meter tief. Wenn es Regnet füllen sie sich mit Wasser. Der Grund weicht auf und verwandelt sich in ein Mohr. Unsere Boys würden hier bis zum Bauch versinken und nichts auf dieser Welt könnte sie da raus holen. Also lass uns beten, dass es nicht in den nächsten Wochen zu regnen anfängt,“ erkläre ich.

Vorsichtig führe ich Sebastian um die tiefen Erdrisse, denn wenn nur ein Kamelfuß da einbricht, kann er wie ein Streichholz brechen. Es dauert nur eine halbe Stunde, bis wir das verzweigte Flussbett des Sylvester Creek erreichen. Langsam lenke ich die schwer arbeitenden Tiere durch das erste Flussbett. Wie in der Simpson Wüste geht es hier bergauf und bergab, nur das es keine Dünen sind sondern ein kleines Flussbett nach dem anderen. Wir müssen mindestens 10 bis 15 solcher Wasserläufe überwinden, bis wir ein freies, bald unbegrenztes Plateau erreichen. „Da hinten, kurz vor dem Bergzug müssen wir auf einen Track stoßen,“ sage ich um uns Mut zuzusprechen. Zielstrebig folgen wir der Kompassnadel. Die Sonne brennt vom Firmament aber die baldige Aussicht auf ein Rastcamp beflügelt unsere Schritte.

Wie vorhergesagt treffen wir tatsächlich auf den Track. „Juchhu, du bist ein guter Navigator,“ jubelt Tanja, denn von hier an dürfen wir bis zur Marion Downs Station Wegen folgen. Wir schlagen unser Lager am Ufer eines namenlosen Creek auf. Die einzigen Bäume die es weit und breit gibt wachsen an solchen Flüssen. Obwohl es bei einer eventuellen Springflut auch an einem Flussufer riskant sein dürfte, zwingen uns die gnadenlosen Sonnenstrahlen, mit bald 60 Grad, den Schatten dieser Gidyeabäume zu nutzen.

Im Westen türmt sich eine bedrohlich aussehende Wolkenfront auf. „Ob es bald zu regnen beginnt?“ ,fragt Tanja. „Ich glaube nicht. Das Barometer steht auf Hoch. Trotzdem könnte es ein paar hundert Kilometer von hier regnen. Aber selbst wenn es eine Springflut geben sollte sind wir hier auf der erhöhten Uferseite relativ sicher,“ antworte ich.

Durch die Gewitterwolken erleben wir einen beeindruckenden, blutroten Sonnenuntergang. Wir sitzen in unseren Stühlen und genießen das seltene Naturschauspiel. Erst 30 Minuten nachdem der flammende Sonnenball sich hinter der Horizontlinie versteckt hat beruhigen sich die Fliegen und als es ganz dunkel ist verschwinden sie in ihrem Nachtquartieren. Leider bedeutet das kaum eine Erleichterung für uns, denn die Motten und Nachschwärmer scheinen von Tag zu Tag mehr zu werden. Sie schwirren um unsere Köpfe, stürzen sich wie die Kamikazen in ganzen Gruppen in unsere Teetassen oder dem Essen, so dass auch dieses eine regelrechte Herausforderung wird.

Wegen den vielen Ereignissen der letzten Tage habe ich das Tagebuch von Rufus völlig vergessen. Ich bin zwar hundemüde, doch spüre ich wie die ewige Neugier an mir nagt. Bevor ich mich auf mein Lager niederlasse, nehme ich meine letzte Energie zusammen und mache mich wie so oft in den letzten Jahren auf die Suche. Rufus döst bereits unter meinem Campbett. Da er meist einen gesunden und tiefen Schlaf hat, wird er nicht bemerken das ich mich an seinen Sachen zu schaffen mache. Vorsichtig hebe ich seine Schlafdecke hoch, denn wenn er müde und geschafft ist, legt er sein Büchlein einfach darunter. „Da ist es nicht,“ flüstere ich. Grübelnd blicke ich auf unseren treuen Gefährden und überlege eine Weile, bis mir auffällt, dass das bereits mitgenommene Ding unter seinem Körper liegt. Ganz behutsam hebe ich seine linke Pfote hoch und ziehe das wichtige und einmalige Werk hervor.

DAS EXPEDITIONSTAGEBUCH EINES EXPEDITIONHUNDES NAMENS RUFUS

So ein Hundeleben hat einfach seine Höhen und Tiefen. Ein eindeutiges Tief erlebte ich, als ich auf Hardie ritt und nicht mehr ein noch aus wusste. Ich verspürte urplötzlich das dringende Bedürfnis einen Goofy (mich entleeren) zu machen und konnte mich deswegen kaum noch im Sattel halten. Als ich dann notgedrungen meine Notdurft während des Reitens auf dem Sattel von Hardie verrichtete, war mein Leben nicht mehr das, was es einst war.

Ich weiß nicht was mich mehr erschütterte, Denis vernichtende Worte oder Tanjas unaufhörliches Gekicherte. Das Schlimmste an der ganzen Sache war, dass meine Menschen über Tage hinweg immer wieder unhöfliche Bemerkungen und Witze über mein Missgeschick machten. Mein guter Ruf war bis auf weiteres ruiniert. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sich für mich eine rettende Möglichkeit ergab, meinen guten Ruf wieder herzustellen: Als Jasper sich an einer Sanddüne absetzte und ich ihn unter vollen Einsatz, zusammen mit Tanja, wieder zum Aufstehen bewegen konnte, sah ich wieder Licht am Horizont. Endlich hatten meine Menschen wieder gute und freundliche Worte für mich übrig und das Lob ein guter Hund zu sein war fast so lecker wie ein guter, mehrere Wochen alter Knochen.

Ich war froh, als wir am Rande der Wüste für mehrere Tage ein Rastcamp aufschlugen! Wir waren alle müde von dem vielen Sanddünenlaufen. Tanjas Geburtstag war das nächste große Ereignis im Kamelcamp. Da sie mit der Zuckerkalkulation daneben lag, sprich seit Tagen schon keiner mehr da war, gab es auch keinen Geburtstagskuchen. Da meinen Menschen, was das Essen angeht, sehr erfinderisch sind, gab es Brötchen mit Erdnussbutter. Ich habe ja noch verkraftet, dass ich nichts davon abbekam, doch als Tanja die kleinen Schokoladentafeln auspackte, lief mir das Wasser im Maul zusammen. Ich setzte meinen spezial Röntgenblick ein und oh Jubel es funktionierte. Zur Feier des Tages bekam ich zwar keine Schokolade aber ein leckeres Hundekaustäbchen. Ich hätte noch viele Tage Geburtstag feiern können, doch am nächsten Tag war wieder alles wie ein schöner Spuk vorbei.

Ein schrecklicher Spuk war das nächste Erlebnis: Erst waren unsere Kamele weg, dann meine Tanja und dann Tanja und die Kamele. Es war ein Alptraum. Es schien mir eine Ewigkeit, bis Denis mir das Kommando gab: „Such Tanja. Go to Tanja.“ In diesem Moment war mir alles egal. Ich hätte selbst mein Abendessen stehen lassen. Ich wusste, hier geht es um mehr und ich dachte nur noch eins. Meine Tanja finden. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn sie nicht mehr in meinem Leben ist. Es durfte keine Zeit mehr vergehen, richtete meine Hundenase in den Wind und mein Instinkt führte mich Richtung Norden. Ich rannte los, bald bog ich etwas Richtung Westen ein, immer noch in Windeseile. Meine Nase war wie auf die Erde geheftet. Da, ich konnte einen Hauch erschnuppern. Ihre Spur wurde stärker und nach weiterem Laufen konnte ich ihre Pfeife hören. Ich rannte, so schnell ich konnte und da erblickte ich sie. Sie lachte mich an und ich flog in ihre Arme und schleckte ihr Gesicht. Zum Dank streichelte, knudelte und lobte sie mich und sagte mir wie erleichtert und froh sie sei mich zu sehen. Zu viel Zeit durften wir dann doch nicht verlieren, da ja die Kamele noch fehlten. Zielsicher führte ich Tanja zum Camp zurück und unterwegs trafen wir auf Denis. Auch er lobte mich mit den Worten: „Du bist ein echter Held Rufus.“ Den Rest des Tages musste ich mich in Geduld üben und konnte praktisch nichts tun, als unter Hardies Sattel auszuharren. Dieser Tag mit all seinen Aufregungen fühlte sich endlos lange an und als ich spät abends erleichtert in meinen Schlafsack kroch und hörte, wie sich meine Menschen die Erlebnisse des Tages gegenseitig erzählten, war ich froh, dass es uns allen gut ging.

Es ist ein verantwortungsvolles Leben als Rettungshund…

Schmunzelnd stecke ich das rote Büchlein wieder unter seine Pfote. Er soll ja nicht merken das ich in der Lage bin einen Blick hineingeworfen zu haben und schleppe mich auf mein Campbett. Ab heute benutze ich auf dieser Etappe keinen Schlafsack mehr und lege mich nur mit kurzer Hose und Hemd hin. Die Motten und winzig kleinen Nachtfliegen setzen sich auf den Körper und bleiben im Schweiß kleben. Obwohl sie nicht beißen oder stechen juckt es recht unangenehm. Es fällt mir wieder schwer ein Auge zu zutun. Doch irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf. Tanja hingegen hat es etwas leichter. Ihr Temperaturempfinden unterscheidet sich von meinem um ca. 10° Grad. Sie schläft friedlich in ihrem Schlafsack und wird kaum von den Winzfliegen belästigt.

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