In der Welt der Hinterhöfe und Gassen Chinas
N 39°31’48.9’’ E 112°48’06.4’’Datum:
28.10.2015
Tag: 122
Land:
China
Provinz:
Shanxi
Ort:
Shanyin
Breitengrad N:
39°31’48.9’’
Längengrad E:
112°48’06.4’’
Tageskilometer:
48 km
Gesamtkilometer:
10.128 km
Luftlinie:
33.11 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
21.9 km/h
Maximale Geschwindigkeit:
27.4 km
Fahrzeit:
2:13 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Maximale Höhe:
950 m
Gesamthöhenmeter:
6.011 m
Höhenmeter für den Tag:
91 m
Sonnenaufgang:
06:50 Uhr
Sonnenuntergang:
17:34 Uhr
Temperatur Tag max:
6
Temperatur Nacht:
minus 1°C
Aufbruch:
Uhr 11:00 Uhr
Ankunftszeit:
Uhr 14:00 Uhr
Platte Reifen gesamt:
8
Platte Vorderreifen:
2
Platte Hinterreifen:
5
Platte Anhängerreifen:
1
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Wie bei jedem Aufbruch versammeln sich die Menschen um uns als währe gerade das neueste Ufomodel gelandet. Zu Beginn stehen die ersten Passanten mit respektvollem Abstand vor oder um uns. Nach einiger Zeit verlieren sie ihre Scheu und rücken näher heran. Nachdem wir geladen haben und ich in meinem Smartphone die Route überprüfen möchte, blicken gleich mehrere Augenpaare auf das kleine Display. Dabei werde ich derart bedrängt, dass ich mich regelrecht behaupten muss, um meine Daten eingeben zu können.
Bei fantastischem Wetter ohne Gegenwind rauschen wir auf den unbegrenztem Seitenstreifen dahin. Wie in den vergangenen Tagen auch brausen unentwegt die Kohlelaster an uns vorbei und blasen uns mit ihren Abgasen und Kohlestaub voll. Ohne erwähnenswerte Zwischenfälle erreichen wir die Stadt Shanyin in dessen Kreis 220.000 Menschen leben. Auch heute hat Lois für uns eine Bleibe für die kommenden Nächte vorgebucht, so dass wir gewiss sein können nach dem einchecken nicht wieder rausgeworfen zu werden. Die Herausforderung liegt eigentlich nur darin ohne GPS das Haus zu finden. Wieder werden wir die Straße rauf und runter geschickt aber da das Wetter super, und es noch früher Nachmittag ist, lassen wir uns nicht stressen. „Das Gebäude dort drüben könnte es sein“, sage ich auf die andere Straßenseite deutend und lande einen Treffer. Der Hotelmanager und sein Personal begrüßen uns sehr freundlich. Unsere Räder dürfen in ein Hotelrestaurant, welches gerade restauriert wird. Kaum haben wir abgeladen, tragen viele Hände unsere Ausrüstung in ein großes Zimmer, in dem wir in den kommenden Tagen unsere Erlebnisse niederschreiben werden. Wir haben uns gerade auf den Stühlen niedergelassen, klopft es an die Tür. „Was sie wohl von uns wollen?“, wundere ich mich und hoffe nicht wieder eine neue Variante der scheinbar unendlichen Unterkunftsgeschichten erleben zu müssen. Mit mulmigem Gefühl öffne ich die Tür. Der Manager steht breit grinsend da und überreicht mir ein schweres Paket. „Fantastisch. Die neuen 500 Watt-Akkus von Bosch sind angekommen“, rufe ich ins Zimmer, ihm den Karton aus den Händen nehmend. Als wäre es Weihnachten packen wir umgehend die Akkus aus. „Die sehen ja genauso aus wie die 400 Watt-Akkus“, wundert sich Tanja. „Was dachtest du denn?“ „Na das sie größer sind.“ „Zum Glück nicht. Ist aber 20 Prozent mehr Leistung drin“, antworte ich. Da ab sofort jeder von uns sechs Akkus besitzt hat sich in Zukunft das Energieproblem gelöst. „Das heißt, wir müssen ab jetzt keine Restaurants aufsuchen, um mittags eine ungewollte dreistündige Pause einlegen zu müssen, nur um die Energiespeicher für die weitere Tagesreise voll zu kriegen. Auch könnten wir, wenn es nicht so kalt und ungemütlich wäre, jederzeit unser Zelt aufschlagen“, sage ich freudig. „Das nenne ich Freiheit“, jubelt Tanja. „Was meinst du wie weit wir jetzt kommen?“ „Du meinst die Reichweite ohne laden zu müssen?“, frage ich sie. „Ja.“ „Unter guten Bedingungen 200 Kilometer.“ „Und wenn wir Berge überqueren müssen und der Wind uns entgegen bläst?“ „Vielleicht die Hälfte? Aber das wird sich in den kommenden Tagen und Wochen zeigen.“ „Jetzt müssen wir nur noch einen Platz finden um die dazugekommenen 15 Kilogramm unterzubringen“, überlegt Tanja. „Ja, vor allem benötigen wir dringend die neue Deichsel“, antworte ich nachdenklich. Kaum habe ich den Satz beendet flattert eine Email der Firma Weber rein, die uns die Deichsel schon vor Tagen nach China sendete. „Unser Paket wurde von Bosch abgelehnt. Was sollen wir tun?“ „Was? Es wurde abgelehnt?“, sage ich erschrocken. Umgehend setzen wir uns mit der Marketingleiterin von Bosch in China in Verbindung und erfahren, dass das wichtige Ersatzteil beim Inlandszoll liegt. „Wir kümmern uns darum. Macht euch keine Sorgen. Wenn wir die Deichsel aus dem Zoll haben schicken wir sie euch mit dem neuen GPS zu. Das liegt schon seit ein paar Tagen bei mir auf dem Schreibtisch“, beruhigt uns Margaret. „Schon irre um was man sich auf so einer Reise alles kümmern muss damit sie reibungslos läuft“, stelle ich fest. „Nichts Neues“, antwortet Tanja und erinnert mich an die vielen Organisationsmonate unserer Kamelexpedition in Australien, der Durchquerung der Wüste Taklamakan in Westchina, der Überwinterung bei den letzten Rentiernomaden in der Mongolei, oder unseren Elefantentrip durch Nepal und, und, und. Es ist im Grunde immer das Gleiche. Die Administration, Organisation, ständige Planung und Umplanung, Flexibilität, Einfallsreichtum und Ideenfindung, Kompromissbereitschaft, Toleranz und Gelassenheit gehört zu so einem Trip wie der Tag zur Nacht.
Am Nachmittag suchen wir einen Supermarkt auf, um uns mit Trinkwasser zu versorgen. Es herrscht wie in allen Städten reges Treiben auf der Straße. Wir tauchen ein in die Welt der Gassen und Hinterhöfe, der Hutongs, in denen viele der Chinesen heute noch leben. Es duftet an allen Ecken und Enden nach den unzähligen Variationen der chinesischen Küche. Ein Schuhmacher hat sein dreirädriges Lastenfahrrad am Gehsteig abgestellt und repariert noch wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit einer kleinen handbetriebenen Maschine einen Schuh. Als ich etwas scheu die Kamera hebe, um ihn in digitaler Form festzuhalten, lacht er und hebt seine Hand zum Gruß. Gleich daneben kauern vier Männer auf ihren Versen und nutzen den Gehweg, um ihr in China und Japan populäres Mah-Jongg zu spielen. Einst vermutete man, dass es schon vor 4.000 Jahren, zur Zeit der Shang Dynastie gespielt wurde und nur der Oberschicht vorbehalten war. Tatsächlich aber entstand Mah-Jongg wohl erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.Wir stehen einige Zeit daneben, beobachten die Spieler und hören dem Klappern der Steine zu. Dann landen wir direkt neben der Hauptstraße auf einem offenen Markt. Ein Mann steht auf dem Tank, der auf seinem kleinen Lastwagen montiert ist. In seinen Händen hält er einen langen Metallstab an dessen Ende ein Netz angebracht ist. Geschickt fischt er mit einem einzigen Hub zehn fette Karpfen heraus, die ihm eine Restaurantbesitzerin sofort abnimmt. „Ni hao!“, ruft uns ein Verkäufer entgegen der vor seinem selbstkonstruierten Motorradaufbau sitzt, unter dessen offenem Glasdach er dreißig oder vierzig verschiedene Tofuarten, Mais, Pilze, Nudeln, Eier und für uns Undefinierbares feilbietet. Nur einem Meter daneben wird ein Schaf geschlachtet und sogleich ausgenommen. Weitere hängen an Metallhaken an einer Stange. In Schüsseln warten blutige Innereien auf Käufer. Auf der Straßeseite gegenüber reihen sich bunte Obst- und Gemüsestände. Im Schaufenster einer Bäckerei strahlen uns in allen erdenklichen Farben Torten entgegen. Eine hat sogar die Form zweier voller, mit Zuckerguss überzogener, Frauenbrüste. An den Farben, dem geordnetem Durcheinander, dem Geschrei der Verkäufer und den Lautsprecherdurchsagen kleiner Stände, hustet und stöhnt der Straßenverkehr vorbei. Die stinkenden Motoren mancher der alten Lastenmotorräder lärmen wie schwere Fischkutter. Ein Geräusch welches man eher an einem asiatischen Hafen sucht. Dazwischen drückt der Fahrer eines schweren, teuren Geländewagens ungeduldig auf die Hupe. Zwei kleine Jungs flitzen mit ihrem Dreirad durch das Gewimmel. Das Vorderrad des Einen befindet sich im Lastenkorb des anderen Dreirads. Wir glauben uns in einem variantenreichen Film zu bewegen. Nur ist die Welt um uns herum dreidimensional und real. Auch im Supermarkt sind wir Exoten. Unaufhörlich, ungeniert, neugierig werden wir beobachtet. Teils erstarren die Menschen und vergessen ihre augenblickliche Tätigkeit. Die Kassiererin stupst ihre Kollegin an. „Sie stehen bei mir“, scheint sie voller stolz zu sagen, kichert uns an und erst als sie aus ihrer Starre erwacht kassiert sie den Einkauf.
Am Abend suchen wir das Hotelrestaurant auf. Weil es keine Heizung gibt könnten wir uns genauso gut in einen Kühlschrank setzen. Auch hier werden wir unaufhörlich angestarrt. Uns kommt es so vor als seien wir die ersten Ausländer die jemals einen Fuß in diese Stadt gesetzt haben. Mit Daunenjacken bekleidet speisen wir in dem äußerst ungemütlichen Raum. „Ich bin gespannt was uns morgen erwartet“, meint Tanja. „Ich auch. Laut Spring muss die Festung am Yanmenguan Pass ein Highlight sei.“ „Ist sie bestimmt. Hoffe nur sie lassen uns rein und nutzen nicht den Spätherbst um die Anlage zu restaurieren…“
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