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Iran 1991, 1992

Das wunderschöne Weihnachtsfest

(Auszug aus dem Tagebuch)

Nach einem guten Abendessen laufen wir um etwa 22:00 Uhr zu unserem Hotel zurück. Tanja und ich sind uns einig: Dieser Tag war wohl der interessanteste 24. Dezember seit Jahren. Die Straßen sind jetzt menschenleer. Es ist sehr kalt und nur wenige Autos sind auf den schwach beleuchteten Straßen Isfahans unterwegs. Plötzlich hält eines der wenigen Autos neben uns. Ein Mann springt heraus, kommt lachend auf uns zu und fragt uns in perfektem Englisch, ob wir heute Abend seine Gäste sein wollen. Er deutet auf sein Auto, in dem fünf junge Mädchen sitzen. „Meine Schwestern und Cousinen würden sich auch sehr freuen, wenn ihr meine Einladung annehmt,“ erklärt er freundlich. Tanja und ich sehen uns verblüfft an und wissen in diesem Moment nicht, wie uns geschieht. Nur Augenblicke später sitzen wir in seinem Auto und sind gespannt, wie es bei einer iranischen Familie zu Hause aussieht. Achmed freut sich über unsere Zusage so, als hätten wir ihm ein großes Geschenk gemacht. Seine Schwestern und Cousinen kichern während der Fahrt unaufhörlich und scheinen sich über die seltene Abwechslung ebenfalls sehr zu amüsieren. Nach kurzer Fahrt erreichen wir sein Haus.

Wir müssen unsere Schuhe ausziehen und betreten einen überheizten Raum. Mindestens 10 Frauen und 3 Männer begrüßen uns mit überschwenglicher Freude. Trotz moderner Einrichtung bietet man uns sofort einen Platz auf dem Boden an. Das ist im Iran auch bei wohlhabenden Familien so üblich. Ein Teppich ist unsere Unterlage. Zur besonderen Ehre darf ich neben dem fast glühenden Ofen sitzen. „Möchtet ihr Tee?“, fragt Achmed. Uns bleibt keine Zeit zu antworten, so schnell bringt ein junges verschleiertes Mädchen ein Tablett mit Tee herein. Alle Frauen tragen ein Kopftuch oder Schleier und sitzen von den Männern getrennt. Auch Tanja sitzt auf der anderen Seite des Zimmers. Sie ist umringt von all den Mädchen und Frauen und wird mit Fragen regelrecht bombardiert. Ich habe es mir neben den Männern bequem gemacht und erzähle über Sitten und Gebräuche in Deutschland. Achmed übersetzt meine Geschichten ins Persische. Wie so oft auf unserer Iranreise werden mir die gleichen Fragen gestellt: Wie bekommt man ein Visum für Deutschland? Wie viel Geld braucht man, um dort zu leben? Was kann man dort arbeiten? Überrascht bin ich, dass sie auch Ressentiments gegenüber den Deutschen haben. Auf die Frage, warum, erklären die Männer, im iranischen Fernsehen seien bald täglich Berichte über deutschen Ausländerhass zu sehen.

In der Zwischenzeit werden große Teller mit Äpfeln und Mandarinen serviert. Obwohl die Iraner nichts mit Weihnachten zu tun haben, kommen bei uns heimatliche Gefühle auf. Achmeds Vater ist Fruchthändler und kann davon seine 13-köpfige Familie gut ernähren. Auch ist Achmed stolz auf seine Englischkenntnisse. „Endlich kann ich mal mein Schulwissen anwenden“, lacht er und legt seinen Arm um mich, als wäre ich sein bester Freund.

Im Zimmer ist es jetzt so heiß, dass es nach Schweiß riecht. Die Stimmung ist überaus herzlich und Tanja hat mit den Frauen viel Spaß. Kichernd versuchen sie Tanja zu überreden, den Schleier abzunehmen. Die Männer erklären mir, dass die Frauen im eigenen Heim keinen Schleier tragen müssen. „Unsere Frauen sind zu Hause absolut frei“, meint Achmed. „Warum tragen dann Deine Cousinen und Schwestern jetzt den Schleier?“, frage ich. „Weil du da bist. Die Kleiderfreiheit gilt nur, wenn kein Fremder im Haus ist“, antwortet er. „Und Tanja kann ihren Schleier abnehmen?“, möchte ich wissen. „Klar“, antwortet er freudig nickend. Als Tanja dann ihr Kopftuch abnimmt und ihre Haare entblößt, bekommen die Männer glänzende Augen und können die Blicke nicht mehr von ihr abwenden. Die Frauen und Mädchen kreischen vor Vergnügen und bewundern Tanjas Haar. Ich hätte nie gedacht, dass bloßes Haar auf Männer so anregend wirken kann. Es dauert nicht lange, bis Tanja sich unter den Blicken der Männer unwohl fühlt und ihr Haar wieder mit dem Kopftuch bedeckt.

Achmed und einer seiner Brüder beginnen über Politik zu sprechen und schimpfen über ihre Regierung. Sie unterhalten sich über die schönen Zeiten vor der Revolution, von einer Zeit, in der die Lebensmittel und Mieten noch billig waren. Mit verträumten Augen erzählen sie mir, dass sie gerne tanzen gehen würden. „Ach weißt du Denis“, sagt Achmed, „du hast es wirklich gut. Du darfst reisen, kannst dich mit Menschen aus fremden Ländern unterhalten und hast das Recht, deine Meinung frei zu äußern. Ja, du darfst sogar jede Musik hören, die du gerade hören willst. Bei uns ist das alles verboten. Wir haben kaum Freiheiten. Es gibt keine Diskotheken oder Tanzlokale, unsere Literatur ist sehr begrenzt und es gibt nicht einmal Bier zu trinken. Ich möchte so leben können wie du. Ich habe die Nase voll von unserer Mullahregierung, ich verabscheue sie.“

Etwas betroffen sitze ich da und erinnere mich an ähnliche Aussagen anderer Landsleute. Nach einer Weile antworte ich: „Weißt du Achmed, die Zeit steht nie still. Auch für euer Land wird es wieder bessere Tage geben. Regierungen kommen und gehen. Sie ändern sich wie die Fahne im Wind. Heute ist es Gesetz, blaue Hemden zu tragen und morgen wirst du dafür umgebracht.“ „Ich weiß,“ antwortet er. „Ich kann nur hoffen, dass der Wind noch in meinem Leben aus einer anderen Richtung weht und die Fahne dreht.“ Achmeds Bruder nickt, um die Worte zu bestätigen und lächelt mich an.

So erfahren wir an diesem heiligen Abend enorm viel über das Leben und Denken einer iranischen Familie. Um Mitternacht verabschieden wir uns mit Umarmungen und Küssen von ihnen. Achmed fährt uns mit seinem Auto zum Hotel und bedankt sich nochmals, dass wir seiner Einladung gefolgt sind. Fast beschämt steigen wir aus seinem Auto aus. Wir bedanken uns ebenfalls bei ihm und als wir uns zum Abschied noch einmal umarmen, sage ich ihm; „Du hast uns mit deiner Einladung ein unvergesslich schönes Weihnachtsgeschenk gemacht.“


Iran 1991/1992/1993

Zwischen den alten Hochkulturen des Iraks und Pandschabs liegend, hat der Iran mit seiner liebenswerten Bevölkerung, der Gastfreundschaft, der unzähligen Moscheen und alten Kulturstätten, den bizarren Gebirgshöhen, Salz und Sandwüsten einen unvergesslichen Eindruck bei Tanja und Denis Katzer hinterlassen.

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