Land der rasanten Meinungsänderung
N 51°39'155'' E 099°21'977''Tag: 312
Sonnenaufgang:
05:10
Sonnenuntergang:
21:29
Gesamtkilometer:
1361
Bodenbeschaffenheit:
Gras
Temperatur – Tag (Maximum):
5°C
Temperatur – Tag (Minimum):
0°C
Temperatur – Nacht:
minus 7°C
Breitengrad:
51°39’155“
Längengrad:
099°21’977“
Maximale Höhe:
1858 m über dem Meer
Regen wird gegen die Plane des Tipis gepeitscht. Vom unruhigen Schlaf kaum erholt schlage ich die Augen auf und blicke auf die Tropfen, die sich langsam an den eingezogenen Zeltbahnen entlangwinden, und sich ungeniert auf meinen Schlafsack fallen lassen. Behäbig erhebe ich mich, wische mit einem Tuch den Stoff des Schlafsacks trocken und mache mich daran das Tipi zu sichern. Zwei Stunden später ist alles aufgewischt, die Zeltbahnen wieder in Position gerückt und der Ofen angeheizt. Kaum ist mein Tipi wieder wohnlich fallen alle Kinder des Camps in meine Behausung ein. 12 Kinder im Alter von 3 bis 14 Jahren lässt mein Zelt fast aus den Nähten platzen. Sie lachen und kichern, stehen wegen der Zeltschräge gebückt oder sitzen auf Bilgees Bett oder Boden. Erwartungsvoll sehen sie mich an. Mir ist klar, ein Anstandsbesuch ist das sicherlich nicht. Die kleinen Tuwas sind scharf auf Süßigkeiten. Selbst wenn ich welche hätte wäre es ein grober Fehler meine jungen Gäste damit zu bewirten. Die Konsequenz wären unaufhörliche überfallartige Besuche dieser Art. „Ist schlecht für eure Zähne“, sage ich auf Deutsch als der Mutigste von ihnen sich zusammennimmt und nach Geschenken fragt. Da sie mich nicht verstehen lachen sie. Dann stürmen sie allesamt wieder in den regnerischen Tag. Bestürzt blicke ich auf den Boden den ich gerade so mühevoll gereinigt hatte. Alles wieder völlig versaut. Erneut putze ich so gut es geht den Dreck mit einem Lappen der ebenso vor Schmutz strotzt.
Am späten Nachmittag kommt Tanja wieder auf Sar angeritten. Od ist natürlich nicht mehr auffindbar. Bilgee ist der Überzeugung, dass der Dieb ihn für die Jadesuche nutzt. „Gut auch nicht die anderen Pferde verloren zu haben“, sage ich wieder da es während Bilgees Abwesenheit keine Schwierigkeit gewesen wäre auch die restlichen Reittiere mitzunehmen. „Bilgee ist heute Morgen ins Wintercamp geritten und hat versucht den Polizisten von Tsagaan Nuur zu erreichen. Allerdings ohne jemanden an die Strippe zu bekommen“, sagt Tanja. „Hätte mich auch gewundert“, entgegne ich trocken. „Ich komme übrigens nicht alleine“, fährt Tanja fort. „Saraa wird in wenigen Minuten hier sein.“ „Saraa?“, frage ich verwundert. „Ja, sie bringt zwei Touristen ins Tuwacamp. Auch unsere Pferdefrau Delimuren kommt. Sie reiten alle auf ihren Pferden.“ „Die Pferdefrau? Das ist ja prima. Dann kann ich gleich heute noch mit ihr sprechen“, sage ich.
Das Wiedersehen mit Saraa ist herzlich. Laut ihrer Aussage ist sie die nächsten drei Monate, also von Juni bis August mit Touristentrips gebucht und wird für uns kaum Zeit finden, sollten wir irgendetwas von ihr benötigen. Auch nicht um unser Visum zu verlängern. Ich versuche die negativen Neuigkeiten gelassen zu nehmen und gehe die nächste Baustelle an. Delimuren ist in der Tat eine kräftige Frau die kompetent und sympathisch wirkt. Mit Saraas Hilfe unterhalte ich mich sogleich mit ihr über unsere gemeinsame Pferdereise. „Ich kann meine drei Kinder nicht länger als 10 Tage alleine lassen. Das heißt ich werde euch nicht begleiten. Außerdem zahlt ihr viel zu wenig. Ich bekommen pro Pferd 10.000 (5,71 €) Tugrik und für mich 15.000 Tugrik (8,57 €) am Tag. Das heißt, ich erhalte pro Tag 55.000 oder 60.000 Tugrik. (31,- € bis 34,- €) Ich mache also in fünf Tagen das was ihr mir für einen Monat bezahlt“, höre ich bestürzt. Das Argument einer Langzeitanstellung brauche ich während der Touristensaison erst gar nicht erwähnen. „Na dann wirds wohl nichts aus unserer gemeinsamen Reise“, sage ich. „Tijmee“, ist die knappe aber bestimmte Antwort ohne den geringsten Versuch zu unternehmen mit mir zu verhandeln. Minuten später berichte ich Tanja von dem Ergebnis meines Gespräches. „Und ich dachte sie wollte unbedingt mit?“, sagt sie. „Vielleicht war ihr nicht klar wie lange die Expedition sein soll und wo sieh hingeht?“, meine ich. „So wie es klang hat Bilgee alles übersetzt“, antwortet Tanja. „Nun, wir sollten nicht vergessen, wir befinden uns im Land der rasanten Meinungsänderung. Denke Delimuren hat zwischenzeitlich andere Buchungen bekommen und somit sind wir nicht mehr interessant.
Am Abend besucht uns Shagai und schwärzt Bilgee an. „Euer Pferdemann ist nicht gut. Er hat einen schlechten Weideplatz für eure Pferde ausgesucht. Dort kommen Jadesucher, Jäger und andere Reisende vorbei. Kein Wunder das man euer Pferd gestohlen hat. Außerdem hättet ihr eure Pferde nicht in Mörön überwintern sollen sondern hier in der Taiga.“ Tanja und ich sehen uns überrascht an. „Shagai, du warst es doch der uns davor gewarnt hatte die Pferde in der Taiga zu überwintern. Die werden alle von Wölfen gefressen. Hast du uns über Saraa ausdrücklich gewarnt. Das war der Grund warum wir die Pferde nach Mörön zurück brachten. Und wenn ihr wusstet das Bilgees Futterplatz gefährlich ist warum habt ihr ihn nicht darauf hingewiesen? Jetzt brauchen wir deine Warnung nicht mehr. Wir wissen nun das der Ort dort nicht der sicherste ist“, antwortet Tanja worauf Shagai nur mit den Schultern zuckt und sein Gesicht zu einem Grinsen verzieht.
Als Shagai gegangen ist besucht uns Tsaya. Bilgee hat Fisch an einem heiligen See gefangen. Das darf er nicht. Die Tuwas sprechen von aufkommenden Unheil wenn man dort fischt“, meint sie. „Und deswegen ist uns Od gestohlen worden? Vielleicht als Strafe?“, fragt Tanja. Tsaya bestätigt mit einem Nicken.
Als wir wieder alleine sind diskutieren wir darüber ob es nicht besser wäre Bilgee wieder ins Frühjahrscamp zu beordern. „Könnte sein das wir ihn damit auf die letzten Tage noch verärgern“, überlege ich. „Sind es jetzt unsere Pferde oder nicht?“, fragt Tanja. „In absehbarer Zeit brechen wir hier die Zelte ab. Ich weiß nicht ob es Sinn ergibt sich gegen Bilgees Lagerplatz zu stellen.“ „In den verbleibenden Tagen kann viel geschehen. Er schläft in dieser heruntergekommenen Holzhütte, teilt sich seinen Schlafplatz mit Ratten, die ich selbst gesehen habe und bewirtet vorbeikommende Reisende mit unserem Essen. Vielleicht kommt er gerne wieder ins Frühjahrscamp?“, überlegt Tanja. „Abgesehen davon kann er unmöglich die gesamte Nacht auf die Pferde achten. Er muss ja auch mal schlafen. Ich denke wir sollten ihn so oder so darum bitten wieder ins Camp zu kommen“, bin ich jetzt auch überzeugt. „Gut, da ich weiß wo sich sein Lager befindet und du nicht werde ich morgen los reiten und ihn holen.“ „Sieht so aus als entwickelst du dich zum Kurierreiter unserer Expedition“, scherze ich.
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